Nachvollziehbarer Wahnsinn

Nachvollziehbarer Wahnsinn

Nachvollziehbarer Wahnsinn

 
„Salome“ Oper-Graz (Foto: Werner Kmetitsch)
19.

November 2018

Salome von Richard Strauss erlebte in der Oper Graz Anfang November seine umjubelte Premiere unter der Regie von Florentine Klepper. Am Pult agierte, feinfühlig und präzise Oksana Lyniv, Kostüme, sowie Bühnenbild stammen ebenfalls von Frauen. (Adriane Westerbarkey, Martina Segna)

Salome rein von Frauen erarbeiten zu lassen, macht, wie die Inszenierung zeigt, Sinn. Denn der Blick auf die psychologischen Vorgänge der Beteiligten ist ein durchaus anderer, tiefer gehender, als hinlänglich bekannt.

Klepper präsentiert ihre Salome höchst zeitgeistig und zugleich zwiespältig. Sie ist mit einer unbändigen Lebensfreude ausgestattet, die sie jedoch extrem egozentriert auslebt. Johanni Van Oostrum trägt über weite Strecken eine Handycam mit sich, um sich in jeder Lebenslage zu filmen. Beim Anblick des von ihrem Stiefvater eingekerkerten Propheten Jochanaan erwacht in ihr jenes Gefühl, das sie Liebe nennt, mit dem sie aber überhaupt nicht umgehen kann.

Der stimmlich herausragenden Van Oostrum stellt die Regisseurin ein stummes Alter Ego zur Seite, das meist in gefilmten Takes projiziert wird. Im Gegensatz zur exaltierten Salome ist sie in ihre Gedankenwelt eingeschlossen und bleibt wortlos, bis hin zu ihrem letzten Auftritt. In diesem trägt sie nicht – wie man erwarten könnte – Jochanaans Kopf, sondern einen abgetrennten Schädel, der wie ihr eigener aussieht.

PhotoWerK Salome GP LoRes 036

„Salome“ Oper-Graz (Foto: Werner Kmetitsch)

PhotoWerK Salome GP LoRes 009

„Salome“ Oper-Graz (Foto: Werner Kmetitsch)

Neu an der Inszenierung von Klepper ist der Versuch, dem Publikum klar zu machen, warum Salome letztlich mit dem Wunsch nach Jochanaans Kopf komplett „pervers“ agiert. Richard Strauss selbst hat die Charaktere in seiner Oper mit diesem abschätzigen Terminus ausgestattet.

Überraschenderweise entzieht die Regisseurin dem Publikum den Blick auf die Schleier um Schleier ablegende Salome und lässt sie während des symphonischen Tanzsatzes in eine andere Welt entfliehen. Krude Gedankenwirbel, visualisiert durch filmische Einspielungen und eine sich drehende Bühne, vor der Salome permanent präsent ist, verhüllen mehr als enthüllt wird. Und entwickeln zugleich einen unglaublichen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Männer, die begehrlich ihre Hände nach Salome ausstrecken, Bischöfe und Rabbi, lasziv angezogene Prostituierte und ein Klebeband mit der Aufschrift „Schande“, das den Mund einer halb nackten Puppe verschließt – bilden das Herzstück dieser Szene und somit zugleich auch des Abends. Darin wird klar, dass der soziale Druck von außen, die Verlogenheit der Gesellschaft, die religiös motivierte, sexuelle Unterdrückung der Frau, aber auch ihr Missbrauch eine Gemengenlage ergeben, die Salome in den Wahnsinn treibt.

Dass dieses System nicht gesund ist, auch nicht für den männlichen Teil der Gesellschaft, wird dabei auch deutlich. Jochanaans Gesichtsausdruck (Thomas Gazheli) zeugt von einem krankhaften Fanatismus, der ihn daran hindert, sich auf die Gesellschaft zuzubewegen, die er bekehren möchte. Manuel von Senden wiederum gibt einen hormonbesessenen Herodes, der seine Stieftochter vor den Augen seiner eigenen Frau begehrt. Die grün schimmernde Jogginghose und das weiße, eng anliegende Shirt, das er trägt, machen klar, dass er sich seiner Macht bewusst ist und auf jegliche, gesellschaftliche Konventionen pfeift. Da hilft es Herodias (Iris Vermillion) nichts, dass sie sich aufreizend kleidet und ihren Mann immer wieder zur Räson ruft.

PhotoWerK Salome GP LoRes 002
PhotoWerK Salome GP LoRes 019
PhotoWerK Salome GP LoRes 077
PhotoWerK Salome GP LoRes 096

„Salome“ Oper-Graz (Fotos: Werner Kmetitsch)

Die Kostüme sind stark plakativ angelegt – braune Uniformen für die Wachen und männliche Königsentourage, glitzerndes Schwarz für Herodias, unschuldiges Weiß für Salome, das durch blutrote Streifen in ihren modischen Statement-Stiefeln konterkariert wird.

Auch die Architektur des Palastes – ein rundum verglastes, frei stehendes, flach gedecktes Luxusanwesen, bleibt zeitgeistig.

Am Premierenabend präsentierte sich das Ensemble ohne Ausnahme stimmlich perfekt. Viel Applaus – zu Recht – für Van Oostrum, die in der schwierigen Salome-Partie von Anfang bis zum Schluss glänzte.

Ein sehenswerter Abend, musikalisch vom Feinsten und einer Regie, die durch psychologische Feinarbeit glänzt.

