von Michaela Preiner | Sep 27, 2018 | Steirischer Herbst, Theater
Theater im Bahnhof, Hier War Ich Noch Nie – eine Taxichoreografie (Foto: Mathias Voelzke)
Das TIB erarbeitete in Koproduktion mit dem Steirischen Herbst ein ungewöhnliches, aber nicht ganz neues Format.
U{/dropcap]ngewöhnliche Aufführungsorte für Theaterproduktionen sind längst keine Neuigkeit mehr. Auch Formate, in der die Interaktion mit dem Ensemble angesagt ist, sind in die Jahre gekommen. Im Steirischen Herbst präsentierte das TIB sein Format „Hier war ich noch nie – eine Taxichoreografie“ und griff dabei auf ein Konzept zurück, das weltweit viele Väter und Mütter hat und beide Parameter erfüllt.
Bereits 2009 wurde von Paul Stein an der Woodbury Universität in Burbank das Format „The car plays“ vorgestellt. Dabei nahm das Publikum für 10 Minuten in einem Auto Platz, um danach in weitere vier auf dem Parkplatz zu wechseln und so innerhalb einer Stunde ein Kaleidoskop an kurzen Dramen serviert zu bekommen. Der nächste dramaturgische Schritt bestand darin, die verwendeten Autos auch tatsächlich fahren zu lassen, wobei es bei diesem Konzept unterschiedliche Zugänge gibt.
2015 zeigte die Schweizer Theatergruppe mercimax ihr Stück „Autoballett“ unter der Patronanz des brut in Wien. Mercimax rief für das Casting Menschen mit einem besonderen Bezug zu ihrem eigenen Auto zum Mitmachen auf und ließ diese anschließend wahlweise ihre Erlebnisse auf Band sprechen und im Auto abspielen oder live erzählen, während sie das Publikum in ihren Autos chauffierten. Heuer gelangte im Mai in Innsbruck die Produktion „Knautschzone – Ein Autostück“ zur Aufführung. Das Theater praesent in Innsbruck agierte darin mit seinem Ensemble hinter den Lenkrädern und erzählte eine zwar fragmentierte, aber dennoch durchgehende Geschichte, über die sich das Publikum anschließend austauschen konnte.
Taxi-Profis wechseln ins Performance-Fach
Das TIB hingegen heuerte Profi-Taxifahrer und -fahrerinnen mit der Bitte an, während Fahrten innerhalb von Graz mit zahlendem Publikum entweder aus ihrem Leben zu erzählen oder ungewöhnliche Orte anzufahren. Alle drei unterschiedlichen Ausgangspositionen haben jedoch das gleiche Ziel: Das Publikum aus dem Theater zu locken und sich auf engstem Raum performativen Settings auszuliefern. Was alle Produktionen noch miteinander verbindet: Man kann sich nicht wirklich sicher sein, ob das Erzählte nur für die jeweilige „Vorstellung“ einstudiert wurde, oder ob das Gesagte aus dem tatsächlichen Lebensbezug der fahrenden Taxi-Schauspieler und -Schauspielerinnen stammt. Was ist Info, was ist Fake? Eine Frage, die uns derzeit wohl rund um den Globus in vielerlei Hinsicht beschäftigt, erfährt hier eine neue Dimension.

Theater im Bahnhof, Hier War Ich Noch Nie – eine Taxichoreografie (Foto: Mathias Voelzke)
In Graz ging die Reise von der Postgarage, in der der Steirische Herbst seine Herbstbar installiert hat, los. Nach der Zuteilung zu verschiedenen Fahrern, wurde in den Autos Platz genommen. Taxifahrer Werner, an die 60, mit langem Silberhaar, chauffierte meine Gruppe durch den Bezirk Gries und erklärte dabei, wo sich in den 70ern ein versteckter Puff befand, wo es die berüchtigten Bars gab, und dass die Triestersiedlung neben der Karlau (Anm: Gefängnis) als Glasscherbenviertel bekannt war. „Dort, wo durch Auseinandersetzungen Glas zu Bruch ging, dort wo die Wilden zuhause waren, bezeichnete man die Viertel so“, erfuhren wir, seine Kundschaft, von ihm. Aber auch seine Theorie des ungebremsten, wirtschaftlichen Wachstums, ausgelöst durch Nichts-Tun, anhand des Beispiels des ehemaligen, bereits abgerissenen Punk-Hauses an der Ecke Triester- und Straßgangerstraße wurde Werner zu seinem sichtlichen Vergnügen los. Und das Stadtentwicklungsviertel in der Nähe der neuen Moschee, das sich letztlich als städteplanerisch-utopischer Rohrkrepierer erwies, konnte mit ihm ebenfalls vom Taxi aus besichtigt werden.
