von Michaela Preiner | Jun 8, 2017 | Oper, Wiener Festwochen
Gibt es eine Möglichkeit, Wagners Weihespiel in eine zeitgenössische Bühnensprache zu übersetzen? Kann man dafür ein Publikum begeistern, dass mit Wagner eigentlich nichts am Hut hat oder auch haben will? Man kann.
Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
Die Wiener Festwochen fokussieren unter der ersten Intendanz von Thomas Zierhofer-Kin bei ihren großen theatralen Koproduktionen und Produktionen auf völlig neue Blicke. Blicke, die entweder außereuropäische Kulturen auf europäisches Kulturgut einbringen, aber auch Blicke, die sich einzelne Künstler von ihrer ganz subjektiven Weltauffassung auf historische Theater- und Opernstoffe erlauben dürfen.
Ein Parsifal vom Mond
Letzteres geschah in der Inszenierung von „Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz). Einer musikalischen „Überschreibung“ bei welcher Bernhard Lang sich, was die Opulenz und Dauer seiner Komposition betrifft, durchaus am Wagner´schen Original orientierte. 4,25 Stunden inklusive 2 Pausen geben ihm dabei reichlich Gelegenheit, seine musikalische Idee des „Mondparsifal“ zu präsentieren. Lang hat sich aber auch um das Libretto selbst gekümmert, Striche gesetzt, neue Wortschöpfungen eingereicht. Dennoch blieb er – das ist erstaunlich – zumindest bis zum letzten Akt nahe an der Originalaussage.
Jonathan Meese steuerte nicht nur das Bühnenbild hinzu und agierte als Regisseur und Kostümbildner, er schuf mit seinen Libretto-Untertiteln die sich in Rot vom weißen, gesungenen Text abhoben, einen doppelten Deutungsboden.
Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
Eine Metaebene, in der seine Idee von Kunst, nicht nur in Bezug auf den Mondparsifal, mehr als deutlich wird. Das beginnt schon beim allerersten Leuchtschrift-Satz: „Mütze ab, Wagner ist`s!“, mit dem er gekonnt ironisch vom Publikum Ehrfurcht für das kommende Spektakel einfordert. Es geht weiter mit der Benennung unterschiedlichster Leitmotive – „Leitmotiv Heilkräuter“, „Leitmotiv Herzblut“ oder der Feststellung „Richard Wagner ist Totalstchef“. Am häufigsten postuliert Meese jedoch seine Sicht auf die Vorherrschaft der Kunst über jegliche andere, soziale Ausdrucksform. „Vita brevis, ars longa“ diese Weisheit wird Hippokrates zugeschrieben – und Messe deutet dies sinngemäß folgendermaßen um: Nichts bleibt, hat Bestand, schon gar nichts Politisches, nur die Kunst hat Ewigkeitsanspruch.
Parsifal als ewiges Kind
Es sind drei von Meese eingebrachte Komponenten, die diesen Abend so interessant machen. Einerseits sein radikaler Zugang zu Parsifal. Auch nach Kundrys Verführungskünsten bleibt er ein kindlicher Tor und verweigert – nach einem kurzen Intermezzo – jegliche Erleuchtung, jegliches Erwachsenwerden. Ein Anflug davon wird von Kundry im Keim erstickt, als diese ihm in Mutterrolle eine richtige Standpauke hält. Parsifals – Mondparsifals – Gemüt ist nicht von dieser Welt. Das zeigt Meese gleich zu Beginn mit einer kahlen Mondlandschaft, auf der – wie bei Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ eine männliche Figur dieselbe Haltung einnimmt. Sie entpuppt sich rasch als eine Allegorie auf Richard Wagner. Eine sehr intelligente Verschränkung von bildender Kunst und Musik, in der man auch die Bildinterpretation durchzuschimmern vermeint, der Friedrichs Wanderer als Verkörperung eines deutschen Patrioten nachgesagt wird. Dass Meeses Mondparsifal am Ende doch noch als vergoldeter Ritter nicht die Krone erhält, ist in seiner Logik völlig schlüssig. Macht korrumpiert und wer der Kunst verfallen ist, wer sich zumindest den kindlichen Blick bewahrt hat, wird den Teufel tun und sich an die Spitze eines hierarchischen Machtgefüges setzen.
