von Michaela Preiner | Feb. 6, 2025 | Allgemein, Ausstellung | Künstler
Medardo Rosso ist einer jener Künstler, der große Auswirkungen auf die Kunst des 20. Jahrhunderts hatte, jedoch von der kunstinteressierten Allgemeinheit bis heute meist unter dem Radar läuft. Geboren 1858 in Turin, gestorben 1928 in Mailand, war er nicht nur ein Individualist, was den Umgang mit Materialien betraf. Auch seine politische Meinung als „europäischer Anarchist“, dem Nationalstaaten ein Gräuel waren, war nicht gerade maingestreamt.
Nichtsdestotrotz oder besser gesagt, gerade deshalb, ist sein Werk außerordentlich und kann, was seine Ausstrahlung betrifft, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Im mumok sind insgesamt ca. 50 Plastiken, sowie ca. 250 Fotografien, Collagen und Zeichnungen in einer umfassenden Werkschau von ihm zu sehen. Im Erdgeschoß darf man zuallererst aber in einen Teil seiner Fotografien Einblick nehmen, die seine Arbeiten stets begleiteten. Dabei fällt auf, dass viele von ihnen beschnitten sind, kein Normmaß aufweisen und die Plastiken von Rosso nicht nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen. Es ist vor allem die unterschiedliche Beleuchtung, welche die einzelnen Arbeiten im wahrsten Sinn des Wortes in verschiedenem Licht zeigen. Sie erhalten dadurch immer wieder neue Wahrnehmungsaspekte, ein Umstand, den Rosso beabsichtigte und der ihn offenbar auch faszinierte. Bei der Betrachtung der Vitrinen, in welchen die Fotos lichtgeschützt zu sehen sind, ist eine gewisse Obsession unverkennbar. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Fotografie am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch etwas war, was nicht jedem und jeder zugängig war: Zu teuer war eine Kamera, zu kompliziert das Entwicklungsverfahren, das man selbst durchführen musste, unerschwinglich die Kosten für die Materialien.
Ecce Puer, post 1920 ca. (1906) Wachs auf Gips / wax over plaster 47 x 34 x 29 cm Photo: Galleria Russo, Rome Courtesy: Federico Fabbri, London
Ecce Puer, o.D / n.d. s/w Foto / b/w photograph 17,5 x 8,9 cm Museo Medardo Rosso, Barzio
Einige Motive wurden vielfach von Rosso fotografiert, darunter ‚Ruffiana‘ oder auch das feine Jungen-Gesichtchen ‚Ecce puer‘. Letzteres evoziert bei vielen Betrachtenden ad hoc Beschützerinstinkte, ein Indiz, dass die Arbeit mit einer hohen, dennoch aber subtilen emotionalen Ausdruckskraft ausgestattet ist. Bei der vollplastischen Ausführung der ‚Ruffiana‘, zu Deutsch ‚Kupplerin‘ werden automatisch Bezüge zu den Charakterköpfen von Franz Xaver Messerschmidt virulent. Der geöffnete Mund, bei Portraits lange Zeit ein absolutes No-go, sowie die Hervorhebung eines bestimmten affekthaften Zustandes überlappen sich hier mit Messerschmidts Ideen. Tatsächlich beeindrucken alle Werke von Rosso auch auf den Fotos durch ihre Lebendigkeit, die man wenige Schritte weiter, im zweiten Teil des großen Saales, direkt am plastischen Objekt betrachten kann.

Sailko, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons
In diesem, von einem durchsichtigen Vorhang abgeteilten Raum, wurden seine Plastiken auf Sockel gestellt, viele von ihnen ohne Glasschutz. Dabei fällt auf, dass die meisten von ihnen nicht vollplastisch ausgearbeitet wurden. Ihre Rückseite ist unbehandelt, Armierungen bleiben sichtbar und der Werkstoff, aus dem die Plastiken geschaffen wurden, tritt hier besonders in den Vordergrund.
Ob Gips oder Wachs, beide Materialien waren und sind bis heute für viele Kunstschaffende noch Zwischenstadien auf dem Weg zu fertigen Plastiken. Für Medardo Rosso jedoch waren sie Hauptträger seiner Ideen. Das Unfertige, aber auch der Gattungsbegriff des Bozzettos, des Entwurfes, können benannt werden, wenn es um die Charakterisierung seiner Arbeiten geht. Und tatsächlich vermitteln diese immer das Gefühl, aus dem Moment heraus entstanden zu sein, mit der Absicht, dieses ständig sich wandelnde Momenthafte dennoch festzuhalten.
Dazu kommt, dass Wachs, mit dem Rosso arbeitete, ein Material ist, das eine beinahe fleischliche Qualität aufweist. Es lässt sich nicht nur leicht formen, sondern alle Dellen, Vertiefungen und Erhöhungen lassen sich sinnlich nachspüren, ohne dass man die Plastiken berühren muss. Nichts, was der Künstler schuf, hatte den Anspruch von Monumentalität oder Ewigkeit, wenngleich das, was in Wien zu sehen ist, dennoch einen Ewigkeitsanspruch in der westlichen Kunstgeschichte erheben darf.
Medardo Rosso entschied sich bewusst, sogenannte „arme“ Materialien zu verwenden. Er wollte einen Gegenpol zu jenen Werken schaffen, die in Bronze gegossen, letztlich erstarren und nur mit Mühe für lebendig gehalten werden können.