Persönlich Erlebtes und Erzählungen von Tausend und einer Nacht
Ich selbst habe zu vielem, was ich von Werner hörte, wie sich herausstellte ganz im Gegensatz zu meinen jüngeren Kolleginnen und Kollegen, einen ganz persönlichen Bezug. Zum Griesviertel, in dem ich 20 Jahre zuhause war und in dem meine Kinder bis zur Pubertät aufwuchsen genauso wie zum Puch-Museum, an dem wir vorbeifuhren, in dem ein altes Puch-Auto meines verstorbenen Mannes steht. Ich kenne noch die berüchtigten Lokale, die heute verschwunden sind und hatte eine Schulkollegin in der Triestersiedlung. Sie wohnte mit ihrer 8-köpfigen Familie im Gemeindebau im vierten Stock auf 60 Quadratmetern. Ich habe die mehrfachen Versuche der Grazer Regierungsverantwortlichen miterlebt, Graz in unterschiedlichen sozio-kulturellen Feldern als Pionierstadt zu positionieren. Als Austragungsort einer Ski-WM (sic!) genauso, wie als Hotspot von internationalen Eishockey-Wettkämpfen, zu welchen wir Gymnasiastinnen per Bus in die Liebenauer Eishalle gekarrt wurden. Das Bemühen, die kreativen Kräfte zu einem höheren Ganzen einzusetzen und das jeweilige Scheitern daran, gehörte zu einem der Inhaltsschwerpunkte von Werner, der sich während der Fahrt als umfassend gebildeter Mensch mit intellektuellen Ansprüchen entpuppte.
Kurze Sound-Einspielungen sollten die „Darbietung“ auflockern, wirkten jedoch eher als Fremdkörper einer Regie, die wohl bei den Fahrten nichts dem Zufall überlassen wollte. Dabei hätte es des Car-crash-Sounds ebenso wenig bedurft wie der vom Band abgespulten Intro, bei der sich Werner dem geneigten Publikum auditiv vorstellte, während er selbst im Freien darauf wartete, danach einzusteigen und mit uns loszufahren. Wie sich herausstellte, hätte Werner diese Vorstellung fehlerfrei mit authentischeren Worten geschafft und wir und er selbst das theatralische Eingangs-Szenario gar nicht gebraucht.
Die jungen Mitfahrenden reagierten auf den Input gänzlich anders als ich, lauschten Werners Geschichten zum Teil wie aus jenen von Tausend und einer Nacht und wären noch gerne länger mitgefahren. Wer Glück hatte, konnte in eine nächste Runde wechseln, ganz nach dem Motto: Neues Spiel, neues Glück und sich danach noch an der Herbstbar mit anderen über das Gehörte und Gesehene austauschen.
Jede Zeit erschafft ihre eigenen, künstlerischen Formate, wobei zu beobachten ist, dass die Hinwendung zum Menschen, der persönliche, kommunikative Austausch wohl deshalb im performativen Bereich im Moment inflationär auftritt, weil dieser in unserem Alltag immer mehr abnimmt und zurückgedrängt wird. Handy und Email, sowie elektronische Informationsdienste verändern unsere Art, miteinander zu kommunizieren fundamental. Da tut es gut, wenn ein Wildfremder in einem Auto zeigt, wie das funktioniert: Das Kommunizieren von Mensch zu Mensch. Das Phänomen der oral history, die das Erzählte in den Mittelpunkt der Geschichtsüberlieferung stellt und dabei größtmögliche Akzeptanz erfährt, bestätigte sich bei diesem Format voll und ganz. Aber es gibt aber auch viel Raum zum Nachdenken, sowohl über den positiven Nutzen als auch die Möglichkeit der Manipulation.
von Michaela Preiner | Sep 26, 2018 | Steirischer Herbst, Theater
Michiel Vandevelde, Human Landscapes – Book I, 2018 (Foto: Liz Eve)
Human Landscapes – Book I (2018) von Michiel Vandevelde
Das Publikum bekommt im kleinen Bühnenraum des Orpheums beim Betreten Pölster ausgeteilt. Wo Platz ist, wird Platz genommen. Am Boden, entlang der Wände, bevor das Licht gelöscht wird und die Hand vor den Augen nicht mehr zu erkennen ist. Nach wenigen Augenblicken wird es etwas heller, ausgelöst durch Text-Einspielungen auf vier Projektionsflächen. Die sechs jungen Menschen des Ensembles von Michiel Vandevelde beginnen mit Mikrobewegungen. Langsamer als in Zeitlupe, kaum wahrnehmbar, bücken und strecken sie sich, schreiten voran. Abwechselnd wird der projizierte Text gesprochen. Man vernimmt ihn entweder vom Band oder live, von den Mitwirkenden. Nach wenigen Minuten wird klar: Das, was hier zu hören ist, ist nicht nur spannende, sondern atemberaubende, herausragende Literatur des 20. Jahrhunderts. Und noch dazu eine, die im Westen bis heute wenig bekannt ist.
