Kaum da, schon ist sie wieder weg, unsere Erde

Kaum da, schon ist sie wieder weg, unsere Erde

Ist es heute noch möglich, ein Stück, ausgestattet mit einer gehörigen Portion Humor, bei dem man sich richtig auf die Schenkel klopfen kann zu schreiben, das dennoch Tiefgang hat? Was sich anhört, wie die Quadratur des Kreises, ist der deutschen Autorin Nele Stuhler gelungen. Der Titel des Stückes – bitte festhalten – lautet:

Gaia rettet die Welt (Gaia rettet sich selbst) (Oder auch: (Wie alles so geworden ist Wie es ist) (Bzw. dann auch noch: Wie es vorher war Und wie es zwischendurch war)

Es dürfte wohl kaum jemanden geben, der diesen Titel nach dem ersten Mal Lesen flüssig und auswendig nachsprechen kann. Das muss man auch nicht tun. Man kann ihn auch sehr stark verkürzen und kommt mit „Gaia rettet die Welt“ auch einigermaßen gut über die Runden. Was er aber tatsächlich preisgibt, ist der Sprachduktus, mit dem das Stück ausgestattet ist. Über lange Strecken darf die Sprache mäandern, um Begriffe kreisen, diese negieren, von einer anderen Warte aus betrachten, um dann doch wieder zu ihrem Ursprung zurückzukommen. Das allein macht schon Spaß. Aber nicht zuletzt sind es doch die Figuren, von welchen man gar nicht genug bekommen kann als da wären:

Gaia, die Schöpferin der Welt herself, die aus einer Laune heraus das Menschengeschlecht schaffen will. „Etwas, das einmal stirbt“.

Zeus, der an Eitelkeit und Paarungswillen nicht zu übertreffen ist, beherrscht Blitze verströmend das Anfangsgeschehen. Dabei macht er sich an alles heran, was kreucht und fleucht, um die „Päckchen seines Samens“ so breit gestreut wie möglich zu verteilen.

Mythos, ein geschlechtsneutrales Wesen, das die Dinge beim Namen nennt und weiterträgt, sodass sie nicht in Vergessenheit geraten. Zu erkennen ist es am Outfit, auf welchem in großen Lettern der Auftrittstext prangt.

Prometheus, ein junger Nachwuchsgott, der Zeus gehörig herausfordert, jedoch noch ein wenig unbeholfen mit seiner göttlichen Macht agiert.

Pallas Athene – die von ihrem Vater prompt als „Kopfgeburt“ degradiert wird und nicht zu vergessen: die Sonne – in güldenem Gewande, stets bereit, zu strahlen.

Die Gesamtheit dieser Figuren ergibt eine Gesellschaft, bei der man sich nicht wundern braucht, dass so manches aus dem Ruder läuft. Thomas Frank darf als Zeus alle Schauspielregister ziehen, die es gibt. Eitel und vergesslich, etwas unterbelichtet und jähzornig, sich ständig in andere Wesen verwandelnd, unterhält es das Publikum ohne Unterbrechung. Martin Hemmer tritt als Prometheus in Hergottsschlapfen auf und sieht aus, als käme er gerade aus einer Drehpause von Monty Pythons „Das Leben des Brian“. So verwundert es nicht, dass es ihm genauso wenig wie Zeus zuvor gelingt, ein Menschengeschlecht zu erschaffen, mit dem man zufrieden sein kann. Doch als die Götterwelt plötzlich erfährt, dass es sie eigentlich gar nicht gibt, sie nur von den Menschen erdacht wurde, wendet sie sich ungläubig und zu Tode beleidigt ab.

Ab diesem Zeitpunkt heißt es Schluss mit lustig! Jetzt muss debattiert werden. Wer bestimmt was und vor allem, wer ist Schuld daran, dass die Welt so aussieht, wie sie heute aussieht? Ein netter Regiekniff von Maria Sendlhofer bezieht das Publikum in das Geschehen auf der Bühne ein und lässt es von dort aus am Weltengeschick teilhaben. Kurz nachdem die Götterdämmerung stattgefunden hat, geht es auch schon mit großen Schritten dem Weltuntergang entgegen. Nicht, ohne zuvor noch Gaia um Hilfe gebeten zu haben. Als dies nicht gelingt, wird fröhlich der Argumentationsspieß umgedreht und sie selbst zum Übel der Weltverschmutzung abgestempelt. „Du lässt alle immer machen!“

Dass sie in einem Schlussmonolog an sich zu zweifeln beginnt und klarmacht, dass die Erde die Menschen keineswegs benötigt, löst all das, worüber vorher so herzlich gelacht werden konnte, in Luft auf. Versöhnlich und berührend ist dennoch eine ihrer letzten Aussagen: Die Widersprüchlichkeit, die sie für sich ausmacht, ist auch jene Eigenschaft, die den Menschen kennzeichnet. Nichts ist nur gut und böse, nichts nur schwarz und weiß.

