Eine Oper mit der Länge von nur eindreiviertel Stunden muss ein Libretto vorweisen, welches eine Handlung, die sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen erstreckt, gekonnt zusammenfasst. Leoš Janáčeks Text zu seiner Oper ‚Katja Kabanova‘ holpert jedoch ein wenig dahin. Das mag daher rühren, dass er selbst den Text nach einem Drama des Russen Alexander Nikolajewitsch Ostrowski (1823 – 1886) auf ein Kondensat zusammengestrichen hat, welches so manche darin vorkommende Figur charakterlich nicht wirklich erklärt. Ostrowski hat sein Drama unter dem Titel „Gewitter“ 1859 veröffentlicht, was insofern bemerkenswert ist, als der Schriftsteller die Scheinheiligkeit der Gesellschaft im Hinblick auf Ehebruch und sexuelles Verlangen sowie die Unterwerfung in einem familiären System zu den Hauptthemen seines Stückes machte. Bei uns wenig bekannt, gehört er zu den Großen der russischen Literatur und übte starken Einfluss auf Leo Tolstoi aus.
Interpretationsspielraum oder Verwirrung?
In der Oper Graz erlebte das Werk am 18.3.2023 seine Premiere, wofür das Team um die Regisseurin Anika Rutkofsky mit einigen Regieeinfällen die ohnehin schon etwas schlingernde Handlung weiter verkomplizierte, sodass sich am Ende die Frage stellt: Wie viel Interpretationsspielraum, wie viele mythologischen Verweise, wie viele Handlungsumdeutungen verträgt ein Stück, um dennoch verständlich zu bleiben? Wie sich zeigt, führen große Bemühungen manches Mal nicht immer zum Ziel.
Womit die Kritik bei ihrem Kern angelangt ist. Die Regisseurin versetzt das Geschehen in ein kirchliches Umfeld, genauer in das Innere einer orthodoxen Dorfkirche. Der bei Ostrowski und Janáček noch als Kaufmann ausgewiesene Dikoj, (Wilfried Zelinka) wird zum Popen der Gemeinde, sein Neffe Boris, der ihm anvertraut wurde, zu seinem Novizen. (Arnold Rutkofski) Die Idee, die Geschichte in einen orthodox-religiösen Kontext zu stellen, schiebt die eigentliche Aussage, dass jede Gesellschaft scheinheilig ist und Sündenböcke sucht, vom Grazer Publikum weit weg. Vielmehr verleitet diese Konstellation vom roten Plüschsessel der Oper aus mit dem Finger auf ein System zu zeigen, das „so bei uns nicht vorkommt“.
Gleich in den ersten Minuten, nachdem sich der Vorhang gehoben hat, wird man Zeuge, wie ein Mann auf einer Leiter das kommunistische Sichelsymbol von einem Kirchenfenster abwischt, welches später durch ein Marienbildnis ersetzt werden wird. Damit ist der Zeithorizont, in welchem sich das Drama abspielt, geklärt. Man befindet sich offenbar kurz nach dem Zusammenbruch der UDSSR. Vor dem Kircheninnenraum erstreckt sich eine blau gekachelte Wand mit einem Einstieg, wie man ihn von Schwimmbädern her kennt. Im zweiten Akt wird sich dieses Schwimmbad noch um ein Zimmerchen erweitern, das als Liebesabsteige dienen wird. Hier gibt das Programmheft Erläuterungen: „Der Bühnenraum von Eleni Konstantatou – eine Schwimmbadkirche – macht den Systemwechsel architektonisch sichtbar: Hierfür steht die St.-Petri-Kirche einer protestantischen Gemeinde nahe des Newski Prospekts Pate, die im Kommunismus zum Schwimmbad umfunktioniert wurde. Heute wird auf dem abgedeckten Becken wieder Messe gefeiert, wobei der Altarstein noch an das Sprungbrett erinnert.“
Die Reduktion der Aussage des Stückes durch den orthodox-religiösen Rahmen
Die Verlogenheit der Gesellschaft, die Ostrowski in seinem Drama aufzeigte, wird in der Grazer Opernfassung zu einer Bigotterie herabgestuft, in der weder für eine tiefgläubige religiöse Erleuchtung noch für ein öffentliches Bekenntnis der eigenen Fehlbarkeit Platz ist.
Katja Kabanova (Marjukka Tepponen), die junge Ehefrau von Tichon (Matthias Koziorowski) steht ganz unter der Kuratel ihrer despotischen Schwiegermutter, die ihren Sohn nicht von der mütterlichen Leine lässt. Als dieser zwei Wochen das Dorf verlassen muss, schwant seiner Frau Unheil. Sie spürt, dass ihre bis dato nicht ausgelebte Sexualität Anlass zu einem Ehebetrug sein wird. Und tatsächlich dauert es nur wenige Stunden, bis sie sich Boris, Dikojs Neffen, hingibt, der sie bis dahin nur von der Ferne anhimmeln konnte.
