Die sezierte Oper

Die sezierte Oper

Michaela Preiner

Foto: ( )

26.

Juli 2016

Was ist das eigentlich, was wir Oper bezeichnen? Welche Zutaten braucht es und warum funktioniert sie auch heute immer noch?

Ivo Dimchev, Multitalent auf der Bühne, widmete sich in seiner Inszenierung „Operville“ einen Abend lang diesem Thema. Auf seine ganz eigene, spezifische Art. Mit einer großen Menge Humor, mit viel Augenzwinkern, aber auch mit großen Emotionen und einer höchst gelungenen Musikmischung.

 

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ImpulsTanz, das in diesem Jahr einen Ivo Dimchev-Schwerpunkt mit insgesamt 5 Produktionen anbietet, zeigte das Stück im Akademietheater vor viel jungem Publikum. Die Zutaten, die Dimchev für seine Oper verwendete, sind die herkömmlichen. Verschiedene Charaktere, eine Mann-Frau-Mann-Beziehung, Gesang, aber ein Bewegungsvokabular der außergewöhnlichen Art. Dabei schlüpfte der Performer in die Rolle eines höchst unattraktiven Werbers, der gegen einen Bassbariton um die Liebe einer Sängerin buhlt. Die Bühne bleibt kahl bis auf einen Stuhl. Die intensive Bühnenpräsenz von Dimchev, so hat man den Eindruck, verträgt sich nicht mit illusionistischen Räumen.

Die Geschichte ist rasch erzählt – ein Hin und Her bestimmt das Geschehen, das mit einem Happyend aufhören könnte, würde Dimchev sich diesem nicht wider jede Vernunft entgegenstemmen. Bevor es aber so weit ist, müssen noch allerhand Hürden genommen werden. Nickolay Voynov hat zwar eine stimmliche Überlegenheit aufzuweisen, gegen den intriganten und beherrschenden Dimchev ist er jedoch beinahe machtlos. Da hilft es ihm auch nicht, dass er bei Gelegenheit einmal versucht, mit ausgestrecktem Finger Dimchevs Auge zu ramponieren. Dieser, ausgestattet mit einer weizenblonden Perücke und einem Straßenoutfit, das Geschmack zu wünschen übriglässt, wechselt seine Gefühlslage beinahe im Minutentakt. Zwischen ärgern, freuen, sich unterwerfen, zwischen liebender Zuneigung, Abschätzigkeit und hündischer Ergebenheit ist so ziemlich alles an emotionalem Ausdruck anzutreffen, was in etwas mehr als einer Stunde auf der Bühne Platz finden kann.

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Plamena Girginova gibt eine unantastbare Schönheit in dunkelrotem Samt, lässt alles über sich ergehen und mit ihr geschehen, was Dimchevs Regie von ihr verlangt. Dabei muss sie einmal sogar auf dem Kopf singen.

Der Text, der auf der Bühne gesprochen, respektive gesungen wird, bleibt unverständlich. Ein krudes Kauderwelsch, dessen Bedeutung sich nur durch vereinzelte Betonungen sinngemäß erahnen lässt, bietet die Basis des Geschehens. Es sind vielmehr die nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten, die klarmachen, was sich in den einzelnen Szenen abspielt. Lautgedichte und rhythmische Sprachinterventionen wie jenes Duett, in dem Dimchev mit Voynov „what the fuck“ intoniert, geben der Vorstellung weitere Würze.

Herrlich, wie Dimchev die Beziehungsfäden spinnt und an einer Stelle seinen Widersacher wie eine Kuh muhend an die Rampe nach vorne schickt. Wunderbar, wie er sich kniend an dessen Hand klammert, um ihn zu beschwören und um Verzeihung zu bitten. Köstlich, wie er ihn mit herrischer Geste von der Bühne abgehen lässt um freie Bahn für sein Liebeswerben zu haben. Zugleich läuft eine Übertitelung, in der das Absurde zur Höchstform aufläuft, aber einzelne Sätze wiederum höchst philosophisch und passgenau das Geschehen bezeichnen.
Die Headbanging-Nummer, die Dimchev zu Chopins Klängen zeigt, unterstreicht in unglaublich witziger Manier den Charakter jenes Mannes, der das Glück anderer nicht akzeptieren kann.

Die Musik selbst wandert einmal quer durch verschiedene Genres des 19. und 20. Jahrhunderts. Von atonal bis hin zu einem wunderbaren Duett, das Girginova und Voynov zu eine Chopin-Etüde zum Besten geben, in der klar wird, warum Oper auch heute immer noch Bestand hat, von einer von Dimchev im Falsett vorgetragenen Melodie, die an die Bee-Gees der 80er Jahre erinnert bis hin zu Country-and-Western-Klängen spannt sich der Bogen.

Vom Anziehen und Verstoßenwerden, von Rivalität und Einsamkeit handelt dieses Stück, aber vor allem seziert es wie kaum ein anderes das Operngenre an sich. Es deckt die Banalitäten der zwischenmenschlichen Beziehungen, die darin oft abgehandelt werden, schonungslos auf. Es zeigt, und dazu reicht Dimchev auch nur ein einziges Beispiel, dass perfekt eingesetzte Musik die Emotionen übergehen lässt und macht damit überdeutlich, warum diese Kunstgattung so viele Menschen anzieht. Zusätzlich aber versehen die Texte, die Dimchev mit den Übertiteln in das Geschehen einbringt, die Produktion mit einer weiteren Ebene. Nicht nur darum wäre es falsch, „Operville“ als reine Klamaukkiste abzustempeln.

Eine wunderbare Satire, die einmal mehr Ivo Dimchev als Künstler zeigt, der, wie kaum ein zweiter, die Kunst der Selbstpersiflage bis zur Perfektion beherrscht.

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