Der belgische Choreograf, Kurator und Autor Michiel Vandevelde präsentierte einen dramatisierten Auszug aus Nazim Hikmets Epos „Menschenlandschaften, Buch I“. Geschrieben zwischen 1941 und 1950, noch ganz unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges, baute der türkische Schriftsteller darin ein Kaleidoskop aus Schicksalen zusammen, die in der Gesamtschau einen Gesellschaftsspiegel der Türkei der Mitte des vorigen Jahrhunderts ergeben.
Ein Kaleidoskop verschatteter Seelen

Michiel Vandevelde, Human Landscapes – Book I, 2018 (Foto: Liz Eve)
Was Vandevelde davon ausgekoppelt hat, ist harter Tobak. Egal ob ein Kriegsversehrter aus dem 1. Weltkrieg, der sich an die Maden in seinen offenen Wunden erinnerte, ob ein kleiner Bub, Vollwaise, der ohne Orientierung und ständig hungernd in der Welt herumirrt, egal ob ein junges Mädchen, das vor ihrer ersten Periode vergewaltigt wurde oder ein alter Mann, der dafür berühmt ist, anders zu denken als die anderen – keine der Figuren, die kurz vorgestellt wird, hat ein leichtes Schicksal zu ertragen. Das Dunkel des Raumes passt zu diesen verschatteten Lebenslinien und das reduzierte, schauspielerische Bewegungsvokabular lenkt von den eingespielten Soundwolken nicht ab. Leises Hintergrundrauschen wie von vielen Stimmen auf einem Bahnhof, ein rhythmisiertes Geräusch, das an einen fahrenden Zug erinnert – alles, was Vandevelde anbietet, hat genügend Potential, um eigenen Interpretationen und Gedankenverläufen nachzugehen. Und dennoch bleibt die Aufmerksamkeit bei Hikmets Setting, bleibt im Waggon 3. Klasse Nummer 510 des fahrenden Zuges, der einen Mikrokosmos der türkischen Bevölkerung von 1941 widerspiegelt.
Subkutan wird in der „Gesellschaftsgeschichte in Versform“ der Krieg als eine Macht beschrieben, die vor niemandem halt macht. Und als etwas, das die Menschen im Innersten erschüttert. Der angesprochene Unfall am Schluss – eine Person fällt aus dem fahrenden Zug – verstärkt das Gefühl der Verletzlichkeit des menschlichen Daseins, die bis dahin immer wieder aufgezeigt wurde. Die stickige Luft, die sich während des „choreografierten Klangstückes“, so die Bezeichnung Vandeveldes über die Form der Inszenierung, im Raum gebildet hat, ist zum Schneiden. Da hilft auch ein leichtes Öffnen der Balkontüren noch während der Aufführung nichts. Auch dieser Umstand passt, wenngleich er auch nicht angenehm ist, denn – so ähnlich kann es wohl auch damals gewesen sein. Im Waggon 3. Klasse Nummer 510 im Zug, der von Haydarpasa abfuhr.
von Michaela Preiner | Sep 23, 2018 | Steirischer Herbst, Theater
Iran Conference - Steirischer Herbst (Foto: Jasper Kettner)
Ivyn Vyrypaevs „Iran Conference“ beim Steirischen Herbst
Der Steirische Herbst widmet sich in diesem Jahr ganz explizit politischen Themen und griff dabei in einer seiner ersten Produktionen ein aktuelles Thema auf.
Die Aula der Karl Franzens Universität bot für „The Iran Conference (2018)“ von Ivan Vyrypaev (Text und Regie) ein ideales Setting. Der in Russland geborene Schauspieler, Regisseur und Dramatiker lebt heute in Polen. Die Ausgangslage der Theaterproduktion: Eine Konferenz, die in Kopenhagen stattfindet und sich dem Thema Iran widmet. Das Publikum schlüpft dabei in die Rolle der Konferenzbeobachtenden und wird Zeuge nicht nur unterschiedlicher Zugänge zum Thema Islam versus westliche Gesellschaftsideologien. Vielmehr kommt es vor allem in der zweiten Hälfte der Aufführung zu Selbstoffenbarungen, die mit dem Terminus Seelenstriptease gut umrissen sind.
