von Michaela Preiner | Mai 11, 2023 | 2021, Theater
Hier könnte die Kritik enden, denn viel mehr an Lob kann man eigentlich nicht mehr versprühen. Für all jene aber, die noch nicht in der White Box des Off-Theaters waren, hier eine Kurzzusammenfassung, die als Appetitmacher für ein gelungenes Theatererlebnis gelten soll. Seit bereits 10 Jahren besteht die Theaterformation, die immer wieder mit unterschiedlichen Menschen zusammenarbeitet. Mit der jetzigen Jubiläumsproduktion wird ein mehr als kräftiges Lebenszeichen gesetzt.
Die Schlagzeilen sind voll von Nachrichten über die Klimakrise. Unwetter stehen genauso an der Tagesordnung wie Dürre- oder Hitzeperioden. Die Frage des Energiesparens bewegt uns so richtig erst seit der Teuerung von Gas und Strom und das Mülltrennen hat – zumindest in Wien – auch so seine Tücken. Die Ausgangslage ist klar. Niemand kann vor den dramatischen Veränderungen, die uns das Klima bereithält, die Augen verschließen. Aber was ist zu tun? Was ist richtig, was ist falsch?
Diesen Fragen geht das Ensemble, bestehend aus Isabella Jeschke, Rina Juniku, Leon Lembert und Gerald Walsberger auf den Grund. Oder vielmehr versuchen die Vier in die Untiefen der unübersichtlichen Fragestellungen einzutauchen, wäre da nicht der spiegelglatte Boden, auf dem es sich kaum gerade auf den Beinen halten lässt. Zwei große Windmaschinen steuern ein Übriges bei, dass sich keine Gemütlichkeit im Raum ausbreitet, der mit weißen Segelwänden rundum begrenzt ist. (Bühne: Sebastian Spielvogel) Dominik Essletzbichler, Daniel Neuhauser und Tobias Pöcksteiner bedienen live ihre E-Gitarren samt Loop-Maschinen und unterfüttern das aberwitzige Geschehen, das sich vor ihnen abspielt, mit abwechslungsreichen Klängen.
Die temporeiche Inszenierung wartet mit einer eigenen Dynamik auf, der sich niemand entziehen kann.
Sie ist ausgestattet mit einer großen Portion Slapstick, die sich bis ins Absurde auswächst und einem verbalen Feuerwerk, bei dem sich niemand auch nur ein kleines Blatt vor den Mund hält. Ist eine Frage erst einmal ausgerollt – wie jene nach dem Sinn des Mülltrennens – bekommt man zwar so ziemlich jeden Gedankengang ausgesprochen, der einen selbst schon beschäftigte, auf eine befriedigende Antwort aber wartet man vergebens. Ist es sinnvoll, Biomüll vom Restmüll zu trennen oder wird auf der Mülldeponie „eh alles zusammengeschmissen?“ Wie viel darf man als Einzelperson an Strom verbrauchen? Sind vermögende Leute nicht wie Junkies konsumabhängig und damit therapiebedürftig? Wie schaut es mit der Frage nach Kindern aus? Sind diese eine Zumutung für die Welt oder ihre Rettung? Und nicht zu vergessen: Ist es heute noch vertretbar, Bananen zu essen? Um dieses Thema entwickeln sich zwei großartige Szenen, bei welchen man aus dem Lachen nicht mehr herauskommt und dennoch weiß: Hier gibt es eigentlich keine wirkliche Lösung, denn in unseren Breiten gedeihen Bananen einfach nicht. Gerald lässt nicht den geringsten Widerspruch zu, wenn es um seine geliebten Bananen geht und einem witzigen Regieeinfall sei Dank – darf man sich etwas später an einer umwerfenden Bananen-Ess-Nummer ergötzen.
