Befreie dich selbst

Befreie dich selbst

Befreie dich selbst

Von Michaela Preiner

Wilfried Zelinka (Barbe-Bleue), Iris Vermillion (Die Amme), Manuela Uhl (Ariane), Statisterie der Oper Graz
(Foto: © Werner Kmetitsch)
18.
März 2018
Die Grazer Oper hat es sich schon seit einigen Jahren zum Ziel gesetzt, in jeder Spielzeit mit einem Werk Bezüge zu Richard Wagner herzustellen. In dieser Saison gelang dies mit dem selten gespielten Stück „Ariane et Barbe-Bleu“ des französischen Wagneristen Paul Dukas, das im März Premiere hatte.

In Frankreich war im ausgehenden 19.  und beginnenden 20. Jahrhundert in gewissen Kreisen eine starke Wagner-Affinität anzutreffen. Neben Dukas gehörten auch Claude Débussy oder Vincent d´Indy zu jenen Komponisten, die zumindest für einige ihrer Werke Anleihen bei ihrem deutschen Vorbild nahmen.

In der Oper von Dukas steht Ariane, eine von Blaubarts Frauen, im Mittelpunkt. Die Geschichte erzählt von der ersten Faszination, die vom legendären König auf die junge Frau ausging und der sie, trotz Warnungen, nicht widerstehen konnte. Sie berichtet von Arianes unbändiger Freiheitslust und ihrem Entdeckungsdrang, sowie ihrem Widerstand gegen Blaubarts Verbot, ein bestimmtes Zimmer in seinem Schloss keinesfalls zu betreten. Die Oper handelt aber vor allem von einem unbeugsamen Frauencharakter, der gegen den Strom schwimmt und dies letztlich – wie in der Regie von Nadja Loschky – mit seinem Leben bezahlen muss.

Katrin Lea Tag verwendet, wie erst vor Kurzem in Maria Stuarda von Christof Loy im Theater an der Wien in Szene gesetzt, auch eine rotierende, schiefe Bühne. Dabei hat das Publikum auf dem Balkon oder den Rängen den Vorteil, nicht nur die dem Saal zugewandte Seite einsehen zu können. Immer wieder wechselt die Ausstattung bis hin zur wohl spektakulärsten Szene. In dieser dienen übereinander geschachtelte Boxen, die an viel zu enge Kämmerchen oder Särge erinnern, Blaubarts Ex-Frauen als Kerker, bis dieser schließlich blutüberströmt über ihnen allen sein Leben aushaucht. Es ist aber nur die Wunschvorstellung der Frauen, ihren gemeinsamen Mann tot zu sehen, die Loschky hier sichtbar macht. Zwar ist es Ariane, die mit ihrem Optimismus und ihrem Gemeinschaftssinn kurze Zeit Licht in die Finsternis des Dahinvegetierens ihrer Vorgängerinnen bringt. Letztlich misslingt jedoch ihr Versuch, ihre Leidensgenossinnen aus ihrer immer noch bestehenden, emotionalen Abhängigkeit zu lösen. 

Die Regisseurin hievt mit ihrer Interpretation das Geschehen auf eine plausible Meta-Ebene, in dem sie Assoziationen mit unterbewussten weiblichen Wünschen und Ängsten zulässt. Leicht lassen sich die sechs Vorgängerfrauen von Ariane als Alter Egos interpretieren, denen es gilt, Paroli zu bieten. Erkennbar ist diese Auslegung auch an den gleichen Kostümen, einem blauen Kleid, das alle tragen.

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„Ariane et Barbe-Bleu“ (Foto: Werner Kmetitsch)

Mit der Besetzung ist den Verantwortlichen ein Glücksgriff gelungen. Wilfried Zelinka beeindruckt nicht nur in seinem extrem kurzen, musikalischen Auftritt mit seinem sehr lyrischen Bass. Er ist schauspielerisch von Beginn bis zum Schluss höchst präsent, erleidet mehrere Martyrien und badet ausgiebigst in seinem eigenen Blut.

Manuela Uhl begeistert als zarte, fragile und zugleich charakterstarke Ariane. Die Schwierigkeiten, die ihre Partie bereithält, sind an keiner Stelle spürbar. Ihr geschmeidiger und zugleich kräftiger Sopran ist an diesem Abend extrem gefordert und bietet einen wunderbaren Kontrast zu Iris Vermillions Mezzosopran. In der Rolle der Amme präsentiert sie sich sowohl als Fels in der Brandung aber auch als unbeugsame Sittenwächterin. Auch Arianes Vorgängerinnen, allesamt aus dem Ensemble des Hauses, können stimmlich qualitativ ohne Einschränkung mithalten. Das macht diese Oper zu einem seltenen, unvergleichlichen Erlebnis.

Dukas Musik erweist sich als ein musikalisches Zeitdokument der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Mit starken Bezügen zu Wagner, vor allem gut hörbar in der Verwendung von Personen-Leitmotiven, werden aber auch Einflüsse von Richard Strauss und Kollegen des französischen Impressionismus hörbar. Der Komponist arbeitete mit einer höchst illustrativen Klangsprache, in welcher Naturphänomene ebenso wie emotionale Zustände ihren Ausdruck finden und unterfüttert das Geschehen auf der Bühne mit einem großen Klangkörper. Die beiden Harfen und mehrfach besetzten Percussionsinstrumente müssen dabei in die vorderen Logen ausgelagert werden, da der Platz im Orchestergraben dafür zu klein ist. Aufgrund der symphonischen Anlage ließe sich das Stück auch gut konzertant aufführen.