Besonders bemerkenswert sind eine Reihe kleiner Bleistiftskizzen des Künstlers im 2. Stockwerk, in welchem die Ausstellung ihre Fortsetzung findet. Zum Teil an der Kippe zur Abstraktion, zum Teil aber gut lesbar, sind sie wahre Schätze des rasch Hingeworfenen, augenblicklich Festgehaltenen. Die hohe künstlerische Qualität rührt nicht allein vom flüchtigen Moment, in welchem sie entstanden, sondern auch aus der Sicherheit der Strichführung, der Beherrschung von Licht und Dunkelwiedergabe und der Konzentrierung auf das jeweilige Motiv. Ob elegante Damen, Männer im Park oder ein Pferd, eingespannt in ein Fuhrwerk – immer zeichnet Rosso strichsicher in kleinem Format, so als ob es nichts Wichtigeres gäbe, als dem Augenblick einen visuellen Ausschnitt zu entreißen, um diesen festzuhalten.
Neben diesem Zeichenkabinett ergänzen 50 zeitgenössische Arbeiten und solche aus dem vorigen Jahrhundert die Schau. Dabei sind große Namen wie Francis Bacon, Louise Bourgeois oder Edgar Degas ebenso vertreten, wie solche, die meist nur Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern bekannt sind. Die Auswahl wurde angesichts der verwendeten Materialien getroffen – Wachs ist häufig ein Thema. Aber auch die Momentaufnahme und der Bezug zu einer starken Körperlichkeit sind bei vielen Werken zu erkennen. Obwohl die Auswahl großzügig gestaltet und auch gut in Szene gesetzt wurde, sind es doch die Arbeiten von Medardo Rosso selbst, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Noch zu sehen bis 23. Februar 2025.
Ein ausführlicher Katalog mit vielen Abbildungen begleitet die Ausstellung, die vom 29. März bis 10. August 2025 ins Kunstmuseum Basel weiterwandert.
von Michaela Preiner | Jan. 28, 2025 | Theater
Die Teilnehmerzahl war mit 45 Personen ebenso beachtlich wie das Engagement, das alle mitbrachten. Die Gruppe Mooncats imponierte gleich zu Beginn mit ihrer Natürlichkeit und ihrer Bühnen-Unerschrockenheit in ihrem „Fire & Water“-Auftritt, gefolgt von den Freecats, die in außerterrestrische Welten entführten, um letztlich doch wieder glücklich auf unserem Planeten zu landen. So manchem Elternteil dürfte bei den Vorführung das Herz in die Hose gerutscht sein, agierten doch auch die Allerjüngsten in luftigen Höhen, als wäre dies das Natürlichste auf der Welt.

Evening of Wonders • „Duo-Straps“ (Foto: Mark Morgan)
Das Duo-Straps von Mirjam Heypke und Lydia Kremshuber setzte mit der Show „gew!cht?g“ das Thema Zug und Gegenzug künstlerisch-kreativ auf neue Art und Weise um. Zu einem epischen Soundlayer ließen sich die beiden Artistinnen mittels Flaschenzug gegenseitig liften und absenken, und schwebten – ästhetisch toll anzusehen – mithilfe ihrer eigenen Muskelkraft knapp über dem Bühnenboden.
Evening of Wonders • “Karelly Family” (Foto: Mark Morgan)
Evening of Wonders • “Karelly Family” (Foto: Mark Morgan)
Evening of Wonders • “Karelly Family” (Foto: Mark Morgan)
Abwechslungsreich ging es mit der Karelly-Family weiter. Lea als Barbie-Puppe und Tim als wagemutiger BMX-Fahrer wurden von ihrem Vater Lex in feinster Partnerakrobatik in unterschiedlichsten Posen gehoben. Eine Herausforderung nicht nur für den Herrn Papa, sondern gleichermaßen für die beiden Kinder, die mit ihren Auftritten bei den Veranstaltungen der Akrosphäre immer wieder ihre Fortschritte unter Beweis stellen.
Evening of Wonders • „Ariane Öchsner“ (Foto: Mark Morgan)
Evening of Wonders • „Ariane Öchsner“ (Foto: Mark Morgan)
Evening of Wonders • „Ariane Öchsner“ (Foto: Mark Morgan)
Beim Profi-Act „SechS“ von Ariane Öchsner, die als Allroundkünstlerin auch politische Performances und Researching betreibt, durfte man erleben, dass Ball-Jonglagen nicht nur mit Händen, sondern auch mit Füßen gezeigt werden können. Wenn sie sich liegend oder sitzend um die eigene Körperachse drehte und dabei weiße Bälle auf ihren Füßen in Balance hielt, war das Staunen des Publikums nicht nur spür- sondern auch hörbar. Sie zeigte damit eine grandiose, körperliche Leistung, bei der man die harte Arbeit, die dahintersteckt, leicht nachvollziehen kann.