E3 Ensemble „In Arbeit“ (Foto: Thomas Steineder)
E3 Ensemble „In Arbeit“ (Foto: Thomas Steineder)
E3 Ensemble „In Arbeit“ (Foto: Thomas Steineder)
E3 Ensemble „In Arbeit“ (Foto: Thomas Steineder)
E3 Ensemble „In Arbeit“ (Foto: Thomas Steineder)
E3 Ensemble „In Arbeit“ (Foto: Thomas Steineder)
E3 Ensemble „In Arbeit“ (Foto: Thomas Steineder)
Im Laufe des Abends wird deutlich, dass es nicht ein Dilemma ist, in dem wir alle stecken, sondern eine schier unüberschaubare Zahl an Dilemmata. Oder wie Isabella Jeschke es mehrfach auf den Punkt bringt: „Es ist alles so kompliziert!“
Neben all dem Klamaukhaften, das hier fröhliche Urstände feiert – da wird gerangelt und gestritten, da lässt man sich fallen und zieht alle anderen mit – steht immer wieder auch die Erkenntnis, dass wir selbst viel zu wenig tun, um kein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Auf die Klimademo kann Gerald nicht gehen, weil er sich dann nicht ausreichend auf den Auftritt am Abend konzentrieren kann. Isabella nimmt davon Abstand, weil sie zu großes Mitleid mit den kleinen Kindern hat, die dort von ihren Eltern mit von der Partie sind. Rina wiederum ist aktiv geworden und wird ob ihres Einsatzes bei der Hausverwaltung beklatscht, der in der Installation eines Bewegungsmelders im Hausgang mündete, um Strom zu sparen. Dass sie später zugibt, gelogen zu haben, verschlägt Isabella den Atem, aber was machen Fake News im Kleinen schon aus! Leon würde nur allzu gern ein Vögelchen anlocken, doch seine Lockrufe bleiben unerhört.
Sosehr man diesen Abend mit viel Lachen genießt, man weiß zugleich auch, dass es so nicht weitergehen kann. Dass man sich nach der Vorstellung erst recht viele Fragen zu diesem Thema stellt, darf dem E3 Ensemble als großes Verdienst angerechnet werden. Nichts ist schwerer im Theater, als gesellschaftliche Missstände, die ins Lebensbedrohende ausarten, so zu vermitteln, dass darüber dennoch des Lachens kein Ende zu sein scheint. Und das ist mit dem Stück „In Arbeit“ mehr als gelungen.
Wow, wumm und bravo, sowie auf weitere 10 Jahre E3 Ensemble!
von Michaela Preiner | Mai 7, 2023 | 2021, Theater
Für die letzte Produktion unter ihrer Leitung ‚Das Ende vom Lied‘ mit dem Untertitel ‚Ein rauschender Abgesang von Sandy Lopičić und Hannah Zufall‘ holte sie nicht nur stimmliche Ensembleschätze auf die Bühne. Sie überließ Lopičić die musikalische Gestaltung und Hannah Zufall die Textfassung. Diese besteht aus einem Kondensat von vielen Gesprächen mit dem Ensemble rund ums Thema Erinnerung und Abschied, aber auch Neubeginn. Dabei wurde deutlich, dass es nicht nur eine einzige Art des Abschiednehmens und des Trauerns gibt. Der eine schaut wehmütig zurück, der andere mutig nach vorn. Die eine befreit sich von altem Seelenballast, die andere versucht sich lyrisch auszudrücken. Was auch immer die einzelnen Ensemblemitglieder zu dem Abend beitrugen – das gemeinsame Element der Inszenierung ist die Musik. Und diese trägt die Show von Beginn bis zum Schluss und nimmt das Publikum mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt.

„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
Da werden rockige Arrangements voll von Widerstandslust (Clemens Maria Riegler) vom tradierten Volkslied „Mein Herz ist im Hochland“ konterkariert, nach dessen Performance Oliver Chomik den Schambegriff ins Spiel bringt. Sarah Sophia Meyer brilliert stimmlich mit „The show must go on”, am Klavier von Lopičić begleitet, während der am Boden platzierte Kronleuchter darauf verweist, dass diese Show bald ihr Ende findet. Lisa Birke Balzer verwandelt mit ihrer kraftvollen Interpretation von „Feeling good“ den Saal in einen veritablen Jazzclub, während Rudi Widerhofer mit seiner „Que sera“-Performance zum Publikumsliebling avanciert. Zuvor schon gelang ihm mit der „Sprengung der vierten Wand“, mit einem Gang durchs Parterre, bei dem ihm einige seiner Kollegen auf den Fersen blieben, ein wunderbarer humoristischer Einwurf, gespickt mit der tiefschwarzen Erinnerung an den Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstädter.
