Rutherford ganz ohne Söhne

Rutherford ganz ohne Söhne

Githa Sowerby (1876-1970) wurde in eine Glasmacher-Industriellenfamilie aus Gateshead im Norden von England geboren. Sie schrieb einige Theaterstücke und lebte nach ihrer Übersiedelung zu ihrer Schwester nach London von der Veröffentlichung von Kinderbüchern. 1912 erlebte ihr Stück ‚Rutherford & Son‘ seine Uraufführung unter dem Künstlerpseudonym K.G. Sowerby. Das Stück entwickelte sich zu einer Erfolgsproduktion und wurde rasch in mehrere Sprachen übersetzt. Da bis nach der Premiere niemand wusste, wer hinter der Abbreviatur des Vornamens verborgen war, war die Überraschung groß, als man erfuhr, dass es eine Autorin und kein Mann war, der das Stück geschrieben hatte.

Sowerby verarbeitete in dem Familiendrama die eigenen Erfahrungen während der politischen Umwälzungen der Zeit des „Great Unrest“ in England, als es zu massiven Arbeiteraufständen gekommen war. Wie die Familie in ‚Rutherford & Son‘ erlebte auch sie Aufstieg und Untergang eines Fabriksimperiums, das mit der Fertigung von Pressglas seinen Reichtum begründet hatte.

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Tim Breyvogel, Annette Holzmann, Franz Solar (c)Lex Karelly

Schon bevor der Vorhang hochgezogen wird, lässt die Soundschleife, zu welcher das Publikum Platz nimmt, keine Komödie erwarten. (Musik Levente Bencsik, Máté Hunyadi) Die Übersetzung für die aktuelle deutsche Fassung kommt von Gerhild Steinbuch. Die Dialoge sind knapp und kantig, ohne Schnörksel oder Umschreibungen und geben von Beginn an jene emotionale Kälte wieder, die in der Familie Rutherford herrscht. Jakab Tarnóczi zeichnet in seiner Regie die Personen ebenso nach, stellt dabei aber immer wieder die Frage „Wer bist du?“ in den Vordergrund. Er lässt das Bühnensetting von Eszter Kálmán in beständiger Rotation und verlangsamt diese bis zum Bewegungsstopp nur in jenen Dialogen, in welchen die Menschen tief in ihr Innerstes blicken lassen. Wenn sie jedoch alleine für sich zurückgezogen zu sehen sind, dreht sich das räumliche Geschehen in Höchstgeschwindigkeit. Eine großzügige Raumanordnung, unterteilt durch kaltes, grünes Wellblech, mit fabrikstreuen Neonlampen beleuchtet, verbreitet alles andere als heimelige Gemütlichkeit.

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Mario Lopatte & Olivia Grigolli (c)Lex Karelly

Der Vater – eiskalt von Beginn bis zum Schluss von Franz Solar gespielt – ist ein Despot, der sein ganzes Tun und Trachten dem von seinem Vater vererbten Unternehmen untergeordnet hat. Er lebt mit seiner Schwester Ann und seiner Tochter Janet in einem noblen Haus am Lande in der Nähe der Fabrik und wird von den beiden Söhnen Richard und John mit dessen Frau Mary für einige Zeit besucht. Bis auf seine Schwester, die ihn als Familienoberhaupt abgöttisch verehrt und auch ihr Leben ihm ganz untergeordnet hat, tun das seine Kinder in keiner Weise. Ein Eklat ist vorprogrammiert.

John, der die Fabrik einmal übernehmen soll, lebt in London und tüftelt an einer Erfindung, welche die Glasindustrie „nachhaltig“ verändern soll. Er will dafür von seinem Vater viel Geld, der nicht einsieht, warum er ihm, der die Fabrik doch einmal erben wird, für diese Idee etwas bezahlen soll. Richard hat sich in die Spiritualität zurückgezogen und arbeitet als Pastor, der die Menschen – vornehmlich die Arbeiter der Fabrik – seelsorgerisch unterstützen möchte. Janet hilft ihrer Tante im Haushalt und erträgt sowohl ihre Launen als auch jene des Vaters ohne großen Widerstand. Dass sie ein Verhältnis mit Martin begonnen hat, der rechten Hand des Familientyrannen, verbirgt sie bewusst, wohl wissend, dass dies nicht goutiert werden würde.

Sowerby zeichnet die einzelnen Charaktere mit Leichtigkeit und dennoch scharf nach: Zuallererst Rutherford, der Tag und Nacht zu arbeiten scheint und nichts mehr hasst als Müßiggang, Schmarotzerei oder auch eine akademische Ausbildung – wie er seine Söhne mehrfach wissen lässt. Härte gegen sich und auch gegen alle anderen zeichnet seinen Charakter aus. Kein noch so kluges Argument kann ihn dazu veranlassen zu überdenken, welche persönlichen Dramen er mit seiner Rigorosität auslöst. Sein oberstes Ziel ist das Überleben der Firma, jenes der Familie hingegen lässt ihn kalt.