Der aus Deutschland stammende Dirigent Roland Kluttig leitete mit Umsicht und großem Einfühlungsvermögen das Orchester und schaffte es, auch in den dichten Klangmassen die maßgeblichen musikalischen Strukturen klar herauszuarbeiten. Eine sehr beachtliche Leistung, vor allem auch im Hinblick auf die Seltenheit, mit der das Werk zur Aufführung gelangt.

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„Ariane et Barbe-Bleu“ (Fotos: Werner Kmetitsch)

Ariane et Barbe Bleu, wie sie an der Grazer Oper in Szene gesetzt wurde, ist kein gestriges, verstaubtes Stück Musikgeschichte. Es ist ein Stück über den Mut einer Frau zur Selbstermächtigung über ihr eigenes Schicksal und über die Befreiung aus selbst auferlegten, psychologischen Hemmschwellen. Auch wenn Loschky letztlich dafür sorgt, dass die Emanzipation von Ariane, und ihr Ausbrechen aus einer von der Gesellschaft vorgegebenen Struktur, nur sehr kurz dauert. Eine uneingeschränkte Empfehlung für Opernfans.

Weitere Termine für Aufführungen im April sind auf der Homepage der Grazer Oper zu finden.

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Die Antilope – das rätselhafte Wesen

Die Antilope – das rätselhafte Wesen

Die Antilope – das rätselhafte Wesen

Von Michaela Preiner

„Die Antilope“ (Foto: Armin Bardel)
15.
November 2017
Der Komponist Johannes Maria Staud und der Literat Durs Grünbein schufen gemeinsam eine Oper mit dem Titel „Die Antilope“.

Uraufgeführt wurde das Stück „Die Antilope“ bereits 2014 in Luzern. Wien Modern und die „Neue Oper Wien“ brachten es in der Halle E des Museumsquartiers zur österreichischen Uraufführung. Regie führte, wie bereits in der Schweiz, Dominique Mentha. Die Geschichte, gemeinsam von Staud und Grünbein entwickelt, erzählt surreale Begebenheiten im Leben eines Menschen, dem antilopische Züge zugeschrieben werden.

Wobei dieser sich gar nicht als Antilope, sondern viel mehr als ein Außenseiter einer Gesellschaft präsentiert, die ihm nichts zu sagen hat und umgekehrt. Das vermeintliche „Antilopisch“, das er spricht, stellt sich als Mischung unterschiedlicher Sprachen, als Kauderwelsch unterschiedlicher Begriffe, aber auch tatsächlich als reine Kunstsprache heraus und kann auf den seitlich angebrachten Bildschirmen synchron mitgelesen werden.

Der Tod eines Unternehmers, der bei seiner eigenen Firmenfeier mit Nasenbluten zusammenbricht, löst schließlich auch den vermeintlichen Suizid des Antilopenmenschen aus, der sich aus dem 13. Stock stürzt. Wie durch ein Wunder findet er sich in der nächsten Szene aber in einem Traumland wieder, in dem mehrere Frauen auf die Erlösung durch einen Mann warten und ein Kind – erkennbar als Antilopen-Alter-Ego – mit diesem zumindest kurz ins Gespräch kommen möchte.

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„Die Antilope“ (Foto: Armin Bardel)

Ein Zusammentreffen mit einer alten Frau, die ihn auf ein abstraktes Kunstwerk aufmerksam macht, wird schließlich für den Antilopen-Menschen entscheidend. So wie er, spricht dieses Kunstwerk ebenfalls in seiner Sprache und rührt mit einer kunstvollen Arie zutiefst sein Herz.

Ein Theaterzauber macht es möglich, dass sich in der nächsten Szenerie die Antilope im Zoo wiederfindet und dort verspürt, was es heißt, unter seinesgleichen zu sein. Zumindest für wenige Augenblicke, denn schließlich verführen ihn seine ehemaligen Firmenkollegen und -kolleginnen wieder, mit auf die Feier zu kommen, bei der das Geschehen seinen Ausgang nahm und wieder von vorne beginnt.

Dada und Surrealsimus als Blaupause

Der Kreis der Absurdität schließt sich – ohne dass sich die Rätsel rund um das Stück lösen. Anklänge an die Dadaisten sind unüberhörbar und folgen einem Trend, der in den letzten Jahren diese Kunstrichtung wieder verstärkt in den Fokus rückte. Auch surreale Traumsequenzen erinnern an eine Kunstproduktion, die nun beinahe schon 100 Jahre alt ist und für die zeitgenössischen Kreativen offensichtlich nichts an Faszination eingebüßt hat. Dies wundert überhaupt nicht, kann doch die Instabilität nicht nur der politischen Lage in vielen Ländern, sondern auch der Zustand der Natur als dermaßen herausfordernd empfunden werden, das rationale Antworten darauf auch in Opernproduktionen nicht ausreichend erscheinen.
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„Die Antilope“ (Fotos: Armin Bardel)

Stauds Musik steht nicht nur auf zwei, sondern auf vielerlei Beinen und verleiht der Oper damit viele, schillernde Klangfacetten. Seine Arien sind meist atonal angelegt, spiegeln aber die Seelenzustände der jeweiligen Figuren gut wieder. Zwei ganz tonal angelegte Einschübe – eine Rumba und ein Slow-Fox sind so instrumentiert, dass das Klangbild eine Mischung aus Goran Bregovics „Wedding and funeral orchestra“ und Unterhaltungsmusik der 30-er Jahre erzeugt. Äußerst feinsinnig setzte Staud die Chöre, die ohrenschmeichelnd über die Bühne schwappen, ganz im Gegenteil zu einem breit angelegten Percussionsapparat, in dem nicht einmal klingende Champagnerflaschen fehlen. Einspielung von Vogelgezwitscher und Wasserrauschen, aber auch elektronische Klänge zeigen, wie groß die kompositorische Vielfalt Stauds in diesem Werk angelegt ist. Walter Kobera stand am Dirigentenpult und leitete souverän den Wiener Kammerchor und das amadeus-ensemble-wien.