In jener Szene, in welcher die beiden jungen Leute zueinanderfinden, geht es auf der Bühne in allerlei parallel gezeigten Paarungsvarianten freizügig zu. Anhand der Kostüme wird man später erkennen, dass Mitglieder der religiösen Gemeinschaft, die sich in der Kirche ständig bekreuzigen, Moral offenkundig nur vom Hörensagen kennen.
So verschwurbelt das Libretto und die Inszenierung an sich auch daherkommen, so wohltuend steht ihnen die Musik von Leoš Janáček mit dem Dirigat von Roland Kluttig gegenüber. Neben aufbrausenden Klängen mit harten und tiefen Bläsern, die Unheil verkünden, stehen höchst lyrische Passagen, die tief in verschiedene Seelenzustände eintauchen lassen. Katja Kabanova selbst ist mit mehreren wunderbaren Arien ausgestattet, die Tepponen im Laufe der Vorstellung immer glanzvoller interpretiert. Herausgestrichen soll auch ihre schauspielerische Darstellung dieser jungen Frau werden. Jegliche Emotion, jegliches Geschehen, über das sie berichtet, kommt authentisch beim Publikum an. Herrlich anzuhören sind auch jene Volksliedmotive, die der Komponist dem Charakter von Kudrjasch (Mario Lerchenberger) zugeordnet hat. Die Womanizer-Rolle, die er in Graz verkörpert, schieben diese innigen Melodien in die Schublade eines kaltblütigen, ausgebufften Verführers, wodurch sie nur im ersten Moment lieblich wahrgenommen werden können.
In Janáčeks Kompositionstechnik kann man häufig den Klang einzelner vorgetragener Worte und ganzer Sätze gut nachvollziehen. So wartet die Rolle der Schwiegermutter (Iris Vermillion) von Katja mit einigen harten und kantigen Einsprengseln auf, in welchen auch der Satz „Die Menschheit will betrogen werden“ ausgesprochen wird. Kleine, auf- und ab wiegende Melodiekaskaden hingegen lassen jene Vögel hörbar werden, die Katja sowohl besingt, als sie daran denkt, wie gerne sie doch frei wäre. Sie kommen jedoch noch einmal vor – kurz bevor die junge Frau, ausgestoßen von der Gesellschaft, den Freitod wählt. Dass letztlich auch Katjas Ehemann Tichon der gesellschaftlichen Lynchjustiz zum Opfer fällt, da er sich in der Grazer Version als homosexuell outet, ist ebenfalls ein Regie-Einfall von Anika Rutkofsky.
Das Kostümpotpourri von Marie Sturminger lässt eine Gesellschaft erkennen, die, ländlich geprägt, nichts vom Chic der oberen Zehntausend in Moskau vorweisen kann. Einzig der Prunkornat des Popen und die blendend weiße Sonntags-Staffage von Kabanicha, der bösen Schwiegermutter, vermitteln Glanz und damit zugleich auch ihren Obrigkeitsanspruch.
Ein hervorragendes Ensemble sorgt für einen gelungenen Abend
Musikalisch agiert das Ensemble extrem einheitlich auf hohem Niveau. Es gibt keinerlei Ausreißer nach unten, was der Aufführung sehr guttut. Neben den schon genannten sind Mareike Jankowski als Schwägerin und Martin Fournier in der Rolle von Kuligin hier noch hervorzuheben. Es ist die Leistung der Sängerinnen und Sänger und auch des Orchesters, welche den Abend in der Grazer Oper zu einem Erlebnis werden lassen. Auch, wenn man über die Inszenierung an sich heftig diskutieren kann.
Dass der Komponist nach seiner Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus in den USA am Broadway höchst erfolgreich war, ist bei uns wenig bekannt. Umso erfreulicher, wenngleich auch wagemutig war die Entscheidung, seine „Musical Comedy“ „Ein Hauch von Venus“ in der Grazer Oper als österreichische Erstaufführung zu bringen.
Der Wagemut ist dem skurrilen Inhalt zuzuschreiben – einer märchenhaften Geschichte nach einem Libretto von S.J. Perelman und Ogden Nash. Letzterer war in den USA für seine Limericks überaus bekannt und diesem, ihm eigenen Sprachwitz, kann man in einigen der Gesangtexte herrlich nachspüren. „Ohne seine Mitarbeiter wär‘ Vermeer noch heut‘ nicht weiter“ oder „Wo die Büffelherden weiden, lernt das Großstadtkind zu leiden“ sind nur zwei von vielen Beispielen, die an dem Abend zu beschmunzeln sind. Roman Hinze hat für diese Übersetzung ins Deutsche wahrlich eine Auszeichnung verdient. Allein der Text für „Ich liebe dich wie…“, köstlichst von Christof Messner interpretiert, ist atemberaubend.
