Rauschzustände, deren Ursache und Auswirkung

Rauschzustände, deren Ursache und Auswirkung

Ob im TV oder im Theater – Edutainment setzt sich als Format immer stärker durch. Die Wortverbindung von Entertainment und Education macht deutlich, dass das Publikum einerseits unterhalten werden soll, andererseits aber auch Informationen serviert bekommt, die für eine Weiterbildung sorgen.

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Weil es knallt (Foto: Bettina Frenzel)

Die Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten divers und inklusiv und präsentieren „geopolitische Geschichten, berührende Texte und jede Menge Halligalli für Auge und Herz“, wie es der Website zu entnehmen ist. Auf der Bühne agierten Claudia Carus, Benjamin Kornfeld und Christiani Wetter. Bernhard Hammer steuerte die Live-Musik bei, wobei er sicher zwischen diversen aktuellen Musikstilen kurvte.

Das Thema der Inszenierung war Sucht in ihren vielen Facetten. Dabei ließen die Agierenden zum Teil tief in ihre eigenen Suchterfahrungen blicken – obwohl – Theater ist Theater und was dabei nun tatsächlich selbst erfahren wurde oder ‚nur‘ gespielt, ließ sich nicht wirklich klären. Die Stückentwicklung leuchtete in viele dunkle, aber auch abseitig gelegene Ecken, wie jene des zoologischen Bereichs. Hier waren es kleine Erzählungen, die das Thema beleuchteten. Die eine oder andere Info kann man ohne Weiteres beim nächsten Smalltalk brauchen, wie jene von den Delfinen, die bei der Auslebung ihres Sexualtriebes nicht gerade wählerisch sind und Kugelfische als Ping-Pong-Bälle benutzen. Das Leben im Wasser wurde gleich zu Beginn veranschaulicht, um einen Zustand zu beschreiben, der sich schwerelos anfühlt und in dem man sich geborgen fühlt. So leicht und geborgen wie in jenem Zustand, den man Rausch nennt.

Alkoholmissbrauch ist nur eine Art, sich kurzfristig aus dem Leben zu beamen. Vom Kaufrausch kann man ebenso einen Kater davontragen wie nach exzessiven Partnertauschorgien. Vieles, was angesprochen wurde, hörte und fühlte sich nach Selbsterfahrungen des Ensembles an und berührte gerade dadurch. Sollte dies nicht so gewesen sein, dann war es zumindest ausgezeichnet gemacht.

Dass es unglaublich schwer ist, nach einer gewissen Entwöhnung nicht wieder in alte Missbrauchsmuster zu fallen und warum man überhaupt dazu kommt, süchtig zu werden – diese Szenen gingen tatsächlich unter die Haut. Ein Umstand, der gerade bei diesem Thema wichtig ist, werden doch Menschen mit Suchtverhalten gerne rasch abgestempelt, ohne dass man genau hinsieht, was sie so bedrückt. Der Leistungsdruck, dem viele junge Menschen ausgesetzt sind, das Gefühl alleine zu sein, die Angst zu versagen oder der Verlust von lieben Menschen – all das sind Gründe, sich aus der Realität zu beamen und letztlich im Suchtverhalten hängen zu bleiben, durfte man erfahren.

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Weil es knallt (Foto: Bettina Frenzel)

Nichts davon jedoch wurde mit einem erhobenen Zeigefinger kommuniziert. Die flotte Regie, durch die das Ensemble ständig in Bewegung gehalten wurde, aber auch das gekonnte „Sich-selbst-nicht-ernst-nehmen“ trugen dazu bei, dass die bitteren Pillen, die verabreicht wurden, keinen weiteren Nachgeschmack entwickelten. Hautenge Bodysuits, bedruckt mit bunten Mustern, wie man sie aus psychedelischen Trip-Erzählungen und Plattencovern der 60-er-Jahre kennt, visualisierten so manchen LSD-Trip, oder zumindest, wie man sich einen solchen vorstellt.

Die Mischung zwischen Witz und Ernst, lockerem Plauderton und tiefgehender Selbsterkenntnis war es, welche „Weil es knallt“ des Theaterkollektivs ‚Fiese Matenten‘ besonders kurzweilig erscheinen ließ.