Seine Schwester Ann hält viel von seiner Geschäftstüchtigkeit und versucht, ihre Neffen und ihre Nichte permanent davon zu überzeugen, die Leistung ihres Vaters auch anzuerkennen. Sie ist stolz auf den erreichten Gesellschaftsstatus, jedoch von der Angst getrieben, durch Gerede lächerlich gemacht zu werden. Diese Vorstellung steigert sich bei ihr beinahe bis zum Wahnsinn, als sich das innerfamiliäre Drama nach außen nicht mehr verbergen lässt. Einzig der Rückzug in die alltäglich notwendigen Verrichtungen im Haus bietet ihr noch Schutz. Olivia Grigolli verändert in dieser Rolle nicht nur ihre Ausstrahlung von einer mondänen, selbstbewussten Dame hin zu einem gebrochenen Wesen, das Halt sucht, sondern auch ihren Kleidungsstil.

Janet erlebt in ihrer drei Monate andauernden Verliebtheit in Martin das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Dementsprechend entwickelt sie sich in dieser kurzen Zeit zu einer selbstbewussten Frau, die auch nach der größten Enttäuschung in ihrem Leben dieses erstmalig selbstbestimmt in die Hand nimmt und die Familie verlässt. Marielle Leyher ist die einzige der drei Geschwister, die ihrem Vater vor Augen führen kann, was er mit seiner rigorosen Arbeitsethik in den Seelen seiner Kinder angerichtet hat. Sie darf eine emotionelle Bandbreite zwischen Sarkasmus, Wut und Empörung hin zu tiefster Liebesempfindung ausspielen und überzeugt dabei in jeder Situation.

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Franz Solar & Mario Lopatta (c)Lex Karelly

Janets Bruder John ist der Einzige, der trotz der Kälte im Haus kurze Hosen, etwas über Knielänge, trägt. Ein modischer Hinweis nicht nur auf das elitäre Selbstverständnis der britischen Familie, sondern auch auf sein pubertäres Verhalten, sich zwar gegen den Vater aufzulehnen, sich aber dennoch nicht aus eigener Kraft von ihm lösen zu können. Mario Lopatta verkörpert ein verzweifeltes Pendant-Ekelpaket seines Vaters, der seine Frau ebenso kaltherzig behandelt, wie er es von Kindesbeinen an gewöhnt war.  Gebeutelt zwischen Größenwahnsinn, Depressionen und Wut hat er trotz aller Suche seinen Platz im Leben noch nicht gefunden.

Tim Breyvogel als permanent an sich zweifelnder junger Pastor ist sich bewusst, dass er in diesem, von ihm als emanzipatorisch gewählten Beruf, dennoch scheitert; zumindest in der unmittelbaren Umgebung seines allmächtigen Vaters. Vorgeführt wird ihm dies explizit mit der Aussage von Misses Henderson , die ihm während eines furiosen Wutanfalles ins Gesicht brüllt, welche Lachnummer er eigentlich ist. Dies, obwohl er sie in das Haus seines Vaters gebeten hat, um ihren Sohn zu rehabilitieren, welcher aus der Firmenkasse Geld gestohlen hat. Nach ihrem Auftritt, den Anke Stedingk mit einer Körperlichkeit ausstattet, die alle anderen Figuren daneben blass erscheinen lässt, beginnt das familiäre Kartenhaus nach und nach in sich zusammenzufallen.

Martin, der Geliebte von Janet, erweist sich als unentbehrlicher Helfer des Firmenchefs, der diesem bis zur Selbstaufgabe jeden Wunsch von den Lippen abliest. Thomas Kramer agiert in der Rolle als dankbarer, zugleich aber auch naiver Mensch, der all sein Glück vom Fortbestand des Unternehmens abhängig gemacht hat und auch nicht fähig ist, einen anderen Lebensentwurf neu anzudenken. Einzig bei seinem Dialog mit Rutherford Senior fangen am Theaterhimmel die Sterne hell und klar zu blinken an, verschwinden jedoch wieder, als auch dieser geschäftliche Lichtblick – aus Sicht des Fabrikbesitzers – erlischt.

