Die Antilope – das rätselhafte Wesen

Von Michaela Preiner

„Die Antilope“ (Foto: Armin Bardel)
15.
November 2017
Der Komponist Johannes Maria Staud und der Literat Durs Grünbein schufen gemeinsam eine Oper mit dem Titel „Die Antilope“.

Uraufgeführt wurde das Stück „Die Antilope“ bereits 2014 in Luzern. Wien Modern und die „Neue Oper Wien“ brachten es in der Halle E des Museumsquartiers zur österreichischen Uraufführung. Regie führte, wie bereits in der Schweiz, Dominique Mentha. Die Geschichte, gemeinsam von Staud und Grünbein entwickelt, erzählt surreale Begebenheiten im Leben eines Menschen, dem antilopische Züge zugeschrieben werden.

Wobei dieser sich gar nicht als Antilope, sondern viel mehr als ein Außenseiter einer Gesellschaft präsentiert, die ihm nichts zu sagen hat und umgekehrt. Das vermeintliche „Antilopisch“, das er spricht, stellt sich als Mischung unterschiedlicher Sprachen, als Kauderwelsch unterschiedlicher Begriffe, aber auch tatsächlich als reine Kunstsprache heraus und kann auf den seitlich angebrachten Bildschirmen synchron mitgelesen werden.

Der Tod eines Unternehmers, der bei seiner eigenen Firmenfeier mit Nasenbluten zusammenbricht, löst schließlich auch den vermeintlichen Suizid des Antilopenmenschen aus, der sich aus dem 13. Stock stürzt. Wie durch ein Wunder findet er sich in der nächsten Szene aber in einem Traumland wieder, in dem mehrere Frauen auf die Erlösung durch einen Mann warten und ein Kind – erkennbar als Antilopen-Alter-Ego – mit diesem zumindest kurz ins Gespräch kommen möchte.

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„Die Antilope“ (Foto: Armin Bardel)

Ein Zusammentreffen mit einer alten Frau, die ihn auf ein abstraktes Kunstwerk aufmerksam macht, wird schließlich für den Antilopen-Menschen entscheidend. So wie er, spricht dieses Kunstwerk ebenfalls in seiner Sprache und rührt mit einer kunstvollen Arie zutiefst sein Herz.

Ein Theaterzauber macht es möglich, dass sich in der nächsten Szenerie die Antilope im Zoo wiederfindet und dort verspürt, was es heißt, unter seinesgleichen zu sein. Zumindest für wenige Augenblicke, denn schließlich verführen ihn seine ehemaligen Firmenkollegen und -kolleginnen wieder, mit auf die Feier zu kommen, bei der das Geschehen seinen Ausgang nahm und wieder von vorne beginnt.

Dada und Surrealsimus als Blaupause

Der Kreis der Absurdität schließt sich – ohne dass sich die Rätsel rund um das Stück lösen. Anklänge an die Dadaisten sind unüberhörbar und folgen einem Trend, der in den letzten Jahren diese Kunstrichtung wieder verstärkt in den Fokus rückte. Auch surreale Traumsequenzen erinnern an eine Kunstproduktion, die nun beinahe schon 100 Jahre alt ist und für die zeitgenössischen Kreativen offensichtlich nichts an Faszination eingebüßt hat. Dies wundert überhaupt nicht, kann doch die Instabilität nicht nur der politischen Lage in vielen Ländern, sondern auch der Zustand der Natur als dermaßen herausfordernd empfunden werden, das rationale Antworten darauf auch in Opernproduktionen nicht ausreichend erscheinen.
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„Die Antilope“ (Fotos: Armin Bardel)

Stauds Musik steht nicht nur auf zwei, sondern auf vielerlei Beinen und verleiht der Oper damit viele, schillernde Klangfacetten. Seine Arien sind meist atonal angelegt, spiegeln aber die Seelenzustände der jeweiligen Figuren gut wieder. Zwei ganz tonal angelegte Einschübe – eine Rumba und ein Slow-Fox sind so instrumentiert, dass das Klangbild eine Mischung aus Goran Bregovics „Wedding and funeral orchestra“ und Unterhaltungsmusik der 30-er Jahre erzeugt. Äußerst feinsinnig setzte Staud die Chöre, die ohrenschmeichelnd über die Bühne schwappen, ganz im Gegenteil zu einem breit angelegten Percussionsapparat, in dem nicht einmal klingende Champagnerflaschen fehlen. Einspielung von Vogelgezwitscher und Wasserrauschen, aber auch elektronische Klänge zeigen, wie groß die kompositorische Vielfalt Stauds in diesem Werk angelegt ist. Walter Kobera stand am Dirigentenpult und leitete souverän den Wiener Kammerchor und das amadeus-ensemble-wien.

Ingrid Erb schuf Kostüme wie die konformistischen „kleinen Schwarzen“ und die Anzüge für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens und deren kontrastierende, tierische Kopfbedeckungen. Die Frauen in der Traumzeit tragen retro angelegte Kostüme wie in den 30er-Jahren, was als Hinweis für die Zeitlosigkeit des Themas ausgelegt werden kann. Von den leeren, stark abstrakten Räumen fasziniert das Anfangs- und Schlussbild in grellem Gelb und Schwarz, das, mit den davor sitzenden „Tieren“, zumindest für wenige Augenblicke, auch ein wunderbar surrealistisches Gemälde ergibt.

Stimmlich herausragend präsentierten sich Wolfgan Resch als Antilopenmensch Victor und Elisabeth Breuer mit ihrer Skulpturenarie, die nichts an Geschmeidigkeit und Klarheit vermissen ließ.

Die „Antilope“ kann als Parabel auf das Ausgestoßensein eines Außenseiters genauso gelesen werden wie auf die heilende Kraft der Kunst – oder beides gleichzeitig. Es ist eine Oper, die sich der aktuellen Zeit entzieht, zugleich aber dennoch hoch aktuell ist und bei der Premiere vom Publikum sehr warm aufgenommen wurde.

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