Bewegung und Hektik war gestern, Rückzug und Ruhe ist heute

Bewegung und Hektik war gestern, Rückzug und Ruhe ist heute

Alles rennt, ist hektisch, hat keine Zeit. An anderen vorbeilaufen, sich anrempeln und ärgern, dass schon wieder so viele Menschen zusammengepfercht in einer Straßenbahn transportiert werden – wer kennt nicht diese Szenarien und die Gefühle, die uns in solchen Momenten innerhalb von wenigen Augenblicken befallen?

Lisa Hinterreithner servierte dem Publikum im TQW ein Gegenkonzept. „Padded“, so ihre Performance, bot pure Entschleunigung. Eine Rückbesinnung auf das, was, was jeder Mensch erlebt, wenn er schläft oder besser – kurz davor und kurz danach.

Das Setting war einfach: Große, genähte Polster in Form von überdimensionierten Schwimmreifen, aus weichem, flauschigem Material oder Kunstfell bedeckten den Boden eines Studios. An den Wänden entlang waren quadratische Pölster und dicke Socken für die Zusehenden platziert. Relaxen vom ersten Augenblick an war angesagt.

Die drei Performerinnen, Lisa Hinterreithner, Rotraud Kern und Jasmin Schaitl wurden nicht sofort entdeckt. Verborgen unter Decken und sogenannten ‚Space-Shelter-Gehäusen‘, wie sie im Begleittext der Performance bezeichnet werden, die sich wohlig um ihre Körper schmiegten, wurden sie erst durch die anfänglichen Bewegungen sichtbar. Ein „Summgrunzen“ einer der Frauen, leise und wie im Schlaf von sich gegeben, bot den initialen auditiven Reiz. Immer wieder waren feine Geräusche zu vernehmen, welche die Frauen gelegentlich von sich gaben. Meistens jedoch erklang aus kleinen Audio-Boxen eine Sounduntermalung unterschiedlichster Assoziationsqualität. Leises Schnarren wechselte sich mit Knistern ab, fernes Grillenzirpen entführte die Gedanken in sommerliche Gefilde. Angenehmes Regenplätschern und eine animalische Klangkulisse weckten Lust, einen Landaufenthalt zu buchen und eine Auszeit zu nehmen, in welcher man zur Ruhe kommen kann, ganz so, wie es die Performerinnen vor einem taten.

Dabei gewann man den Eindruck, dass sie schliefen oder sich in einer Art Halbschlaf befanden. Langsame Bewegungen am Boden wie bedächtiges Drehen von einer Seite zur anderen, ein behutsames zentimeterweise Voranrutschen, immer mit dem Bedürfnis und der Möglichkeit, sich dabei unter einer der Stoffkonstruktionen zu verbergen oder sich damit zuzudecken, konnten beobachtet werden. Ein Augenkontakt mit dem Publikum wurde von Beginn bis zum Ende vermieden, vielmehr stand die Introspektion der einzelnen Frauen im Vordergrund. Wenn sie sich zu Zweier- oder Dreiergruppen zusammenfanden, geschah dies ausschließlich durch sanftes Annähern und wieder Entfernen. Niemals jedoch ohne ihre ‚caring objects‘.

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Lisa Hinterreithner – padded (Foto: © Eva Würdinger, Markus Gradwohl)

Währenddessen wurde ein spezielles Hörspektrum geboten: Angefangen von einem Knisterknacken und Flatterschnattern, von einem Surrgurgeln, aber auch leisem Lippenschmatzen hin zu Schnarrgeräuschen wurde das entschleunigte Bühnengeschehen begleitet. Was davon eingespielt war und was davon live von den Frauen produziert wurde, war nicht immer auszumachen. Die produzierte Gemächlichkeit erlaubte dem Publikum, sich in den 45 Minuten der Performance selbst zu erholen, den langsamen bis statische Bewegungen zusehen, oder auch die Augen schließen und die eigene Aufmerksamkeit nur der ungewöhnlichen, aber beruhigenden Geräuschkulisse zu widmen.