Annette Holzmann verkörpert in der Rolle von Mary die ungeliebte und unbeachtete Schwiegertochter. Nicht von ungefähr trägt sie diesen Namen, wird ihr doch dringlichst bewusst, dass sie einst einen tiefgreifenden, emotionalen Verzicht eingehen wird müssen, um das Leben ihres Sohnes so gestalten zu können, damit er nicht in Armut aufwachsen muss. Sie weiß scharfsinnig um das eigene, vorprogrammierte Leiden, das sie dennoch zum Wohl ihres Kindes als geschäftlichen Handel anstößt. Mary ist die eigentliche Heldin des Stückes, die einen Showdown mit ihrem Schwiegervater hervorruft, der atemberaubend mitzuerleben ist. Auch bei ihr zeigt sich die charakterliche Veränderung in ihren Kostümen, trägt sie doch in den letzten Szenen einen Rock, der vom Schnitt her jenem ähnelt, den ihre Schwägerin Janet zu Beginn des Dramas trug. Damit signalisiert die Kostümbildnerin Ilka Giligia den Wechsel der weiblichen Hoheitsübernahme im Hause Rutherford. Es ist die Vorausschau, der Weitblick, aber auch die emotionale Klugheit dieser Rolle, die so enorm fesselt und verblüfft und sicherlich zum einstigen großen Erfolg dieses Theaterstückes gleich nach der ersten Aufführung beigetragen hat. Ein Umstand, der sich bis in unsere Zeit gehalten hat.

Am Ende bleibt Rutherford ganz ohne seine Söhne in seinem Haus, weiter von seiner Schwester und nunmehr auch von seiner Schwiegertochter und seinem Enkel begleitet. Die neue Familienkonstellation lässt jedoch auch persönliche Entwicklungen erahnen, die durch den letzten Abgang des in die Jahre gekommenen Firmen- und Familienoberhaupts angedeutet werden.

Dem Team des Schauspielhauses in Graz ist mit dieser Aufführung eine Überraschung gelungen, der im deutschsprachigen Raum zu Recht sicherlich eine größere Aufmerksamkeit zuteilwerden wird.

Wer etwas tiefer in die Geschichte der Autorin und ihrem Stück eintauchen möchte, sei dieser Artikel des Guardian aus dem Jahr 2009 empfohlen: https://www.theguardian.com/stage/2009/aug/14/githa-sowerby-playwright-rutherford-son

Mit Tradition und Pfiff ins neue Jahr

Mit Tradition und Pfiff ins neue Jahr

Das Konzerthaus in Wien ist seit Langem ein Garant für ein vielfältiges Programm. Ob für Fans von alter Musik, Jazz- oder Klassikfreaks: Musikbegeisterte jeglicher Couleur werden hier fündig. Oft mit feinen Überraschungen, die über das Erwartete eines Konzertes hinausgehen. So gestaltete sich auch die Silvestergala, die das Jahr 2025 einleitete, nicht nur abwechslungsreich, sondern war auch mit so manch unerwartetem Schmankerl versehen.

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Nikolaus Habjan (Foto: Herwig-Prammer)

Im ersten Konzert-Teil vor Mitternacht pfiff Nikolaus Habjan, vielen als „der“ österreichische Puppenspieler, tätig an den großen Theaterbühnen des Landes schlechthin bekannt, eine ganze Reihe von ihm titulierter „Albtraum-Arien“ für Tenor oder Sopran. Ob barocke Koloratur-Arien von Händel oder Mozart, ob innige Lieder aus Schuberts „Schöner Müllerin“ – das Können und damit zusammenhängend seine herausragende Musikalität beeindruckten vom ersten Moment an. Es war eine reine Freude ihm zuzusehen, wie sich mit dem Schwierigkeitsgrad der Arien auch seine Pfeiflust steigerte. In wunderbarer Unterstützermanier leitete Christoph Huber das ‚nexus now ensemble‘. Wohldosiert in der Dynamik, um den zarten Pfeifgesang nicht zu übertönen, dennoch aber mit Verve und fein ausdifferenzierten Einsätzen und ebensolchen Klangfarben zeigte sich das Können seines einfühlsamen Dirigates. Ines Schüttengruber am Klavier und an der Orgel war die Freude am Spielen ins Gesicht geschrieben. Tatsächlich empfanden dies wohl alle Musizierenden so, ganz abgesehen von der Tatsache, dass es nicht zu ihrem Alltagsjob gehört, Kunstpfeifer zu begleiten.

Eine kleine Einführung und Interessantes zum Thema Kunstpfeiffen ist auf der Website von Nikolaus Habjan zu lesen.

Mit der Mezzosopranistin Anna Sophia Richter holte sich der Multi-Künstler eine Sängerin auf die Bühne, die er bei ihrem Offenbach-Couplet aus der Operette ‚La Périchole‘ tatkräftig pantomimisch als inhaftierter Ehemann unterstützte. Besonders erheiternd gestaltete sich ihr zweiter Auftritt mit einem „Schwipslied“, ebenfalls von Jacques Offenbach. Mit verschmiertem Augen- und Mund-Make-up bot sie nicht nur einen amüsanten Anblick, sondern auch ein schauspielerisches Gustostückerl, das sie ihrem Gesang mühelos beifügte.

