Buenos Aires auf dem Schlossberg
Von Michaela Preiner
Vor ausverkauften Rängen präsentierten sich Sängerinnen und Sänger und das Orchester – zusammengeschrumpft auf ein Tango-Ensemble unter dem Dirigat von Marcus Merkel mit höchst präzisem und zum Teil voluminösem Klangeinsatz – in Hochform. In der „Tango-Oper“, ausschließlich mit Astor-Piazzolla-Melodien bestückt, wird die Geschichte von Maria erzählt, die ihren Jugendfreund verlässt, um in Buenos Aires ihr Glück zu suchen. Dort wird sie bald eine der bekanntesten Prostituierten und kommt nach einem Gelage mit mehreren Männern – in Graz als Vergewaltigungsnummer interpretiert – ums Leben. Ihr Herz – überdimensional groß, beinahe schon bedrohlich das Bühnenbild beherrschend – wird für tot erklärt.
Nach dieser bis dahin eher seichten, leicht nachvollziehbaren Geschichte, das Libretto stammt von Horacio Ferrer, dreht sich jedoch die Erzählung ins gänzlich Surreale. Maria erscheint als verfluchter, ruheloser Geist, der sich einer Psychoanalyse unterzieht und dabei gemartert wird. Sowohl ihr Hirn als auch zuvor ihr Herz werden dabei von sieben Stäben durchbohrt – eine offene Anspielung auf die Sieben Schmerzen Mariens. Und bald danach thront sie als eine „Säulenheilige“ par excellance über den Köpfen der Bevölkerung von Buenos Aires. Dafür wird sie mehrere Meter hochgeschraubt, umwallt von ihrem blutroten Kleid, das den Hebemechansimus verdeckt.
Vibeke Andersen durfte bei Kostümen und Bühnenausstattung ins Volle greifen. So plakativ sich Herz und Hirn präsentieren, so fein abgestimmt sind ihre Kostüme, die in die 30er bis 50er-Jahre zurückgreifen. Rainer Vierlinger lässt das Grazer Publikum mit seiner Regie auf weite Strecken rätseln. Denn die Tango-Oper wird in ihrer Originalsprache, Spanisch, gesungen und vorgetragen. Leider gibt es bis auf drei oder vier Sätze keinerlei Möglichkeiten, den ohnehin schon komplizierten Text übersetzt mitzulesen. Dies schmerzt nicht so sehr in den musikalisch einwandfreien Auftritten on Anna Brull als Maria und Ivan Orescanin als Sänger, sondern besonders bei Ciro Gael Miró in der Rolle des Erzählers. (El Duende). Das, was er vorträgt, bleibt leider, bis auf Spanischkundige, ohne Widerhall bei den Zuhörenden.
Für diese Oper, einer Mischform aus musikalischem Drama und Sprechtheater, gibt es keine adäquaten Vergleiche. Am ehesten könnte man noch die gemeinsamen Arbeiten von Brecht und Weill nennen, die auch in ähnlichen Milieus angesiedelt sind. Und doch merkt man „Maria de Buenos Aires“ an, dass sie in einen anderen Kulturkreis eingebettet ist. Jahrundertelanger, tradierter Glaube und Volksfrömmigkeit verschränken sich in ihr mit dem Aufbruch in neue Zeiten. Okkultes verbindet sich mit Surrealem und lässt breiten Raum für Eigeninterpretationen.
Der Hauptakteur ist jedoch, trotz aller Bühnenopulenz, Piazzollas Musik. Tangofreaks kommen dabei voll und ganz auf ihre Kosten, wird doch an diesem Abend der Beweis angetreten, dass es keine Emotionen gibt, die nicht durch diesen Musikstil ausgedrückt werden können. Die typische Klangfarbe steuert Martin Veszelovicz auf der Bühne sichtbar am Bandeon bei. Dadurch unterstützt er auch die unterschwellige Botschaft, dass der Tango mit diesem Instrument so verführerisch eingesetzt werden kann, dass sich daraus epenhafte Dramen ergeben können.