Was bleibt, ist die Erinnerung an einen spritzig-witzigen Theaterabend mit einem fulminanten Ensemble und der Wunsch, den geistreichen Text ganz in Ruhe nachlesen zu können. Am besten, noch bevor die Welt demnächst untergeht.

Okan Cömert, Thomas Frank, Martin Hemmer, Hannah Joe Huberty, Aline-Sarah Kunisch, Karola Niederhuber und Helena Vogel begeistern von Anfang bis zum Ende. Tanja Maderna schuf die witzigen, zeitgeistigen Kostüme und die reduzierte Bühne, mit einigen wenigen Versatzstücken.

Die Evolution und ihre physische Hinterlassenschaft

Die Evolution und ihre physische Hinterlassenschaft

„Knochen und Steine“ sind zwei Substantive, die alles andere als Wärme und Geborgenheit ausstrahlen und die man nicht unbedingt gleich miteinander in Verbindung bringt. Und doch sind sie, wie Claudia Bosse in ihrer neuesten Arbeit aufzeigt, untrennbar miteinander verbunden. „Bones and Stones“ erlebte seine Uraufführung in der Halle G des Museumsquartiers und soll – so die Theatermacherin – demnächst auch in die freie Natur übersiedeln. Das ergibt Sinn, denn Thema der Performance ist das Verhältnis des Menschen zu seinem knöchernen Innenleben, aber auch zur Natur mit ihren steinigen Ausformungen und der Evolution von der Erdentstehung bis heute.

Bosse arbeitet dabei mit sechs Frauen in einer Altersrange von 24 bis 75 Jahren, die sich während der zweieinhalbstündigen Aufführung zumeist nackt mitten unter dem Publikum bewegen. Man darf mit dem Ensemble mitwandern, oder sich auch weiter von ihm entfernen. Welche Position man einnimmt, bleibt einem selbst überlassen, auch wie und wann man diese wechseln möchte. Tatsächlich aber folgen die meisten Menschen der Regie, die den Raum ganz ausnutzt und die Schwerpunkte der Aktionen beständig verlagert. Das Dunkel des Saales und die Teilbeleuchtung auf kleine, mit Ziegelsteinen markierte „Vulkane“, sowie der erste Auftritt der Frauen, beamt einen in eine Zeit, lange noch bevor der Mensch als Spezies selbst die Erde beherrschte. Ausgestattet mit kleinen Knochen, Erweiterungen von Zehen und Fingern, agieren die Frauen als Wesen, die noch viel Tierisches an und in sich haben. Stumm werden sie – bis auf Ausnahmen – bis zum Schluss bleiben, ihr Habitus jedoch, wird sich permanent verändern.

Nachdem die kleinen Knöchelchen wie lästige Anhängsel erkannt und abgeschüttelt wurden, begibt man sich gemeinsam mit den Performerinnen auf die Nacherzählung der menschlichen Entwicklung, beginnend von der Prähistorie bis herauf in die Gegenwart. Es ist eine Erzählung ohne Worte, mit vielen Haltestationen. Solchen, die leicht zu fassen sind und anderen, die einen größeren Interpretationsspielraum zulassen.