Regie, Bühnenbild und Kostüme aus einem Guss
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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
Die zweite Komponente betrifft das Bühnenbild und die Kostüme. Diese tragen die Meese`sche Handschrift vom ersten bis zum letzten Akt und beeindrucken durch ihr kompromissloses, künstlerisches Statement. Dabei wird zusammengepuzzelt, was das Zeug hält. Höchst einfach und doch in der Ausführung komplexe Objekte wie der riesige Kühlschrank im ersten Bild, voll mit Fisch, Schinken und Wurst, sind ein Beispiel dafür. Aus ihm lugt der großartige Wolfgang Bankl, alias Gurnemanz, alias Wolfgang Meese schon bald nach Beginn heraus. Oder das Holzhaus, Rückzugsort des sexbesessenen Klingsor (Martin Winkler), das am Ende der Szene mit Kundry alias Barbarella (in Darstellung und musikalischen Ausdruck erhält Magdalena Anna Hofmann dafür eine Bestnote) in lodernden Projektionsflammen aufgeht. Oder die Villa Wahnfried, begrenzt durch überdimensionierte Eierbecher auf der einen Seite und einem ebenso riesigen Pappzylinder, wie man ihn von Klopapier- oder Küchenrollen her kennt, auf der anderen. Wo es möglich ist, setzt Meese auf Schriften, die Orte oder Personen erklären. Wie zum Beispiel „Hagen V Tronje“, die auf Bankls zweites Kostüm aufgepinselt ist, sodass auch die letzte Reihe am obersten Rang die Figur richtig deuten kann.
Spannend gestaltet sich auch der Live-Einsatz, bei welchem Meese an zwei Stellen aus der ersten Loge rechts heraus agiert, in dem sein Zeichnen und sein Ordnen von Zeitschriftenmaterial direkt von einer Kamera über ihm auf die Bühne projiziert wird. Wird beim ersten Mal klar, dass es dem Allroundkünstler darum geht, die bildende Kunst nach seinen Vorstellungen und seinen Möglichkeiten in diese Opernproduktion einzubringen, erklären im zweiten Fall die gezeigten Zeitschriften all jene Einflüsse, die sich im Bühnengeschehen wiederspiegeln. James Bond, Stanley Kubrick, Terence Hill, Star Treck, Caligula oder Mad Max, um nur einige davon zu nennen, finden sich kostümtechnisch im Geschehen tatsächlich wieder. Und dies verleiht den Charakteren selbst natürlich auch völlig andere Bedeutungsebenen. Am Auffälligsten kommt dies in der Ausstattung des Mondparsifals zum Tragen – mit überkniehohen Stiefeln und rotem, glänzenden Lederslip, festgezurrt an ebensolchen Hosenträgern. Es ist eine 1:1- Übernahme der Figur Zardoz aus dem gleichnamigen Science-Fiction Film von John Boorman aus dem Jahr 1974. Selten hat man eine persifliertere, männliche Figur sehen dürfen, die trotz aller nach außen zur Schau getragenen Männlichkeit nichts davon in ihrem Inneren aufweist.
Das Bühnenbild und die Kostüme zeigen überdeutlich, dass Meese eine komplett unverkrampfte Herangehensweise an den Stoff durchzieht – wahrscheinlich sehr zum Graus aller eingefleischten Wagnerianer. Aber sehr zum Gefallen des am zweiten Vorstellungsabend größtenteils jungen Publikums, das mit viel Zwischenapplaus seine Begeisterung bekundete.
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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)
Eine zusätzliche Filmhaut
Die dritte Komponente zeigte sich kurz vor Schluss in einer höchst beeindruckenden Einspielung von Szenen aus Fritz Langs filmischem „Nibelungen“-Epos. Sowohl Siegfrieds Tod als auch Kriemhilds Rache werden dabei thematisiert und legen sich wie eine zweite Haut über das Parsifal-Geschehen, das in den letzten Szenen höchst unkonventionell außer Rand und Band zu geraten scheint. Dennoch macht gerade diese Doppelbödigkeit Sinn – zeigt sie doch die große Diskrepanz zwischen der nach wie vor von vielen Opernfreaks hoch gehaltenen Nibelungensage – der deutschesten aller deutschen Sagen schlechthin – und der lustvoll ummodellierten Parsifaldeutung, die mit allen Konventionen bricht.