Neben all der hochkarätigen, musikalischen Unterhaltung stellte sich auch ein unerwarteter Erkenntnisgewinn ein. Bot doch die reine Stimmführung der Melodie, gänzlich ohne Text die seltene Möglichkeit, dieser ganz pur zu folgen. Dadurch ergaben sich auch Vergleichsmöglichkeiten von historischer, barocker Verzierungsstrategien oder ein klareres Schemata-Erkennen bei den Arien, die im 19. Jahrhundert geschrieben wurden. Wie schon erwähnt, zählten die Interpretationen der Schubert-Lieder nicht nur zu den innigsten des Programmes. Vielmehr zeigte sich gerade bei ihnen, auf welch engem Raum der Komponist Freud und Leid, starken Ausdruck und zarte Empfindung in Musik zu gießen wusste. Habjan sei Dank, wurde all dies deutlich nicht nur hörbar, sondern war auch nachzuempfinden.


Das eigentliche Neujahrskonzert, dirigiert von Petr Popelka, begann pünktlich nach den Schlägen der Pummerin. Selbstredend erklang ‚An der schönen blauen Donau‘ von Johann Strauss Sohn als erste musikalische Darbietung. Steffi Wieser choreografierte eine ungewöhnliche Walzer-Interpretation, aufgeführt von den Studierenden der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK). Die jungen Damen und Herren tanzten nicht nur rund um das Orchester auf der Bühne, sondern auch in den Gängen im Parkett, direkt neben dem Publikum. Sabine Ebner schuf für sie Uni-Sex-Kostüme mit im Rücken geknoteten, ärmellosen Oberteilen, einem wadenlangen Tüll-Rock und schwarzen Shorts darunter. Die Lust am Leben, am eigenen Körper, aber auch die Lust an der Verführung und der Liebe durfte als Motto hinter der ersten Choreografie gelesen werden – ein perfekter Einstieg für ein neues Jahr.

2025 wurde in Wien zum ‚Strauss-Jahr‘ erkoren, welches von der Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler nach dem Donau-Walzer mit einer Grußbotschaft erläutert und eröffnet wurde. Mehrfache Fledermaus-Orchester-Adaptionen, aber auch Polkas sowie eine Bearbeitung des „Schwipsliedes“ aus Johann Strauss‘ Operette ‚Eine Nacht in Venedig‘ von Erich Wolfgang Korngold, verbreitete im Nu eine fröhliche Neujahrsstimmung. Vor allem die Interpretation von Annkathie Koi brachte einen ordentlichen, humorigen Twist in das glanzvolle musikalische Geschehen. Agierte sie doch in einem aufsehenerregenden, beinfreien Barock-Kostüm mit hoch aufgetürmter Perücke in sichtlich angeheitertem Zustand. Die Bierdose samt Wurstsemmel, die sie sich aus dem eleganten Haargeflecht fischte, erheiterte das Publikum im selben Maße wie ihre lachende und weinende Gesangsinterpretation.

Mit‘ Def III‘ gelang schließlich eine weitere Programmüberraschung. Der Wiener Rapper wurde von Nikolaus Habjan, der zuvor schon zwei musikalische Darbietungen der Symphoniker pfeifend unterstützt hatte, als „Der Schnellste seines Faches“ angekündigt. Und tatsächlich rappte er sich durch Strauss’sches Operettengeschehen, dass einem Hören und Sehen vergehen konnte.

In der ebenfalls unerwarteten, tänzerischen Beigabe zu ‚Seid umschlungen Millionen‘ vermischten sich schließlich klassische Ballettfiguren mit expressivem Ausdruckstanz. Solistinnen und Solisten, Paare, aber auch Gruppen performten zeitgleich unterschiedliche Choreografien. Inniges Liebesgeplänkel und freundschaftlich-Gemeinsames stand dabei einem Geschlechterkampf gegenüber, bei dem man bis zum Schluss den Atem anhalten konnte. Dass sich die Choreografin Steffi Wieser abermals nicht gescheut hatte, einen Walzer gänzlich neu zu interpretieren, verlieh der Performance eine ganz besondere Note, die lange im Gedächtnis bleiben wird.

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Def Ill, Petr-Popelka, Nikolaus Habjan, Ankathie Koi (Foto: Herwig-Prammer)


Die Programmierung der Silvestergala 2025 im Wiener Konzerthaus bot nicht nur einen bunten Reigen von Altbewährtem und gut Bekanntem. Vielmehr bereitete die interessante Mischung aus Tradiertem und Modernem dem Publikum einen Kunstgenuss, der eine Menge Freude und gute Stimmung bereitete.

Musizieren sollte für alle Menschen zugängig sein

Musizieren sollte für alle Menschen zugängig sein

In Österreich ist es schier undenkbar, ohne Musik aufzuwachsen. Damit ist nicht gemeint, ein Instrument zu erlernen, sondern schlichtweg Musik auch passiv zu konsumieren. Ob aus dem Radio, oder gestreamt, ob als Zuhörende bei einem Konzert oder letztlich selbst Musizierende – Musik gehört zu Österreich wie sonst kaum ein anderes Kulturgut.