Der Doyen des Hauses, Gerhard Balluch, holte hingegen mit seinem Auftritt die außer Rand und Band geratenen Schauspielkolleginnen und -kollegen zurück auf den Boden der hohen deklamatorischen Schauspielkunst.
Vibeke Andersen schuf mit einem runden Pavillon auf der Drehbühne eine durchlässige Architektur für die unterschiedliche instrumentale Besetzung. Wenige hundert Meter Luftlinie vom Schauspielhaus entfernt bietet sein großer, schmiedeeiserner Bruder aus dem 19. Jahrhundert häufig der Grazer Alternativszene Unterkunft und wird nur noch gelegentlich als Bühne für die beliebten Promenadenkonzerte benutzt. Susanne Konstanze Weber leitet mit dem „Lied ans Leben“ über zum großen Showfinale, in welchem das gesamte Ensemble mit Herbert Grönemeyers „Mensch“ noch einmal zur musikalischen Hochform aufläuft. Christin Treunert gelang es, mit fantasievollen Kopfbedeckungen am Show-Klimax eine Atmosphäre – angesiedelt zwischen einer Dada-Performance und Broadway-Gepränge – zu zaubern. Neben den bereits Genannten lösten Maximiliane Haß, Fredrik Jan Hofmann, Mathias Lodd, Sebastian Pass, Franz Solar und Lukas Walcher wahre Publikumstürme aus.
DeeLinde überraschte und überzeugte zugleich als wandelbare Musikerin am Cello, an der Geige, am Kontrabass, am Akkordeon und auch mit ihrem Gesang. Raphael Meinhart, Miloš Milojević, Bernhard Neumaier und Sašenko Prolić bildeten unter der Leitung von Sandy Lopičić einen homogenen Klangkörper, der dem Schauspielensemble völlig gleichberechtigt zur Seite steht.
„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
„Das Ende vom Lied“, das sich interpretatorisch nicht zwangsläufig nur auf das Auflösen eines Ensembles beziehen muss, vermittelt zwar viel Wehmut, zugleich aber auch eine große Portion Lebensfreude. Dem Grazer Publikum wurde nicht zuletzt auch die Weisheit mitgegeben, dass etwas bewahren zugleich auch etwas verändern bedeutet. „Sie waren immer ein großartiges Premierenpublikum“, streute Iris Laufenberg bei ihrer kurzen Ansprache vor Beginn der Show der Zuhörerschaft Rosen. Nicht zuletzt ist es auch ihr großes Verdienst, dass das Schauspielhaus Graz über die regionalen Grenzen hinaus wahrgenommen wird und durch kluge programmatische Entscheidungen auch neue Publikumsschichten ansprechen konnte.
von Michaela Preiner | Apr 28, 2023 | Tanz
Zirzensische Kindheitserinnerungen beamen uns in eine Zeit voller Wunder zurück. Was war es doch für ein AH und WOW! als wir in unseren ersten Zirkusvorstellungen saßen. Wenn sich Personen bewegten, als hätten sie keine Knochen im Leib oder Clowns sich so benahmen, dass ihr nächstes Missgeschick schon vorhersehbar war, saßen wir mit Ameisen im Bauch auf den Bänken und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wer glaubt, das seien Tempi passati und eine Show käme ohne aufwendige Lichtorgel und den Einsatz von Multimedia-Geräten heute keinesfalls mehr aus, der irrt.