Vielfärbig die Musik
Bernhard Lang schuf ein höchst vielfärbiges, musikalisches Ganzes. In diesem gibt es zahlreiche Originalzitate – wenngleich auch nur wie kleine Strohfeuerchen aufglimmend. Ein Hauptcharakteristikum stellen jene Wiederholungen von extrem kurzen Phrasen dar, die wie Sprünge in Schallplatten wahrgenommen werden. Immer und immer wieder müssen die Sängerinnen und Sänger dabei einzelne Silben wiederholen und geben ihnen dadurch zugleich auch zusätzliches Gewicht. Dies ist ein bekanntes Stilmittel des Komponisten, das in diesem Fall aber auch als Idee einer zu Recht mit Bruchstellen versehenen Wagner-Rezeption aufgefasst werden kann. Dagegen stellt Lang einige höchst harmonisch ausformulierte Chorszenen, wie zu Beginn und in der letzten Szene, die Lust auf mehr, auf vielmehr evozieren. (auch nicht von dieser Welt, so gigantisch präzise und zugleich höchst feinsinnig der Arnold Schönberg Chor). Jazzige Elemente, wie der Einsatz eines Saxophons auf dem Weg zu einer Free-Jazz-Session wiederum brechen komplett mit der Vorgabe von Wagner.
Die schwerste Partie hat Parsifal zu absolvieren. Daniel Gloger meistert diese Countertenorherausforderung mit beinahe übermenschlicher Kraft. Die Stelle, an welcher er seine eigene Schuld wahrnimmt und in den Irrsinn abzugleiten droht, erfordert einen stimmlichen Kraftakt der Sonderklasse. Mehr geschrien als gesungen, in ganz und gar nicht wohlklingenden Tönen, durchbricht er dabei jede bis dahin von der Gattung Oper aufoktroyierte Stimmbehandlung. Das hat seinen Preis. Im darauffolgenden Akt merkt man die zuvor stattgefundene Überbeanspruchung deutlich. Aber in der Wandlung vom Erwachsenenverweigerer zum von Kopf bis Fuß vergoldeten Ritter macht sogar das Sinn. Dort, wo die kindliche Emotion ausgeträumt ist und der Ritteralltag eintritt, darf auch die Stimme seine Kraft und Brillanz verlieren.
Einmal ist Schluss mit Mutter
Zu guter Letzt kommt auch Jonathan Meeses kolportiere und von ihm medienwirksam gepflegte Mutterfixierung zur Sprache. Und das höchst direkt. Denn ausgestattet mit einem überdimensionalen Eierkopf, wie einst Humpty-Dumpty, darf ihr Konterfei, das gesamte Stück lang am rechten Bühnenrand platziert, prüfend ins Publikum blicken. Die Beschriftung, die auf ihrem kleinen Körper zu sehen ist „Na siehste!“ kann mehrdeutig aufgefasst werden. Zumindest schwingt in ihr aber Meeses Triumph über die Festspielverantwortlichen am Grünen Hügel mit, die ihm unter großem Getöse eine bereits zugesagte Parsifal-Inszenierung kurzerhand strichen. Die fade Ausrede der Unfinanzierbarkeit wurde nun von den Festwochen Lügen gestraft. Noch dazu, wo Bernhard Lang für die Komposition zusätzlich verpflichtet und bezahlt werden musste. Bravo Wien! Die finale Geste von Gurnemanz, mit der er die allegorisierte Muttergestalt schließlich zu Fall bringt, ist eine von Erlösung getragene. Endlich gibt sie nun Ruhe, die Alte! Vorgenommen jedoch ohne jegliche Musik, dafür aber unter schallendem Publikumsgelächter und viel Applaus.
„Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz) unter der souveränen, musikalischen Leitung von Simone Young, die das Klangforum Wien zu einer absoluten Höchstleistung animierte, kann als Vorzeigebeispiel herhalten. Als Referenzprojekt, in dem die Grenzüberschreitung von Künstlern wie Jonathan Meese und Bernhard Lang ein Genre wiederbeleben, das auch für die Generation „Oper braucht kein Mensch mehr“ interessant ist.
von Michaela Preiner | Jun 6, 2017 | Oper, Wiener Festwochen
Erarbeitet wurde dieses Multi-Kulti-Opern-Ethno-und-U-Musik-Spektakel von einem Kollektiv, deren Mitglieder aus dem Bereich Musik, Literatur, Schauspiel, Tanz sowie Regie kommen. Der Ansatz, der dabei sichtbar wurde: Auch eine Oper kann demokratisch auf die Bühne gebracht werden und ganz der Postmoderne verpflichtet, ohne eine große Geschichte auskommen. Obwohl die Erzählung der Gefangenname von Konstanze und ihrer Liebe zu Belmonte doch nicht außen vorgelassen wurde.
Opernpuristen jagte diese Inszenierung mit Sicherheit Schauer über den Rücken. All jene, die sich unvoreingenommen auf eine künstlerische Neuerkundung von Musiktheater einlassen konnten und Spaß an unverkrampften Bühnenfassungen von großen Opernstoffen haben, kamen auf ihre Kosten, denn: Die Verzahnung der klassischen Opernaufführung mit postdramatischen Ideen funktionierte unter diesen Prämissen aufs Prächtigste.
Mozart versus afrikanische Beats
Dabei durfte man neben jeder Menge musikalischer und tänzerischer Einlagen auch den Hauptplot und die Hauptfiguren aus Mozarts Entführung kennenlernen. Das radikal gekürzte Libretto wurde dramatisch von Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly und Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star vorgetragen und von Hauke Heumann parallel dazu ebenso dramatisch und zugleich mit einer großen Portion Humor auf Deutsch wiedergegeben. Aber auch mit Bedacht ausgewählte Arien, Duette und Quartette gab es dabei zu hören. Bei weitem nicht alle, die Mozart für diese Oper komponiert hat. Die Streichungen verkündete Heumann lapidar mit dem Hinweis „gestrichen“ – was das Publikum jedes Mal aufs Neue höchst belustigte. Er selbst schlüpfte in die Rolle von Pedrillo, dem Geliebten der Zofe von Konstanze und gab sogar, trotz unausgebildeter Opernstimme, eine Arie zum Besten.
Les Robots ne connaissent pas le Blues (c) Knut Klassen
Man durfte aber auch Zeuge einer großen Kluft werden, die sich zwischen europäischer und afrikanischer Musiktradition offenbarte. „Die Oper, diese neue Erfindung Europas vor 250 Jahren, verkauft sich in die ganze Welt gut. Nur in Afrika nicht.“, ironisierte der ivorische Sänger SKelly jene Kunstgattung, die bei uns nach wie vor gemeinhin als die Krönung aller performativen Künste angesehen wird. Und im Handumdrehen präsentierte er dem Bassisten Patrick Zielke seine ureigene Interpretation der Arie „Hier soll ich dich denn sehen“. Mit jeder Menge Vitalität und kräftiger Stimme, den Text von einer großen Tafel ablesend, machte er dabei klar, dass er Mozart zwar schön findet, aber selbst eine gänzlich andere Auffassung von mitreißender Musik hat. Seine Interpretation war geprägt von afrikanischem Rap und ebensolchen Rhythmen und von einer extremen Vereinfachung der musikalischen Struktur.