Evening of Wonders • Aerial Silks Showkurs der Grazer Akrosphäre (Foto: Mark Morgan)
Mit dem Aerial Silks Showkurs der Grazer Akrosphäre: „Wir spinnen doch nicht!“ zeigten die Akrobatinnen, wie vielfältig das artistische Können mit Seidenbändern hoch in der Luft aussehen kann. Spektakulär dabei waren nicht nur die unterschiedlichen Wickel- und Abseilmethoden, sondern vor allem auch eine Partnerakrobatik zu zweit in der Luft. Eine zusätzliche Dimension, bei der deutlich wird, wie exakt und abgestimmt man agieren muss, um sich selbst und die Partnerin nicht zu gefährden und wieder heil auf den Boden zu bringen.Die Aerial-Silks-Artistin Le Wang gestaltete gemeinsam mit Alfredo Félix-Díaz, die Poesie und Tuchakrobatik: „City Birds“. Während Alfredo einen poetischen Text in Englisch rezitierte, schwebte die zarte Artistin hoch in der Luft und begleitete diesen mit rasch aufeinanderfolgenden, jedoch meditativ gesetzten Bewegungen. Kleine Wermutstropfen waren die sparsame Ausleuchtung ebenso wie die Tatsache, dass nicht alle im Publikum der ausgeprägt schönen lyrischen Form des Textes folgen konnten. Kleine diesbezügliche Adaptionen würden diesem ästhetisch und artistisch hochrangigen Act sicher guttun.
Gesang und Partnerakrobatik gleichzeitig auszuführen, dieser doppelten Herausforderung stellte sich das Entropy Ensemble. Mit „Der Tod und das Mädchen“ nach Franz Schubert verzauberten sie nicht nur mit ihrem akrobatischen Können. Vielmehr waren es eindringliche Bilder, wie jenes von der gefreezten, weiblichen „Kreuzabnahme“, die einen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Dramaturgisch war dieser Act sehr gut nach dem ebenfalls melancholischen „City bird“ platziert.

Evening of Wonders • „Anna Shtengel“(Foto: Mark Morgan)
Wie unglaublich vielfältig zeitgenössische Akrobatik ist, bewies Anna Shtengel mit ihrer Pole-Nummer „Free tob e a bum“. Einsockig und mit einem fetzigen Kostüm ausgestattet, zeigte sie eine muskelfordernde Nummer, bei welcher eine Drehung und eine neue Bewegunskaskade der anderen an der Stange folgte. Kraft und Ästhetik beherrschten gleichermaßen den sehenswerten Auftritt von Nobodystigershoe, wie sich die Artistin auf Instagram nennt.
Evening of Wonders • „Franz Fanfare“ (Foto: Mark Morgan)
Evening of Wonders • „Franz Fanfare“ (Foto: Mark Morgan)
Joe Hofbauer, alias Franz Fanfare kickte das Publikum mit seiner Clownerie „Schifoan“ in seine kreative Welt, in der sich ein skurriler Wintersportler seine Ski auf andere Art und Weise umschnallte. Neben den Moderationen von Lex und Tim (Lex Karelly und Tim Liebisch) steuerte er mit seinen Clownerie-Einlagen immer wieder humorige Augenblicke bei.
Evening of Wonders • “Sophie and Lenni from OneTwoMany Collective” (Foto: Mark Morgan)
Evening of Wonders • “Sophie and Lenni from OneTwoMany Collective” (Foto: Mark Morgan)
Sophie and Lenni from OneTwoMany Collective holten bei ihrer Partnerakrobatik „In This Together excerpt“ auch Publikum auf die Bühne. Besonders spektakulär war dabei jener Part, in welchem sie Figuren aus dem Eiskunstlauf umsetzten. Dabei wurde Sophie von Lenni derart furchterregend mit Schwung knapp über dem Boden gedreht, dass ein angstvolles Publikumsraunen zu hören war. Die beiden zeigten Partnerakrobatik auf allerhöchstem Niveau, das nur durch lebenslanges Training so ausgeführt werden kann.
Evening of Wonders • „Michaela Robnik“(Foto: Mark Morgan)
Auch der allerletzte Act des Abends faszinierte durch eine artistische Körperbeherrschung der Sonderklasse. Michaela Robniks Aerialhoop „When the sun goes down“ kombinierte Reifen- mit Luftakrobatik. Ihre Auf- und Abwärts-Pirouetten mit dem Reifen, ihre mannigfaltigen Posen in der Luft, während sich der Reifen drehte, lösten allgemeine Bewunderung aus. Auch die Geschwindigkeit, mit der sie ihre Bewegungen ablöste, zeigte, dass sich die Artistin derzeit wohl auf dem Höhepunkt dieser zirzensischen Darbietung befindet. What a show!
Evening of Wonders • Team der Akrosphäre (Foto: Mark Morgan)
Das Team der Akrosphäre wird wachsen – denn in den kommenden Monaten geht für den Verein ein langjähriger Wunsch in Erfüllung. Mit dem Bezug einer 180qm großen Halle, plus einer Galerie und einer großen Terrasse im Tagger-Gelände, soll das gesamte Kurs- und freie Trainings-Programm dorthin verlagert werden. Damit kann das Workshop-Angebot für Kinder und Erwachsene ausgebaut und andererseits die Halle als Proberaum für österreichische und internationale Zirkuskünstler*innen etabliert werden. Mittelfristig ist auch eine kleine Bühne geplant, auf der Ergebnisse von Probephasen präsentiert und kleine Zirkusabende stattfinden können.
von Michaela Preiner | Jan. 19, 2025 | Tanz
In ihren bislang 35 geschaffenen Choreografien kommt immer wieder ein Leitmotiv zum Vorschein: Das Gemeinsame ist besser als das Einsame. Eindrücklich war das auch in der Produktion ‚Da-nach‘ mitzuerleben, in welcher vor allem das Gefühl der Hoffnung verbreitet wurde, gespeist aus der Erfahrung, dass eine Gemeinschaft mehr erreichen kann als ein einzelner Mensch. Zwar ist diese Produktion schon einige Jahre her, umso dringlicher stellen sich heute jedoch all diese Fragen abermals.