Weitere Termine auf der Homepage der Grazer Oper.

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Tödliche Eifersucht

Tödliche Eifersucht

Tödliche Eifersucht

„Pagliacci“ – Aldo di Toro (Canio), Chor und Extrachor der Oper Graz (Foto: Werner Kmetitsch)

10.

Oktober 2018

In der Grazer Oper stehen in dieser Saison Cavalleria rusticana und Pagliacci auf dem Programm. Jene beiden Stücke, die durch ausgekoppelte, musikalische Titel daraus zu Weltruhm gelangten und aufgrund ihrer jeweiligen Kürze gerne an einem Abend gezeigt werden.

Das rein orchestrale Zwischenspiel der Cavalleria rusticana darf auf keiner CD-Compilation fehlen, in der Liebesgefühle musikalisch gebündelt sind. Aus Pagliacci wiederum wurde Bajazzos Arie „vesti la giubba“, besser bekannt als „ridi Bajazzo“ – im Handumdrehen zum klassischen Gassenhauer.

Inhalt der Opern von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo sind Liebesbeziehungen, die durch Eifersucht schließlich mit dem Tod enden. Beide Werke sind dem Verismo zuzuordnen. Einer in Italien entstandenen Operngattung, die Wert auf übersteigerte Affekte legt und deren Handlung in einfachen Milieus – entweder auf dem Land, oder wie in Pagliacci – bei einer Schauspieltruppe – angesiedelt sind.

Lorenzo Fioroni aus Italien inszenierte beide Stücke mit einem traurig-melancholischen Clown als Verbindungselement. Allen Grazerinnen und Grazern ist Jörn Heypke als Clown Jako bestens bekannt. Ob auf Kindergeburtstagen und Straßenfesten, Einlagen bei Partys oder Workshops – irgendwann kreuzen sich die Wege von kreativen Menschen in der Steiermark mit jenen des Künstlers einmal.

Nun hat er seinen großen Auftritt in der Grazer Oper gleich zu Beginn von Cavalleria rusticana und stimmt das Publikum mit seiner Mimik, trotz holpertatschigem Gehabe und einer höchst gelungenen Slapstickeinlage, auf eine schwermütige Grundhaltung ein. Im „Pagliacci“ wird er zu Beginn regungslos am Boden liegen und damit zumindest im übertragenen Sinn das Ende der Handlung auch vorwegnehmen. Denn der Direktor der fahrenden Theatergruppe, der den Bajazzo verkörpert, kommt schließlich ums Leben.

Fioroni verwendet in seiner Regie für die Cavalleria ein aufwändiges, über der Bühne schwebendes Prospekt. (Bühnenbild Paul Zoller) Darauf ist in michelangelesker Manier Gott Vater wiedergegeben und blickt auf das Orchester und die Sängerinnen und Sänger herab, die darauf ebenfalls abgebildet sind. Tatsächlich kommt der Religion eine eher untergeordnete Rolle zu. Denn das, was die Menschen in dem kleinen Dorf am Land tun, hat nichts mit göttlicher Eingebung zu tun. Sie verlieben und verlassen sich, sie werden sich untreu und lassen ihrer Eifersucht freien Lauf, bis hin zur letalen Ausschaltung des Rivalen.

Birgt schon das Libretto an sich jede Menge an psychologischer Schwarz-Weiß-Malerei, scheut sich Fioroni nicht, dies durch begleitende Handlungen noch zu unterstreichen. Audun Iversen in der Rolle des Alfio tritt von Anbeginn an wie der ultimative Bösewicht in schwarzem Outfit auf und überbietet so ziemlich jeden Macho, den die Opernbühne bisher gesehen hat. Konsequent, dass er letztlich seiner untreuen Frau ein Kleidungsstück nach dem anderen vom Leib reißt, als er ihre Untreue erfährt. Mareike Jankowski als Lola ist in ihrer Unterwäsche schutzlos den Blicken der Gesellschaft ausgeliefert und zutiefst gedemütigt.

2 PhotoWerK Cavalleria GP LoRes 023 1 1 1

„Cavalleria rusticana“ Ezgi Kutlu (Santuzza), Chor und Extrachor der Oper Graz (Foto: Werner Kmetitsch)

1 1 PhotoWerK Cavalleria HP1 LoRes 005 1

„Cavalleria rusticana“ Ezgi Kutlu (Santuzza) (Foto: Werner Kmetitsch)

Der derben Handlungsvisualisierung steht ein musikalisches Rundum-Wohlfühlpaket dagegen. Oksana Lyniv, die Chefdirigentin der Grazer Oper, leitet präzise ein höchst aufmerksames und fein abgestimmtes Orchester. Stimmlich war das Ensemble am Abend des Vorstellungsbesuches bestens disponiert. Mit Mareike Jankowski und Ezgi Kutlu als Santuzza standen sich zwei Frauen gegenüber, die ihre Rollen nicht nur sängerisch, sondern auch schauspielerisch bestens ausfüllten. Auch die Männer, neben Audun Iversen brillierte  Aldo di Toro als verliebter Turiddu, trugen zu einem musikalischen Erlebnis der Spitzenklasse bei. Die Kostüme (Annette Braun), zeitlich in der Mitte des 20. Jahrhunderts angesiedelt, spiegeln eine homogene Gesellschaft, in der jedes Abweichen von den Regeln mit sozialen Sanktionen bestraft wird. Einzig das Outfit von di Toro hätte vorteilhafter ausgewählt werden können, um sein Embonpoint etwas zu kaschieren.