Es gibt sie noch: Jene Menschen, die mit ihren Tanz- und Akrobatenkünsten ganz ohne Video-Einspielungen und Playback-Musik ihr Publikum zum Staunen, Lachen und Mitfiebern bringen. Die Grazer Akrosphäre – ein Verein, der sich dem Austausch und der Unterstützung aller Zirkus- und Akrobatikbegeisterten widmet – und der Dada Zirkus – das Zirkus Theater der anderen Art aus Wien – bringt das zurück, was viele von uns schon verloren glaubten: Eine wunderbare Unterhaltung entlang körperlicher Höchstleistungen, kreativer Einfälle und jeder Menge Wundern und Staunen, auch wenn es „nur“ mit den aller simpelsten Theatertricks hervorgerufen wird.
Der Abend, an welchem man das erleben kann, nennt sich „DadaSphäre“ und bringt „Das Sein verwirrt das Bewusstsein“ der Wiener Gruppe, sowie „Xpect“ des Grazer Duos auf die kleine Bühne des Kristallwerks in Graz.
Foto: ( Lex Karelly )
Foto: ( Lex Karelly )
Foto: ( Lex Karelly )
Foto: ( Lex Karelly )
Foto: ( Lex Karelly )
Foto: ( Lex Karelly )
Alleine die clownesken Schwarz-Weiß-Kostüme des Dada Zirkus, vertreten durch André Reitter als anmutige, bärtige Ballerina, Arno Uhl als mäanderndes Gummiwesen und der Klangzauberin Roxanne Szanakowich an der E-Geige, inklusive elektronischer Erweiterungen, zaubern in wenigen Augenblicken ein Flair auf die Bühne, dass einem warm ums Herz wird. Hier sind richtige Menschen am Werk, ganz nah am Publikum, mit Fehl und Tadel, beinahe in Greifweite. Diese Gedanken geben das wieder, was das Theater, der Zirkus und die Akrobatik von jeher so faszinierend machte. Was ist es doch für ein ursprünglicher Spaß, dem Verlieben, Kinder-Bekommen, dem Streiten und schließlich dem gemeinsamen Aus-dem-Leben-Scheiden der beiden Zauberwesen zuzusehen! Wie großartig werden sie live musikalisch begleitet! Ob es wabernde Klänge oder jene eines Renaissance-Tanzes sind, ob eine barocken Chaconne, ein Abendliedchen oder ein kreischender, bedrohlicher Sound erklingen – alles ist abgestimmt auf das surreale Geschehen, das einem vertraut und fremd zugleich vorkommt. Es ist zum großen Teil jene Attitüde, mit der sich Reitter und Uhl in ihren Rollen selbst aufs Korn nehmen, die so überaus reizvoll ist. Sie agieren mit einer augenzwinkernden, humorvollen Selbstreflexion, die vielen Zeitgenossen im Alltagsleben gut zu Gesicht stehen würde. Denn damit wäre unsere Welt – der Dada Zirkus zeigt es vor – ein großes Stück lebenswerter. Ob in kurzen Soli oder vielen Pas-de-deux, ob ihre Bewegungsabläufe akrobatisch oder tollpatschig erscheinen, ihre Choreografie vereint alle Elemente, die unterschiedlichste Emotionen hervorrufen. Und sie hält uns zugleich humorvoll einen Spiegel vor.