Auch in der neuen Produktion ‚Cri des Signes‘ äußert Hölbling wieder den Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit. Im Programmheft ist zu lesen: ‚Es geht darum, den Radius dieser Gemeinsamkeiten zu vergrößern, sich einander zuzuwenden und gemeinsam zu erstarken.‘

Cri de Signes (Foto: Anna Stöcher)
Den Einstieg bereitete die Choreografin selbst mit einem eigenen Text, den sie auf Englisch vortrug. Die Einsamkeit in der Masse ist darin ein Hauptthema, das Bewusstsein, dass unser Leben nicht viel mehr als „swiping and scrolling“ ist und die ‚likes and hates are quickly dispatched‘. Umso mehr dürften wir uns alle nach dem sehnen, was die digitale Welt uns verweigert: Nähe, Geborgenheit und gemeinsames Erleben.
Am Beginn der Tanzperformance stand jedoch genau das Gegenteil. Die drei Agierenden – Saskia Hölbling, Leonie Wahl und Ardan Hussain lieferten Einzelchoreografien ab, ohne sich mit den anderen zu verbinden. Niedrige, quadratische Podeste wiesen ihnen dafür einen engen Spielraum zu. Lediglich ein quer durch den Raum verlaufender, imaginärer Catwalk, der mehrfach durch Videoprojektionen optisch in Szene gesetzt wurde, erweiterte die räumlichen Bewegungsmöglichkeiten. (Video Evi Jägle). Darauf zu sehen waren Szenen einer Stadt, verschwommen, rasch geschnitten, die Rast- und Orientierungslosigkeit vermittelten.
Cri de Signes (Foto: Anna Stöcher)
Cri de Signes (Foto: Anna Stöcher)
Cri de Signes (Foto: Anna Stöcher)
Die Choreografien waren erzählend, wenngleich auch mit einer hohen Interpretationstoleranz ausgestattet. Leonie Wahl befand sich gleich zu Beginn – der auditiven Wolke zu entnehmen – an einem Rückzugsort, umgeben von Kriegslärm. Dementsprechend bewegte sie sich auch. Angriffs- und Rückzugsposen wechselten genauso wie das Klopfen auf die eigene Brust. Damit einher geht meist ein Aufputschen des Selbstwertgefühls, das jedoch die Tänzerin von einer Sekunde auf die andere wieder verließ. Einsamkeit und Angst waren aus ihren Gesten ablesbar, und das ihr zugewiesene Podest blieb jener Raum, auf dem sie agierte. Die bewusst mit Kraftmomenten ausgestattete Szene verwischte die Geschlechterebenen und ließ keine eindeutige Bestimmung zu.
Ardan Hussain begann sein Podium intensiv körperlich mit großen, ausladenden Schritten und Armbewegungen zu vermessen, um es nach einer intensiven Bodenchoreografie wieder zu verlassen. Die Lust, zu laufen und sich am Boden ausbreitend zu bewegen, aber auch hoch nach oben zu sehen, dorthin, wo es keine Grenzen gibt, drückte er mit seiner Körperarbeit anschaulich aus. Saskia Hölbling hingegen war noch stärker als Leonie Wahl auf sich zurückgeworfen. Anfänglich gepeitscht von unsichtbaren Schlägen oder Stößen, fiel sie, rappelte sich wieder auf und taumelte weiter. Später agierte sie, so wie Leonie und Ardan zuvor, einsam auf einem Podest. Ihr silbernes Outfit vermittelt den Eindruck von metallener Kälte, aber auch den Willen, sich elegant von anderen abzuheben. Ihre tänzerische Ausdrucksweise war dabei exquisit, im Sinne der lateinischen Ursprungsbedeutung – ausgesucht und der späteren Bedeutung von vorzüglich. Ihre Bewegungen blieben immer geschmeidig und fließend, mit anderen Worten: Man hätte ihr stundenlang zusehen können, ohne dass es einem langweilig geworden wäre. Spürbar wurde das Gefühl, dass ihre Persona ausschließlich ganz auf sich konzentriert war. Sie ließ zwar den Wunsch nach Austausch mit anderen erkennen, nahm dann jedoch wieder davon Abstand und beschäftigte sich intensiv weiter mit sich selbst. Dass diese Introspektion letztlich bewusste Wiederholungsschleifen mit sich brachte, liegt auf der Hand.

Cri de Signes (Foto: Anna Stöcher)
So unterschiedlich die drei Einstiegsszenarien auch waren, alle zeichneten sich durch einen hohen Energielevel aus, durch leicht aussehende, aber schwierig auszuführende Bewegungen, mit akrobatischen Einsprengseln, die an der Grenze des körperlich noch Machbaren angesiedelt waren. Mit dem Fortdauern der Performance erlebte man Szenen, wie wir alle sie aus unserem Leben kennen. Sich annähern, verlieben und in innigster Zweisamkeit agieren. Aber auch sich wieder entfremden, unter Verhältnissen, in welchen ein Streit alles zerstört, was einst schön und gut war. Saskia Hölbling und ihr Team schufen ein Kaleidoskop unseres gesellschaftlichen Ist-Zustandes, in welchem permanent das Pendel zwischen Selbstbehauptung und Gemeinsamkeit schwingt.