Ingrid Erb schuf Kostüme wie die konformistischen „kleinen Schwarzen“ und die Anzüge für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens und deren kontrastierende, tierische Kopfbedeckungen. Die Frauen in der Traumzeit tragen retro angelegte Kostüme wie in den 30er-Jahren, was als Hinweis für die Zeitlosigkeit des Themas ausgelegt werden kann. Von den leeren, stark abstrakten Räumen fasziniert das Anfangs- und Schlussbild in grellem Gelb und Schwarz, das, mit den davor sitzenden „Tieren“, zumindest für wenige Augenblicke, auch ein wunderbar surrealistisches Gemälde ergibt.

Stimmlich herausragend präsentierten sich Wolfgan Resch als Antilopenmensch Victor und Elisabeth Breuer mit ihrer Skulpturenarie, die nichts an Geschmeidigkeit und Klarheit vermissen ließ.

Die „Antilope“ kann als Parabel auf das Ausgestoßensein eines Außenseiters genauso gelesen werden wie auf die heilende Kraft der Kunst – oder beides gleichzeitig. Es ist eine Oper, die sich der aktuellen Zeit entzieht, zugleich aber dennoch hoch aktuell ist und bei der Premiere vom Publikum sehr warm aufgenommen wurde.

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Mittendrin im Alltagswahnsinn

Mittendrin im Alltagswahnsinn

Mittendrin im Alltagswahnsinn

Von Michaela Preiner

POEMS of the DAILY MADNESS (Foto: Eva Wuerdinger)
19.
Oktober 2017
An der Stirnseite der Norbahnhalle – auf einem Konstrukt aus metallenen Trägern und Zwischenböden – warten sie schon auf das Publikum: „Poems“, „Hate Crime“, „Terror“ und „Madness“.
So benannten Claudia Bosse (Text) und Günther Auer (Komposition) jene vier allegorischen Figuren, die in ihrem Singspiel ‚POEMS of the DAILY MADNESS’ die Hauptakteure sind. „Das ist eine Versuchsanordnung, eine Oper, ein romantisches Singspiel über die Auswirkungen unserer politischen Gegenwart auf die Rituale unseres Alltags, auf das Denken und unsere Handlungen innerhalb polarisierter und sich zusehends polarisierender Öffentlichkeit“. Diesen Text liest Claudia Bosse vor, während sich „Poems“ von der Szenerie löst und beginnt, in ihrem kugelrunden, hellblauen Schaumstoffkostüm am Boden quer durch das Publikum zu rollen.

Ensemble und Publikum auf einer Ebene

Das Poem-Kostüm erinnert ein wenig an die Vorbilder aus dem Triadischen Ballett, Sponge Bob stand wohl Pate für „Hate Crime“, der „Terror“ trägt einen bedrohlichen, schwarzen Balken über dem Kopf und das Schwefelgelb des Trikots von „Madness“ wächst der Darstellerin bis in ihr Gesicht hinein. (Kostüme Marco Tölzer) Wie immer bei den Produktionen des theatercombinats befinden sich die Zusehenden mittendrin im performten Alltagswahnsinn.

Mit kurzen, aneinander gereihten Szenen entwickeln Bosse und Auer eine Atmosphäre, in der gesellschaftliche Fragen mit hoher Brisanz verhandelt werden: Der Kolonialismus als Auslöser postkolonialer Terrorakte, die schwindende Demokratie, das Gefühl von tiefer Traurigkeit und Depression, aber auch der zumindest ansatzweise Versuch, Lebensereignisse, nicht nur persönliche, sondern allgemein gesellschaftlich relevante, künstlerisch zu transformieren. Dabei wird die Bewegungsfreiheit des Publikums Schritt für Schritt eingeengt, bis es schließlich zusammengepfercht in der Mitte des großen Raumes steht. Auch eine veritable Publikumsbeschimpfung gehört zur logisch aufgebauten Dramaturgie. Als „Eliten, die an die Ideale der alten Jahrhunderte glauben“ werden die Zusehenden vom „Chor der Verdammten“ bezeichnet und damit bedroht, zu Illegitimen abgestempelt zu werden.