„Bones & Stones“ – Claudia Bosse – Tanzqaurtier (Foto: Markus Gradwohl)

Da werden Körpermassen als eine am Boden platzierte Skulptur präsentiert, in der sich allmählich Leben zu regen beginnt. Erinnerungen an das Künstlerpaar Prinz Gholam wurden dabei ebenso wach wie an Arbeiten von Mette Ingvartsen. Tänzerisches und Ästhetisches aus der Bildenden Kunst halten sich hier gekonnt die Waage. Kurz nachdem sich die Frauen voneinander gelöst haben und nun als Individuen, mit langen Plastikschürzen ausstaffiert, agieren, verändern sich ihre lächelnden Gesichter. Der stark gestrafften Vertreibung aus dem Paradies, das die humanen Wesen noch unreflektiert, mit einem Lächeln auf den Lippen, erleben durften, folgt eine Aktion mit veritabler Menschenverachtung. Wer am Boden zusammensinkt, wird grob an Armen oder Beinen aus der ihn umgebenden Menschenmasse weggeschleift. Mit Fußtritten werden die Extremitäten der leblosen Körper so in Position gebracht, dass man diese ohne Hindernisse hinter sich herziehen kann. Ein Text begleitet den brutalen Akt mit dem Hinweis, dass es die Knochen der Leiber sind, die Spuren am Boden hinterlassen. Womit die Aufmerksamkeit auf die Körperlichkeit der Frauen gelenkt wird. Nicht aber auf jene Stereotype, auf die meist bei Frauen geachtet wird – auf ihr Gesicht, ihre Brüste, ihre Hüften. Vielmehr ist es nun das Skelett, das plötzlich ein starkes Attraktionsmoment bekommt. Verstärkt wird dies noch durch eine Szene, in welcher der Großteil des Publikums die sitzenden und stehenden Frauen von hinten betrachtet. Langsame Bewegungen mit Dehnungen nach links und rechts aus ihrer Mitte verdeutlichen die Biegsamkeit ihrer Wirbelsäule und rücken auch die Ausformung ihrer Schulterblätter gekonnt ins Licht.

Immer wieder stellen sich, während man der Performance folgt, Fragen nach der eigenen körperlichen Verfasstheit. Woher kommt man, was tragen wir in uns, was schon vor Jahrtausenden und Jahrmillionen von Jahren bereits da war? Wie verändert sich durch dieses besondere Sehen der Blick auf uns, aber auch der Blick auf andere? Welche Rolle spielen wir als Teil der Natur auf dieser Erde?

Dionysische Momente mit live gesungenen und gesprochenen Laut- und Sprachfetzen schieben das imaginierte Zeitrad kurz danach um Jahrtausende nach vor und lassen es irgendwo zwischen Industrialisierung und Wagner’schem Gralsmythos stehen. Der Klang von schweißtreibendem Hämmern auf großen Steinbrocken verschmilzt mit einer kräftigen Frauenstimme, die den Satz „reality exists of processes rather than material object“ mehrfach wiederholt. Der Soundlayer – von Beginn an genial von Günther Auer in vielen Facetten produziert – wird dichter und erreicht, auch durch die stimmliche Begleitung, ekstatische Ausmaße.

In der danach einsetzenden Stille durchquert die älteste Performerin, ausgestattet mit zwei Einkaufssäcken, den Raum und schüttet schließlich den Inhalt – blank polierte Schweineknochen – auf den Boden. Nacheinander suchen sich nun die Frauen einige aus dem kleinen Haufen heraus und tragen diese an andere Plätze im Raum, um sie dort neu anzuordnen. Mit der Zeit schwappt der archäologische Blick, mit welchem die Knochen zu neuen Gebilden zusammengesetzt werden, auch zum Publikum über. Nicht ausgelassen wird auch der Hinweis auf die Gefährdung und Zerbrechlichkeit der Natur. Zylindrische Glasbehälter, in welchen kleine Biosphären angesiedelt sind, vermitteln den Eindruck einer konservierten Natur in einer dystopischen Zukunft. Sie symbolisieren einen Restbestand dessen, woraus die Erde einst bestand.

Es wäre keine Arbeit von Claudia Bosse, würde sie sich darin nicht auch explizit mit dem Medium des Theaters auseinandersetzen. Und das tut sie mit einem Grande Finale. Darin evoziert sie mit einer schlafenden Frau an einem zirzensisch geschaffenen Ort ein Bild, das alles, was vorher zu sehen war, ins Reich der Träume verortet.

Mit Anna Biczók, Myrthe Bokelmann, Anita Kaya, Carla Rihl, Marcela San Pedro und Christa Zuna-Kratky agierte ein homogenes, zugleich aber auch diverses Ensemble. Die kluge, reine Frauenbesetzung ermöglichte es, Fragen nach männlicher und weiblicher Identität, Rivalität, Anziehung und Abstoßung nicht aufkommen zu lassen, was eine Konzentration auf das Humanum an sich bedeutete. Auf die Fortsetzung im Außenraum darf man gespannt sein.