„Xpect“, akrobatisch performt von Yasmine Heyer und Uwe Sattelkow, entführt in ein gänzlich anderes Szenario. Im Mittelpunkt ihrer Show steht ein Keyboard, das sie zu Beginn umständlich über die Bühne transportieren. Die Annahme, es würde demnächst abgestellt, erweist sich rasch als falsch. Denn das Musikinstrument ist der/die/oder das Dritte im Bunde. Es wird gehoben und geschoben, es wird hochkant gestellt und auf den Schultern balanciert. Es wird umworben, wie eine Diva und – das ist das Besondere – bei all den akrobatischen Einlagen der beiden – zugleich auch noch bespielt. Sattelkow produziert zu Beginn, wie unbeabsichtigt, einzelne Töne. Doch bald schon steigert sich seine Tastenkunst zu einer Improvisation, die schließlich mit der Wiedergabe eines Einaudi-Stückes ihren Höhepunkt findet. Im Allgemeinen spielen Pianisten und Pianistinnen im Sitzen. Gelegentlich, wenn sie vom humoristischen Fach beseelt sind, fallen sie vom Hocker oder lassen den Tastendeckel auf ihre Finger fallen. Einer der Größten dieser Kunst war wohl Victor Borge. Er verstand es, Klavierspiel auf höchstem Niveau mit humorvollen Auftritten zu spicken, dass man gar nicht genug von ihm bekommen konnte. Was Sattelkow hier aber zeigt, ist etwas ganz anderes. Während Heyer auf seine Schultern steigt oder auf ihm einen Handstand vollführt, hält er sein Keyboard in Händen und spielt gleichzeitig darauf. Ganz besonders ist auch jene Szene, in welcher sich die Akrobatin so an ihm festklammert, dass nur ihre Beine links und rechts von seinem Körper zu sehen sind. Der Tanz, den diese mit den zarten Füßen vollführt, während der Pianist zugange ist, bezaubert Jung und Alt gleichermaßen. Auch lange Passagen, Kontaktimprovisationen entnommen und doch bis ins kleinste Detail durchkomponiert, sind nicht nur akrobatisch vom Feinsten, sondern zugleich auch extrem kurzweilig und unterhaltsam. Doch so anstrengend ihre Performance körperlich auch ist, immer kommt sie leichtfüßig daher. Die beiden schaffen einen Aufmerksamkeitsraum, in dem man nicht nur lacht und staunt, sondern auch den Atem anhält. Mit dem zuvor genannten Victor Borge haben sie eines gemeinsam: Man kann von ihnen nicht genug bekommen.
Foto: ( Lex Karelly )
Wer von diesem Geschehen einmal angefixt wurde, dem oder der seien folgende Internetseiten ans Herz gelegt: https://akrosphaere.at/ sowie https://www.dadazirkus.at/ Denn Kommendes sollte man auf keinen Fall verpassen!
von Michaela Preiner | Apr 19, 2023 | 2021, Theater
„So sehen also Menschen aus, die sich an einem Sonntag im Frühling mit dem Tod beschäftigen wollen.“ Dieses knappe Statement, das logischerweise Publikumslacher mit sich brachte, stammt von Carl Achleitner, seines Zeichens Schauspieler und Trauerredner. Engagiert wurde er von Regina Picker für ihr Format „Performance Brunch“ – mit dem Titel „Guade Nocht“, das im Volkskundemuseum Wien Mitte April gezeigt wurde.
Carl Achleitner (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Regina Picker (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Foto: Julia Wesely/Performance Brunch
Ein Format, das begeistert und verbindet
Das von Picker schon seit 9 Jahren verfolgte Format vereint, was viele ihrer Kolleginnen und Kollegen häufig vergebens versuchen: Performances, Konzerte, Lesungen und kulinarischen Genuss auf höchstem Niveau zugleich anzubieten. Es sind wechselnde Themen, die immer wieder aufs Neue Lust machen, sich zu einem Performance-Brunch zu gesellen. Titel wie „Woiza“ oder „Ondersch“, bewusst dialektal gehalten, senken vom ersten Augenblick an die Hemmschwelle, an diesem Kulturangebot teilzunehmen. So angesprochen vereinen sich Menschen unterschiedlicher Altersstufen und verschiedenster gesellschaftlicher Gruppierungen letztlich an einem Tisch. Ob Jung oder Alt, ob mit universitärer Ausbildung ausgestattet oder Lehrling – alle vereint letztlich die Freude am Essen. Und das war bei dieser Session ausgesucht köstlich.