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POEMS of the DAILY MADNESS (Foto: Eva Wuerdinger)

Im Schnelldurchgang durch die Operngeschichte

Nichts, was die vier Allegorien von sich geben, hat nur privaten Charakter. Weder die Tiraden „I hate white people“ von „Hate and Crime“, noch die minutiöse Schilderung des Attentates auf den russischen Botschafter, ausgeführt von einem türkischen Polizisten.
Günther Auer entwickelte für diese Oper ein vielfältiges, musikalisches Universum. Dieses reicht von simplen Melodien über Arbeiterlieder, bis hin zu einem Choral mit einem kanonhaften Einstieg mit Ohrwurm-Charakter. Er ist nicht die einzige Zutat, die das Gefühl aufkommen lässt, sich kurzzeitig im Zerrbild von Fürbitten einer christlichen Messe zu befinden. Die elektronischen Klänge, zu welchen die Sängerinnen und Sänger solistisch oder auch im Chor singen, wechseln ihre Farben, je nach Anforderung. Tatsächlich erlebt man auch so etwas wie einen Schnelldurchlauf der Gattung Oper an sich. Begonnen vom Auftritt eines griechischen Chors über ein langes Rezitativ, das in eine kleine Melodie übergeht, bis hin zu Liedern, die an die Brecht/Weill`schen Moritatformen anknüpfen, ist so ziemlich alles vertreten, was man aus der Geschichte der Oper kennt. Mirjam Klebel (Madness), Nic Lloyd (Crime), Nicola Schößler (Poems) und Alexandra Sommerfeld (Terror) sind stimmlich bestens für die Anforderungen ihrer jeweiligen musikalischen Einlagen gecastet. Sie alle sind mit einem bestimmten Leitmotiv ausgestattet und müssen sich in ihren Soli meist gesanglichen Herausforderungen stellen. Auer komponiert sowohl tonal, als auch ganz in Referenz an die Wiener Schule, wobei die elektronischen Klänge dabei das musikalische Geschehen in die Jetztzeit transferieren.

‚POEMS of the DAILY MADNESS’ ist bei weitem nicht so hypertroph wie andere Produktionen, die Claudia Bosses Handschrift tragen. Es weist aber so viele Ebenen auf und reißt so viele Themen an, dass ein Abend nicht reicht, um dieses Universum in seiner Gänze zu erfassen.

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POEMS of the DAILY MADNESS (Foto: Eva Wuerdinger)

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Ein Aufruf, die Zukunft selbst zu gestalten

Die größte Überraschung hält jedoch der Schluss bereit. In diesem ruft „Poems“ dazu auf, das Leben so zu gestalten, dass es als widerständiger Akt gegen eine zunehmende Beschneidung von gesellschaftlich erkämpften Freiheiten wahrgenommen wird. Dazu gehört die Hinwendung zu einer Leidenschaft, die beruflich oder privat gelebt werden kann. Dazu gehört eine permanente, bewusste Raumverteidigung – Stichwort öffentlicher Raum. Dazu gehört auch die öffentliche Sichtbarkeit des eigenen Tuns. Dies ist nicht nur eine Beschreibung der nun schon jahrzehntelangen Arbeit des theatercombinats selbst. Es ist zugleich so etwas wie eine Anleitung für all jene, die poems, hate and crime, madness und terror nicht dazu benutzen möchten, um sich mit ihrer Hilfe aus ihrer gesellschaftlichen Pflicht zu verabschieden.

Bosse ist nach Jan Fabre eine jener Ausnahmen, die in ihrem Stück der Zukunft nicht nur resignierend entgegenblickt. Präsentierte der belgische Künstler in seinem Stück „Belgian rules“ bei Impulstanz in diesem Sommer ein Gebotesystem und eröffnete mit ihnen eine positive Sicht abseits aller Zukunftsdystopien, gibt Bosse eine aktive Anleitung zu einer schon als philosophisch zu bezeichnenden Lebensgestaltung.

To be continued wäre toll!

Weitere Infos und Termine auf der Seite des theatercombinat

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Mütze ab, Wagner ist`s!

Mütze ab, Wagner ist`s!

Gibt es eine Möglichkeit, Wagners Weihespiel in eine zeitgenössische Bühnensprache zu übersetzen? Kann man dafür ein Publikum begeistern, dass mit Wagner eigentlich nichts am Hut hat oder auch haben will? Man kann.

Die Wiener Festwochen fokussieren unter der ersten Intendanz von Thomas Zierhofer-Kin bei ihren großen theatralen Koproduktionen und Produktionen auf völlig neue Blicke. Blicke, die entweder außereuropäische Kulturen auf europäisches Kulturgut einbringen, aber auch Blicke, die sich einzelne Künstler von ihrer ganz subjektiven Weltauffassung auf historische Theater- und Opernstoffe erlauben dürfen.

Ein Parsifal vom Mond

Letzteres geschah in der Inszenierung von „Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz). Einer musikalischen „Überschreibung“ bei welcher Bernhard Lang sich, was die Opulenz und Dauer seiner Komposition betrifft, durchaus am Wagner´schen Original orientierte. 4,25 Stunden inklusive 2 Pausen geben ihm dabei reichlich Gelegenheit, seine musikalische Idee des „Mondparsifal“ zu präsentieren. Lang hat sich aber auch um das Libretto selbst gekümmert, Striche gesetzt, neue Wortschöpfungen eingereicht. Dennoch blieb er – das ist erstaunlich – zumindest bis zum letzten Akt nahe an der Originalaussage.
Jonathan Meese steuerte nicht nur das Bühnenbild hinzu und agierte als Regisseur und Kostümbildner, er schuf mit seinen Libretto-Untertiteln die sich in Rot vom weißen, gesungenen Text abhoben, einen doppelten Deutungsboden.