So gering die Bandbreite der Bewegungsmuster der Performerinnen ausfielen, so viel Freiraum bot ‚padded‘ – zu Deutsch ‚gepolstert‘ dem eigenen Interpretationsraum. Die Zurücknahme, ja Verweigerung dessen, was von einer Tanzperformance normalerweise erwartet wird – Bewegung bis zu Verausgabung, findet seine Parallelen in der Bildenden Kunst, wie sie schon vor Jahrzehnten festgeschrieben wurden. Monochrome Malerei begonnen von Kasimir Malewitsch, über Raimund Girke oder Yves Klein bis hin zur in den USA entwickelten Minimal-Art von den frühen 60er-Jahren. Eine vergleichbare Idee war in der Musik zu beobachten – John Cage oder Philip Glass waren Giganten dieser Stilrichtung.

Lisa Hinterreithner stattet jedoch ihren Minimalismus mit einer höchst sinnlichen Komponente aus. Die verwendeten Materialien und ihr Einsatz als Schutz- und Geborgenheitsobjekte erzeugen wohlige Gefühle, auch wenn man als Publikum nicht am Geschehen selbst teilnimmt. Die Möglichkeit, sich durch weiche Stoffobjekte komplett von der Außenwelt abzuschirmen, entspricht dem Bedürfnis vieler junger Menschen, sich komplett aus der Gesellschaft zurückzuziehen. Der Overflow, mit dem die Menschen heute permanent konfrontiert sind, wird mittlerweile von nicht wenigen abgelehnt. ‚Shakaiteki hikikomori‘ nennt sich jenes japanische Gesellschaftsphänomen, bei welchem sich hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene aus dem gesellschaftlichen Leben in ihre eigenen vier Wände zurückziehen und einen Großteil der Zeit im Bett verbringen. Ottessa Moshfegh thematisierte in ihrem Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ ebenfalls den totalen Rückzug einer Frau, die diesen minutiös mit Tablettenmissbrauch über ein Jahr lang durchführt.

‚Padded‘ ermöglicht einen Blick in Momente, die normalerweise äußerst privat und zurückgezogen gelebt werden. Die animalischen Parallelen, die sich in gewissen Szenen aufdrängten, auch sie erinnerten daran, was alle Lebewesen auf dieser Welt vereint: Neben Hektik und Betriebsamkeit vorrangig die Lust am Ausruhen, sich Erholen und der Wunsch, sich geborgen in seine eigene Höhle zurückziehen zu können. Ein Zustand, den gerade in unseren Zeiten viele Menschen schmerzlich vermissen müssen.

Lisa Kortschak und Elise Mory steuerten den subtilen Sound bei, Daniela Grabosch lieferte die Kostüme. Sie trugen erheblich zum Gelingen dieser Performance bei.

Farben für die Menschlichkeit

Farben für die Menschlichkeit

Die Initiative des Art Collectors Club des Wiener Roten Kreuzes zeigt, dass Kunst und humanitäres Engagement auf einzigartige Weise verbunden werden können. Seit 1995 bringt der Club renommierte Künstlerinnen und Künstler mit der Mission des Roten Kreuzes zusammen: durch Kunst Menschen in Not zu helfen. Jährlich entsteht eine limitierte Druckgrafik-Edition, die nicht nur künstlerisch wertvoll, sondern auch ein wichtiges Instrument der Katastrophenhilfe ist.

Heimo Zobernig und die Kunst des Helfens

Der international bekannte Künstler Heimo Zobernig, dessen Werke in den bedeutendsten Museen der Welt vertreten sind, hat eine Serie von Unikatdruckgrafiken gestaltet, die Anfang Dezember in der Galerie Meyer*Kainer präsentiert wird. „Ich bin gerne dabei, denn das, was das Rote Kreuz macht, ist eine der wichtigsten Sachen. Verbindet man es mit dem, was der Inhalt dieses Druckes ist, wird deutlich, wie oft es Einsätze in der Natur, also am Berg, in der Wüste oder am Wasser gibt“, erklärt der Künstler.