Die Handlung selbst folgt einer Erzählung des Briten F. Anstey, der darin von einer Venusstatue berichtet, die lebendig wird und sich in einen einfachen Friseur verliebt. Nach vielen Irrungen und Wirrungen, in welchen Kunstführungen genauso vorkommen wie ein Beinahe-Überfall eines anatolischen Kriegers oder ein Besuch im Olymp, muss Venus letztlich doch feststellen, dass das langweilige Leben einer Hausfrau und Mutter nicht wirklich zu ihr passt. Dieser Handlungsstrang wurde in der Oper beibehalten, was zu höchst anachronistischen Unterhaltungsmomenten führt, die zeitweise ins Absurde abgleiten. Es ist primär die einfach gestrickte Geschichte, in der so gut wie jede Handlung der einzelnen Figuren vorhersehbar ist, die verblüfft und bei der man sich die Frage stellt, ob denn eine zeitgenössische Aufführung denn überhaupt Sinn macht.
Tatsächlich gelingt der Regisseurin Magdalene Fuchsberger aber das Kunststück, „Ein Hauch von Venus“ aus dem Jahr 1943 mit einer heutigen, bühnentauglichen Daseinsberechtigung auszustatten. Dabei behilflich ist ihr allen voran Henry Websdale, der die musikalische Leitung innehat. Mit Verve und viel Gespür für das Orchester, mit offenkundiger Freude am Dirigentenpult lässt er die Grazer Philharmoniker gleich zum Beginn in der Eröffnung als Big Band erklingen. Er achtet jedoch in den folgenden Nummern auch auf fein nuancierte Soli, wie jenes der zuckersüß erklingenden Geige im Vorspiel nach der Pause.
Die Vokalbesetzung ist ohne Ausnahme gut gelungen. Dionne Wudu als Venus hat nicht nur das richtige Stimmmaterial, um ihre zum Teil schwierigen Nummern wie „Wie fühlst du dich“ – in diesem Fall nur von Georgi Mladenov am Klavier begleitet – leicht erscheinen zu lassen. Sie macht auch in mehreren ausnehmend schönen Kostümen (Valentin Köhler) eine venushafte Figur. Am bekanntesten ist wohl ihr Song „Sprich leis‘“ der in der Originalfassung ‚speak low“ zu einem Jazzklassiker avancierte und in dieser musikalischen Komödie mehrfach erklingt. Ivan Oreščanin als Whitelaw Savory, Kunstexperte und Leiter einer Kunstakademie, erfreut nicht nur durch die Wärme seines stimmlichen Ausdrucks, sondern auch mit seiner gut verständlichen Aussprache. An seiner Seite glänzt Monika Staszak als seine Sekretärin und spätere Frau Molly Grant, die in einem Song sehr genau die Vorzüge von Reichtum beschreibt, der dafür sorgt, auch einen alten Mann für Frauen attraktiv zu machen. Christof Messner als unbeholfener Jungfriseur, erweckt die Venusstatue durch das Anstecken des Verlobungsringes, der für seine Freundin Gloria gedacht ist, zum Leben. Er darf seine Rolle so gestalten, dass ihm das Publikum emotional zugetan sein kann. Zuerst der Liebe abschwörend, dann als Außenseiter – konkret als Jude – von der Gesellschaft verpönt und gehetzt – und schließlich verlassen und liebeskrank, wird der Charakter des jungen, unerfahrenen Mannes tatsächlich glaubhaft. Der Traum von einem gemeinsamen Leben mit seiner Venus in einem Vorstadthäuschen mit Kindern und Garten erfährt seinen Höhepunkt in der Anschaffung eines Fernsehapparates. Mit der Schwarz-Weiß-Projektion des sogenannten „Testbildes“, wie es in den 50er und 60er-Jahren auf den Bildschirmen flimmerte, verweist die Regisseurin auf das zukünftige, erträumte Glück.
Tatsächlich wurde „One touch of Venus“ zwischen 1943 und 1945 insgesamt 567 Mal aufgeführt. Das Stück galt als leichte Unterhaltung, als Ablenkung, während der Krieg in Europa tobte und auch die USA mit sich riss. Mitbeteiligt am Erfolg waren sicher auch die beiden kuriosen Frauenfiguren von Mrs. Kramer und ihrer Tochter Gloria. Regina Schörg darf alle komödiantischen Register ziehen, um Corina Koller in der Rolle ihrer herrschsüchtigen Tochter einer standesgemäßen Heirat zuzuführen.
Immer wieder tauchen auf der opulent bestückten Drehbühne, die mit Versatzstücken von weiblichen Körperteilen ausgestattet ist und sich auch als Kerker und letztlich als Olymp präsentiert, Soldaten und Soldatinnen im Chor auf. (Bühne Monika Biegler) Ein Hinweis, der eine direkte Verbindung zur Entstehungszeit des Stückes schafft. Es sind diese Kostüme, aber auch opulente Tanzeinlagen, ganz im Stile von Broadway-Inszenierungen, welche immer wieder imaginierte Zeit- und Ortssprünge ins New York der 40er-Jahre zulassen. Genau darin liegt der Charme dieser Inszenierung. Das subtile Spiel mit dem Zeitkolorit, in welchem die tragischen Geschehnisse des 2. Weltkrieges anklingen und spürbar werden, nie aber überhandnehmen, macht die Inszenierung so außergewöhnlich und letztlich auch sehenswert. Ganz abgesehen von den vielen Ohrwürmern, die prächtigst auch am Tanzparkett Verwendung finden könnten – was man gut an den vielen wippenden Publikumsbeinen erkennen konnte. So oberflächlich leicht „One touch of Venus“ sich auch anfühlen mag, wer genau hinsieht und hinhört, kann in den 2 3/4tel-Stunden inklusive Pause in eine Zeit eintauchen, die alles andere als leicht war.