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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)

Eine Metaebene, in der seine Idee von Kunst, nicht nur in Bezug auf den Mondparsifal, mehr als deutlich wird. Das beginnt schon beim allerersten Leuchtschrift-Satz: „Mütze ab, Wagner ist`s!“, mit dem er gekonnt ironisch vom Publikum Ehrfurcht für das kommende Spektakel einfordert. Es geht weiter mit der Benennung unterschiedlichster Leitmotive – „Leitmotiv Heilkräuter“, „Leitmotiv Herzblut“ oder der Feststellung „Richard Wagner ist Totalstchef“. Am häufigsten postuliert Meese jedoch seine Sicht auf die Vorherrschaft der Kunst über jegliche andere, soziale Ausdrucksform. „Vita brevis, ars longa“ diese Weisheit wird Hippokrates zugeschrieben – und Messe deutet dies sinngemäß folgendermaßen um: Nichts bleibt, hat Bestand, schon gar nichts Politisches, nur die Kunst hat Ewigkeitsanspruch.

Parsifal als ewiges Kind

Es sind drei von Meese eingebrachte Komponenten, die diesen Abend so interessant machen. Einerseits sein radikaler Zugang zu Parsifal. Auch nach Kundrys Verführungskünsten bleibt er ein kindlicher Tor und verweigert – nach einem kurzen Intermezzo – jegliche Erleuchtung, jegliches Erwachsenwerden. Ein Anflug davon wird von Kundry im Keim erstickt, als diese ihm in Mutterrolle eine richtige Standpauke hält. Parsifals – Mondparsifals – Gemüt ist nicht von dieser Welt. Das zeigt Meese gleich zu Beginn mit einer kahlen Mondlandschaft, auf der – wie bei Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ eine männliche Figur dieselbe Haltung einnimmt. Sie entpuppt sich rasch als eine Allegorie auf Richard Wagner. Eine sehr intelligente Verschränkung von bildender Kunst und Musik, in der man auch die Bildinterpretation durchzuschimmern vermeint, der Friedrichs Wanderer als Verkörperung eines deutschen Patrioten nachgesagt wird. Dass Meeses Mondparsifal am Ende doch noch als vergoldeter Ritter nicht die Krone erhält, ist in seiner Logik völlig schlüssig. Macht korrumpiert und wer der Kunst verfallen ist, wer sich zumindest den kindlichen Blick bewahrt hat, wird den Teufel tun und sich an die Spitze eines hierarchischen Machtgefüges setzen.

Regie, Bühnenbild und Kostüme aus einem Guss

Die zweite Komponente betrifft das Bühnenbild und die Kostüme. Diese tragen die Meese`sche Handschrift vom ersten bis zum letzten Akt und beeindrucken durch ihr kompromissloses, künstlerisches Statement. Dabei wird zusammengepuzzelt, was das Zeug hält. Höchst einfach und doch in der Ausführung komplexe Objekte wie der riesige Kühlschrank im ersten Bild, voll mit Fisch, Schinken und Wurst, sind ein Beispiel dafür. Aus ihm lugt der großartige Wolfgang Bankl, alias Gurnemanz, alias Wolfgang Meese schon bald nach Beginn heraus. Oder das Holzhaus, Rückzugsort des sexbesessenen Klingsor (Martin Winkler), das am Ende der Szene mit Kundry alias Barbarella (in Darstellung und musikalischen Ausdruck erhält Magdalena Anna Hofmann dafür eine Bestnote) in lodernden Projektionsflammen aufgeht. Oder die Villa Wahnfried, begrenzt durch überdimensionierte Eierbecher auf der einen Seite und einem ebenso riesigen Pappzylinder, wie man ihn von Klopapier- oder Küchenrollen her kennt, auf der anderen. Wo es möglich ist, setzt Meese auf Schriften, die Orte oder Personen erklären. Wie zum Beispiel „Hagen V Tronje“, die auf Bankls zweites Kostüm aufgepinselt ist, sodass auch die letzte Reihe am obersten Rang die Figur richtig deuten kann.

Spannend gestaltet sich auch der Live-Einsatz, bei welchem Meese an zwei Stellen aus der ersten Loge rechts heraus agiert, in dem sein Zeichnen und sein Ordnen von Zeitschriftenmaterial direkt von einer Kamera über ihm auf die Bühne projiziert wird. Wird beim ersten Mal klar, dass es dem Allroundkünstler darum geht, die bildende Kunst nach seinen Vorstellungen und seinen Möglichkeiten in diese Opernproduktion einzubringen, erklären im zweiten Fall die gezeigten Zeitschriften all jene Einflüsse, die sich im Bühnengeschehen wiederspiegeln. James Bond, Stanley Kubrick, Terence Hill, Star Treck, Caligula oder Mad Max, um nur einige davon zu nennen, finden sich kostümtechnisch im Geschehen tatsächlich wieder. Und dies verleiht den Charakteren selbst natürlich auch völlig andere Bedeutungsebenen. Am Auffälligsten kommt dies in der Ausstattung des Mondparsifals zum Tragen – mit überkniehohen Stiefeln und rotem, glänzenden Lederslip, festgezurrt an ebensolchen Hosenträgern. Es ist eine 1:1- Übernahme der Figur Zardoz aus dem gleichnamigen Science-Fiction Film von John Boorman aus dem Jahr 1974. Selten hat man eine persifliertere, männliche Figur sehen dürfen, die trotz aller nach außen zur Schau getragenen Männlichkeit nichts davon in ihrem Inneren aufweist.

Das Bühnenbild und die Kostüme zeigen überdeutlich, dass Meese eine komplett unverkrampfte Herangehensweise an den Stoff durchzieht – wahrscheinlich sehr zum Graus aller eingefleischten Wagnerianer. Aber sehr zum Gefallen des am zweiten Vorstellungsabend größtenteils jungen Publikums, das mit viel Zwischenapplaus seine Begeisterung bekundete.