Die Drucke, entstanden in Zusammenarbeit mit der Druckwerkstatt Zein Editions, zeigen ein quadratisches Motiv voller lebendiger Farben und subtiler Botschaften. Auffallend ist das eingebettete Wortspiel „PAIN“, das wie ein stiller Klang durch die Bilder schwingt. Gleichzeitig sind die Spuren des Entstehungsprozesses – Druckpasser und Handabdrücke – sichtbar geblieben, eine bewusste Entscheidung des Künstlers. Für Zobernig ist es wesentlich, dass die Betrachtenden die Kunst nicht nur sehen, sondern auch den Prozess der Schöpfung nachfühlen können.

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Foto: (WRK / Markus Hechenberger)

Diese direkte Verbindung zwischen Schöpfungsprozess und Betrachtenden ist typisch für Zobernigs Arbeit. Wie sehr seine Kunst mit der Natur verbunden ist, erklärt er folgendermaßen: „Wesentlich für mich ist, dass die Malerei, die dem Druck zugrunde liegt, etwas probiert, das uns die Natur zeigt. Es ist nicht nach der Natur gemalt, sondern etwas, das Schönheit erzeugt wie Natur. Ursprünglich kommt die Farbe aus der Natur. Es waren Mineralien, Oxide und Pflanzen, die als Farbe für die Malerei gewonnen wurden.“

Zobernig, der in der Kunstszene als einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Kunst in Österreich gilt, beweist auch in der neuen Serie sein meisterhaftes Verständnis für die Macht der Reduktion und die subtile Eleganz der Formensprache.

Der Künstler, bekannt für seine Auseinandersetzung mit Minimalismus und Konzeptkunst, setzt in der Edition auf eine Rückbesinnung zu klaren, geometrischen Formen: Rechtecke, Quadrate und einem Zusammenspiel von unterschiedlich färbigen Flächen. Diese geometrischen Elemente sind nicht einfach nur abstrakte Grundfiguren. Obwohl sie auf den ersten Blick an computergenerierte Schaltflächen erinnern, gelingt es Zobernig, ihnen eine sinnliche Dimension zu verleihen. Die Farbgebung ist leuchtend, das Zusammenspiel von Flächen und Negativräumen sorgfältig komponiert und von einer Leichtigkeit, die fast tänzerisch wirkt „Es gibt ganz wenige Farbnamen, die wie „Rot“, „Gelb“, „Grün“ oder „Blau“ abstrakt zu lesen sind. Aber es gibt tausende Farbnamen, die sich daran orientieren, was wir gerne essen, was wir übel finden, was wächst oder was wir einfach als Materie vorfinden. Ich habe mich lange damit beschäftigt und versucht, meine eigene Palette zu finden und zu verstehen“. Die implementierte Aussage ‚Pain‘ verbindet auf intelligente Weise den Grundgedanken des Roten Kreuzes – Menschen im Schmerz zu helfen.

Zobernigs Grafiken sind voller rhythmischer Elemente – als würde man einer Melodie mit den Augen folgen. Die Farbflächen korrespondieren mit der Linearität der geometrischen Formen. Das Verhältnis von Vorder- und Hintergrund wirkt dabei dynamisch, fast als ob die Flächen atmen würden. Zobernigs Kunst spielt mit der Wahrnehmung und schafft eine Balance zwischen Präzision und Verspieltheit. Diese Offenheit macht die Arbeiten zugänglich für Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und ermöglicht es jedem, eine persönliche Verbindung zu den Werken herzustellen.

Der Art Collectors Club und seine Mission

Die Initiative erlaubt Kunstbegeisterten, mit dem Erwerb einer Grafik einen direkten Beitrag zur humanitären Hilfe zu leisten. Die Werke werden gegen eine freiwillige Mindestspende vergeben, deren Erlöse direkt in die Katastrophenhilfe des Wiener Roten Kreuzes fließen. Diese Hilfe ist vielfältig: Sie reicht von Soforthilfemaßnahmen bei Naturkatastrophen bis hin zur Unterstützung von Menschen, die durch Krieg oder humanitäre Krisen in Not geraten. Auch in Österreich selbst kommen die Mittel zum Einsatz, etwa bei Rettungsdiensten, Notunterkünften oder der Versorgung von Menschen, die von akuten Krisen betroffen sind.