Dass viele Menschen in ihrer Freizeit auch aktiv musizieren, ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Österreich ein gutes Netz an Musikschulen aufzuweisen hat. Für die Allerkleinsten gibt es Kurse, in welchen musikalische Früherziehung unterrichtet wird. Ab dem Schulalter stehen dann alle Instrumente zur Auswahl, die man lernen möchte.

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Anna-Maria Javornik, Stefan Fiedler (Foto: Klavierhaus Fiedler)


Wo es aber immer noch eklatanten Nachholbedarf gibt, ist ein Angebot für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Das möchte Stephan Fiedler ändern. Der Inhaber des sage und schreibe 176 Jahre „jungen“ Klavierhauses Fiedler in Graz hat es sich zum Ziel gesetzt, die Musikausbildung auch für all jene zu öffnen, denen dies bis jetzt verwehrt war. Von Blauäugigkeit kann man bei dem umtriebigen Geschäftsmann nicht sprechen, denn seine Aktivitäten gehen in eine Richtung, die hoffen lässt, dass sich im System des Musikunterrichts in Österreich etwas ändert. Auf die Idee kam er durch seine Frau Fiona Fiedler, die seit 2019 ein Nationalratsmandat innehat. Einer ihrer Schwerpunkte ist das Thema Inklusion. Ihre Bemühungen, Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft wesentlich stärker zu integrieren, hatte wesentlichen Einfluss auf das, was Stephan Fiedler vehement verfolgt.

Einen langen Atem zu haben, scheint die Fiedler-Dynastie im Blut zu haben. Nicht nur, dass der Betrieb einer der ältesten in Graz ist, der über 6 Generationen hindurch am selben Ort Klaviere verkauft. Seit dem Jahr 2006 unterstützt der jetzige Betriebsinhaber auch karitative Projekte. Mit dem Geld, das er bei Konzerten mit Jugendlichen seiner Reihe ‚Piano forte – Jugend am Klavier‘ einspielte, unterstützte er bis 2022 die Kinderonkologie in Graz, um dort musiktherapeutische Maßnahmen einzusetzen. Mit der Verankerung in einem Gesetz, das nun österreichweit diese Therapieform an den Krankenhäusern verpflichtend implementiert, hätte sich Stephan Fiedler zufriedengeben können. Jedoch weit gefehlt. Seit diesem Jahr nun erhielt die Konzertreihe einen veränderten Namen. ‚Piano forte – Inklusiv‘ macht deutlich, dass Musizierende mit und ohne Behinderungen das jeweilige Konzert gemeinsam bestreiten.

Eröffnet wurde die neue Reihe im Frühling im Spiegelfoyer der Oper Graz, drei weitere Konzerte fanden im Salon des Klavierhauses Fiedler statt. Zum Abschlusskonzert lud Stephan Fiedler in die Firma Casarista, nur wenige Gehminuten vom Klaviergeschäft entfernt. Der großzügige Saal, ausgestattet mit einem Bösendorfer-Konzertflügel, beeindruckte nicht nur das Publikum, sondern ließ auch den Puls der jungen Musizierenden höherschlagen.

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Sofia Maholetti, Laetitia Chiara Taurer, Maja Kürbisch & Idil Naz Alici (Foto: Klavierhaus Fiedler)


Geladen und gekommen waren nicht nur sie mit ihren Lehrpersonen, Eltern und Freunden, sondern auch wichtige Führungspersönlichkeiten des Johann-Josef-Fux-Konservatoriums sowie der Rektor der Musik-UNI-Graz. Mit dabei waren ebenso der ehemalige Rektor der Med.Uni Graz, sowie Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Ohne das Verständnis und ein offenes Ohr für das Anliegen dieser Personen, Musik inklusiv zu unterrichten, würde aus der Idee der Familie Fiedler kein größeres Pflänzchen wachsen können. Mit dem Bewusstsein für die Thematik und dem Willen, etwas zu ändern, und zwar genau dort, wo Musik unterrichtet wird, scheint doch einiges in Bewegung zu geraten. Und so war beim Abschlusskonzert zu erfahren, dass nicht nur an den Musikschulen vermehrt daran gearbeitet wird, Lehrende auszubilden, die inklusiv unterrichten können. Auch der Studienplan an der Universität für Musik und darstellende Kunst, der komplett reformiert wird, sollte künftig eine Möglichkeit bieten, auf diesem Gebiet tätig zu werden.

