Meeresglitzern und Feuerknistern

Meeresglitzern und Feuerknistern

Elisabeth Ritonja

Foto: ( Julia Kampichler )

24.

September 2023

Korhan Basaran beeindruckte das Publikum der „wortwiege“ mit seiner „Dido“ in den Kasematten in Wiener Neustadt.

Laut der griechischen Mythologie war die aus phönizischem Königshaus stammende Dido die Gründerin von Karthago. Sie flüchtete vor ihrem Bruder aus ihrer Heimat und erhielt durch intelligentes Handeln im neuen Land, in dem sie mit Gefolgschaft und Schiffen angekommen war, so viel Grund und Boden, dass sie Karthago erbauen konnte. Die als große, schöne, kluge und unantastbare Königin beschriebene Frau verliebte sich durch Zutun der Götter in Aeneas, der, aus Troja geflohen, bei ihr um Bleiberecht ansuchte. Die Liebesgeschichte, die tragisch endet, wurde in der Literatur vielfach verarbeitet und fand Eingang in rund 90 Opern. Henry Purcell schuf „Dido und Aeneas“, aus welcher ‚Didos Lament‘ eine der bekanntesten und schönsten Trauerarien der Operngeschichte hervorging.

Der türkische Tänzer und Choreograf Korhan Basaran gastierte beim wortwiege-Festival „Europa in Szene“, das dieses Mal den Untertitel „Sea change“ trägt. Er präsentierte sein Tanzstück „Dido“ in welchem er selbst in die Rolle der von Aeneas geliebten und dann verlassenen Frau schlüpft. Die Götter verlangen von Aeneas, Dido allein in Karthago zurückzulassen, um mit seinem Volk über das Meer zu segeln, um selbst eine Stadt, nämlich Rom zu gründen. Das bricht der einst so stolzen Frau das Herz. Basaran verdichtet das Geschehen auf die letzten Momente in Didos Leben, nachdem sie von Aeneas verlassen wurde und macht sämtliche Emotionen sichtbar, die Liebesleid mit sich bringen kann.

Dabei konzentriert er sich in Didos innerem Monolog auf jene existenziellen Emotionen, die im Augenblick des Verlassenwerdens auftauchen. Kleine Papierschiffchen, vom Publikum unter seiner Anleitung zu Beginn der Performance gefaltet und auf dem Bühnenboden platziert, machen klar: Es ist das Meer, das die beiden Liebenden zusammengebracht hat, aber letztlich auch wieder trennt.

Unterfüttert mit musikalischen Layern des Komponisten Tolga Yayalar, schwingt von Beginn an Purcells Dido-Lament mit. Ist es zuerst nur die Harmonieabfolge, in elektronische Klänge umgesetzt, die zart zu vernehmen ist, wird am Ende Dido den Refrain dieses Lamentos selbst laut und emotional heftig bewegt, mitsingen. Yayalar kreierte auch die auditiven Wahrnehmungen des Horns eines großen Dampfers, das Zwitschern von Vögeln, bedrohlich klingende Dämonengeräusche und das Knacksen und Knistern von brennendem Holz. Ataman Girisken trägt mit seinen Visuals ebenfalls maßgeblich zum Erfolg der Produktion bei. Je nach Stimmung taucht er den Raum in glitzernde, blau-weiße Wellenbrechungen, versieht ihn mit einem funkelnden Sternenhimmel, verwandelt ihn in eine dunkle Höhle oder löst beängstigende Moment aus, als Dido am Scheiterhaufen ihren Tod findet. Rote Feuerzungen lodern so lange, bis sich die am Boden liegende Figur von Dido visuell auflöst. Die anschließende wabernde Feuersbrunst bleibt auch in ihren abstrakt gestalteten Wellenbewegungen spürbar, die zugleich unglaublich ästhetisch wirken.

Korhan Basarans Dido wird von schmerzhaften Zuckungen gebeutelt, lässt aber auch jene Abwehrhaltung erkennen, die aus verletztem Stolz resultiert. Ein ausdrucksvolles Mienenspiel macht jede einzelne emotionale Regung sichtbar. Sei es Verzweiflung, Angst, Hoffnung oder Abscheu. Die groß gewachsene Figur in einem langen Rock, den Oberkörper nur mit einem Shirt bekleidet, vermittelt auf zeitgenössische Art jenes Dido-Bild, das in der Überlieferung weitergegeben wurde. Basaran schlüpft aber auch in Aeneas, der mit einer Laterne in der Hand Dido beteuert, dass es nicht sein Wille, sondern jener der Götter sei, warum er sie verlassen müsse.

Es ist die brillant gestaltete Melange aus seinem ausdrucksvollen Tanz, den ausgewählten Textpassagen nach Vergil und Christopher Marlowe, die er rezitiert, den stimmungsvollen Visuals sowie der Musik, die ein harmonisches, emotional packendes Bühnenereignis ergeben. Mit Basarans Dido-Interpretation schreibt er eine Überlieferung weiter, die unzählige Generationen bisher in ihren Bann gezogen hat und nach der Publikumsreaktion zu schließen auch heute noch emotional packt.

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