„Der Art Collectors Club zeigt, wie Kunst eine Brücke zwischen Ästhetik und Menschlichkeit schlagen kann“, erklärt eine Sprecherin des Roten Kreuzes. „Jeder Kauf eines Kunstwerks ist ein Beitrag dazu, Leben zu retten und Hoffnung zu schenken.“

Bisher haben sich Künstler und Künstlerinnen wie Christian Ludwig Attersee, Herbert Brandl, Brigitte Kowanz, Peter Sengl, Billi Thanner, Franz Zadrazil, Maria Lassnig, Arnulf Rainer, Hubert Scheibl, Eva Schlegel und Erwin Wurm bereit erklärt, einen künstlerischen Beitrag zu leisten.

Die Präsentation der Edition findet am 4. Dezember 2024 um 18:00 Uhr in der Galerie Meyer*Kainer (Eschenbachgasse 9, 1010 Wien) statt. Interessierte sind herzlich eingeladen, die Werke im Original zu bewundern und Teil dieser außergewöhnlichen Initiative zu werden. Denn der Art Collectors Club des Wiener Roten Kreuzes zeigt: Kunst kann nicht nur die Welt verschönern, sondern sie auch verbessern.

Weitere Informationen:
www.wrk.at/artcollectorsclub

Impro-Cup 2024 in Graz: Ein Fest der Überraschungen, des Theater-Wahnsinns und der Impro-Genialität

Impro-Cup 2024 in Graz: Ein Fest der Überraschungen, des Theater-Wahnsinns und der Impro-Genialität

Graz, die Stadt der Murinsel, des Uhrturms und des charmanten Improvisationstheaters, wurde im November zum Epizentrum des Impro-Cups 2024. Ein Festival, bei dem Schauspieler*innen aus ganz Europa in einem gewagten Experiment aufeinandertrafen – Blind Dates auf der Bühne. Fünf Abende, fünf Duos, die sich vorher nicht kannten, aber gemeinsam Neuland betraten. Das Versprechen: Unterhaltung, die berührt, begeistert und garantiert nicht langweilt. Das Ergebnis? Ein Festival, das seinesgleichen sucht und bewies, dass improvisiertes Theater mehr ist als ein paar schnelle Witze.

Im Zentrum standen die sogenannten „Dynamic Duo Shows“, bei denen Künstlerinnen und Künstler des Theaters im Bahnhof (TiB) auf internationale Gäste trafen. Das TiB wurde durch Pia Hierzegger, Lorenz Kabas, Jacob Banigan und Beatrix Brunschko vertreten, während Anja Balzer und Oliver Rank aus Deutschland, Billy Kissa aus Griechenland, Sara Šoukal aus Slowenien und Chris Mead aus Großbritannien teilnahmen. Jede und jeder von ihnen brachte nicht nur den individuellen Stil, sondern auch ihre eigenen kulturellen Einflüsse ein, die diesen Abenden eine einzigartige Note verliehen.

Aus den fünf abwechslungsreichen Abenden haben wir zwei ausgewählt, um aus ihnen hier spannende Eindrücke und Erlebnisse zu teilen.

Montag Spezial: EUROMIX – Wenn Kerzen flirten und Götter Weihnachten feiern

Der zweite Cup-Abend im Orpheum begann mit einer humorvollen Aufwärmphase. Dabei wurde das Publikum mit einem „Schulter-an-Schulter“-Wettbewerb herausgefordert – wer zuerst eine menschliche Kette bildet, gewinnt. Hier zeigte sich, dass das Grazer Publikum nicht nur gerne lacht, sondern auch hochkompetitiv ist. Die Moderation legte charmant-chaotisch nach, indem der Abend in „Englisch, schlechtem Englisch, Deutsch und schlechtem Deutsch“ ankündigt wurde – schlichtweg einem multilingualen Chaos, das hervorragend funktionierte.