Insgesamt 8 Expertinnen bzw. Experten aus Dänemark stehen einer Literatur-Preisträgerin aus dem Iran gegenüber und rühren kräftig in jenen philosophisch-wissenschaftlichen Aktualitätsdiskursen, die sich mit den Fragen nach der Wahrnehmung, Menschenrechten und – zentral in dem Stück – auch nach der Frage über Gott beschäftigen. Es ist nicht die politische Lage, die in dieser „Konferenz“ angesprochen wird. Vielmehr stehen ganz persönliche Einstellungen zu den angesprochenen Themen zur Debatte und rufen – unerwartet – heftige Reaktionen aus den Reihen der Diskutierenden hervor. Der Moderator hat dabei alle Hände voll zu tun, dass die Gesprächsebene nicht unter die verbale Gürtellinie rutscht und gefällt sich zuweilen sehr in seiner eigenen Rolle am Podium.
Eine verkürzte Kategorisierung der Menschenrechte wird ebenso diskutiert wie die Reibepunkte einer toleranten Integration muslimischer Mitbürgerinnen und -bürger. Persönliche Schicksalsschläge werden ebenso angesprochen wie private Animositäten. Der Erkenntnisgewinn dieser Produktion lässt sich, trotz intellektuellem Vortrags-Sprech, kurz und bündig zusammenfassen: Wir alle bewegen uns in unserer Wahrnehmungs-Matrix mit unseren eigenen genetisch- und sozial determinierten Wahrnehmungsbrillen, die wir nur schwer gewillt sind abzunehmen.

Iran Conference – Steirischer Herbst (Foto: Jasper Kettner)
Dass Stück, das im Laufe der Vorstellung an Fahrt und damit zugleich an Aufmerksamkeitsspanne seitens des Publikums zunahm, überraschte mit einem verblüffenden Schluss. Die herzzerreißende Ansprache der jungen, iranischen Autorin kippte in jenem Moment, als sie erklärte, ihre Selbstaufgabe, die sie zuvor lang und breit beschrieben hatte, hätte gar nichts mit ihrer Liebe zu einem Ehemann zu tun. Mit einer Liebe also, von der man annahm, dass diese ganz der Idee einer patriarchalischen Gesellschaft verpflichtet, dazu führt, die Frau zu veranlassen, ihr eigenes Sein und ihre eigenen Bedürfnisse zum Wohl des Mannes und der Familie in den Hintergrund zu stellen.
Mit dieser Volte machte Vyrypaev einmal mehr klar, wie groß das Unverständnis zwischen dem christlich geprägten Normenkanon ist, der seit der Aufklärung, und verstärkt durch liberale Wirtschaftsideen, permanent korrodiert und jenen gesellschaftlichen Ideen, die im Iran nicht nur von einem religiös-muslimischen Wertesystem, sondern in großem Maße von männlich dominierten Machtstrukturen bestimmt wird.
Interessant dabei, noch als Sidestep-Bemerkung, dass der Regieansatz bei diesem Theaterstück sehr klassisch über die Bühnenrampe kam und das Publikum von den Schauspielerinnen und Schauspielern, die ihrem vorgefertigten Text verpflichtet waren, fein säuberlich trennte.
Vyrypaev schafft es mit seinem Stück, die persönlichen Positionen, die de facto hinter allen Teilnehmenden an einer Konferenz stecken, aber immer von Rollenerwartungen zugedeckt werden, zu offenbaren. Durch diesen Blickwinkel eröffnet er eine ganze Reihe von neuen Zugängen, die beim Publikum solcher Veranstaltungen stärker in den Fokus treten und damit auch hinterfragt werden können. Dies ganz abgesehen von den offenen Bruchlinien der angesprochenen Gesellschaftsformen, die er damit einmal mehr offen zur Schau stellte.
Auf der Bühne agierten höchst authentisch: Krzysztof Kumor als Philipp Rasmussen, Juliusz Chrząstowski als Daniel Christensen, Richard Berkeley als Oliver Larsen, Philipp Mogilnitskiy als Magnus Tomsen, Agata Buzek als Astrid Petersen, Magdalena Górska als Emma Schmidt-Poulsen, Mariusz Zaniewski als Gustav Jensen, Redbad Klynstra-Komarnicki als Father Augustine, Patrycja Soliman als Shirin Shirazi