Eine zusätzliche Filmhaut

Die dritte Komponente zeigte sich kurz vor Schluss in einer höchst beeindruckenden Einspielung von Szenen aus Fritz Langs filmischem „Nibelungen“-Epos. Sowohl Siegfrieds Tod als auch Kriemhilds Rache werden dabei thematisiert und legen sich wie eine zweite Haut über das Parsifal-Geschehen, das in den letzten Szenen höchst unkonventionell außer Rand und Band zu geraten scheint. Dennoch macht gerade diese Doppelbödigkeit Sinn – zeigt sie doch die große Diskrepanz zwischen der nach wie vor von vielen Opernfreaks hoch gehaltenen Nibelungensage – der deutschesten aller deutschen Sagen schlechthin – und der lustvoll ummodellierten Parsifaldeutung, die mit allen Konventionen bricht.

Vielfärbig die Musik

Bernhard Lang schuf ein höchst vielfärbiges, musikalisches Ganzes. In diesem gibt es zahlreiche Originalzitate – wenngleich auch nur wie kleine Strohfeuerchen aufglimmend. Ein Hauptcharakteristikum stellen jene Wiederholungen von extrem kurzen Phrasen dar, die wie Sprünge in Schallplatten wahrgenommen werden. Immer und immer wieder müssen die Sängerinnen und Sänger dabei einzelne Silben wiederholen und geben ihnen dadurch zugleich auch zusätzliches Gewicht. Dies ist ein bekanntes Stilmittel des Komponisten, das in diesem Fall aber auch als Idee einer zu Recht mit Bruchstellen versehenen Wagner-Rezeption aufgefasst werden kann. Dagegen stellt Lang einige höchst harmonisch ausformulierte Chorszenen, wie zu Beginn und in der letzten Szene, die Lust auf mehr, auf vielmehr evozieren. (auch nicht von dieser Welt, so gigantisch präzise und zugleich höchst feinsinnig der Arnold Schönberg Chor). Jazzige Elemente, wie der Einsatz eines Saxophons auf dem Weg zu einer Free-Jazz-Session wiederum brechen komplett mit der Vorgabe von Wagner.

Die schwerste Partie hat Parsifal zu absolvieren. Daniel Gloger meistert diese Countertenorherausforderung mit beinahe übermenschlicher Kraft. Die Stelle, an welcher er seine eigene Schuld wahrnimmt und in den Irrsinn abzugleiten droht, erfordert einen stimmlichen Kraftakt der Sonderklasse. Mehr geschrien als gesungen, in ganz und gar nicht wohlklingenden Tönen, durchbricht er dabei jede bis dahin von der Gattung Oper aufoktroyierte Stimmbehandlung. Das hat seinen Preis. Im darauffolgenden Akt merkt man die zuvor stattgefundene Überbeanspruchung deutlich. Aber in der Wandlung vom Erwachsenenverweigerer zum von Kopf bis Fuß vergoldeten Ritter macht sogar das Sinn. Dort, wo die kindliche Emotion ausgeträumt ist und der Ritteralltag eintritt, darf auch die Stimme seine Kraft und Brillanz verlieren.

Einmal ist Schluss mit Mutter

Zu guter Letzt kommt auch Jonathan Meeses kolportiere und von ihm medienwirksam gepflegte Mutterfixierung zur Sprache. Und das höchst direkt. Denn ausgestattet mit einem überdimensionalen Eierkopf, wie einst Humpty-Dumpty, darf ihr Konterfei, das gesamte Stück lang am rechten Bühnenrand platziert, prüfend ins Publikum blicken. Die Beschriftung, die auf ihrem kleinen Körper zu sehen ist „Na siehste!“ kann mehrdeutig aufgefasst werden. Zumindest schwingt in ihr aber Meeses Triumph über die Festspielverantwortlichen am Grünen Hügel mit, die ihm unter großem Getöse eine bereits zugesagte Parsifal-Inszenierung kurzerhand strichen. Die fade Ausrede der Unfinanzierbarkeit wurde nun von den Festwochen Lügen gestraft. Noch dazu, wo Bernhard Lang für die Komposition zusätzlich verpflichtet und bezahlt werden musste. Bravo Wien! Die finale Geste von Gurnemanz, mit der er die allegorisierte Muttergestalt schließlich zu Fall bringt, ist eine von Erlösung getragene. Endlich gibt sie nun Ruhe, die Alte! Vorgenommen jedoch ohne jegliche Musik, dafür aber unter schallendem Publikumsgelächter und viel Applaus.

„Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz) unter der souveränen, musikalischen Leitung von Simone Young, die das Klangforum Wien zu einer absoluten Höchstleistung animierte, kann als Vorzeigebeispiel herhalten. Als Referenzprojekt, in dem die Grenzüberschreitung von Künstlern wie Jonathan Meese und Bernhard Lang ein Genre wiederbeleben, das auch für die Generation „Oper braucht kein Mensch mehr“ interessant ist.

Eine afrikanische Entführung

Eine afrikanische Entführung

Erarbeitet wurde dieses Multi-Kulti-Opern-Ethno-und-U-Musik-Spektakel von einem Kollektiv, deren Mitglieder aus dem Bereich Musik, Literatur, Schauspiel, Tanz sowie Regie kommen. Der Ansatz, der dabei sichtbar wurde: Auch eine Oper kann demokratisch auf die Bühne gebracht werden und ganz der Postmoderne verpflichtet, ohne eine große Geschichte auskommen. Obwohl die Erzählung der Gefangenname von Konstanze und ihrer Liebe zu Belmonte doch nicht außen vorgelassen wurde.