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Improcup 2024 in Graz (Foto. Johannes Gellner)

Die Szenen des Abends boten ein Feuerwerk an absurden Einfällen. So konnten sich zwei menschliche Kerzen partout nicht aneinander lehnen– eine grotesk-lustige Metapher für eine unmögliche Liebe. Im nächsten Moment durfte man in einem belebten Café drei Paare belauschen , deren Dialoge kunstvoll miteinander verwoben wurden. „Horoskope funktionieren nicht!“, platzte es dabei aus einem Mann heraus, worauf seine Begleiterin fassungslos antwortete: „Du hast mein Leben ruiniert.“
Ein weiteres Highlight war die Szene „Happy Funeral“, bei der eine Pina-Colada-Beerdigung gleichzeitig melancholisch und urkomisch wirkte. Eine Improvisation brachte sogar zwei Berge zum Reden, die in einem Gespräch über die Notwendigkeit vulkanischer Entgasung philosophierten. Der Vulkan müsse „pupsen“, weil Zurückhaltung ihm schaden würde – ein Moment, der in puncto Absurdität und Lachmuskelstimulation kaum zu überbieten war.
Musikalisch ging es mit einem improvisierten Song weiter, bei dem Felix Klengel am Keyboard gefordert war. Und dann waren da noch die Götter des Olymp, die beschlossen, Weihnachten zu feiern. Zeus, gewohnt unkonventionell, gestand, eine Affäre mit der Mutter von Jesus gehabt zu haben – weil, na ja, Versuchung ist eben Versuchung und er schließlich Zeus.
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Der Abend endete mit einer epischen Tennisszene auf einem Friedhof, bei welcher der Ball abdriftete und von Ameisen in ihren Bau verbracht wurde. Wenig später wanderte er in einen Abwasserkanal, um schließlich mit einem Liebespaar seinen Weg zurück auf den Friedhof zu finden. Damit schloss sich der Kreis einer surrealen Geschichte, in der sich die Grenzen zwischen Komödie, Romantik und Impro-Kunst auflösten.

Mittwoch: Drei Blind Dates – Von Katzen, Dystopien und poetischen Reisen

Am Mittwoch änderte sich der Ton des Festivals, ohne an Spannung oder Kreativität zu verlieren. Statt interaktiver Szenen stand an diesem Abend die kreative Stückentwicklung und schauspielerische Kunst im Vordergrund. Drei Duos, die vorher nicht miteinander gearbeitet hatten, präsentierten vorbereitete Stücke, die dennoch Platz für zusätzliche, kleine Impro-Einlagen boten.

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Improcup 2024 in Graz (Foto. Johannes Gellner)


Lorenz Kabas und Sara Šoukal loteten in „194 km between us“ die kulturelle und emotionale Distanz zwischen Graz und Ljubljana aus. Sie erzählten von Geburtstagsfeiern, ersten Alkoholerfahrungen und einsamen Parties. Höhepunkt dieser Performance war die Interpretation eines französischen Gedichtes von Lorenz, zu dem Sara einen improvisierten Tanz aufführte. Die Poesie dieses Moments kam auch ohne Humor aus, dafür aber versehen mit jeder Menge Gefüh – eine neue Erfahrung im Impro-Theaterbereich.

Beatrix Brunschko und Billy Kissa widmeten sich in „Cat Ladies“ ihrer Liebe zu Katzen und nahmen mit ihrer Show das Publikum in ihre eigene Welt mit. Sie kreierten eine humorvolle und zugleich berührende Reise, die das Gefühl der Einsamkeit und die unerwartete Entdeckung von Freundschaft thematisierte. Mit viel Charme und Spielfreude schufen sie eine intime Atmosphäre, in der sich lustige Szenen mit leisen, nachdenklichen Momenten abwechselten. Ihre Darstellung war voller Witz, aber auch nachvollziehbarer Verletzlichkeit und bot eine herzerwärmende Theater-Erfahrung. Dass ihre Show das Publikum mit dem letzten Satz zu hinreißendem Lachen animierte, setzte ihrer Leistung noch das berühmte Tüpfelchen auf dem i auf.

Den Abschluss des Abends bildeten Jacob Banigan und Chris Mead mit „Future Foundation“, einer dystopischen Science-Fiction-Performance. In einer Gesellschaft, in der Individualität unterdrückt wird, verliebt sich Chris’ Figur in eine rothaarige Rebellin – ein brillanter, tragikkomischer Kommentar auf Mittelmäßigkeit und die Suche nach Freiheit. Besonders beeindruckend war die Vielseitigkeit der beiden Schauspieler, die mühelos zwischen verschiedenen Rollen wechselten und gleichzeitig jede Figur mit einer einzigartigen Persönlichkeit ausstatteten. Die Welt, die sie erschufen, war zugleich absurd und tiefgründig und bot eine Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit, die verdeutlichte, wie anspruchsvoll und reflektiert Improvisationstheater auch sein kann.