Auf dem Trampolin zurück in die Vergangenheit

Auf dem Trampolin zurück in die Vergangenheit

Nun im Kasino am Schwarzenbergplatz unter der Regie von Sara Ostertag uraufgeführt, bietet die dramatisierte Fassung eine gute Möglichkeit, sich mit diesem traurigen Geschichtskapitel erneut zu befassen.

Was Edelbauers Text von den anderen beiden unterscheidet, ist eine zusätzliche Ebene, die das ohnehin schon im Dunkel Verborgene noch diffuser und ungreifbarer erscheinen lässt. Die Protagonistin, Ruth Schwarz, die ins Heimatdorf ihrer Eltern fährt, um die an einem Unfall Verstorbenen zu beerdigen, muss Aufputsch- und Beruhigungsmittel nehmen. Die Arbeit an ihrer Habilitationsschrift über die „Blockuniversumstheorie“, in der sie dem Zeitphänomen auf die Spur kommen will, geht nicht wirklich voran, denn familiäre Zerwürfnisse, aber auch ihre Tablettensucht stellen Hindernisse dar, die sie schon über eine längere Zeitspanne hin lähmen und nicht produktiv arbeiten lassen. Dieses Szenario bietet Edelbauer die Möglichkeit, alles, was in der Geschichte erzählt wird, interpretatorisch auch im Fiktionalen zu belassen. Das Publikum darf das Geschehen, wenn es möchte, als eine Halluzination oder einen Wachtraum der Hauptprotagonistin determinieren.

Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)

In der kleinen Siedlung angekommen, die weder auf einer Landkarte noch in einem Gemeindeverzeichnis auftaucht, wird sie rasch mit einer Vergangenheit konfrontiert, die das auf den ersten Blick idyllische Dorf im wahrsten Sinne des Wortes zu verschlingen droht. Die Befremdung über eine dort praktizierte Parallelgesellschaft, die einer Gräfin ein uneingeschränktes Herrscherrecht zubilligt, verwandelt sich im Laufe ihres Aufenthaltes in eine Art Mitläufertum. Dass Ruth Schwarz – in diesem Kontext ein in mehrfacher Hinsicht sprechender Name – letztlich nicht als Aufdeckerin, sondern als Kollaborateurin agiert, resultiert aus ihrem Bedürfnis, ihren eigenen Grund und Boden zu schützen: das Haus ihrer Eltern und Großeltern, das sie in Gross-Einland bezogen hat. Finanziert wurde es im Zuge eines Verleihkontraktes mit einem Zehentabschlag ihres Einkommens durch die Gräfin.

Die Autorin erschuf ein Gedankenkonstrukt, das hilfreich ist, das Schweigen und Vertuschen von Straftaten über mehrere Generationen hin nachzuvollziehen. Niemand hat ein Interesse daran, den eigenen Grund und Boden, die eigene Lebensgrundlage durch das Aufdecken von historischen Geschehnissen in Gefahr zu bringen. Die finanziellen Abhängigkeiten, wie sie in dem Stück ebenfalls aufgezeigt werden, tragen ein Weiteres dazu bei.

Die Regie arbeitet mit einem höchst reduzierten Bühnenbild und Kostümen, die zum Teil „vom Himmel fallen.“ (Bühne und Kostüme Nanna Neudeck). Zwei große Trampoline fordern die Schauspielerinnen Suse Lichtenberger, Katharina Pichler und Michèle Rohrbach und ihren Kollegen Rainer Galke körperlich heraus. Teilen sich die Damen die Rolle von Ruth und schlüpfen immer wieder auch in andere, wie einen Maskenverkäufer, der als „Handlungsreisender“ in einem Todesoutfit durch die Lande reist, eine junge Bibliothekarin, die die Gemeindechronik unter Verschluss zu halten versucht, oder den Bürgermeister, mit dem buchstäblichen Brett vor dem Kopf, verkörpert Galke in der Rolle der Gräfin nicht nur eine vermeintlich historische Ordnung. Der ausladende, schwarze Reifrock und die grell rot lackierten Fingernägel, bedrohlich zugespitzt, erinnern auch an eine giftige Qualle, der man lieber aus dem Weg gehen möchte.