Das Publikum durfte dabei in 70 Minuten eine visuelle Zusammenfassung von der Entstehung des Weltalls – inklusive Urknall-Effekt – bis hin zur Ausbildung unseres Sonnensystems erleben. Begleitet wurde die Video-Animation von 11 Musizierenden unter der Leitung von François-Pierre Descamps.
Für das Konzept und die Dramaturgie war Kristine Tornquist verantwortlich. Mit dem Astronomen und Leiter des Planetariums, Michael Feuchtinger und dem Astronomen Konstantin Kirner, zuständig im Planetarium für Wissensvermittlung, holte sie sich zwei profunde Kenner der Materie an Bord. Gemeinsam schufen sie ein Klang-Raum-Erlebnis der besonderen Art. Das Werk wurde für fünf Stimmen – zwei Countertenöre, zwei Tenöre und einen Bassbariton sowie sechs Instrumentalisten (Trompete, drei Posaunen und zwei Schlagwerker) geschrieben. Die Entstehung des Weltalls und letztlich auch der Erde und des Menschen an sich wurde – musikalisch anschaulich – auch durch einen sich erst im Laufe der Komposition entwickelten Sprachgesang wiedergegeben. Hörte man zu Beginn nur aneinandergereihte Silben, verdichteten sich diese mit der Zeit hin zu erkennbaren Worten und Sätzen.
Häufiger Posaunen- und Paukeneinsatz, ein Glockenspiel, sowie ein großer Schlagwerkapparat verliehen dem bunten Sternenspektakel eine ebenso farbenfrohe musikalische Untermalung. Von dramatisch bis hin zu kostbaren Schwebezuständen, erzeugt von den Stimmen, reichte die klangliche Palette. Obwohl Clemencic ein ausgewiesener Kenner Alter Musik war, griff er in diesem Werk ins volle Kompositions-Repertoire der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Atonales und Dissonantes überwog über lange Strecken, dennoch gelangen ihm zum Teil auch höchst sphärisch gestaltete Momente. Wer wollte, konnte auch Assoziationen zur Orff`schen Carmina-Burana-Klangwelt assoziieren. Raues und Unbehauenes Notenmaterial entwickelte sich zu Differenzierterem und Komplexerem und ließ zugleich Spielraum für eigene Empfindungen.
Einziger Wermutstropfen war die Raumakustik. So wunderbar die visuelle Aufarbeitung mithilfe des modernsten Sternenprojektors der Welt gelang, so fein austariert auch das Ensemble musizierte, das Klangstrahlen, das durchaus in der Komposition von Clemencic vorhanden ist, blieb aufgrund der Akustik, die mehr vom Klang schluckte als preisgab, leider aus. Kopfhörer hätten in diesem Fall wahrscheinlich eine Abhilfe geschaffen. Dennoch eine abermals beeindruckende Produktion des Sirene Operntheaters.
Wie kalt ist Eis, wenn man es in seinen Händen halten muss? Wir alle, die wir schon einmal ohne Handschuhe einen Schneeball formten oder einen Eiswürfel in ein Glas fallen ließen, wissen, wie sich diese Kälte anfühlt. Niemand von uns hat jedoch diese Erfahrung anlässlich einer Theatervorstellung gemacht. Diese durfte man nun – völlig unerwarteterweise – im Rahmen einer Produktion der Musiktheatertage Wien – nachholen. „Kunstschnee“ (Kollapsologie I), ein Musiktheater mit Publikum, machte es möglich. Nach einer Idee und der Komposition von Thomas Cornelius Desi verwandelten sich drei nacheinander gelegene Räume des Wuk sowohl in eine kalte Eislandschaft als auch in einen Sitzungssaal.
Nach einem Raumwechsel wurde das Publikum aufgefordert, selbst nach eigenem Gutdünken Texte nach vorhandenem Material, das auf den Tischen auflag, zu deklamieren. Laut oder leise, singend oder brüllend, je nachdem, wie man gelaunt war. Die daraus resultierende Kakofonie war beabsichtigt, ein Unisono-Summen sicherlich auch, wenngleich es während der Vorstellung völlig unbeabsichtigt erschien. Es erklang nach dem Satz „Wer gerettet werden soll, soll summen“ – und vereinte das Publikum ad hoc in seiner Zustimmung und wohl auch Hoffnung auf solch eine Rettung. Es blieb jedoch nicht nur bei diesem kurzen, wenngleich höchst beeindruckenden und berührenden gemeinsamen Erlebnis.