Die Idee, mit einem Einschub den Chor zu Wort kommen zu lassen und einzelne, persönliche Befindlichkeiten wie Vorlieben, Ängste oder Abneigungen via Mikrofon dem Publikum mitzuteilen, wirkt eher bemüht als dramaturgisch notwendig. Dabei entsteht der Eindruck, Postdramatik auf „Teufel komm raus“ in der Inszenierung unterbringen zu wollen, währenddessen eine kleine Auskoppelung des Orchesters das berühmte Zwischenspiel auf der Bühne als Hintergrundmusik zum Besten gibt. Zum Glück erfolgt darauf die volle Instrumentalfassung. Grund genug, sich dieses Stück anzusehen.

Nach dem höchst diskussionswürdigen ersten Teil des Abends schloss sich ein tadelloser zweiter an, der nach den Erfahrungen mit der Cavalleria rusticana so nicht zu erwarten war.

Pagliacci

Die Herangehensweise des Regisseurs, das übliche Spiel über Theater und realem Leben im Pagliacci umzudrehen, macht durchaus Sinn. Anders als man es kennt, lässt er im ersten Akt die Bevölkerung als theatrale Wesen auftreten. Ausgestattet in einer Kostümmischung aus Halloween und aus den Gräbern Entstiegenen des alljährlichen Dia-de muertos-Festes in Mexiko versammeln sich die Menschen vor dem Kirchgang. Dabei produzieren sie Angst einflößende Gesten in Richtung Publikum. Interpretieren könnte man diesen Auftritt mit der Idee, dass die ganze Welt ein Theater an sich sei, womit Fioroni auch eine derzeit häufig aufpoppende, gesellschaftliche Grundstimmung wiedergibt.

Auch in dieser Inszenierung ist die musikalische Leistung von Orchester und Ensemble herausragend. Iversen und di Toro treten auch in dieser Inszenierung als Rivalen auf, wobei die Besetzung hier durchaus glaubwürdig erscheint.

3 PhotoWerK Cavalleria GP LoRes 032 1 1
5 PhotoWerK Cavalleria HP1 LoRes 070 1

„Cavalleria rusticana“ (Foto: Werner Kmetitsch)

PhotoWerK Cavalleria GP LoRes 112 1
10 PhotoWerK Cavalleria GP LoRes 097 1

Pagliacci (Foto: Werner Kmetitsch)

13 PhotoWerK Cavalleria HP1 LoRes 158 1

„Pagliacci“ – Aldo di Toro (Canio), Aurelia Florian (Nedda) (Foto: Werner Kmetitsch)

Es ist normalerweise nicht üblich, über körperliche Merkmale von Sängern oder Sängerinnen ein Wort zu verlieren. Und musikalisch betrachtet, tut dies auch tatsächlich nichts zur Sache. Eine Oper ist jedoch ein multidimensionales Kunstwerk, in dem viele unterschiedlichen Sinne angesprochen werden. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum Fioroni dem Umstand der beleibten Statur von di Toro mit einem dementsprechenden Kostüm nicht Rechnung trug, sondern diese noch betonte. Muss dieser doch als Bajazzo unter seinem grünen, abgewetzten Umhang genau jenes rosarote, enganliegende Nachthemd tragen, mit dem auch der zuvor bereits erwähnte, große und schlanke Clown ausgestattet wurde. Was von der Grundsatzidee her nachvollziehbar und auch intelligent ist, würde man dem wunderbaren Sänger in der realen Umsetzung jedoch gerne ersparen.

Auch im Pagliacci arbeitet der Regisseur mit einem Einschub, dieses Mal aber filmisch ausgearbeitet. Darin erscheint der Theaterdirektor wie einst Moses in dem 1923 gedrehten Streifen „Die Zehn Gebote“, wennglich in unsere Zeit versetzt. Szenen in verschiedenen Theatern und Städten gedreht, schließen auch den Chor mit ein und sollen wohl den Eindruck erwecken, dass das Geschehen auch im Hier und Heute so funktionieren kann.

14 PhotoWerK Cavalleria GP LoRes 138 1

„Pagliacci“ Aldo di Toro (Canio) (Foto: Werner Kmetitsch)

Stimmig lässt Fiorini die Eifersuchtsszene in einer kleinen Einbauküche in einem Arbeiterwohnblock einer Stadt spielen. Ärmlichst augestattet, mit Blick auf unzählige andere Plattenbaufenster wird diese zum finalen Ort einer Gewalttat, wie wir sie heute durch die Medien allwöchentlich allein in Österreich mehrfach mitgeteilt bekommen.

Abermals darf Mareika Jankowski ihrer stimmliche und schauspielerische Stärke präsentieren. Abermals agiert Iversen als unsympathischer, zurückgewiesener Verliebter, der in seiner Kränkung schließlich nicht davor zurückschreckt, Lola zu verraten.

Der Doppelabend an der Grazer Oper beeindruckt vorrangig mit ausgezeichneten, musikalischen Leistungen und einer klugen, durchdachten Pagliacci-Regie. Schon allein deswegen lohnt sich ein Besuch.

Weitere Termine auf der Homepage der Grazer Oper.

