Nachvollziehbarer Wahnsinn
Michaela Preiner
Salome von Richard Strauss erlebte in der Oper Graz Anfang November seine umjubelte Premiere unter der Regie von Florentine Klepper. Am Pult agierte, feinfühlig und präzise Oksana Lyniv, Kostüme, sowie Bühnenbild stammen ebenfalls von Frauen. (Adriane Westerbarkey, Martina Segna)
Klepper präsentiert ihre Salome höchst zeitgeistig und zugleich zwiespältig. Sie ist mit einer unbändigen Lebensfreude ausgestattet, die sie jedoch extrem egozentriert auslebt. Johanni Van Oostrum trägt über weite Strecken eine Handycam mit sich, um sich in jeder Lebenslage zu filmen. Beim Anblick des von ihrem Stiefvater eingekerkerten Propheten Jochanaan erwacht in ihr jenes Gefühl, das sie Liebe nennt, mit dem sie aber überhaupt nicht umgehen kann.
Der stimmlich herausragenden Van Oostrum stellt die Regisseurin ein stummes Alter Ego zur Seite, das meist in gefilmten Takes projiziert wird. Im Gegensatz zur exaltierten Salome ist sie in ihre Gedankenwelt eingeschlossen und bleibt wortlos, bis hin zu ihrem letzten Auftritt. In diesem trägt sie nicht – wie man erwarten könnte – Jochanaans Kopf, sondern einen abgetrennten Schädel, der wie ihr eigener aussieht.
„Salome“ Oper-Graz (Foto: Werner Kmetitsch)
„Salome“ Oper-Graz (Foto: Werner Kmetitsch)
Neu an der Inszenierung von Klepper ist der Versuch, dem Publikum klar zu machen, warum Salome letztlich mit dem Wunsch nach Jochanaans Kopf komplett „pervers“ agiert. Richard Strauss selbst hat die Charaktere in seiner Oper mit diesem abschätzigen Terminus ausgestattet.
Überraschenderweise entzieht die Regisseurin dem Publikum den Blick auf die Schleier um Schleier ablegende Salome und lässt sie während des symphonischen Tanzsatzes in eine andere Welt entfliehen. Krude Gedankenwirbel, visualisiert durch filmische Einspielungen und eine sich drehende Bühne, vor der Salome permanent präsent ist, verhüllen mehr als enthüllt wird. Und entwickeln zugleich einen unglaublichen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Männer, die begehrlich ihre Hände nach Salome ausstrecken, Bischöfe und Rabbi, lasziv angezogene Prostituierte und ein Klebeband mit der Aufschrift „Schande“, das den Mund einer halb nackten Puppe verschließt – bilden das Herzstück dieser Szene und somit zugleich auch des Abends. Darin wird klar, dass der soziale Druck von außen, die Verlogenheit der Gesellschaft, die religiös motivierte, sexuelle Unterdrückung der Frau, aber auch ihr Missbrauch eine Gemengenlage ergeben, die Salome in den Wahnsinn treibt.
Dass dieses System nicht gesund ist, auch nicht für den männlichen Teil der Gesellschaft, wird dabei auch deutlich. Jochanaans Gesichtsausdruck (Thomas Gazheli) zeugt von einem krankhaften Fanatismus, der ihn daran hindert, sich auf die Gesellschaft zuzubewegen, die er bekehren möchte. Manuel von Senden wiederum gibt einen hormonbesessenen Herodes, der seine Stieftochter vor den Augen seiner eigenen Frau begehrt. Die grün schimmernde Jogginghose und das weiße, eng anliegende Shirt, das er trägt, machen klar, dass er sich seiner Macht bewusst ist und auf jegliche, gesellschaftliche Konventionen pfeift. Da hilft es Herodias (Iris Vermillion) nichts, dass sie sich aufreizend kleidet und ihren Mann immer wieder zur Räson ruft.
„Salome“ Oper-Graz (Fotos: Werner Kmetitsch)
Die Kostüme sind stark plakativ angelegt – braune Uniformen für die Wachen und männliche Königsentourage, glitzerndes Schwarz für Herodias, unschuldiges Weiß für Salome, das durch blutrote Streifen in ihren modischen Statement-Stiefeln konterkariert wird.
Auch die Architektur des Palastes – ein rundum verglastes, frei stehendes, flach gedecktes Luxusanwesen, bleibt zeitgeistig.
Am Premierenabend präsentierte sich das Ensemble ohne Ausnahme stimmlich perfekt. Viel Applaus – zu Recht – für Van Oostrum, die in der schwierigen Salome-Partie von Anfang bis zum Schluss glänzte.
Ein sehenswerter Abend, musikalisch vom Feinsten und einer Regie, die durch psychologische Feinarbeit glänzt.
Weitere Termine auf der Homepage der Grazer Oper.
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