Beim Jahres-Abschlusskonzert wurde vorgelebt, was Inklusion auf der Bühne bedeutet, musizierten doch Kinder und Jugendliche mit Behinderungen mit solchen, die keine Behinderungen haben, auf Augenhöhe und das sichtbar mit einer gewaltigen Portion Spaß. Stephan Fiedlers lockere und authentische Art durch den Abend zu führen, minderte sichtlich so manches Lampenfieber der jungen Künstlerinnen und Künstler. Von klassischem Repertoire hin zu Pop-Songs, von choristischen Einlagen zu Perkussion-unterstützten Hits spannte sich der breite Bogen der musikalischen Darbietungen.

Mit der smarten Idee, bei diesem Abschlusskonzert sämtliche Zugaben, die bei den vorangegangenen Konzerten erklangen, noch einmal aufzuführen, erhielt der Abend ein ganz besonderes Flair. Erfrischend waren die Auftritte, bei welchen sich im Rotationsverfahren die jungen Pianistinnen und Pianisten beim Spielen eines einzigen Stückes abwechselten. Genauso sympathisch erklang aber auch die Aufführung von „Feliz Navidad“, bei welcher Lehrende, Schülerinnen und Schüler, aber auch Stephan Fiedler selbst dem Publikum musikalische Weihnachtsgrüße übermittelte.

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Lukas Bergler, Dorothee Helene Breidler (Foto: Klavierhaus Fiedler)

Ungläubiges Staunen rief am Schluss des Abends eine ungewöhnliche, handwerkliche Tätigkeit hervor, begann Stephan Fiedler doch vor versammeltem Publikum eine Klaviertaste aus einem Piano auszubauen. Diese stolz hochhaltend, erläuterte er die allerneueste Idee: Mit dem Kauf einer Klaviertaste um 500 Euro unterstützt man einen Wettbewerb, der steirische Musikschulen anspornen soll, ihr inklusives Konzept bis Mitte nächsten Jahres einzureichen. Eine Fachjury wird den Sieger prämieren und die Firma Kawai gemeinsam mit dem Haus Fiedler jene Summer verdoppeln, die durch den Klaviertastenverkauf zustande gekommen sein wird. Jene Summe wird in einen Flügel investiert, der schließlich seinen Weg in die prämierte Schule antreten wird.

Wem diese Idee gefällt, kann sie selbstverständlich monetär unterstützen. Hier finden Sie alle Informationen dazu.

„Inklusion wird erst dann erreicht sein, wenn man darüber nicht mehr sprechen muss“, so ein Abschluss-Statement von Fiona Fiedler. Dass man noch lange davon entfernt ist, ist wohl allen Menschen klar, die mit dem Thema konfrontiert sind. Aber auch, dass es dringend Initiativen wie ‚Piano forte – Inklusiv‘ bedarf, um den Weg zur Inklusion tatsächlich auch ebnen zu können.

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Lieselotte Sorko, Arthur Emil Noé (Fotos: Klavierhaus Fiedler9


Ein großes „BRAVI“ nicht nur an die Familie Fiedler, sondern vor allem auch an alle Beteiligten auf der Bühne:

Eldar Gazizullin, Lorenz Tatschl, Lia-Sophie Ascher, Vincent Fiedler, Lieselotte Sorko, Arthur Emil Noé, Sofia Maholetti, Philip Pscheidt, Laetitia Chiara Taurer, Peter Feyertag, Theodor David, Lukas Bergler, Maja Kürbisch, Nora Cvitkovic, Leo Tang, Nikolaus Haslmayer, Idil Naz Alici, Yichen Wei, Dorothee Breidler, Valentin Sho Kern, Julius Legat, Chaiwat Charoensak, Anna Maria Javornik, Miriam Kartusch, Robert Pöch;

Unterrichtet wurden und werden die Kinder und Jugendlichen von:
Anfisa Bobylova, Aliki Jianniou, Andrea Waldeck, Barbara Stranegger, Thaïs-Bernarda Bauer, Anna Ulaieva-Stöhr, Dong Yeon Stelzmüller, Irina Vaterl, Kristin Hütter, Fiona Fortin, Christoph Bratl, Katharina-Larissa Paech, Aima Labra-Makk, Philipp Scheucher, Anke Schittenhelm, Patrik Thurner, Gernot Rupp, Burghardt Frauenlob, Denys Zhdanov, Christian Tarla, Irina Maholetti;

Da ‚Piano Forte – Inklusiv‘ eine private Initiative ist, sollen an dieser Stelle auch all jene Institutionen vor den Vorhang geholt werden, welche für das Gelingen des Abends mitverantwortlich waren:
MS Leoben, Johann-Joseph-Fux Konservatorium Graz, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Universität für Musik und darstellende Kunst Oberschützen, MS Weiz, MS Gleisdorf, MS Mürzzuschlag.

Infos für künftige Aktivitäten im Rahmen von ‚Piano forte – Inklusiv‘ finden sich auf der Website des Klavierhauses Fiedler & Sohn.