Mit einem einfachen, aber effektiven Setting gelang schließlich das, wovon nicht nur sie, sondern wohl alle Menschen träumen: Ein Zustand, der uns gemeinsam beinahe schwerelos schwingen lässt. In einer der letzten Szenen benutzten die Tanzenden schwarze Gummibänder, die sie zuvor behände quer durch den Raum spannten. Diese dienten als Stütze, aber auch als Hilfsmittel, neue Bewegungsmuster umzusetzen. Und sie animierten die Drei, sich aufeinander einzulassen und im Gleichklang zu bewegen.
Musikalisch griff Heinz Ditsch in die Vollen und unterlegte das tänzerische Geschehen mit durchwegs bekannten Hits sowie einigen handverlesenen, aktuellen Soundtracks, teilweise mit eigener Geräuschkulisse erweitert. Diese musikalische Mischung unterfütterte nicht nur die körperlichen Aktionen, sondern veranschaulichte auch die jeweiligen Themen: Kampf, Liebe, Einsamkeit, Angst, aber auch Freude und Hoffnung.
Saskia Hölbling kann mit dieser Arbeit das Dilemma, das sie anspricht, klarerweise nicht lösen. Aber sie zeigt zumindest auf, dass es möglich wäre, Neues und Schönes gemeinsam zu schaffen, wenn bei ihr auch nur in einer performativen Idealwelt. Dass Saskia, Leonie und Ardan am Schluss wieder alleine auf ihren Podesten sitzen, sollte niemanden vor einem Selbstversuch abhalten, aktiv zu werden und auf unsere Mitmenschen wieder mehr zuzugehen. Wie schön wäre es, die künstlerische Idee einer Choreografie in unseren Alltag einfließen zu lassen. Der Schrei der Zeichen unserer Zeit ist dafür laut genug. Lassen wir ihn nicht ungehört und untätig verhallen.
Hier der Trailer zum Stück:
von Michaela Preiner | Jan. 12, 2025 | Theater
Githa Sowerby (1876-1970) wurde in eine Glasmacher-Industriellenfamilie aus Gateshead im Norden von England geboren. Sie schrieb einige Theaterstücke und lebte nach ihrer Übersiedelung zu ihrer Schwester nach London von der Veröffentlichung von Kinderbüchern. 1912 erlebte ihr Stück ‚Rutherford & Son‘ seine Uraufführung unter dem Künstlerpseudonym K.G. Sowerby. Das Stück entwickelte sich zu einer Erfolgsproduktion und wurde rasch in mehrere Sprachen übersetzt. Da bis nach der Premiere niemand wusste, wer hinter der Abbreviatur des Vornamens verborgen war, war die Überraschung groß, als man erfuhr, dass es eine Autorin und kein Mann war, der das Stück geschrieben hatte.
Sowerby verarbeitete in dem Familiendrama die eigenen Erfahrungen während der politischen Umwälzungen der Zeit des „Great Unrest“ in England, als es zu massiven Arbeiteraufständen gekommen war. Wie die Familie in ‚Rutherford & Son‘ erlebte auch sie Aufstieg und Untergang eines Fabriksimperiums, das mit der Fertigung von Pressglas seinen Reichtum begründet hatte.

Tim Breyvogel, Annette Holzmann, Franz Solar (c)Lex Karelly
Schon bevor der Vorhang hochgezogen wird, lässt die Soundschleife, zu welcher das Publikum Platz nimmt, keine Komödie erwarten. (Musik Levente Bencsik, Máté Hunyadi) Die Übersetzung für die aktuelle deutsche Fassung kommt von Gerhild Steinbuch. Die Dialoge sind knapp und kantig, ohne Schnörksel oder Umschreibungen und geben von Beginn an jene emotionale Kälte wieder, die in der Familie Rutherford herrscht. Jakab Tarnóczi zeichnet in seiner Regie die Personen ebenso nach, stellt dabei aber immer wieder die Frage „Wer bist du?“ in den Vordergrund. Er lässt das Bühnensetting von Eszter Kálmán in beständiger Rotation und verlangsamt diese bis zum Bewegungsstopp nur in jenen Dialogen, in welchen die Menschen tief in ihr Innerstes blicken lassen. Wenn sie jedoch alleine für sich zurückgezogen zu sehen sind, dreht sich das räumliche Geschehen in Höchstgeschwindigkeit. Eine großzügige Raumanordnung, unterteilt durch kaltes, grünes Wellblech, mit fabrikstreuen Neonlampen beleuchtet, verbreitet alles andere als heimelige Gemütlichkeit.

Mario Lopatte & Olivia Grigolli (c)Lex Karelly
Der Vater – eiskalt von Beginn bis zum Schluss von Franz Solar gespielt – ist ein Despot, der sein ganzes Tun und Trachten dem von seinem Vater vererbten Unternehmen untergeordnet hat. Er lebt mit seiner Schwester Ann und seiner Tochter Janet in einem noblen Haus am Lande in der Nähe der Fabrik und wird von den beiden Söhnen Richard und John mit dessen Frau Mary für einige Zeit besucht. Bis auf seine Schwester, die ihn als Familienoberhaupt abgöttisch verehrt und auch ihr Leben ihm ganz untergeordnet hat, tun das seine Kinder in keiner Weise. Ein Eklat ist vorprogrammiert.