Die Trampoline versinnbildlichen nicht nur den bedrohlich einsickernden Boden von Gross-Einland. Man fühlt auch den dicken Teppichflor, der im Gräfinnen-Schloss jegliches Wort zu verschlucken imstande ist und darf dank ihrer auch an den beherzten Freudensprüngen von Ruth Anteil nehmen. In einem jener wenigen glücklichen Augenblicke, die sie fröhlich und voll Zuversicht, endlich eine Heimat gefunden zu haben, am Trampolin auskostet. Die schauspielerische Leistung des Ensembles angesichts der parallelen sportlichen Betätigung darf nicht nur deswegen als herausragend bezeichnet werden. Paul Plut unterstützt das Geschehen als Live-Musiker am Klavier, mit einem Akkordeon, aber auch einer Art umgebauten „Saugeige“ – wie sie in Ost-Österreich am Land bei dörflichen, musikalischen Einlagen nach wie vor zu finden ist. Dass sich das Setting in einer historischen Schieflage befindet, erfährt man schon während des Einlasses, bei welchem Strauß’sche Walzer und Märsche in einem verzerrten Blasmusikarrangement leise zu hören sind.

„Das flüssige Land“ ist nicht nur ein unlösbarer Kriminalfall mit einem dennoch voraussehbaren, tragischem Ausgang für all jene, welche die Augen vor dem Unrecht verschlossen halten. Einem Unrecht, das sie über Generationen hin bedroht und auch zukünftig bedrohen wird. Es behandelt auch die Suche einer jungen Frau nach ihrer Identität, ihrem Wunsch nach Heimat und der Erkenntnis, gegen eine schweigende Übermacht nicht allein ankämpfen zu können. Ihre vermeintlich hilfreiche Entdeckung – ein Füllmaterial, das in die Hohlräume unter den Ort gepumpt werden kann – wird sich ob seiner toxischen Zusammensetzung letztlich als Naturkiller erweisen. Dass es Ostertag gelingt, diese Substanz zu veranschaulichen und sogar im Gräfinnen-Kostüm verschwinden zu lassen, ist nur ein Beispiel von mehreren, welches die Lust der Regisseurin zeigt, das Theater als einen Ort zu begreifen, in dem das geschriebene Wort höchst kreativ und sinnlich zugleich veranschaulicht werden kann. Mit dieser Arbeit lieferte sie einen gelungenen Einstand am Burgtheater ab.

Weitere Vorstellungen: Das flüssige Land

Schaurig schön und wunderbar humorvoll

Schaurig schön und wunderbar humorvoll

Der Regisseur Jan Christoph Gockel schuf gemeinsam mit Karla Mäder eine Fassung für das Grazer Haus und das Kunststück, eine derart lange Aufführungsdauer kurzweilig erscheinen zu lassen. Wen auch immer die Dauer abschrecken mag, dem sei die Angst genommen, sie ist unbegründet.

Gockel, der schon vor acht Jahren hier inszenierte, lieferte einen Abend ab, der alles beinhaltet, was gutes Theater heute bieten sollte. Einen interessanten Plot, ein gut besetztes Ensemble, aktuelle und regionale Textbezüge sowie die Inklusion von zwei Menschen mit Behinderungen, die für gewöhnlich nicht auf einer Bühne anzutreffen sind.

Dass Florian Finsterbusch und die taubblinde Tanja Hameter noch dazu mit Rollen ausgestattet wurden, die glaubwürdig schienen, zeugt nicht nur von Fingerspitzengefühl, sondern auch von dramaturgischem Können. Den inklusiven Ansatz findet der Regisseur zukunftsweisend und zugleich lehrreich nicht nur für das Publikum, sondern auch für das Ensemble. Und man muss ihm recht geben, denn noch ist es die Ausnahme, Diversität auf den Bühnen zu sehen.

Der Inhalt stammt im Großen und Ganzen aus der Serie von Lars von Trier, obwohl, wie der Regisseur angab, nur ca. 20 % von seinem Text übernommen wurden. In einem dänischen Krankenhaus treiben Geister ihr Unwesen, aber es menschelt auch kräftig in Liebesbelangen. Das Haus ist auch Treffpunkt für die Mitglieder einer Loge, der nur Ärzte angehören. Diese setzen sich für einen Pathologen ein, der eine Lebertransplantation an sich vornehmen lässt, bei welcher das neu verpflanzte Organ willentlich von einem großen Tumor befallen ist. Der Chefarzt des Hauses, ein selbstbewusster und despotischer Schwede, tyrannisiert seine Kolleginnen und Kollegen so lange, bis ihm bei einer OP ein Kunstfehler passiert und er dadurch erpressbar wird.