Thank you TIB for the Impro-Cup

Der Impro-Cup 2024 war ein Fest für all jene, die gerne ins Theater gehen und sich dort überraschen lassen, vor allem aber auch ein Triumph für die Kunst der Improvisation. Das TIB hat sich mit diesem Festival einmal mehr als Zentrum der Impro-Kunst in Österreich erwiesen.

Leben und tanzen bis zur Verausgabung

Leben und tanzen bis zur Verausgabung

Das Ballett hat im letzten Jahrhundert eine ästhetische Wandlung erfahren, wie alle anderen Künste auch. Die Adaption an den Zeitgeist umfasst aber nicht nur die Tanzstile an sich, sondern auch den Inhalt der Inszenierungen.
In „Fieber“ sowie „Sacre“, die an einem Abend an der Oper Graz getanzt werden, führen Stiens und Cépedes dem Publikum den Zustand unseres Planeten, aber auch unserer Gesellschaft komprimiert vor Augen.

„Fieber“

Louis Stiens beleuchtet in seiner Arbeit „Fieber“ den momentanen und vielleicht auch zukünftigen Erdenzustand. Dieser wird gleichgesetzt mit der Verletzlichkeit des Menschen, drastisch dargestellt schon in der ersten Szene, nachdem ein überraschendes Black einsetzt. Nach wenigen Augenblicken betritt ein Tänzer, der eines seiner Beine nicht mehr richtig ausstrecken kann, die Bühne. Eine anschaulichere Metapher gibt es wohl nicht, um klarzumachen, dass die Menschen und die Erde, auf der wir leben, gleich verwundbar geworden sind. Die Musik von „Fieber“ stammt sowohl von Claude Debussy als auch Maurice Ravel, zwei Komponisten, welche die Moderne in der Musik mit eingeläutet haben. Sie standen an der Schwelle zu jener Zeit, in welcher das Ausmaß der Umweltschädigung seinen dramatischen Anfang nahm.

Der neue Chefdirigent der Grazer Oper, Vassilis Christoppoulos leitet das Orchester trotz seines hohen Schlagwerkeinsatzes auf das Wohltuendste ohne Pathos, höchst nuanciert, was den vielfältigen Charaktermomenten der Choreografie sehr zugutekommt. Diese subtile Herangehensweise, die Debussys und Ravels Klangfarben und Nuancen herausarbeitet, steht im schönen Gegensatz zum Sounddesign von Anni Nöps. Ihre Klangeinsprengsel verheißen nichts Gutes. Wenn es grollt und dröhnt, weiß man, dass kein normales Gewitter im Anzug ist. Der Sound nimmt zum Teil bedrohliche Ausmaße an, die weit über ein normales Naturereignis hinausreichen und an Weltuntergangsszenarien denken lassen.

Bettina Katja Lange schuf ein mobiles Bühnenbild, das nur aus einer einzigen, großen Felsformation besteht. Diese kann von den Tanzenden gedreht und verschoben werden. Auf sie können die Menschen klettern, von ihr abrutschen, aber auch Halt und Schutz suchen. Die Kostüme changieren zwischen hautfarbenen Bodysuits und einer modernen Dirndl-Adaption. Mit letzterer ausstaffiert wird ein naher Bezug zur Alpenlandschaft hergestellt, an der sich das Ensemble im wahrsten Sinne des Wortes abarbeitet. Der Eindruck der Naturbedrohung und einer verklärten Naturanschauung liegen nah beieinander. Schöne Body-Contact-Passagen, die nie gekünstelt wirken, bieten hochästhetisches Augenfutter, an dem man sich kaum satt sehen kann. Viele Körperhaltungen erinnern an die Tanzgiganten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie Vaslav Nijinsky, auf den auch im Programmheft Bezug genommen wird. Sätze aus seinen Tagebüchern, die auf eine Apokalypse hinweisen, sind gegen Ende tatsächlich auch zu hören. Jener Tänzer, der das Stück mit seinem abgewinkelten Bein einleitet, beschließt es auch wieder. Aber nun schiebt er auch den Fels auf die Seite, um schließlich im finalen Black mit diesem zu verschwinden. Eine sprachlich formulierte Interpretation erübrigt sich ob der Wucht der visuellen Aussage wohl.