John, der die Fabrik einmal übernehmen soll, lebt in London und tüftelt an einer Erfindung, welche die Glasindustrie „nachhaltig“ verändern soll. Er will dafür von seinem Vater viel Geld, der nicht einsieht, warum er ihm, der die Fabrik doch einmal erben wird, für diese Idee etwas bezahlen soll. Richard hat sich in die Spiritualität zurückgezogen und arbeitet als Pastor, der die Menschen – vornehmlich die Arbeiter der Fabrik – seelsorgerisch unterstützen möchte. Janet hilft ihrer Tante im Haushalt und erträgt sowohl ihre Launen als auch jene des Vaters ohne großen Widerstand. Dass sie ein Verhältnis mit Martin begonnen hat, der rechten Hand des Familientyrannen, verbirgt sie bewusst, wohl wissend, dass dies nicht goutiert werden würde.
Sowerby zeichnet die einzelnen Charaktere mit Leichtigkeit und dennoch scharf nach: Zuallererst Rutherford, der Tag und Nacht zu arbeiten scheint und nichts mehr hasst als Müßiggang, Schmarotzerei oder auch eine akademische Ausbildung – wie er seine Söhne mehrfach wissen lässt. Härte gegen sich und auch gegen alle anderen zeichnet seinen Charakter aus. Kein noch so kluges Argument kann ihn dazu veranlassen zu überdenken, welche persönlichen Dramen er mit seiner Rigorosität auslöst. Sein oberstes Ziel ist das Überleben der Firma, jenes der Familie hingegen lässt ihn kalt.
Seine Schwester Ann hält viel von seiner Geschäftstüchtigkeit und versucht, ihre Neffen und ihre Nichte permanent davon zu überzeugen, die Leistung ihres Vaters auch anzuerkennen. Sie ist stolz auf den erreichten Gesellschaftsstatus, jedoch von der Angst getrieben, durch Gerede lächerlich gemacht zu werden. Diese Vorstellung steigert sich bei ihr beinahe bis zum Wahnsinn, als sich das innerfamiliäre Drama nach außen nicht mehr verbergen lässt. Einzig der Rückzug in die alltäglich notwendigen Verrichtungen im Haus bietet ihr noch Schutz. Olivia Grigolli verändert in dieser Rolle nicht nur ihre Ausstrahlung von einer mondänen, selbstbewussten Dame hin zu einem gebrochenen Wesen, das Halt sucht, sondern auch ihren Kleidungsstil.
Janet erlebt in ihrer drei Monate andauernden Verliebtheit in Martin das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Dementsprechend entwickelt sie sich in dieser kurzen Zeit zu einer selbstbewussten Frau, die auch nach der größten Enttäuschung in ihrem Leben dieses erstmalig selbstbestimmt in die Hand nimmt und die Familie verlässt. Marielle Leyher ist die einzige der drei Geschwister, die ihrem Vater vor Augen führen kann, was er mit seiner rigorosen Arbeitsethik in den Seelen seiner Kinder angerichtet hat. Sie darf eine emotionelle Bandbreite zwischen Sarkasmus, Wut und Empörung hin zu tiefster Liebesempfindung ausspielen und überzeugt dabei in jeder Situation.

Franz Solar & Mario Lopatta (c)Lex Karelly
Janets Bruder John ist der Einzige, der trotz der Kälte im Haus kurze Hosen, etwas über Knielänge, trägt. Ein modischer Hinweis nicht nur auf das elitäre Selbstverständnis der britischen Familie, sondern auch auf sein pubertäres Verhalten, sich zwar gegen den Vater aufzulehnen, sich aber dennoch nicht aus eigener Kraft von ihm lösen zu können. Mario Lopatta verkörpert ein verzweifeltes Pendant-Ekelpaket seines Vaters, der seine Frau ebenso kaltherzig behandelt, wie er es von Kindesbeinen an gewöhnt war. Gebeutelt zwischen Größenwahnsinn, Depressionen und Wut hat er trotz aller Suche seinen Platz im Leben noch nicht gefunden.
Tim Breyvogel als permanent an sich zweifelnder junger Pastor ist sich bewusst, dass er in diesem, von ihm als emanzipatorisch gewählten Beruf, dennoch scheitert; zumindest in der unmittelbaren Umgebung seines allmächtigen Vaters. Vorgeführt wird ihm dies explizit mit der Aussage von Misses Henderson , die ihm während eines furiosen Wutanfalles ins Gesicht brüllt, welche Lachnummer er eigentlich ist. Dies, obwohl er sie in das Haus seines Vaters gebeten hat, um ihren Sohn zu rehabilitieren, welcher aus der Firmenkasse Geld gestohlen hat. Nach ihrem Auftritt, den Anke Stedingk mit einer Körperlichkeit ausstattet, die alle anderen Figuren daneben blass erscheinen lässt, beginnt das familiäre Kartenhaus nach und nach in sich zusammenzufallen.