Ein Abend voller Glanz und Talent

Ein Abend voller Glanz und Talent

Ende November fand im Palais Coburg ein besonderer Abend statt, als der Verein JUNGEBÜHNE zu einem Fundraising-Dinner einlud. Der Verein ermöglicht Kindern und Jugendlichen schauspielerisch tätig und selbst ein Teil von großen Inszenierungen zu werden. Einige der Kinder empfingen die Gäste auf der großen Freitreppe in bezaubernden Elfenkostümen und begleiteten diese in den ersten Stock. Nach der offiziellen Begrüßung erhielten die Gäste dort einen ersten Einblick in die Arbeit des Vereins.

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Ida Pammer-Bruckmüller und Kathia Deninger (Foto: JUNGEBÜHNE)

Kathia Deninger, die künstlerische Leiterin, und die kaufmännische Geschäftsführerin Ida Pammer berichteten über den Erfolg der heurigen Inszenierung „Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni. 29 Aufführungen, der Großteil davon im Muth https://muth.at/, weitere in Wiener Neustadt und Mattersburg, wurden von insgesamt 5.100 Besucherinnen und Besuchern, davon 3200 Kindern und Jugendlichen besucht. Ein enormes Aufkommen, bedenkt man, dass auf der Bühne nur Jugendliche und Kinder standen. Beflügelt von diesem Ergebnis wurden auch die Zukunftspläne vorgestellt, darunter geplante Auftritte in den Bezirken oder die langfristige Vision eines Gastspiels in Rom. Der Abend richtete sich nicht nur an Sponsoren und Eltern, sondern vor allem an die talentierten Kinder und Jugendlichen, die das Publikum mit einem abwechslungsreichen Programm in Kostümen unterhielten. Die Szenen, unter anderem mit Texten von William Shakespeare, waren trefflichst gewählt und wurden mit großem Engagement und erstaunlicher Professionalität aufgeführt. „Es ist unglaublich, welche Freude alle hatten, an diesem besonderen Abend dabei zu sein“, berichtete Kathia Deninger voller Stolz. Tatsächlich war das Setting ein komplett anderes als auf einer Bühne, agierte das quirlige Ensemble doch direkt umgeben vom Publikum und bezog dieses teilweise auch mit ein.

Theater als Bildungsauftrag

Der Verein, der sowohl in Wien als auch in Niederösterreich tätig ist, scheut sich nicht, Kinder und Jugendliche mit großen Werken der Weltliteratur zu konfrontieren und tief in das jeweilige Sprachdiktum einzutauchen. Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer hebt in seinen Büchern und Vorträgen immer wieder die Bedeutung des Theaterspielens als Schulfach hervor. Seiner Meinung nach fördert Theaterspielen nicht nur die Flexibilität des Gehirns, sondern stärkt auch das Selbstwertgefühl und die Empathiefähigkeit. Diese Ansätze spiegeln sich in der Arbeit des Vereins deutlich wider.

Die Kulturträger von morgen

Die Jugendlichen von heute sind nicht nur die Kulturträger, sondern auch das Publikum von morgen. Die Erfahrungen, die sie auf der Bühne sammeln, legen den Grundstein für eine anhaltende Begeisterung für Theater und Kultur. Musik, Tanz, Improvisation sowie schauspielerische Auftritte – all das wird in sommerlichen Workshops und wöchentlichen Unterrichtsstunden in kleinen Gruppen vermittelt. Dabei geht es nicht nur darum, Schauspieltechniken zu erlernen, sondern auch um die Förderung der Kreativität und die persönliche Weiterentwicklung. Die Kinder und Jugendlichen werden ermutigt, ihre eigenen Ideen einzubringen und sich aktiv am kreativen Prozess zu beteiligen. Dadurch entsteht ein lebendiges und abwechslungsreiches Theatererlebnis, das sowohl die Darstellerinnen und Darsteller als auch das Publikum begeistert.

Ort der Begegnung und des Austauschs

Wien verdankt Institutionen wie der JUNGENBÜHNE eine kulturelle Vielfalt, die von Generation zu Generation weitergegeben wird und die Zukunft der Stadt als kulturelles Zentrum Europas sichert. Besonders hervorzuheben ist die Rolle des Vereins als Ort der Begegnung und des Austauschs. Hier kommen junge Menschen aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen zusammen, um gemeinsam Theater zu machen und voneinander zu lernen. Diese Zusammenarbeit fördert nicht nur das gegenseitige Verständnis, sondern trägt auch zur sozialen Integration bei.

Neue Talente entdecken

Theaterprojekte wie die der JUNGEBÜHNE schaffen einen Raum, in dem junge Menschen ihre Talente entdecken und weiterentwickeln können. Es ist ein Ort, an dem sie ermutigt werden, ihre Komfortzone zu verlassen und Neues auszuprobieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Vereinsarbeit ist die enge Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Durch gemeinsame Projekte wird versucht, das Interesse für Theater und Kunst schon früh zu wecken und nachhaltig zu fördern. Diese Kooperationen ermöglichen es, auch Kinder und Jugendliche zu erreichen, die vielleicht sonst keinen Zugang zu einem derartigen kulturellen Angebot hätten.