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Jeanne und Gilles in Wien

Jeanne und Gilles in Wien

Jeanne und Gilles in Wien

Von Michaela Preiner

„JEANNE & GILLES“ (Foto: © Andreas Friess)

26.

September

Die neue Produktion des Sirene-Operntheaters „Jeanne und Gilles“ überzeugte in allen Punkten

I hre Geschichte ist weit über Frankreich hinaus bekannt. Über Johanna von Orleans, von Gott berufene Kriegsanführerin gegen die Engländer und Bourbonen, die aus Staatsräson auf dem Scheiterhaufen landete, gibt es unzählige Erzählungen, Bücher, dramatisierte Stoffe, Opern und sogar ein Oratorium.

Erst im Vorjahr wurde ihre Geschichte unter dem Titel „Johanna. Eine Passion“ am TAG aufgeführt.

Gilles de Rais hingegen hat es zu weniger Berühmtheit gebracht. Er war jener adelige, junge Feldherr, der sich im Krieg in Jeanne verliebte und nach ihrem Tod, selbst traumatisiert durch die Kriegswirren und ihren Tod am Scheiterhaufen, zum Mörder wurde.

Kristine Tornquist, Mitbegründerin des Sirene-Operntheaters, nahm sich des Stoffes von Jeanne d`Arc in erweiterter Form an und beleuchtete in ihrem Libretto „Jeanne und Gilles“ ihre Beziehung zu Gilles de Rais und sein Leben.

Francois-Pierre Descamps vertonte den Text und leitete selbst das 14-köpfige Instrumentalensemble bestehend aus Streichern, Schlagwerk und Gerald Grün an der Trompete.

Musikalisch charakteristisch für das Stück ist ein Hin- und Herschwingen zwischen tonalen und atonalen Sequenzen, sowie eine stark illustrierende Unterstützung des Textes. In ihr wurden die Spannungen von politischen Verhandlungen durch nervös klingende Streicher unter anderen genauso hörbar wie die Peinigung von Jeanne, belgeitet von dumpfen Percussionsklängen.

Die Trompete wurde nicht nur zur Schlachtenbegleitung eingesetzt, sondern attributierte Jeanne selbst über weite Strecken, bis hin zu einem wundervollen Duett zwischen dem Instrument und ihrer Stimme. Gilles Gesang hingegen wurde von tiefen Bässen begleitet, was der langsamen Verdunkelung seines Seelenzustandes gut entsprach.

JEANNE GILLES 8 © Andreas Friess

„JEANNE & GILLES“ (Foto: © Andreas Friess)

JEANNE GILLES 2 © Andreas Friess
JEANNE GILLES 6 © Andreas Friess

„JEANNE & GILLES“ (Fotos: © Andreas Friess)

Eine unbefleckte Kriegstreiberin und ein sensibler Mörder

Die Location – ein alter Ball- und Vergnügungssaal aus dem 19. Jahrhundert mit historisierenden Elementen in der Gablergasse in Hernals erwies sich als ideal. Der langgestreckte Raum wartet mit einer extrem guten Akustik auf, sodass auch das Publikum in den hinteren Reihen – dankenswerter Weise aufsteigend angebracht – sehr gut hören und sehen kann.

Tornquist, neben dem Libretto auch für die Regie und mit Markus Boxler für das Bühnenbild verantwortlich, schuf nicht nur einen geschichtlichen Kurz-Abriss der Zeit Jeanne d`Arcs. Vielmehr vermittelt ihr Text tiefe Einblicke in die Psychologie des Krieges und die daraus resultierenden, seelischen Verstümmelungen und Bauernopfer.

In ihrer Fassung ist Jeanne eine unbefleckte Kriegstreiberin, die Tötungen und Verbrechen gegen den Feind mit Gottes Wille argumentiert. Mit den Worten „Es gibt keinen Kompromiss in Gottes Befehl“ tritt sie gegen jene königlichen Anweisungen auf, die einen Waffenstillstand mit den Engländern erreichen sollen. Gilles, den Tornquist wesentlich zarter besaitet präsentiert, kippt erst dann in Psychosen, als er mit Jeannes Tod auf dem Scheiterhaufen und seinen persönlich erlebten Traumata im Krieg alleine nicht mehr fertig wird.

„An manchen Abenden sehe ich mich an mit Staunen, dass ich noch unversehrt Haut und mein Leben trage“, lässt Tornquist ihn singen, wobei schon die Abspaltung seines Ichs fühlbar wird. Der zu Hilfe gerufene Arzt und ein Quacksalber verstärken gemeinsam mit seinem Leibdiener seine Krankheit und fördern letztlich den Tod eines jungen Mädchens durch Gilles Hand.

Mit Lisa Rombach und Paul Schweinester erfolgte eine Idealbesetzung der Titelrollen. Kräftig und klar, scheinbar mühelos kam Rombachs Sopran zum Einsatz und bot Schweinester hellem Tenor einen schönen Gegenpart. Nicht minder stimmlich und schauspielerisch gut disponiert waren Bernd Lambauer, Andreas Jankowitsch und Johann Leutgeb, zum Teil in Doppelrollen. Gratulation an dieser Stelle für das punktgenaue Casting.