Opernpuristen jagte diese Inszenierung mit Sicherheit Schauer über den Rücken. All jene, die sich unvoreingenommen auf eine künstlerische Neuerkundung von Musiktheater einlassen konnten und Spaß an unverkrampften Bühnenfassungen von großen Opernstoffen haben, kamen auf ihre Kosten, denn: Die Verzahnung der klassischen Opernaufführung mit postdramatischen Ideen funktionierte unter diesen Prämissen aufs Prächtigste.

Mozart versus afrikanische Beats

Dabei durfte man neben jeder Menge musikalischer und tänzerischer Einlagen auch den Hauptplot und die Hauptfiguren aus Mozarts Entführung kennenlernen. Das radikal gekürzte Libretto wurde dramatisch von Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly und Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star vorgetragen und von Hauke Heumann parallel dazu ebenso dramatisch und zugleich mit einer großen Portion Humor auf Deutsch wiedergegeben. Aber auch mit Bedacht ausgewählte Arien, Duette und Quartette gab es dabei zu hören. Bei weitem nicht alle, die Mozart für diese Oper komponiert hat. Die Streichungen verkündete Heumann lapidar mit dem Hinweis „gestrichen“ – was das Publikum jedes Mal aufs Neue höchst belustigte. Er selbst schlüpfte in die Rolle von Pedrillo, dem Geliebten der Zofe von Konstanze und gab sogar, trotz unausgebildeter Opernstimme, eine Arie zum Besten.

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Man durfte aber auch Zeuge einer großen Kluft werden, die sich zwischen europäischer und afrikanischer Musiktradition offenbarte. „Die Oper, diese neue Erfindung Europas vor 250 Jahren, verkauft sich in die ganze Welt gut. Nur in Afrika nicht.“, ironisierte der ivorische Sänger SKelly jene Kunstgattung, die bei uns nach wie vor gemeinhin als die Krönung aller performativen Künste angesehen wird. Und im Handumdrehen präsentierte er dem Bassisten Patrick Zielke seine ureigene Interpretation der Arie „Hier soll ich dich denn sehen“. Mit jeder Menge Vitalität und kräftiger Stimme, den Text von einer großen Tafel ablesend, machte er dabei klar, dass er Mozart zwar schön findet, aber selbst eine gänzlich andere Auffassung von mitreißender Musik hat. Seine Interpretation war geprägt von afrikanischem Rap und ebensolchen Rhythmen und von einer extremen Vereinfachung der musikalischen Struktur.

Die Dekonstruktion einer Oper

Nicht nur einmal brachten SKelly, Gadoukoula Star und Gotta Depri das hochkarätig besetzte Opernensemble zum Schwitzen. So geschehen bei Nerita Pokvytyte, die während ihrer Arie den choreografischen Vorgaben ihres afrikanischen Kollegen folgen wollte und sich dabei vom einbeinigen Stehen bis hin zum Spagat körperlich betätigte. Nicole Chevalier wiederum erklärte dem Publikum, das auch aufgerufen worden war, sich direkt auf die Bühne zu begeben, welche Gedanken ihr beim Singen durch den Kopf gehen. Köstlichst, wie sie selbst die kleinsten Pausen ihrer Koloraturarie dazu nützte, um Hinweise wie „Stütze, Stütze!“ oder „leise, leise“ zu artikulieren und dabei zugleich die emotionale Unterfütterung ihres Gesanges konterkarierte.

Die beständige Infragestellung was, warum und wie auf einer Bühne zu Gehör gebracht wird und die dadurch erreichte sukzessive Dekonstruktion der Oper verlieh Mozarts „Entführung“ einen völlig neuen Dreh. Dabei stand, trotz aller kulturkritischer und theaterkritischer Hinterfragungen der Spaß im Vordergrund. Hauke Heumann ließ dabei mit der Feststellung aufhorchen, dass seine Rolle, in die er in dieser Inszenierung schlüpfen durfte, für ihn nicht nur eine neue Erfahrung abseits seiner ihm bekannten Performancedarbietungen im postdramatischen Theaterkontext darstellte. Vielmehr genoss er – laut eigener Aussage – dieses Verschwinden seiner eigenen Person hinter der Rolle. Das bedeutete für ihn aber zugleich auch, nicht krampfhaft aus dem eigenen Erlebnisfundus einen Bühnenbeitrag beisteuern zu müssen.

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Les Robots ne connaissent pas le Blues (c) Knut Klassen

Monika Gintersdorfer und Benedikt von Peter (Regie), Knut Klaßen (Bühne und Kostüme mit „Experimentalkleidung“ von Marc Aschenbrenner) sowie Ted Gaier, der für das Sounddesign abseits von Mozart sorgte, wirbelten mit dem afrikanischen Ensemble die herkömmliche „Entführung aus dem Serail“ gehörig durcheinander. Dennoch blieb der Camerata Salzburg unter Markus Poschner noch genügend Raum, um der zeitgenössischen, musikalischen Bühnenvitalität aus Afrika einen adäquaten Gegenpol gegenüberzustellen.

Eine höchst gelungene Inszenierung, die es vorzüglich schaffte, Kulturkritik mit Humor über die Bühne zu transportieren und europäische Musikgeschichte mit afrikanischer Gegenwartsmusik zu verzahnen.