Der Abend im Palais Coburg machte deutlich, dass Theater weit mehr ist als nur Unterhaltung – es ist eine wichtige Bildungs- und Entwicklungschance, die jungen Menschen hilft, sich selbst und die Welt um sie herum besser zu verstehen.

Weitere Infos: https://jungebuehne.art

Rauschzustände, deren Ursache und Auswirkung

Rauschzustände, deren Ursache und Auswirkung

Ob im TV oder im Theater – Edutainment setzt sich als Format immer stärker durch. Die Wortverbindung von Entertainment und Education macht deutlich, dass das Publikum einerseits unterhalten werden soll, andererseits aber auch Informationen serviert bekommt, die für eine Weiterbildung sorgen.

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Weil es knallt (Foto: Bettina Frenzel)

Die Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten divers und inklusiv und präsentieren „geopolitische Geschichten, berührende Texte und jede Menge Halligalli für Auge und Herz“, wie es der Website zu entnehmen ist. Auf der Bühne agierten Claudia Carus, Benjamin Kornfeld und Christiani Wetter. Bernhard Hammer steuerte die Live-Musik bei, wobei er sicher zwischen diversen aktuellen Musikstilen kurvte.

Das Thema der Inszenierung war Sucht in ihren vielen Facetten. Dabei ließen die Agierenden zum Teil tief in ihre eigenen Suchterfahrungen blicken – obwohl – Theater ist Theater und was dabei nun tatsächlich selbst erfahren wurde oder ‚nur‘ gespielt, ließ sich nicht wirklich klären. Die Stückentwicklung leuchtete in viele dunkle, aber auch abseitig gelegene Ecken, wie jene des zoologischen Bereichs. Hier waren es kleine Erzählungen, die das Thema beleuchteten. Die eine oder andere Info kann man ohne Weiteres beim nächsten Smalltalk brauchen, wie jene von den Delfinen, die bei der Auslebung ihres Sexualtriebes nicht gerade wählerisch sind und Kugelfische als Ping-Pong-Bälle benutzen. Das Leben im Wasser wurde gleich zu Beginn veranschaulicht, um einen Zustand zu beschreiben, der sich schwerelos anfühlt und in dem man sich geborgen fühlt. So leicht und geborgen wie in jenem Zustand, den man Rausch nennt.

Alkoholmissbrauch ist nur eine Art, sich kurzfristig aus dem Leben zu beamen. Vom Kaufrausch kann man ebenso einen Kater davontragen wie nach exzessiven Partnertauschorgien. Vieles, was angesprochen wurde, hörte und fühlte sich nach Selbsterfahrungen des Ensembles an und berührte gerade dadurch. Sollte dies nicht so gewesen sein, dann war es zumindest ausgezeichnet gemacht.

Dass es unglaublich schwer ist, nach einer gewissen Entwöhnung nicht wieder in alte Missbrauchsmuster zu fallen und warum man überhaupt dazu kommt, süchtig zu werden – diese Szenen gingen tatsächlich unter die Haut. Ein Umstand, der gerade bei diesem Thema wichtig ist, werden doch Menschen mit Suchtverhalten gerne rasch abgestempelt, ohne dass man genau hinsieht, was sie so bedrückt. Der Leistungsdruck, dem viele junge Menschen ausgesetzt sind, das Gefühl alleine zu sein, die Angst zu versagen oder der Verlust von lieben Menschen – all das sind Gründe, sich aus der Realität zu beamen und letztlich im Suchtverhalten hängen zu bleiben, durfte man erfahren.

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Weil es knallt (Foto: Bettina Frenzel)

Nichts davon jedoch wurde mit einem erhobenen Zeigefinger kommuniziert. Die flotte Regie, durch die das Ensemble ständig in Bewegung gehalten wurde, aber auch das gekonnte „Sich-selbst-nicht-ernst-nehmen“ trugen dazu bei, dass die bitteren Pillen, die verabreicht wurden, keinen weiteren Nachgeschmack entwickelten. Hautenge Bodysuits, bedruckt mit bunten Mustern, wie man sie aus psychedelischen Trip-Erzählungen und Plattencovern der 60-er-Jahre kennt, visualisierten so manchen LSD-Trip, oder zumindest, wie man sich einen solchen vorstellt.

Die Mischung zwischen Witz und Ernst, lockerem Plauderton und tiefgehender Selbsterkenntnis war es, welche „Weil es knallt“ des Theaterkollektivs ‚Fiese Matenten‘ besonders kurzweilig erscheinen ließ.