JEANNE GILLES 7 © Andreas Friess
JEANNE GILLES 1© Andreas Friess
JEANNE GILLES 5 © Andreas Friess
JEANNE GILLES 10 © Andreas Friess

„JEANNE & GILLES“ (Fotos: © Andreas Friess)

JEANNE GILLES 9 © Andreas Friess

„JEANNE & GILLES“ (Fotos: © Andreas Friess)

Das Gestern schwingt ins Heute und wieder zurück

Die von vier „Maschinisten“ sichtbar verschobenen und von Hanno Frangenberg bemalten Prospekte erinnern an Landschaften von Watteau oder Fragonard sowie barocken Schlachtenbildern. Und auch mit den mittelalterlichen Kostümanleihen von Markus Kuscher blieb das Geschehen geschichtlich im Frankreich zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert verortet.

Jeanne selbst wurde über ihr zeitgeistiges Outfit für die Schlachtenszene eine Jacke und ein Wams übergezogen. Im Switchen zwischen den Moden über Jahrhunderte hingweg lieferte die Regisseurin einen kleinen Verweis, dass religiöse Verblendung auch heute noch anzutreffen ist und ein Phänomen darstellt, das keiner bestimmten Periode zugeordnet werden kann. Vielmehr ist es durch Zeit und Raum überall auf der Welt anzutreffen.

Das Einbinden der Bühnenarbeiter, die sichtbar den Bühnenbildwechsel vornahmen, aber auch als Ankleider oder Requisiteure und sogar als Statisten agierten, ist ganz unserem Zeitgeist verpflichtet, die Mechanismen am Theater aufzuzeigen.

Trotz sparsamen Einsatzes funktionierte dies bestens und verdeutlichte, dass Tornquist alle Register des zeitgenössischen Musiktheaters ziehen kann. Gerade das Hin- und Herkippen zwischen dem historischen Ausgangsmaterial und der aktuellen Opernproduktion verlieh dem Abend eine angenehme Spannung, aber auch jede Menge augenzwinkernde Selbstreflexions-Momente.

Der Abend zeichnete sich durch eine selten gelungene Mischung all jener Komponenten aus, die eine herausragende Produktion ausmachen: Eine gelungene Herausarbeitung der Charaktere, ein Libretto, welches die Figuren höchst authentisch erscheinen lässt, eine klare Regieführung, in der besonderes Augenmerk auch auf die schauspielerischen Fähigkeiten der Sängerin und der Sänger gelegt wurde und letztlich eine Musik, die sowohl Grauen und Krieg als auch Gottesentrückung und Liebesgefühle veranschaulichen konnte.

Der lange und enthusiastische Applaus des Publikums war mehr als gerechtfertigt. „Jeanne und Gilles“ ist eine von zwei Herbst-Produktionen des Sirene Operntheaters. Übertitelt sind diese mit „Katastrophen. Feuer und Wasser“.

Im Rahmen von Wien Modern wird die Kammeroper nach B. Traven von Oskar Auchinger „das Totenschiff“ zu sehen und zu hören sein.

Weitere Informationen auf der Webseite des Sirene Operntheaters.

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Gehuldigt wird mit Gaudi

Gehuldigt wird mit Gaudi

Gehuldigt wird mit Gaudi

Von Michaela Preiner

„Julo Ascanio“ (Foto: Werner Kmetitsch)

30.

Juni 2018

All jenen, die in Graz das Konservatorium besuchten oder noch besuchen, ist sein Name wohl bekannt: Johann Josef Fux. Dass er Steiermarks einflussreichster und wichtigster Barockkomponist war, wissen viele Musizierende jedoch gar nicht.

Das Styriarte-Team hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Bekanntheitsgrad des Komponisten drastisch zu steigern und bot dem Publikum in dieser Festvalsaison das „Fux-Opernfest Vol.1“ an.

Das Surrounding dazu war außergewöhnlich. Wurde doch nördlich von der List-Halle ein „Glücksgarten“ mit Lustwandlungsmöglichkeiten angelegt, der in den kommenden Jahren erhalten bleiben soll. „Zwischen den parkenden Autos in der Pause zu marschieren, hatte auch einen gewissen Charme“, wusste Intendant Mathis Huber von den bisherigen Usancen zu berichten. Nun jedoch bietet der Garten und die ihm angeschlossenen, großen Zelte den Musikfans auch die Möglichkeit des Entspannens und des Labens vor und nach den Aufführungen.

Ein Fest sollte es werden, mit allem was dazugehört. Einem fröhlichen Sicheinfinden, einer Verköstigung, Musik zum Tanzen und nicht zuletzt der selten aufgeführten Oper „Julo Ascanio, Re d`Alba“. Der in Hirtenfeld bei St. Marein geborene Musiker schuf diese anlässlich des Namenstages seines Kaisers, Josef I. Sie wurde im März 1708 in Wien am Hofe aufgeführt und erlangte das Gefallen Ihro Gnaden höchstpersönlich.