Die sezierte Oper

Die sezierte Oper

Ivo Dimchev, Multitalent auf der Bühne, widmete sich in seiner Inszenierung „Operville“ einen Abend lang diesem Thema. Auf seine ganz eigene, spezifische Art. Mit einer großen Menge Humor, mit viel Augenzwinkern, aber auch mit großen Emotionen und einer höchst gelungenen Musikmischung.

 

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ImpulsTanz, das in diesem Jahr einen Ivo Dimchev-Schwerpunkt mit insgesamt 5 Produktionen anbietet, zeigte das Stück im Akademietheater vor viel jungem Publikum. Die Zutaten, die Dimchev für seine Oper verwendete, sind die herkömmlichen. Verschiedene Charaktere, eine Mann-Frau-Mann-Beziehung, Gesang, aber ein Bewegungsvokabular der außergewöhnlichen Art. Dabei schlüpfte der Performer in die Rolle eines höchst unattraktiven Werbers, der gegen einen Bassbariton um die Liebe einer Sängerin buhlt. Die Bühne bleibt kahl bis auf einen Stuhl. Die intensive Bühnenpräsenz von Dimchev, so hat man den Eindruck, verträgt sich nicht mit illusionistischen Räumen.

Die Geschichte ist rasch erzählt – ein Hin und Her bestimmt das Geschehen, das mit einem Happyend aufhören könnte, würde Dimchev sich diesem nicht wider jede Vernunft entgegenstemmen. Bevor es aber so weit ist, müssen noch allerhand Hürden genommen werden. Nickolay Voynov hat zwar eine stimmliche Überlegenheit aufzuweisen, gegen den intriganten und beherrschenden Dimchev ist er jedoch beinahe machtlos. Da hilft es ihm auch nicht, dass er bei Gelegenheit einmal versucht, mit ausgestrecktem Finger Dimchevs Auge zu ramponieren. Dieser, ausgestattet mit einer weizenblonden Perücke und einem Straßenoutfit, das Geschmack zu wünschen übriglässt, wechselt seine Gefühlslage beinahe im Minutentakt. Zwischen ärgern, freuen, sich unterwerfen, zwischen liebender Zuneigung, Abschätzigkeit und hündischer Ergebenheit ist so ziemlich alles an emotionalem Ausdruck anzutreffen, was in etwas mehr als einer Stunde auf der Bühne Platz finden kann.

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Plamena Girginova gibt eine unantastbare Schönheit in dunkelrotem Samt, lässt alles über sich ergehen und mit ihr geschehen, was Dimchevs Regie von ihr verlangt. Dabei muss sie einmal sogar auf dem Kopf singen.

Der Text, der auf der Bühne gesprochen, respektive gesungen wird, bleibt unverständlich. Ein krudes Kauderwelsch, dessen Bedeutung sich nur durch vereinzelte Betonungen sinngemäß erahnen lässt, bietet die Basis des Geschehens. Es sind vielmehr die nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten, die klarmachen, was sich in den einzelnen Szenen abspielt. Lautgedichte und rhythmische Sprachinterventionen wie jenes Duett, in dem Dimchev mit Voynov „what the fuck“ intoniert, geben der Vorstellung weitere Würze.

Herrlich, wie Dimchev die Beziehungsfäden spinnt und an einer Stelle seinen Widersacher wie eine Kuh muhend an die Rampe nach vorne schickt. Wunderbar, wie er sich kniend an dessen Hand klammert, um ihn zu beschwören und um Verzeihung zu bitten. Köstlich, wie er ihn mit herrischer Geste von der Bühne abgehen lässt um freie Bahn für sein Liebeswerben zu haben. Zugleich läuft eine Übertitelung, in der das Absurde zur Höchstform aufläuft, aber einzelne Sätze wiederum höchst philosophisch und passgenau das Geschehen bezeichnen.
Die Headbanging-Nummer, die Dimchev zu Chopins Klängen zeigt, unterstreicht in unglaublich witziger Manier den Charakter jenes Mannes, der das Glück anderer nicht akzeptieren kann.

Die Musik selbst wandert einmal quer durch verschiedene Genres des 19. und 20. Jahrhunderts. Von atonal bis hin zu einem wunderbaren Duett, das Girginova und Voynov zu eine Chopin-Etüde zum Besten geben, in der klar wird, warum Oper auch heute immer noch Bestand hat, von einer von Dimchev im Falsett vorgetragenen Melodie, die an die Bee-Gees der 80er Jahre erinnert bis hin zu Country-and-Western-Klängen spannt sich der Bogen.

Vom Anziehen und Verstoßenwerden, von Rivalität und Einsamkeit handelt dieses Stück, aber vor allem seziert es wie kaum ein anderes das Operngenre an sich. Es deckt die Banalitäten der zwischenmenschlichen Beziehungen, die darin oft abgehandelt werden, schonungslos auf. Es zeigt, und dazu reicht Dimchev auch nur ein einziges Beispiel, dass perfekt eingesetzte Musik die Emotionen übergehen lässt und macht damit überdeutlich, warum diese Kunstgattung so viele Menschen anzieht. Zusätzlich aber versehen die Texte, die Dimchev mit den Übertiteln in das Geschehen einbringt, die Produktion mit einer weiteren Ebene. Nicht nur darum wäre es falsch, „Operville“ als reine Klamaukkiste abzustempeln.

Eine wunderbare Satire, die einmal mehr Ivo Dimchev als Künstler zeigt, der, wie kaum ein zweiter, die Kunst der Selbstpersiflage bis zur Perfektion beherrscht.

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