„Sacre“

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Sacre • Oper Graz (Foto: Anreas Etter)

Der zweite Teil des Abends trägt den Titel „Sacre“, wobei jedoch nicht das „Sacre du printemps“ – das Frühlingsopfer gemeint ist, welches auf den Bühnen rund um die Welt getanzt wird. Igor Strawinskys Musik, geschrieben für die Ballets Russes von Sergei Diagilew, bietet George Cépedes den Layer für die choreografische Umsetzung seiner Gesellschaftsbetrachtung. Und er sieht genau hin.

Zu Beginn lässt er das Ensemble nacheinander vortreten und Standchoreografien absolvieren. Dabei scheinen sich die Arme zu verselbstständigen und agieren, als ob sie fremdgesteuert würden. Trotz ähnlicher Bewegungsabläufe bleiben individuelle Restemomente erhalten, was sich auch durch die unterschiedlichen Körpergrößen der Tanzenden ergibt. Bald lösen sich Zweier- und Dreiergruppen aus der Masse und zeigen, dass ein harmonisches Miteinander offenbar nicht zustande kommen kann. Da wird gezerrt und gerangelt, gepufft und bedenkenlos so manches Foul begangen. Jeder gegen jeden und jede gegen jede ist angesagt. Der raffinierte Lichteinsatz, der die Szenen in dunkles Rot hüllt, unterstreicht die angesagte Brutalität, die sich auch nach einem gemeinsamen Kreislauf, der schier bis zur Verausgabung absolviert wird, weiter fortgesetzt wird. Die logische Konsequenz dieses brutalen Gegeneinanders folgt in einem Zusammenbruch. Nacheinander fallen die Tanzenden auf den Boden, um in einer langen Pause völlig verausgabt liegenzubleiben.

Das warme Licht, das die darauffolgende Sequenz begleitet, stimmt von Beginn an versöhnlich. Und auch die Aussage der Tanzbewegungen künden von einem wohltuenden Zusammenleben und gegenseitiger Rücksichtnahme. Abwechslungsreiche Hebefiguren, die an klassisches Ballett erinnern, aber dennoch einen zeitgemäßen Impetus aufweisen, betonen gerne die Körpermitte. Schub- und Zug erfolgen sanft und fließend und bieten viel Gelegenheit, sich an dieser kreativen Ästhetik zu erfreuen. Was zu schön klingt, um wahr zu sein, hält auch nicht lange.

Ein abermaliger Lichtwechsel, welcher das Blutrot der Kampfszenen sofort wieder spüren lässt, leitet nun einen Part ein, in dem es nicht mehr um Einzelkämpfe geht. Nun sind es alle, nun ist es das gesamte Ensemble, das fremdbestimmt tanzen muss. Dazu passend schraubt sich die Musik ins forte Fortissimo und unterstützt mit peitschendem Elan eine Rasanz, die das menschlich erträgliche Maß weit hinter sich gelassen hat. Geht es in Diagilews Sacre um ein einziges Menschenopfer macht Cépedes klar: Die Opferrolle, die einst einem einzelnen Menschen durch die Gesellschaft aufoktroyiert wurde, ist heute eine allgemeine geworden. Der Takt der Industrialisierung, das Schneller Höher und Weiter des Kapitalismus schont niemanden und scheint alle zu willfährigen Marionetten zu machen.

Die wilde Dynamik der Musik, aufgenommen in der Choreografie, überträgt sich auf das Publikum. „Obwohl ich nur zugeschaut habe, bin ich ganz außer Atem – was für eine Leistung!“, war von einer Dame zu hören, die ihre Begeisterung mit ihrer Begleitung nach dem frenetischen Applaus teilen wollte. Eine Begeisterung, der man uneingeschränkt zustimmen kann. Auch wenn beide Stücke kein Happy End anbieten.