Das ausgefeilte Bühnenbild (Julia Kurzweg) und die Lichttechnik (Thomas Trummer) geben den Blick auf unterschiedliche Räume des Krankenhauses frei, aber auch auf einen Aufzug, mit dem man in die Hölle und in den Himmel fahren kann. Eine Live-Kamera begleitet einen auch in die „Unterwelt“ – in der sich ein Neurochirurg häuslich eingerichtet hat. Michael Pietsch bewegt nicht nur eine zarte, mädchenhafte Gliederpuppe, sondern kreierte auch einen riesenhaften Jungen, der sich am Ende als Erlöser des Bösen in diesem Setting erweist.

Bis dahin darf man über so manche Handlungsvolte staunen, über einzelne Charaktere herzlich lachen, aber auch Spaß an so manchem Regie-Einfall finden, der Bezüge zu Österreich oder noch enger – auch Graz herstellt. Auch der zweite Handlungsstrang, in welchem der Sohn des Klinikgründers mit allerlei Teambuilding-Maßnahmen versucht, das reichlich belastete Arbeitsklima zu verbessern, bietet eine Menge an witzigen bis skurrilen Momenten, in denen man sich auch selbst wiederfinden kann.

„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)

Mit einem wie aus der Zeit gefallenen Trauerzug, der hinter einem hölzernen Wagen hertrottet, gelang Gockel ein extrem starkes Bild, das auch mit Leichtigkeit Assoziationen in die Vergangenheit öffnet. (Kostüme Sopie du Vinag) Ein Mann aus dem Publikum erhält zu Recht ausgiebig Applaus, nachdem er unvorbereitet auf der Bühne mit Bravour eine menschliche Marionette dargestellt hatte. Es sind der Regie-Einfälle und der Aufzüge viel zu viele, um alle beschreiben zu können. Live-Musik, aber auch eine Soundbegleitung, bei der man Gänsehaut bekommen kann, tragen das ihre zum Erfolg dieses Abends bei. Keiner der Charaktere bleibt in einem bierernsten Stadium, alle bekommen ihre Risse, durch welchen ein Humor blitzt, der das Menschliche zum Vorschein bringt.

Dies, aber auch das extrem abwechslungsreiche Setting und eine Handlungsführung, die keinen Augenblick Langeweile aufkommen lässt, machen die Stärke dieses Abends aus.
Die Empfehlung des Hauses, erst ab 14 zu kommen, macht durchaus Sinn. Allen, die älter sind und einen richtig prallen Theaterabend erleben möchten, sei diese Inszenierung wärmstens empfohlen.

Mit: Tanja Hameter, Claudia Wolf-Straubinger, Beatrice Frey, Alexej Lochmann, Oliver Chomik, Andri Schenardi, Michael Pietsch, Franz Solar, Susanne Konstanze Weber, Florian Köhler, Lisa Birke Balzer, Raphael Muff, Evamaria Salcher, Rudi Widerhofer, Florian Finsterbusch, Matthias Ohner, Yves Ndagano, Kurt Zalac, Timo Neubauer

Das Elend kommt beim Nachdenken

Das Elend kommt beim Nachdenken

In einer Kooperation mit Institut für Schauspiel der Kunstuniverstität Graz treten neun Studierende den Beweis an, dass sich das Verfassen von Texten und ‚auf der Bühne -Stehen‘ nicht ausschließen. Dies aber nicht in einem postdramatischen Konstrukt, sondern vielmehr mit einem literarisch weltberühmten Textgerüst, das von den Mitwirkenden auf und hinter der Bühne ergänzt und damit auch umgestaltet wurde.

Unter der Regie von Lorenz Nolting spielt das junge Ensemble eine Crew auf einem Walfangboot schlicht so, als ob es ums Überleben ginge. Und tatsächlich ist dies auch das Haupttopos der Inszenierung. Die Jagd nach dem weißen Wal, der als Metapher unserer beschädigten Natur gesehen werden kann, ist der Ausgangspunkt eines aberwitzigen Wahnsinnsrittes durch Zeit und Raum. Dabei werden nicht nur Assoziationen zum Walfang freien Lauf gelassen, sondern zum Leben auf unserem Planeten an sich, das vielen nur mehr absurd und monströs erscheint.