„Julo Ascanio“ (Foto: Werner Kmetitsch)

„Julo Ascanio“ (Fotos: Werner Kmetitsch)

Auch in Graz durfte sich das Styriarte Publikum über die musikalisch herausragende Leistung von Fux, aber auch des „welschen“ Klangkörpers, sowie der Sängerinnen und Sänger freuen. Alfredo Bernardini, der Leiter des Zefiro Barockorchesters, kam höchst ungewöhnlich mit seinem Ensemble auf die Bühne. Fröhlich und sich angeregt unterhaltend, marschierten die Damen und Herren mit ihren Instrumenten zu ihren Plätzen, wobei klar wurde: Bierernst würde in dieser Inszenierung nicht wirklich etwas genommen werden. Und tatsächlich setzte die Regie von Wolfgang Atzenhofer der Beweihräucherung des einstigen Kaisers eine große Prise Ironie dagegen und kam so nicht einmal in den leisesten Verdacht reaktionärer Umtriebe. Ausgestattet mit opulenten Crossover-Kostümen von Lilli Hartmann, angelegt zwischen barocken Stilelementen bis hin zu poppigen Glitzeroutfits, sang Kai Wessel in der Titelrolle jenen König, von dem die Habsburger ihren Stammbaum ableiteten. Sein Altus war am besuchten Abend nicht mit einer unverbrüchlichen Standfestigkeit ausgestattet, wies jedoch eine zarte, lyrische Qualität auf. In einem Outfit zwischen Ritter, Barockfürst und Weltraumeroberer kämpfte der König von Alba um die Liebe von Emilia, deren Volk er unterjocht hatte.

Arianna Vendittelli war in dieser Rolle neben Monica Piccinini, die ihre Mutter gab, der Star des Abends. Gar wunderbar zu hören, wie sich die beiden Soprane in ihren unterschiedlichen, bestens disponierten Stimmqualitäten voneinander fein unterschieden. Valerio Contaldo beeindruckte mit seinem klaren, aber nie scharfen Tenor in der Rolle als Teucro, während Mauro Borgioni stimmgewaltig als Evandro seiner Schwester Emilia unmissverständlich klar machte, wem sie ihre Hand reichen sollte.

Die Grazer Medien-Produktionsfirma OchoReSotto steuerte auf einer Videowand, quer hinter der Bühne gespannt, abstrakte, bunte Einspielungen bei, die Details aus den Kostümen geometrisch zerlegten und vergrößerten. Dabei konnten, aufgrund des Einsatzes der verschiedenen Farben wie Rot, Schwarz oder Weiß, gut die unterschiedlichen, emotionalen Befindlichkeiten der jeweiligen Charaktere nachempfunden werden. Rot fungierte dabei logischerweise für die besungenen Liebesgefühle, die Schwarz-Weiß Projektionen begleiteten eher strategische Überlegungen der Charaktere.

„Julo Ascanio“ (Fotos: Werner Kmetitsch)

Dem höfischen, barocken Musikideal in der Halle wurde mit den „Fidelen Hirtenfeldern“ im Garten vor und nach der Vorstellung ein Kontrapunkt entgegengesetzt. Das Spezialensemble für historische Volksmusik trat in clownesken Trachtenkostümen gemeinsam mit „Johann Josef Fux“ (Christoph Steiner) auf, der sich beständig über alles echauffieren konnte, das nach seiner Meinung nach der höfischen Etikette nicht entsprach, wie das „Fräulein Austria“ (Jutta Panzenböck). Deren Naheverhältnis war zum Kaiser sogar so weit vorangeschritten, dass dieser seine selbst komponierte Aria „Tutto in pianto“ laut ihrer Aussage auf ihrem bloßen Körper zur Niederschrift brachte.

Die Idee, dem Publikum mehr als nur eine Oper zu bieten, sondern auch ein wenig von jenem Flair wiederzugeben, was die Aufführung zu ihrer Entstehungszeit gewiss so reizvoll machte, ging auf. Es wurde fröhlich lustwandelt, man hatte seine Gaudi mit der bunten Volksmusikgruppe, gab sich den barocken Klängen hin, genoss steirisches Chili und nicht zuletzt „ein Maul voll Kaiserschmarrn“. Zum Glück hat Fux mehr als nur eine Oper zu bieten, sodass man auf eine Fortsetzung in der nächsten Saison gespannt hoffen darf.

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Buenos Aires auf dem Schlossberg

Buenos Aires auf dem Schlossberg

Buenos Aires auf dem Schlossberg

Von Michaela Preiner

„Maria de Buenos Aires“ (Foto: PhotoWerK)
18.
Juni 2018
Mit Hangen und Bangen ging es los. Einen Tag nachdem über Graz ein Jahrhundertsturm hinweggefegt war, der in der Stadt einen riesigen Baumschaden hinterlassen hatte.
Der Grazer Oper bescherte dieses Wetterphänomen einen Supergau – wurden doch die Endproben in den Kasematten für die Premiere von „Maria de Buenos Aires“ im wahrsten Sinne des Wortes hinweggefegt und stand die Öffnung des Schlossberges für die Bevölkerung doch auf der Kippe. Erst zu Mittag kam das erlösende OK von der Stadt Graz, die Kasematten bespielen zu dürfen.

Vor ausverkauften Rängen präsentierten sich Sängerinnen und Sänger und das Orchester – zusammengeschrumpft auf ein Tango-Ensemble unter dem Dirigat von Marcus Merkel mit höchst präzisem und zum Teil voluminösem Klangeinsatz – in Hochform. In der „Tango-Oper“, ausschließlich mit Astor-Piazzolla-Melodien bestückt, wird die Geschichte von Maria erzählt, die ihren Jugendfreund verlässt, um in Buenos Aires ihr Glück zu suchen. Dort wird sie bald eine der bekanntesten Prostituierten und kommt nach einem Gelage mit mehreren Männern – in Graz als Vergewaltigungsnummer interpretiert – ums Leben. Ihr Herz – überdimensional groß, beinahe schon bedrohlich das Bühnenbild beherrschend – wird für tot erklärt.