Kunstschnee (Foto: Barbara Pállfy)
Die von Beginn an verwendete Eismetapher wurde unterstützt durch einen Skifahrer mit pantomimischen Qualitäten (Roman Maria Müller) und der Sopranistin Manami Okazaki, die in einem blütenweißen Kimono und weißer Skihaube auftrat. Eine sich ausdehnende Schneewand in Form eines aufblasbaren, weißen, amorphen Gebildes, das im Laufe der Zeit anwuchs, unterstrich das kalte Setting. (Objekte Laurenz Steixner, Markus Rupprecht). Fünf Musizierende interpretierten Desis Komposition, für E-Gitarre, zwei Kontrabässe und zwei Bassklarinetten. Lediglich das Tongeschlecht und die Stimmung (z.B. brilliant, heavy, airy), konnte man während der Aufführung von einer Videoprojektion (Peter Koger) ablesen, aber zugleich auch spüren, dass den Musikerinnen und Musikern ein großer, eigener Gestaltungsrahmen zugestanden worden war. Auch die Texte, die Okazaki sang und rezitierte, konnte man auf Deutsch mitlesen, wenn man wollte. Sie changierten zwischen der Erzählung einer schicksalhaften, jedoch misslungenen Beziehung und einem dystopischen Blick in die Zukunft. Was sich anfänglich als reine Beziehungsgeschichte anfühlte, wurde im Laufe des Abends immer mehr zu einer Betrachtung unserer Umwelt, in der sowohl unsere Gesellschaft als auch die Natur, die uns umgibt, von Eis überzogen erschien.
Abgelöst wurde die kalte Atmosphäre durch ein Video, in welchem Müller mit seinen Skiern in einer schneelosen Landschaft zu sehen war. Rhythmisch von schnell und unleserlich bis hin zu langsam und lesefreundlich war dieses Video mit einer Textzusammenfassung von Hölderlins „Empedokles“- Dramenskizze unterlegt. In dieser verabschiedet sich der griechische Dichter freiwillig vom Leben und stürzt sich in den Ätna. Die Sopranistin Samaan Gholami begleitete singend den Kunstfilm mit einer Farsi-Übersetzung des Textes und animierte schließlich das Publikum, wie schon einmal zuvor, den Raum zu wechseln. Zurückgekehrt in jene Umgebung, die anfänglich mit Eis und Schnee konnotiert war, tauchte man abermals in dieses Setting ein. Mit einem Unterschied: Die nun verbreitete Atmosphäre unterschied sich grundsätzlich zu jener von Beginn der Vorführung. Den Bewegungen des Tänzers folgend, begannen viele Besucherinnen und Besucher der Vorstellung sich ebenso fließend und langsam zu drehen oder sich im Takt zu beugen und strecken. Überwunden schienen in diesem Moment abstrakte Gedanken und diskursive Anstrengungen. Vielmehr herrschte jetzt das Gefühl vor, sich in einer beruhigenden Soundkulisse gemeinschaftlich harmonisch zu bewegen und dabei so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu empfinden.
Das explizit als Mitmachtheater konzipierte Stück bot eine große Bandbreite an unterschiedlichen, theatralischen Erfahrungen. Die Interpretationen dürften ebenso breit gefächert sein wie die Eindrücke, die man auf ganz individuelle Art sammeln durfte. In den kommenden drei Jahren sollen weitere Experimente dieser Art folgen.
Im Dunkel des Saales wird eine Männerstimme hörbar. Sie erzählt davon, dass das Gesprochene eigentlich das Ende eines Briefes sei; eines Briefes, der nie abgeschickt wurde, aber dennoch einmal geschrieben werden wird. Kurz darauf wird seine Stimme von einer Frau visuell begleitet, deren Portrait auf einem Video erscheint. Während der Mann spricht und auf Ukrainisch ein längeres Gedicht rezitiert, beginnt sie, sich mit lautmalerischen Geräuschen in einer unbekannten Kunstsprache auszudrücken. Obwohl man – wenn man nicht Ukrainisch spricht – weder dem Inhalt der Männerstimme folgen kann noch genau weiß, was die Frau sagen will, bekommt man ein Gefühl, dass das, was hier vermittelt werden soll, aus Erfahrungen resultiert, die schmerzhaft sind.
Tatsächlich ist der Titel „Chornobyldorf. Archeological opera“ bereits ein Hinweis darauf, dass eine Referenz dieser neuen Oper die Tragödie von Tschernobyl ist. Die Kombination mit dem Substantiv-Anhang ‚dorf‘ kam zustande, da das Ensemble zu Beginn der Arbeit Zwentendorf und seine Umgebung besuchte. Das nie in Betrieb genommene Kernkraftwerk in Österreich und jenes in der Ukraine, dessen Baubeginn 1970 war, also noch vor der Unabhängigkeit des Landes, veranlasste die ukrainischen Kulturschaffenden zur Idee einer globalen Sichtweise auf das Thema Kernkraftwerk und dessen dystopische Auswirkungen; unabhängig davon, wo diese Meiler stehen, stellen sie eine grenzübergreifende Bedrohung der Menschheit dar.
Die Oper spielt zwischen dem 23. – 27. Jahrhundert, in einer Zeit, in der wir längst Geschichte sind und verschwunden sein werden. Sie geht von der Annahme einer weltumspannenden Katastrophe aus, in der sich die Überlebenden erneut ihrer Identität bewusst werden müssen. In einer Zukunft, in der neue Rituale erschaffen werden und dennoch all das, was zwischenmenschlich in Gesellschaften abläuft, bewusst oder unbewusst auf historische Vorbilder zurückgreift.