Martin, der Geliebte von Janet, erweist sich als unentbehrlicher Helfer des Firmenchefs, der diesem bis zur Selbstaufgabe jeden Wunsch von den Lippen abliest. Thomas Kramer agiert in der Rolle als dankbarer, zugleich aber auch naiver Mensch, der all sein Glück vom Fortbestand des Unternehmens abhängig gemacht hat und auch nicht fähig ist, einen anderen Lebensentwurf neu anzudenken. Einzig bei seinem Dialog mit Rutherford Senior fangen am Theaterhimmel die Sterne hell und klar zu blinken an, verschwinden jedoch wieder, als auch dieser geschäftliche Lichtblick – aus Sicht des Fabrikbesitzers – erlischt.
Annette Holzmann verkörpert in der Rolle von Mary die ungeliebte und unbeachtete Schwiegertochter. Nicht von ungefähr trägt sie diesen Namen, wird ihr doch dringlichst bewusst, dass sie einst einen tiefgreifenden, emotionalen Verzicht eingehen wird müssen, um das Leben ihres Sohnes so gestalten zu können, damit er nicht in Armut aufwachsen muss. Sie weiß scharfsinnig um das eigene, vorprogrammierte Leiden, das sie dennoch zum Wohl ihres Kindes als geschäftlichen Handel anstößt. Mary ist die eigentliche Heldin des Stückes, die einen Showdown mit ihrem Schwiegervater hervorruft, der atemberaubend mitzuerleben ist. Auch bei ihr zeigt sich die charakterliche Veränderung in ihren Kostümen, trägt sie doch in den letzten Szenen einen Rock, der vom Schnitt her jenem ähnelt, den ihre Schwägerin Janet zu Beginn des Dramas trug. Damit signalisiert die Kostümbildnerin Ilka Giligia den Wechsel der weiblichen Hoheitsübernahme im Hause Rutherford. Es ist die Vorausschau, der Weitblick, aber auch die emotionale Klugheit dieser Rolle, die so enorm fesselt und verblüfft und sicherlich zum einstigen großen Erfolg dieses Theaterstückes gleich nach der ersten Aufführung beigetragen hat. Ein Umstand, der sich bis in unsere Zeit gehalten hat.
Marielle Layher (c)Lex Karelly
Ensemble (c)Lex Karelly
Am Ende bleibt Rutherford ganz ohne seine Söhne in seinem Haus, weiter von seiner Schwester und nunmehr auch von seiner Schwiegertochter und seinem Enkel begleitet. Die neue Familienkonstellation lässt jedoch auch persönliche Entwicklungen erahnen, die durch den letzten Abgang des in die Jahre gekommenen Firmen- und Familienoberhaupts angedeutet werden.
Dem Team des Schauspielhauses in Graz ist mit dieser Aufführung eine Überraschung gelungen, der im deutschsprachigen Raum zu Recht sicherlich eine größere Aufmerksamkeit zuteilwerden wird.
Wer etwas tiefer in die Geschichte der Autorin und ihrem Stück eintauchen möchte, sei dieser Artikel des Guardian aus dem Jahr 2009 empfohlen: https://www.theguardian.com/stage/2009/aug/14/githa-sowerby-playwright-rutherford-son
von Michaela Preiner | Jan. 7, 2025 | 2021, Konzert
Das Konzerthaus in Wien ist seit Langem ein Garant für ein vielfältiges Programm. Ob für Fans von alter Musik, Jazz- oder Klassikfreaks: Musikbegeisterte jeglicher Couleur werden hier fündig. Oft mit feinen Überraschungen, die über das Erwartete eines Konzertes hinausgehen. So gestaltete sich auch die Silvestergala, die das Jahr 2025 einleitete, nicht nur abwechslungsreich, sondern war auch mit so manch unerwartetem Schmankerl versehen.

Nikolaus Habjan (Foto: Herwig-Prammer)
Im ersten Konzert-Teil vor Mitternacht pfiff Nikolaus Habjan, vielen als „der“ österreichische Puppenspieler, tätig an den großen Theaterbühnen des Landes schlechthin bekannt, eine ganze Reihe von ihm titulierter „Albtraum-Arien“ für Tenor oder Sopran. Ob barocke Koloratur-Arien von Händel oder Mozart, ob innige Lieder aus Schuberts „Schöner Müllerin“ – das Können und damit zusammenhängend seine herausragende Musikalität beeindruckten vom ersten Moment an. Es war eine reine Freude ihm zuzusehen, wie sich mit dem Schwierigkeitsgrad der Arien auch seine Pfeiflust steigerte. In wunderbarer Unterstützermanier leitete Christoph Huber das ‚nexus now ensemble‘. Wohldosiert in der Dynamik, um den zarten Pfeifgesang nicht zu übertönen, dennoch aber mit Verve und fein ausdifferenzierten Einsätzen und ebensolchen Klangfarben zeigte sich das Können seines einfühlsamen Dirigates. Ines Schüttengruber am Klavier und an der Orgel war die Freude am Spielen ins Gesicht geschrieben. Tatsächlich empfanden dies wohl alle Musizierenden so, ganz abgesehen von der Tatsache, dass es nicht zu ihrem Alltagsjob gehört, Kunstpfeifer zu begleiten.
Eine kleine Einführung und Interessantes zum Thema Kunstpfeiffen ist auf der Website von Nikolaus Habjan zu lesen.