Nach dieser bis dahin eher seichten, leicht nachvollziehbaren Geschichte, das Libretto stammt von Horacio Ferrer, dreht sich jedoch die Erzählung ins gänzlich Surreale. Maria erscheint als verfluchter, ruheloser Geist, der sich einer Psychoanalyse unterzieht und dabei gemartert wird. Sowohl ihr Hirn als auch zuvor ihr Herz werden dabei von sieben Stäben durchbohrt – eine offene Anspielung auf die Sieben Schmerzen Mariens. Und bald danach thront sie als eine „Säulenheilige“ par excellance über den Köpfen der Bevölkerung von Buenos Aires. Dafür wird sie mehrere Meter hochgeschraubt, umwallt von ihrem blutroten Kleid, das den Hebemechansimus verdeckt.

PhotoWerK Maria HPII HiRes 083 800
„Maria de Buenos Aires“ (Foto: PhotoWerK)
Maria HPI HiRes 004 350
„Maria de Buenos Aires“ (Foto: PhotoWerK)

Vibeke Andersen durfte bei Kostümen und Bühnenausstattung ins Volle greifen. So plakativ sich Herz und Hirn präsentieren, so fein abgestimmt sind ihre Kostüme, die in die 30er bis 50er-Jahre zurückgreifen. Rainer Vierlinger lässt das Grazer Publikum mit seiner Regie auf weite Strecken rätseln. Denn die Tango-Oper wird in ihrer Originalsprache, Spanisch, gesungen und vorgetragen. Leider gibt es bis auf drei oder vier Sätze keinerlei Möglichkeiten, den ohnehin schon komplizierten Text übersetzt mitzulesen. Dies schmerzt nicht so sehr in den musikalisch einwandfreien Auftritten on Anna Brull als Maria und Ivan Orescanin als Sänger, sondern besonders bei Ciro Gael Miró in der Rolle des Erzählers. (El Duende). Das, was er vorträgt, bleibt leider, bis auf Spanischkundige, ohne Widerhall bei den Zuhörenden.

Für diese Oper, einer Mischform aus musikalischem Drama und Sprechtheater, gibt es keine adäquaten Vergleiche. Am ehesten könnte man noch die gemeinsamen Arbeiten von Brecht und Weill nennen, die auch in ähnlichen Milieus angesiedelt sind. Und doch merkt man „Maria de Buenos Aires“ an, dass sie in einen anderen Kulturkreis eingebettet ist. Jahrundertelanger, tradierter Glaube und Volksfrömmigkeit verschränken sich in ihr mit dem Aufbruch in neue Zeiten. Okkultes verbindet sich mit Surrealem und lässt breiten Raum für Eigeninterpretationen.

PhotoWerK Maria HPII HiRes 800
PhotoWerK Maria HPII HiRes 003 800
PhotoWerK Maria HPII HiRes 01 800
PhotoWerK Maria HPII HiRes 007 1
„Maria de Buenos Aires“ (Fotos: PhotoWerK)

Der Hauptakteur ist jedoch, trotz aller Bühnenopulenz, Piazzollas Musik. Tangofreaks kommen dabei voll und ganz auf ihre Kosten, wird doch an diesem Abend der Beweis angetreten, dass es keine Emotionen gibt, die nicht durch diesen Musikstil ausgedrückt werden können. Die typische Klangfarbe steuert Martin Veszelovicz auf der Bühne sichtbar am Bandeon bei. Dadurch unterstützt er auch die unterschwellige Botschaft, dass der Tango mit diesem Instrument so verführerisch eingesetzt werden kann, dass sich daraus epenhafte Dramen ergeben können.

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Erste Bühnenerfahrungen

Erste Bühnenerfahrungen

Erste Bühnenerfahrungen

Von Michaela Preiner

„Mirada antigua/Der gealterte Blick“ (Foto: © Nikola Milatovic)
30.
Mai 2018
Es gehört nicht nur fast schon zum guten Ton von Opern- und Theaterhäusern, mit den jeweils ansässigen Universitäten aus dem Bereich Musik und Schauspiel zusammenzuarbeiten. Eine Kooperation zwischen den unterschiedlichen Kulturvermittlern macht auch Sinn.
Zeigt sie doch dem Nachwuchs, was diesen in der praktischen Umsetzung seiner Projekte für die Bühne tatsächlich erwartet und erkennen dabei auf der anderen Seite die Häuser auch, welche Talente gerade in den relevanten Universitätsinstituten auf einen Berufseinstieg hinarbeiten.
Die Oper Graz und die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz geben in ihrer Reihe „Opern der Zukunft“ seit 2014 jungen Komponisten die Möglichkeit, ihr Können zu präsentieren. In diesem Jahr tragen vier kurze Opern-Inszenierungen den Übertitel „Im Feuer ihres Blutes“. Dem im Vorjahr unerwartet verstorbenen Ernst Marianne Binder, Spiritus Rector dieser Reihe, die seit 2014 stattfindet, war die diesjährige Aufführungsreihe gewidmet.

Die vier ausgewählten, international tätigen Komponisten aus unterschiedlichen Ländern weisen allesamt einen Bezug zur Universität für Musik und darstellende Kunst Graz auf. Gerade die große Bandbreite von verschiedenen Herkunftsregionen machte diesen Abend besonders spannend. Bemerkenswert auch, dass alle Komponisten auch für die Libretti verantwortlich zeichnen.