Speeddating mit dem Tod (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Death positiv (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Speed Dating mit dem Tod als pure Lebensäußerung
Peter Koblhirt sorgte für den kulinarischen, vegetarischen Hochgenuss mit insgesamt fünf Gängen. Serviert wurden diese – bis auf die Haupt- und Nachspeise zwischen den einzelnen Performances. Nach Carl Achleitners hoch emotionaler Lesung aus seinem Buch „Das Geheimnis eines guten Lebens“, gestalteten Verena Brunnbauer und Nicole Honeck (Death positiv) ein „Speed Dating mit dem Tod“. Was sich etwas morbide anhört, entpuppte sich jedoch als pure Lebensäußerungen. In kurzen Zeitabständen von nur wenigen Minuten, wechselte das Publikum jeweils zu einem neuen, unbekannten Gegenüber und unterhielt sich in Einzelgesprächen mithilfe von Spielkartenvorgaben rund um das Thema Tod. Weit davon entfernt in Trauermienen zu verfallen, kam es zu einem intensiven, persönlichen Austausch, der schließlich sogar dazu führte, dass man sich später gemeinsam an die gedeckten Tische setzte und sich unterhielt, als würde man sich schon seit Langem kennen.
Intensive künstlerische Darbietungen und unerwartete Begegnungen
Mit Bernhard Eder, vielen aus unterschiedlichen Theaterproduktionen in Österreich bekannt, für deren Musik er verantwortlich zeichnet, wurde ein Live-Konzert aufgeboten, bei dem man näher nicht dabei sein hätte können. Ohne verdunkelten Saal, in der hellen Tagesmitte, im Abstand von nur einem Meter vom Publikum entfernt, präsentierte er Coverversionen, aber auch selbst Komponiertes rund um das Thema Abschied vom Leben. An seiner Gitarre, ergänzt durch Loop-Maschinen, schuf er neben ruhigen, lyrischen Passagen auch volle, zum Teil auch mehrstimmige, überzeugende Sounds. Wer braucht eine Band, wenn es einen Bernhard Eder gibt?!
Bernhard Eder (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Bernhard Eder (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Will Lopes (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Will Lopes (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Will Lopes (Foto: Julia Wesely/Performance Brunch)
Der brasilianische Butoh-Tänzer Will Lopes gestaltete den fulminanten, künstlerischen Schlusspunkt. In „Kagebara“ verkörperte er unterschiedliche Archetypen menschlicher Existenz. Ausdrucksstark und hoch konzentriert verwandelte er sich während seiner Performance vom Krieger in ein weibliches Wesen, vom Tier hin zu einer vergeistigten Existenz, verbunden mit Energien außerhalb unserer menschlichen Wahrnehmung.
Foto: Julia Wesely/Performance Brunch
Foto: Julia Wesely/Performance Brunch
Foto: Julia Wesely/Performance Brunch
Foto: Julia Wesely/Performance Brunch
Foto: Julia Wesely/Performance Brunch
Foto: Julia Wesely/Performance Brunch
Neben den künstlerischen Darbietungen bleibt vor allem der Austausch mit Menschen im Gedächtnis, die man vorher nicht gekannt hat und mit welchen man wahrscheinlich ohne diese Veranstaltung nie in Berührung gekommen wäre. Welches andere künstlerische Format kann diesen Moment für sich tatsächlich reklamieren? Wer sich für kommende Veranstaltungen von Regina Picker anmelden möchte, kann dies hier tun: https://www.performancebrunch.at/anmeldung-1/
von Michaela Preiner | Apr 16, 2023 | 2021, Oper
Eine Oper mit der Länge von nur eindreiviertel Stunden muss ein Libretto vorweisen, welches eine Handlung, die sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen erstreckt, gekonnt zusammenfasst. Leoš Janáčeks Text zu seiner Oper ‚Katja Kabanova‘ holpert jedoch ein wenig dahin. Das mag daher rühren, dass er selbst den Text nach einem Drama des Russen Alexander Nikolajewitsch Ostrowski (1823 – 1886) auf ein Kondensat zusammengestrichen hat, welches so manche darin vorkommende Figur charakterlich nicht wirklich erklärt. Ostrowski hat sein Drama unter dem Titel „Gewitter“ 1859 veröffentlicht, was insofern bemerkenswert ist, als der Schriftsteller die Scheinheiligkeit der Gesellschaft im Hinblick auf Ehebruch und sexuelles Verlangen sowie die Unterwerfung in einem familiären System zu den Hauptthemen seines Stückes machte. Bei uns wenig bekannt, gehört er zu den Großen der russischen Literatur und übte starken Einfluss auf Leo Tolstoi aus.