Die Dekonstruktion einer Oper
Nicht nur einmal brachten SKelly, Gadoukoula Star und Gotta Depri das hochkarätig besetzte Opernensemble zum Schwitzen. So geschehen bei Nerita Pokvytyte, die während ihrer Arie den choreografischen Vorgaben ihres afrikanischen Kollegen folgen wollte und sich dabei vom einbeinigen Stehen bis hin zum Spagat körperlich betätigte. Nicole Chevalier wiederum erklärte dem Publikum, das auch aufgerufen worden war, sich direkt auf die Bühne zu begeben, welche Gedanken ihr beim Singen durch den Kopf gehen. Köstlichst, wie sie selbst die kleinsten Pausen ihrer Koloraturarie dazu nützte, um Hinweise wie „Stütze, Stütze!“ oder „leise, leise“ zu artikulieren und dabei zugleich die emotionale Unterfütterung ihres Gesanges konterkarierte.
Die beständige Infragestellung was, warum und wie auf einer Bühne zu Gehör gebracht wird und die dadurch erreichte sukzessive Dekonstruktion der Oper verlieh Mozarts „Entführung“ einen völlig neuen Dreh. Dabei stand, trotz aller kulturkritischer und theaterkritischer Hinterfragungen der Spaß im Vordergrund. Hauke Heumann ließ dabei mit der Feststellung aufhorchen, dass seine Rolle, in die er in dieser Inszenierung schlüpfen durfte, für ihn nicht nur eine neue Erfahrung abseits seiner ihm bekannten Performancedarbietungen im postdramatischen Theaterkontext darstellte. Vielmehr genoss er – laut eigener Aussage – dieses Verschwinden seiner eigenen Person hinter der Rolle. Das bedeutete für ihn aber zugleich auch, nicht krampfhaft aus dem eigenen Erlebnisfundus einen Bühnenbeitrag beisteuern zu müssen.
Les Robots ne connaissent pas le Blues (c) Knut Klassen
Monika Gintersdorfer und Benedikt von Peter (Regie), Knut Klaßen (Bühne und Kostüme mit „Experimentalkleidung“ von Marc Aschenbrenner) sowie Ted Gaier, der für das Sounddesign abseits von Mozart sorgte, wirbelten mit dem afrikanischen Ensemble die herkömmliche „Entführung aus dem Serail“ gehörig durcheinander. Dennoch blieb der Camerata Salzburg unter Markus Poschner noch genügend Raum, um der zeitgenössischen, musikalischen Bühnenvitalität aus Afrika einen adäquaten Gegenpol gegenüberzustellen.
Eine höchst gelungene Inszenierung, die es vorzüglich schaffte, Kulturkritik mit Humor über die Bühne zu transportieren und europäische Musikgeschichte mit afrikanischer Gegenwartsmusik zu verzahnen.
von Michaela Preiner | Jul 26, 2016 | ImPulsTanz, Oper
Ivo Dimchev, Multitalent auf der Bühne, widmete sich in seiner Inszenierung „Operville“ einen Abend lang diesem Thema. Auf seine ganz eigene, spezifische Art. Mit einer großen Menge Humor, mit viel Augenzwinkern, aber auch mit großen Emotionen und einer höchst gelungenen Musikmischung.
ImpulsTanz, das in diesem Jahr einen Ivo Dimchev-Schwerpunkt mit insgesamt 5 Produktionen anbietet, zeigte das Stück im Akademietheater vor viel jungem Publikum. Die Zutaten, die Dimchev für seine Oper verwendete, sind die herkömmlichen. Verschiedene Charaktere, eine Mann-Frau-Mann-Beziehung, Gesang, aber ein Bewegungsvokabular der außergewöhnlichen Art. Dabei schlüpfte der Performer in die Rolle eines höchst unattraktiven Werbers, der gegen einen Bassbariton um die Liebe einer Sängerin buhlt. Die Bühne bleibt kahl bis auf einen Stuhl. Die intensive Bühnenpräsenz von Dimchev, so hat man den Eindruck, verträgt sich nicht mit illusionistischen Räumen.