Die sieben Kapitel, die ohne Pause, aber doch erkennbar, ineinander übergehen, tragen die Überschriften: Elektra, Dramma per musica, Rhea, The little Akkorden girl, Messe de Chornobyldorf, Orfeo ed Euridice sowie Saturnalia. Damit greifen die beiden Komponisten Roman Grygoriv und Illia Razumeiko einerseits große griechische Mythen auf, die zum primären Nährboden der europäischen Kunstproduktion wurden. Andererseits verweisen sie direkt auf slawische Musiktraditionen. Diese künstlerische Verzahnung, in der unterschiedliche musikalische Stilmittel verwendet werden, macht eines klar: Die Menschen, die hier auf der Bühne stehen und all jene, die an dieser Oper arbeiteten, verstehen sich zutiefst Europa zugehörig. Die aktuelle Diskussion, die Ukraine in die EU aufzunehmen, wird in den historischen Bezügen, die hier hergestellt werden, quasi kulturhistorisch legitimiert. Aber auch das, was Europa ausmacht, die Individualität der Länder und ihre darin befindlichen, unterschiedlichen Ethnien, kommt vehement zum Ausdruck. Immer wieder werden historisch-musikalische Zitate – umgewandelt in moderne Klangbilder – von bosnien-herzegowinischen und ukrainischen Volksweisen abgelöst. Klage- aber auch Hochzeitslieder werden dafür angestimmt und in ihrer typischen Melodieführung gesungen. Unisono-Linien trennen sich in eine kurz hörbar werdende Mikrotonalität, die jahrhundertealt ist und dennoch neu und frisch klingt. Sich davon ablösende, schon beinahe rein empfundene Sekunden, sowie anschließende Septsprünge verstärken den emotional-schmerzlichen Ausdruck. Mahler’sche Akkordabfolgen, chorisch gesungen, und eine Fuge von Bach, die außer Rand und Band zu geraten scheint, legen eine musikhistorische Spur in jenen Kern Europas, der vom Barock bis ins vergangene Jahrhundert im wahrsten Sinn des Wortes tonangebend war.
Auf all dies trifft eine Füllte von neuem Klangmaterial: schräge Saitenklänge, unterschiedlichste, zum Teil stark akzentuierte Rhythmen, gespielt auf einem Percussion-Konstrukt, das aus verschiedenen Fundstücken zusammengesetzt wurde (Evhen Bal), sowie elektronische Ergänzungen, die Windstimmungen oder ein bedrohliches, undefinierbares Dröhnen hörbar machen.
Chornobyldorf (Foto: Anastasiia Yakovenko eSel)
Eine rasche Abfolge von Bildern, unterstützt durch Video-Einspielungen, auf welchen fragile Menschenfiguren in ukrainische Landschaften zu sehen sind, häufige Personen- und Kostümwechsel sowie die Erzeugung von emotionalen Wechselbädern, bewirken eine Fülle von theatralen Ereignissen, die wie ein Tsunami über einen schwappen. Zugleich wird man in das zum Teil somnambule Geschehen derart sogartig hineingezogen, dass es einem schwerfällt, die kognitiven Fähigkeiten über die eigenen, starken Empfindungen zu stellen.
Die beinahe surreal, zugleich jedoch hochromantisch anmutende „Krönung“ einer jungen Akkordeonistin, unterstützt durch eine den Raum erweiternde Videoeinspielung, wird von religiösen Klängen und Bildern abgelöst. Ein passendes, in einem klassisch-harmonischen Gefüge gesungenes Agnus Dei wird durch ein ebensolches, jedoch explosiv-punkartiges unterbrochen. Schockartig befindet man sich im Hier und Heute, in einem Zustand, in dem Romantik keinen Platz mehr findet. Die Grablegung von Euridice, das Lamento ihres Orpheus wird in einer bildstarken Choreografie umgesetzt, in welcher die Nacktheit der Beteiligten besonders ihre Zerbrechlichkeit und ihr Schutzbedürfnis hervorhebt. Den Ausklang bildet eine saturnalische Orgie, um ein auf den Kopf gestelltes Papp-Portrait von Lenin. Alles, was sich an unaussprechbaren Gefühlen und Leid zuvor angesammelt hat, alles, worüber man schwer sprechen kann, löst sich in dieser wilden, ausgelassenen Szene auf, in welcher man selbst gerne mittanzen würde. Dass das Ende mit seinem Windgeräusch an den Beginn der Produktion erinnert, mag wohl einen ewigen Kreislauf symbolisieren. Einen Kreislauf, in dem das existenziell Menschliche letztlich immer und immer wieder gelebt, aber auch neu erfunden wird, ja erfunden werden muss. Wenn nichts mehr so ist, wie es einmal war, dann muss auf das zurückgegriffen werden, was tief im Menschsein schlummert, aber auch das, was ihn als Lebewesen auf der Erde auszeichnet. Er ist ein Wesen, das sich ständig neu formiert und anpasst und dennoch seine vermeintlich gekappten Wurzeln in sich trägt.