Interpretationsspielraum oder Verwirrung?
In der Oper Graz erlebte das Werk am 18.3.2023 seine Premiere, wofür das Team um die Regisseurin Anika Rutkofsky mit einigen Regieeinfällen die ohnehin schon etwas schlingernde Handlung weiter verkomplizierte, sodass sich am Ende die Frage stellt: Wie viel Interpretationsspielraum, wie viele mythologischen Verweise, wie viele Handlungsumdeutungen verträgt ein Stück, um dennoch verständlich zu bleiben? Wie sich zeigt, führen große Bemühungen manches Mal nicht immer zum Ziel.

Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“ an der Oper Graz ( Foto: © Werner Kmetitsch)
Womit die Kritik bei ihrem Kern angelangt ist. Die Regisseurin versetzt das Geschehen in ein kirchliches Umfeld, genauer in das Innere einer orthodoxen Dorfkirche. Der bei Ostrowski und Janáček noch als Kaufmann ausgewiesene Dikoj, (Wilfried Zelinka) wird zum Popen der Gemeinde, sein Neffe Boris, der ihm anvertraut wurde, zu seinem Novizen. (Arnold Rutkofski) Die Idee, die Geschichte in einen orthodox-religiösen Kontext zu stellen, schiebt die eigentliche Aussage, dass jede Gesellschaft scheinheilig ist und Sündenböcke sucht, vom Grazer Publikum weit weg. Vielmehr verleitet diese Konstellation vom roten Plüschsessel der Oper aus mit dem Finger auf ein System zu zeigen, das „so bei uns nicht vorkommt“.
Gleich in den ersten Minuten, nachdem sich der Vorhang gehoben hat, wird man Zeuge, wie ein Mann auf einer Leiter das kommunistische Sichelsymbol von einem Kirchenfenster abwischt, welches später durch ein Marienbildnis ersetzt werden wird. Damit ist der Zeithorizont, in welchem sich das Drama abspielt, geklärt. Man befindet sich offenbar kurz nach dem Zusammenbruch der UDSSR. Vor dem Kircheninnenraum erstreckt sich eine blau gekachelte Wand mit einem Einstieg, wie man ihn von Schwimmbädern her kennt. Im zweiten Akt wird sich dieses Schwimmbad noch um ein Zimmerchen erweitern, das als Liebesabsteige dienen wird. Hier gibt das Programmheft Erläuterungen: „Der Bühnenraum von Eleni Konstantatou – eine Schwimmbadkirche – macht den Systemwechsel architektonisch sichtbar: Hierfür steht die St.-Petri-Kirche einer protestantischen Gemeinde nahe des Newski Prospekts Pate, die im Kommunismus zum Schwimmbad umfunktioniert wurde. Heute wird auf dem abgedeckten Becken wieder Messe gefeiert, wobei der Altarstein noch an das Sprungbrett erinnert.“
Die Reduktion der Aussage des Stückes durch den orthodox-religiösen Rahmen
Die Verlogenheit der Gesellschaft, die Ostrowski in seinem Drama aufzeigte, wird in der Grazer Opernfassung zu einer Bigotterie herabgestuft, in der weder für eine tiefgläubige religiöse Erleuchtung noch für ein öffentliches Bekenntnis der eigenen Fehlbarkeit Platz ist.
Katja Kabanova (Marjukka Tepponen), die junge Ehefrau von Tichon (Matthias Koziorowski) steht ganz unter der Kuratel ihrer despotischen Schwiegermutter, die ihren Sohn nicht von der mütterlichen Leine lässt. Als dieser zwei Wochen das Dorf verlassen muss, schwant seiner Frau Unheil. Sie spürt, dass ihre bis dato nicht ausgelebte Sexualität Anlass zu einem Ehebetrug sein wird. Und tatsächlich dauert es nur wenige Stunden, bis sie sich Boris, Dikojs Neffen, hingibt, der sie bis dahin nur von der Ferne anhimmeln konnte.