Mit der Mezzosopranistin Anna Sophia Richter holte sich der Multi-Künstler eine Sängerin auf die Bühne, die er bei ihrem Offenbach-Couplet aus der Operette ‚La Périchole‘ tatkräftig pantomimisch als inhaftierter Ehemann unterstützte. Besonders erheiternd gestaltete sich ihr zweiter Auftritt mit einem „Schwipslied“, ebenfalls von Jacques Offenbach. Mit verschmiertem Augen- und Mund-Make-up bot sie nicht nur einen amüsanten Anblick, sondern auch ein schauspielerisches Gustostückerl, das sie ihrem Gesang mühelos beifügte.
Neben all der hochkarätigen, musikalischen Unterhaltung stellte sich auch ein unerwarteter Erkenntnisgewinn ein. Bot doch die reine Stimmführung der Melodie, gänzlich ohne Text die seltene Möglichkeit, dieser ganz pur zu folgen. Dadurch ergaben sich auch Vergleichsmöglichkeiten von historischer, barocker Verzierungsstrategien oder ein klareres Schemata-Erkennen bei den Arien, die im 19. Jahrhundert geschrieben wurden. Wie schon erwähnt, zählten die Interpretationen der Schubert-Lieder nicht nur zu den innigsten des Programmes. Vielmehr zeigte sich gerade bei ihnen, auf welch engem Raum der Komponist Freud und Leid, starken Ausdruck und zarte Empfindung in Musik zu gießen wusste. Habjan sei Dank, wurde all dies deutlich nicht nur hörbar, sondern war auch nachzuempfinden.
Ankathie-Koi (Foto: Herwig-Prammer)
Rapper Def Ill (Foto: Herwig-Prammer)
Das eigentliche Neujahrskonzert, dirigiert von Petr Popelka, begann pünktlich nach den Schlägen der Pummerin. Selbstredend erklang ‚An der schönen blauen Donau‘ von Johann Strauss Sohn als erste musikalische Darbietung. Steffi Wieser choreografierte eine ungewöhnliche Walzer-Interpretation, aufgeführt von den Studierenden der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK). Die jungen Damen und Herren tanzten nicht nur rund um das Orchester auf der Bühne, sondern auch in den Gängen im Parkett, direkt neben dem Publikum. Sabine Ebner schuf für sie Uni-Sex-Kostüme mit im Rücken geknoteten, ärmellosen Oberteilen, einem wadenlangen Tüll-Rock und schwarzen Shorts darunter. Die Lust am Leben, am eigenen Körper, aber auch die Lust an der Verführung und der Liebe durfte als Motto hinter der ersten Choreografie gelesen werden – ein perfekter Einstieg für ein neues Jahr.2025 wurde in Wien zum ‚Strauss-Jahr‘ erkoren, welches von der Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler nach dem Donau-Walzer mit einer Grußbotschaft erläutert und eröffnet wurde. Mehrfache Fledermaus-Orchester-Adaptionen, aber auch Polkas sowie eine Bearbeitung des „Schwipsliedes“ aus Johann Strauss‘ Operette ‚Eine Nacht in Venedig‘ von Erich Wolfgang Korngold, verbreitete im Nu eine fröhliche Neujahrsstimmung. Vor allem die Interpretation von Annkathie Koi brachte einen ordentlichen, humorigen Twist in das glanzvolle musikalische Geschehen. Agierte sie doch in einem aufsehenerregenden, beinfreien Barock-Kostüm mit hoch aufgetürmter Perücke in sichtlich angeheitertem Zustand. Die Bierdose samt Wurstsemmel, die sie sich aus dem eleganten Haargeflecht fischte, erheiterte das Publikum im selben Maße wie ihre lachende und weinende Gesangsinterpretation.
Mit‘ Def III‘ gelang schließlich eine weitere Programmüberraschung. Der Wiener Rapper wurde von Nikolaus Habjan, der zuvor schon zwei musikalische Darbietungen der Symphoniker pfeifend unterstützt hatte, als „Der Schnellste seines Faches“ angekündigt. Und tatsächlich rappte er sich durch Strauss’sches Operettengeschehen, dass einem Hören und Sehen vergehen konnte.
In der ebenfalls unerwarteten, tänzerischen Beigabe zu ‚Seid umschlungen Millionen‘ vermischten sich schließlich klassische Ballettfiguren mit expressivem Ausdruckstanz. Solistinnen und Solisten, Paare, aber auch Gruppen performten zeitgleich unterschiedliche Choreografien. Inniges Liebesgeplänkel und freundschaftlich-Gemeinsames stand dabei einem Geschlechterkampf gegenüber, bei dem man bis zum Schluss den Atem anhalten konnte. Dass sich die Choreografin Steffi Wieser abermals nicht gescheut hatte, einen Walzer gänzlich neu zu interpretieren, verlieh der Performance eine ganz besondere Note, die lange im Gedächtnis bleiben wird.

Def Ill, Petr-Popelka, Nikolaus Habjan, Ankathie Koi (Foto: Herwig-Prammer)
Die Programmierung der Silvestergala 2025 im Wiener Konzerthaus bot nicht nur einen bunten Reigen von Altbewährtem und gut Bekanntem. Vielmehr bereitete die interessante Mischung aus Tradiertem und Modernem dem Publikum einen Kunstgenuss, der eine Menge Freude und gute Stimmung bereitete.