Niemand der Künstlerinnen und Künstler hätte sich, als die Oper entstand, träumen lassen, dass so viel davon, was in ihr gezeigt wird, einen aktuellen Bezug erhalten würde. Die Kriegsgräuel und das Leid, das derzeit in der Ukraine herrschen, schwingen in der Rezeption im Moment stark mit. Die Bedrohung der Erde durch den technischen Fortschritt, hybride Menschenformen, die sich in Kunstgattungen üben, die von ihnen dennoch niemals beseelt werden können, auch das beinhaltet „Chornobyldorf“. Es ist zu wünschen, dass die Oper nach ihrer Uraufführung in Rotterdam und der zweiten Station im WUK in Wien, anlässlich der ‚Musiktheatertage Wien‘, noch viele weitere Stationen erleben darf. Und es ist zu wünschen, dass das Ensemble dabei vom Publikum übermittelt bekommt, dass eine Arbeit wie diese gerade in schwierigen Zeiten eine ist, die gebraucht wird, mehr noch: auch zum Überleben beiträgt. Angesichts der Brutalität der Geschehnisse meinte beim Publikumsgespräch eine Sängerin, sie sei nicht mehr davon überzeugt, dass das Theater etwas bewirken könne. Zu sehr stünde das Erlebnis von Gewalt, die alles verdrängt, dieser Idee diametral gegenüber.
Die Aussage „vita brevis, ars longa“ möge ihr und dem Ensemble einen kleinen Shiftwechsel ermöglichen. Sie möge ihnen einen Hoffnungsschimmer bieten, dass die Kunst das Leben überdauert und somit auch diese, ihre Produktion. Sie wird späteren Generationen einmal – in welcher Art und Weise auch immer – zur Verfügung stehen und einen Einblick in jene aktuelle Gegenwart bieten, die für die ukrainische Bevölkerung, aber auch alle anderen, leidenden Beteiligten, so schwer zu ertragen ist.
„Zeit. Vergänglich“ – Opern der Zukunft 2022 – so nannte sich der Generaltitel des Abends, an welchem vier Kurzopern zur Aufführung kamen. Der Titel bot eine kluge thematische Klammer für die Arbeiten, die sich allesamt nicht in die Verordnung einer bestimmten Zeit fügten.
Morgen 6:58
„Morgen 6:58“ von der Komponistin Jeeyoung Yoo (Absolventin von Beat Furrer & Franck Bedrossian) und der Librettistin Sanghwa Park führte drei unterschiedliche Charaktere vor, die jedoch genauso drei innere Stimmen ein- und derselben Person sein können. „Ge“, gesungen von Melis Demiray, versprühte dabei einen ausufernden Optimismus und verkörperte die Lebenslust eines jungen Mädchens, das trotz widriger Umstände das Leben ausschließlich positiv annimmt.
Justina Vaitkute hingegen personifizierte als „Bu“ genau das Gegenteil. Unfähig, aus dem Bett zu kommen, lamentierte sie über die Schwere des Lebens und verfiel dabei in beinahe eselsgleiche Schmerzensrufe.
Harald Hieronymus Hein hingegen als „Mu“ gab einen jungen Menschen mit neutraler Lebenseinstellung nach dem Motto: Nicht zu viel hoffen, nichts erwarten, alles nehmen, wie es kommt.
Die musikalische Umsetzung begann und endete mit Luftgeräuschen der Blasinstrumente, die wie ein kurzer, musikalischer Prolog und Epilog wirkten. Der Stimmeneinsatz zeichnete sich über weite Strecken durch Sprechgesänge aus, die zum Teil kunstvoll denselben Text leicht versetzt rezitierten. Die unterschiedlichen Stimmlagen wurden von Instrumenten unaufdringlich unterstützt. Flöten und Geigen waren bei Melis Demiray vorherrschend, dunkle Bläser bei Justina Vaitkute und Posaunen begleiteten Harald Hieronymus Hein. Das Bühnenbild – drei nebeneinanderstehende Kingsize-Betten in unterschiedlichen Farben, unterstützte einen beinahe eingefrorenen Zeitmoment, eingefangen zwischen schlafender Inaktivität und morgendlicher Aufwachphase und einer Uhr, bei der sich der Zeiger im Laufe der Kurzoper nur um 1 Minute weiterbewegte.
Für „The Patron Saint of Liars“, einem musikalischen Satyrspiel von Sinan Samanli (Student von Beat Furrer) sang das Ensemble in türkischer und englischer Sprache. Dafür verwendete der Komponist Textstellen aus dem Roman „Das Uhrenstellinstitut“ von Ahmet Hamdi.