Die Geschichte ist rasch erzählt – ein Hin und Her bestimmt das Geschehen, das mit einem Happyend aufhören könnte, würde Dimchev sich diesem nicht wider jede Vernunft entgegenstemmen. Bevor es aber so weit ist, müssen noch allerhand Hürden genommen werden. Nickolay Voynov hat zwar eine stimmliche Überlegenheit aufzuweisen, gegen den intriganten und beherrschenden Dimchev ist er jedoch beinahe machtlos. Da hilft es ihm auch nicht, dass er bei Gelegenheit einmal versucht, mit ausgestrecktem Finger Dimchevs Auge zu ramponieren. Dieser, ausgestattet mit einer weizenblonden Perücke und einem Straßenoutfit, das Geschmack zu wünschen übriglässt, wechselt seine Gefühlslage beinahe im Minutentakt. Zwischen ärgern, freuen, sich unterwerfen, zwischen liebender Zuneigung, Abschätzigkeit und hündischer Ergebenheit ist so ziemlich alles an emotionalem Ausdruck anzutreffen, was in etwas mehr als einer Stunde auf der Bühne Platz finden kann.
16_IvoDimchev_Operville_36(c)IvoDimchev
Plamena Girginova gibt eine unantastbare Schönheit in dunkelrotem Samt, lässt alles über sich ergehen und mit ihr geschehen, was Dimchevs Regie von ihr verlangt. Dabei muss sie einmal sogar auf dem Kopf singen.
Der Text, der auf der Bühne gesprochen, respektive gesungen wird, bleibt unverständlich. Ein krudes Kauderwelsch, dessen Bedeutung sich nur durch vereinzelte Betonungen sinngemäß erahnen lässt, bietet die Basis des Geschehens. Es sind vielmehr die nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten, die klarmachen, was sich in den einzelnen Szenen abspielt. Lautgedichte und rhythmische Sprachinterventionen wie jenes Duett, in dem Dimchev mit Voynov „what the fuck“ intoniert, geben der Vorstellung weitere Würze.
Herrlich, wie Dimchev die Beziehungsfäden spinnt und an einer Stelle seinen Widersacher wie eine Kuh muhend an die Rampe nach vorne schickt. Wunderbar, wie er sich kniend an dessen Hand klammert, um ihn zu beschwören und um Verzeihung zu bitten. Köstlich, wie er ihn mit herrischer Geste von der Bühne abgehen lässt um freie Bahn für sein Liebeswerben zu haben. Zugleich läuft eine Übertitelung, in der das Absurde zur Höchstform aufläuft, aber einzelne Sätze wiederum höchst philosophisch und passgenau das Geschehen bezeichnen.
Die Headbanging-Nummer, die Dimchev zu Chopins Klängen zeigt, unterstreicht in unglaublich witziger Manier den Charakter jenes Mannes, der das Glück anderer nicht akzeptieren kann.
Die Musik selbst wandert einmal quer durch verschiedene Genres des 19. und 20. Jahrhunderts. Von atonal bis hin zu einem wunderbaren Duett, das Girginova und Voynov zu eine Chopin-Etüde zum Besten geben, in der klar wird, warum Oper auch heute immer noch Bestand hat, von einer von Dimchev im Falsett vorgetragenen Melodie, die an die Bee-Gees der 80er Jahre erinnert bis hin zu Country-and-Western-Klängen spannt sich der Bogen.
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Ivo Dimchev_Operville (c) Ivo Dimchev
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Vom Anziehen und Verstoßenwerden, von Rivalität und Einsamkeit handelt dieses Stück, aber vor allem seziert es wie kaum ein anderes das Operngenre an sich. Es deckt die Banalitäten der zwischenmenschlichen Beziehungen, die darin oft abgehandelt werden, schonungslos auf. Es zeigt, und dazu reicht Dimchev auch nur ein einziges Beispiel, dass perfekt eingesetzte Musik die Emotionen übergehen lässt und macht damit überdeutlich, warum diese Kunstgattung so viele Menschen anzieht. Zusätzlich aber versehen die Texte, die Dimchev mit den Übertiteln in das Geschehen einbringt, die Produktion mit einer weiteren Ebene. Nicht nur darum wäre es falsch, „Operville“ als reine Klamaukkiste abzustempeln.
Eine wunderbare Satire, die einmal mehr Ivo Dimchev als Künstler zeigt, der, wie kaum ein zweiter, die Kunst der Selbstpersiflage bis zur Perfektion beherrscht.