Ganz ihrer Generation verpflichtet, aufgewachsen mit Computerspielen und großen Fernsehbildschirmen, mangelt es auch nicht an Visualisierung von fiktiven Flügen durch das All, Seite an Seite mit Elon Musk, vorbei an einer in Trümmern liegenden Welt, die man hinter sich gelassen hat. Die Sprachkaskaden lösen sich in einem rhythmisch kurz getakteten Staccato ab. Was man nicht sofort gedanklich erfasst, fliegt vorbei und hinterlässt dennoch keine Lücke. Zu dicht ist das Netz aus Text, Geräuschen und Musik gewebt, als dass man zum langen Nach-Denken kommt. Zu intensiv ist das abwechslungsreiche Geschehen zwischen der Jagd nach dem Wal, dem kollektiven Sturz aus einem 40-stöckigen Hochhaus und dem Schweben in der Schwerelosigkeit zu den Klängen des Donauwalzers.

Neben all den furiosen und oft mit grandiosem Spielhumor gespickten Szenen kommt dennoch eine heftige Portion Schwermut auf. Steht doch eine Generation auf der Bühne, die ein Leben vor sich hat, um das sie niemand beneidet, der auch nur alle fünf Tassen im Schrank hat. Die Zerstörung der ökologischen Systeme, die Sinnlosigkeit des Spätkapitalismus, die unstillbare Gier nach Ressourcen, die schon lange geschützt werden müssten – all das wird direkt oder indirekt angesprochen. Und all das liegt unter all dem Klamauk wie ein bleischweres Gedankengewicht, das nicht weggeschoben werden kann.

Dazu kommt, dass kurz vor dem Finale die Komposition von Philipp Glass für den Film „Koyaanisqatsi“ unter anderen Soundlayern herauszuhören ist. In diesem 1982 uraufgeführten Streifen wird die ökologische Zerstörung unserer Welt nur durch Bilder und dazu komponierter Musik im raschen Schnittwechsel gezeigt. Ein klein wenig Hoffnung erzeugt die Idee der Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing, die den japanischen Matsutake-Pilz als Sinnbild für eine neue Idee des Zusammenlebens postuliert. Das Verständnis, das alles mit allem zusammenhängt, sollte kommenden Generationen helfen, diese Welt weiter bevölkern zu können.

Lorenz Nolting hat mit dieser Arbeit eine fulminante Regie vorgelegt. Immer wieder lässt er das Ensemble dabei auch humorvoll die eigene Ausbildung reflektieren. Wie sie über ihre persönlichen Befindlichkeiten sprechen und dabei eine sichtbar gespielte Betroffenheit bei ihren Kolleginnen und Kollegen hervorrufen, erheitert sehr. Es ist gerade diese Balance zwischen kurzen Szenen, in welchen herrlicher Humor aufblitzt und solchen von tiefem Pessimismus, die das Stück so interessant macht. „Das Elend kommt beim Nachdenken“, ein Satz, der kurz nach Beginn fällt, dieses Elend wird dadurch glücklicherweise gemindert.

Albert Frühstück sorgte mit einem klugen, reduzierten und dennoch wandelbaren Bühnenbild und Videos für nachvollziehbare Seegänge gleichermaßen wie für spacige Flugabenteuer. Die farbästhetisch fein zusammengestellten Kostüme von Ida Bekič verdeutlichten den Wandel der Geschichte vom 19. Jahrhundert, in dem Moby Dick geschrieben wurde, in die Gegenwart.

„Moby Dick“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Cornelia Mercedes Dexl, Flora Udochi Egbonu, Kathrin Gast, Lilian Heeb, Hardy Emilian Jürgens,,  Lena Elsa Kolle, Fabian Reichenbach, Johanna Schwaiger, Chen Emilie Yan erhielten bei der Premiere zu Recht enthusiastischen und langanhaltenden Applaus. Es wäre erfreulich, wenn künftig häufig Kooperationen dieser Art zustande kämen. Zum Nutzen der Studierenden, aber auch des Publikums.

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