Neues Volkstheater
Von Michaela Preiner
Das Publikum lukriert sich aus Studierenden, aus deren Eltern und auch Freunden, aus Unterrichtenden und Interessierten aus dem Theaterbereich. Es gibt aber auch jede Menge Theaterfreaks, die das geballte Programm nützen, das in diesem Jahr auch mit Publikumsdiskussionen und einem Panel aufwartete, an dem die Autorinnen und Autoren der gespielten Stücke teilnahmen. Einzig mit der Produktion „Die Hinrichtung“ öffnete sich ein kleines Fenster in die Vergangenheit. Unter der Regie von Simon Scharinger wurde ein Text von Carl Merz und Helmut Qualtinger aufgeführt. Mit „In Ewigkeit Ameisen“ nahm sich Anna Marboe ein Hörspiel von Wolfram Lotz vor. Jenem Literatur-Shootingstar, der in Wien am Akademietheater mit „Die lächerliche Finsternis“ reüssierte. Beide, wie auch die folgend genannten Produktionen, waren mit Beiträgen zum Thema „Neues Wiener Volkstheater“ vertreten, das mehrfach interpretiert werden kann. Ging es darin doch einerseits um die Begriffe „Volk“ und „Theater“ aber auch um den im Titel versteckten Hinweis, dass auch das Volkstheater eingebunden worden war.
Das 4-tägige Festival ist keine reine Leistungsschau des Max Reinhardt Seminars. In der intimen Atmosphäre des Hauses mit seinen vielen kleinen Räumen – immerhin wurde der Grundstein für das Palais 1744 gelegt – bekommt man hautnah auch etwas von den Arbeitsbedingungen, dem Teamgeist, aber auch so manchen Wünschen, Träumen und kleineren und größeren Katastrophen der Studierenden mit. Bevölkern sie doch kurz vor Vorstellungsbeginn, sich intensiv austauschend, die Gänge, um ihre Kolleginnen und Kollegen in den einzelnen Vorstellungen genau unter die Lupe zu nehmen. Und ganz nebenbei ist es für einige Besucherinnen und Besucher auch nicht wenig reizvoll, vielleicht auf diese Weise den einen oder anderen zukünftigen Superstar am Beginn seiner Theater- oder Filmlaufbahn zu erleben.

Keine Zeit für Klassenkampf
Welthauptstrand Europa
Dabei agieren Maximilian Herzogenrath, Dominik Jedryas, Maren-Sophia Streich, Aaron Röll und Kerim Waller, angefangen vom Badeoutfit bis hin zu plüschigen Tiergewändern, in unterschiedlichen Kostümen. Schließlich ist Urlaub, und da wird ja wohl so manche modische Blödheit erlaubt sein. Der Text um Aus- und Eingrenzungen, um Sichtbarmachen und Verschwinden von Narrativen und dem politisch Bösen in Frauengestalt, ist eine Herausforderung für jede Regie. Dass es Hasselmann gelingt, den Figuren sogar Charaktere zu verpassen, ist mehr als bemerkenswert. Dadurch gelingt es ihm, Steinbuchs Gedanken greifbarer zu machen und den Text emotional zu verstärken.
Den beiden letztgenannten Stücken stehen zwei weitere auf der Bewertungsskala des zeitgenössischen Theaters beinahe diametral gegenüber. „Der Zwerg reinigt den Kittel“ und „Hungaricum“ legen zwar auch ihren Zeigefinger in zeitgenössische, politische Wunden. Aber sie tun dies bühnentauglicher mit je einer durcherzählten Geschichte.
Der Zwerg reinigt den Kittel
Mit viel Witz, aber auch jeder Menge kritisch-reflexiver Ansätze versehen, entwickelt sich das Geschehen von einer heiteren, mit Leben prallvollen Szene der ehemals 30-jährigen Frauen hin zu einem veritablen Krimi. Neben Schulze-Wegener verkörpern Eva Dorlass, Maria Lisa Huber, Nina Lilith Völsch die Freundinnen, die von Doktor Klupp (Manuel Ossenkopf) genauer unter die Lupe genommen werden. Dabei schwingt jede Menge Sozialkritik mit, hin bis zu einer veritablen Dystopie, in die das Publikum am Ende eingebunden wird. Ein Stück, das, wie die Autorin in einem Publikumsgespräch informierte, alleine schon wegen seiner schwierigen Besetzung, selten zur Aufführung kommt. Vier Schauspielerinnen in höherem Alter lassen sich so gut wie nie aus einem Ensemble rekrutieren und erfordern teure Gastauftritte. Wie Sendlhofer jedoch vorzeigte, ist das Alter kein Hindernis, um dennoch ein spannendes und intensives Theatererlebnis zu gewährleisten.


Hungaricum
Maximilian Herzogenrath gibt glaubhaft den falschen Exekutivbeamten, der nicht vor Gewalt zurückschreckt und ganz in seiner selbst gefundenen Berufsrolle aufgeht. Sophie Juliana Pollack verkörpert die verrückte Sára. Pollack gebührt eine Tapferkeitsmedaille, denn sie spielt trotz Kreuzbandrisses auf High-Heels eine ausgeflippte, junge Frau, die das Trauma des Verlustes ihres Mannes nur durch geistige Hochschaubahnexperimente erträgt. Nélida Martinez muss sich als des falschen Polizisten Ehefrau eine Rüge von Sára einfangen, erträgt dies aber tapfer im Bewusstsein, an etwas Höherem teilzuhaben. Ihre „Weltsuppe“ spielt eine nicht unwesentliche Rolle gleich von Beginn an und entwickelt sich – wie könnte es auch anders sein – völlig unvermutet hin zu einem Würgereflexauslöser. Mit Nick Alexander Pasveer als Mózes ergänzt ein weiterer halbseidener Charakter die Szenerie. Er wird dem falschen Polizisten schließlich zum Verhängnis.
Dass Alexandru Weinberger-Bara zu Beginn und am Ende des Stückes „Gas-Gas-Gas“ von Goran Bregovic einspielen lässt, spiegelt nicht nur das aberwitzige Tempo des Stückes wider, sondern auch seine Verortung an der Schwelle von West- zu Osteuropa. Seine Regiehandschrift zeigt sich in diesem Stück auch in der immerwährenden Konterkarierung der gelesenen Handlungsstränge, wenn zum Beispiel der Polizist anstelle der beschriebenen Hand seinen Fuß in einen Suppentopf setzt. Dieses Stilmittel wird so kongruent durchgezogen, dass das Publikum, je länger das Spiel dauert, von selbst schon die nächsten Regieanweisungen erraten kann. Eine höchst vergnügliche Idee, die sich wunderbar in das verrückte Setting einfügt.
Mit dem Festival „Neues Wiener Volkstheater“ präsentierte sich das Max Reinhardt Seminar als höchst virilen Ort, in dem die Ausbildung der Studierenden am Puls der Zeit stattfindet. Die Öffnung nach außen und die Kooperation mit dem Volkstheater bringt sichtbar frischen Wind in die an Tradition so reiche Schauspiel-Kaderschmiede.