In jener Szene, in welcher die beiden jungen Leute zueinanderfinden, geht es auf der Bühne in allerlei parallel gezeigten Paarungsvarianten freizügig zu. Anhand der Kostüme wird man später erkennen, dass Mitglieder der religiösen Gemeinschaft, die sich in der Kirche ständig bekreuzigen, Moral offenkundig nur vom Hörensagen kennen.
Foto: © Werner Kmetitsch
Foto: © Werner Kmetitsch
Foto: © Werner Kmetitsch
Foto: © Werner Kmetitsch
Foto: © Werner Kmetitsch
Foto: © Werner Kmetitsch
Janáčeks herausragende Musik als Rettungsanker
So verschwurbelt das Libretto und die Inszenierung an sich auch daherkommen, so wohltuend steht ihnen die Musik von Leoš Janáček mit dem Dirigat von Roland Kluttig gegenüber. Neben aufbrausenden Klängen mit harten und tiefen Bläsern, die Unheil verkünden, stehen höchst lyrische Passagen, die tief in verschiedene Seelenzustände eintauchen lassen. Katja Kabanova selbst ist mit mehreren wunderbaren Arien ausgestattet, die Tepponen im Laufe der Vorstellung immer glanzvoller interpretiert. Herausgestrichen soll auch ihre schauspielerische Darstellung dieser jungen Frau werden. Jegliche Emotion, jegliches Geschehen, über das sie berichtet, kommt authentisch beim Publikum an. Herrlich anzuhören sind auch jene Volksliedmotive, die der Komponist dem Charakter von Kudrjasch (Mario Lerchenberger) zugeordnet hat. Die Womanizer-Rolle, die er in Graz verkörpert, schieben diese innigen Melodien in die Schublade eines kaltblütigen, ausgebufften Verführers, wodurch sie nur im ersten Moment lieblich wahrgenommen werden können.
In Janáčeks Kompositionstechnik kann man häufig den Klang einzelner vorgetragener Worte und ganzer Sätze gut nachvollziehen. So wartet die Rolle der Schwiegermutter (Iris Vermillion) von Katja mit einigen harten und kantigen Einsprengseln auf, in welchen auch der Satz „Die Menschheit will betrogen werden“ ausgesprochen wird. Kleine, auf- und ab wiegende Melodiekaskaden hingegen lassen jene Vögel hörbar werden, die Katja sowohl besingt, als sie daran denkt, wie gerne sie doch frei wäre. Sie kommen jedoch noch einmal vor – kurz bevor die junge Frau, ausgestoßen von der Gesellschaft, den Freitod wählt. Dass letztlich auch Katjas Ehemann Tichon der gesellschaftlichen Lynchjustiz zum Opfer fällt, da er sich in der Grazer Version als homosexuell outet, ist ebenfalls ein Regie-Einfall von Anika Rutkofsky.
Das Kostümpotpourri von Marie Sturminger lässt eine Gesellschaft erkennen, die, ländlich geprägt, nichts vom Chic der oberen Zehntausend in Moskau vorweisen kann. Einzig der Prunkornat des Popen und die blendend weiße Sonntags-Staffage von Kabanicha, der bösen Schwiegermutter, vermitteln Glanz und damit zugleich auch ihren Obrigkeitsanspruch.
Ein hervorragendes Ensemble sorgt für einen gelungenen Abend
Musikalisch agiert das Ensemble extrem einheitlich auf hohem Niveau. Es gibt keinerlei Ausreißer nach unten, was der Aufführung sehr guttut. Neben den schon genannten sind Mareike Jankowski als Schwägerin und Martin Fournier in der Rolle von Kuligin hier noch hervorzuheben. Es ist die Leistung der Sängerinnen und Sänger und auch des Orchesters, welche den Abend in der Grazer Oper zu einem Erlebnis werden lassen. Auch, wenn man über die Inszenierung an sich heftig diskutieren kann.