Die Geschichte zeigt die Entstehung und Verbreitung von sogenannten „Fake News“ auf, die schließlich nicht nur von jenen geglaubt werden, für welche sie gemacht wurden, sondern letztlich sogar jenen logisch erscheinen, die sie produzieren. Mit einer völlig surrealen Komponente kippt die Erzählung in ein Ende, in welchem ein Bild erzeugt wird, das an das letzte Abendmahl erinnert. Vibeke Andersen schuf für alle vier Kurzopern die Bühnenbilder. Hier gestaltete sie ein altmodisches Büro mit einzelnen Arbeitstischen, bevölkert von grauen Arbeitskräften (Kostüme Mareile von Stritzky, ebenfalls für die Ausstattung des Abends zuständig), die stupiden Arbeiten nachgehen müssen; solange, bis der Institutsleiter Hayri von Zweifeln über das eigene Tun geplagt wird.
Felix Heuser überzeugt in der Rolle sowohl stimmlich als auch mit einer ausgeprägten, schauspielerischen Leistung und bietet seinem Vorgesetzten Halit – Thomas Essl, einen scharfen Widerpart. Ana Caseiro Vieira, Ellen Kelly, Johannes Wieners und Harald Hieronymus Hein haben sowohl klanglich sehr interessante Chorpassagen als zum Teil auch solistische Aufgaben zu meistern. Die sehr komplex gesetzte Partitur erfordert exakteste Stimm- und Instrumentaleinsätze. Eine herausragend gemeisterte Aufgabe von Leonhard Garms, der das PPCM-Ensemble – die Masterklasse des Klangforum Wien an der KUG – leitete.
Das dritte Stück des Abends „Solus“ – Bild einer gebrochenen Frau – komponiert von Ármin Cservenák (Student von Beat Furrer), hielt den Sängerinnen Corina Koller, Samantha Baran und Justina Vaitkute höchst anspruchsvolle Aufgaben bereit. Das Libretto ist aus Gedichten von Rilke und Nietzsche zusammengestellt, für das letzte Bild steuerte Cservenák selbst den Text bei.
Die drei Frauen, die letztlich einen einzigen Charakter wiedergeben, erzählen und singen von den Schmerzen einer unerfüllten Liebe, die am Schluss in den Wahnsinn kippt. Dabei glänzte Corina Koller mit einem unglaublich fülligen, zugleich aber hoch lyrischen Sopran, den man ohne Übertreibung als atemberaubend bezeichnen kann. Stille Augenblicke, in welchen das musikalische Geschehen beinahe zum Erliegen kommt, wechseln sich mit furiosen ab, in welchen das Orchester förmlich tobt. In lange, flirrende Instrumentalpassagen wiederum brechen die Stimmen laut und brachial ein. Ganz im Gegensatz zu einem wunderbaren Terzett, in dem Cservenák die Stimmen kunstvoll miteinander verschränkt.
Glücklich, die wissen, dass hinter allen Sprachen das Unsägliche steht
„Glücklich, die wissen, dass hinter allen Sprachen das Unsägliche steht“ – ein Operncinema von Joan Gómez Alemany (Absolvent von Clemens Gadenstätter & Franck Bedrossian) bildete den fulminanten Abschluss der Kurzopernserie. Neben der cineastischen Verschränkung des Geschehens mit jenem auf der Bühne ist ein breit angelegter Instrumentaleinsatz für das Werk charakteristisch. Eine Gruppe von schwarz gekleideten Menschen hat sich offenbar zu einer Trauerfeier zusammengefunden.
Die Videoeinspielungen einer alten Frau in einem kleinen Haus in Spanien, bei der man sie sowohl beim Kochen, Nähen an einer Nähmaschine als auch beim Beten sieht, legen den Schluss nahe, dass die Menschen sich zu ihrem Begräbnis zusammengefunden haben. Bilder von Kircheninneren, aber auch Aufnahmen von kommunistischen Soldaten, die lachend Köpfe von geschändeten Kruzifixen in der Hand halten, vermitteln ein breites Spannungsfeld, das auch musikalisch hörbar wird. Tonmaterial, das – wie in einem Fall – die alte, mechanisch betriebene Nähmaschine hörbar macht, wechselt mit auffallenden Harmonien – just in dem Moment, in welchem auch das Wort „Harmonien“ im Text verwendet wird. Eine lange Klavierpassage mit romantisch angelegten, breiten Läufen steht im krassen Gegensatz zu wilden Tanzrhythmen und scharfen Fanfaren.
Die Texte stammen von Fernando de Rojas, Angelus Silesius, Rainer Maria Rilke – der im Moment wieder eine neue Blüte erlebt – Novalis, Friedrich Hölderlin, acht Namen von Komponisten, neun Worten der christlichen Liturgie, drei erfundenen Wörtern und einem Satz von Bertolt Brecht. Das Gesangsensemble mit Ana Caseiro Vieira, Samantha Baran, Felix Heuser und Harald Hieronymus Hein – alle schon in vorangegangenen Kurzopern im Einsatz – überzeugte sowohl stimmlich als auch schauspielerisch.
Diese Art, Komponierende mit kurzen Werken zu präsentieren, fördert ein über den Abend hinaus anhaltendes Interesse an ihnen. Für die Studiobühne wäre der Einbau eines Belüftungs- oder Klimasystems sehr wünschenswert. Nicht nur für die Musizierenden, sondern auch für das Publikum.