José Luis Martínez M präsentierte seine Kurzoper mit dem rebusartigen Titel „Wurzeln und Höhlen – rizomas y madrigueras“. Darin erzählt er die Geschichte eines Komponisten (brillant in Stimme und Ausdruck Martin Fournier), der zu einem Meeting eingeladen wird, in welchem er von zwei Frauen über einen neuen Kompositionsauftrag informiert werden soll. Die in höchstem Maße surreale Geschichte bekommt einen Twist in jenem Moment, als der Mann sich als Leo Trotzkis Mörder präsentiert. Der Sprung durch Raum und Zeit wird musikalisch in weiten Bereichen in dunklen, atonalen Klangfarben gehalten. Was jedoch auffällt, ist die unterschiedliche charakterliche Stimmbehandlung der Figuren, die deren Charaktereigenschaften gut unterstreicht.

Slider der Zukunft 01 Rizomas y madrigueras 1
„Rizomas y Madrigueras/Wurzeln und Höhlen“ (Foto © Nikola Milatovic)
IMG 032
„Konjiki Yasha/Der goldene Dämon“ (Foto: © Nikola Milatovic)

Tomoya Yokokawa verwandelte mit „Konjiki Yasha/Der goldene Dämon“ die Studiobühne in ein kleines Appartment einer japanischen Stadt. Dort trifft sich ein junges Liebespaar das letzte Mal in der Gewissheit, danach auseinanderzugehen. Das Atmen des Akkordeons, das durch lautes Luft Ein- und Ausströmen hörbar wird, versetzt zu Beginn die Zuhörenden in einen eigenen pace. Auch der Chor von drei Männern, der hinter einem schwarzen, durchscheinenden Vorhang große Passagen des musikalischen Geschehens begleitet, unterstützt die ungewohnte, asiatisch inspirierte Atmosphäre. Masanari Sasaki singt die schwierige Partie des eifersüchtigen Mannes, der seinen Liebesschmerz durch alle stimmlichen Register zeigen kann. Kaoko Amano hingegen ist lange Zeit nur einem einzigen, zaghaften Ton verpflichtet. Angst aber auch ein beständiges Gegenhalten gegen die hoch emotionalen Tiraden ihres Geliebten werden dadurch verdeutlicht. Die Kammeroper verweist eindrücklich auf Yokokawas Idee, die musikalische Tradition seiner Heimat mit jener des Westens zu verbinden, was ihm nicht nur gut gelang, sondern auch Lust auf mehr Hörerlebnisse dieser Art machte.

„Der gealterte Blick – mirada antigua“, ein „Stimmtheater“ in drei Szenen von Javier Quislant, beginnt, ganz der Kategorie verpflichtet, im Flüsterton. Die Gefühlsodysse eines Mannes, der sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss, bewegt sich zwischen dem Versuch, die Musik zugunsten von musikalisch behandelter Sprache stark zurückzunehmen und einem nicht immer leicht nachvollziehbaren Handlungsstrang. Dies vor allem aufgrund einer höchst poetischen Sprache. Kein Geringerer als Federico García Lorca bot die literarische Vorlage zu diesem Stück. Der Einsatz einer Schaufensterpuppe weckt Erinnerungen an Hoffmanns Erzählungen, was als interessanter Fingerzeig nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit der Oper zu lesen ist. Erst am Ende des Stückes verdichtet sich das Klangvolumen und unterstützt dabei die innere Verfasstheit der Figuren.

Mit einer höchst eindringlichen „Antigone. Und kein Ende“ machte Lorenzo Troiani auf einen Klassiker aufmerksam, den er feinfühligst musikalisch interpretierte. Shirin Asgari und Birgit Stöckler verkörperten darin gemeinsam jene tragische, junge Frau, welche das Aufbegehren gegen das Gesetzt mit ihrem Tod büßte. Als Spiegelung – einmal vor und einmal hinter dem durchsichtigen, schwarzen Vorhang – wartet sie auf ihren Tod und durchlebt in ihren letzten Momenten emotionale Höhen und Tiefen. Dabei teilten sich die beiden Sängerinnen zuweilen sogar einen einzigen Ton, den sie abwechselnd voneinander übernahmen. Immer wieder gelingt es Troiani mit einer kontemplativen, ruhigen Instrumentalführung ein Stehenbleiben der Zeit und innere Dialoge hör- und fühlbar zu machen. Sein Musiktheater spiegelt gleichzeitig auch einen Zeitgeist wider, der auf Entschleunigung und Kontemplation setzt.

Slider der Zukunft 03 Konjiki yasha 1
„Konjiki Yasha/Der goldene Dämon“ (Foto: © Nikola Milatovic)
Slider der Zukunft 08 Antigone 1
„Antigone. Und kein Ende“ (Foto: © Nikola Milatovic)
IMG 014
„Rizomas y Madrigueras/Wurzeln und Höhlen“ (Foto © Nikola Milatovic)
Slider der Zukunft 07 Antigone 1
„Antigone. Und kein Ende“ (Foto: © Nikola Milatovic)
Der junge Dirigent Leonhard Garms leitete umsichtig den Nachwuchs des Klangforums. Vibeke Andersen schuf eine kluge Ausstattung, die mit wenigen Handgriffen neue Räume imaginieren konnte und Christoph Zauners Regie verzahnte die vier Produktionen mit ihren somnambulen und zum Teil auch irrationalen Botschaften sinnhaft.
Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Pin It on Pinterest