Tödliche Eifersucht
Michaela Preiner
In der Grazer Oper stehen in dieser Saison Cavalleria rusticana und Pagliacci auf dem Programm. Jene beiden Stücke, die durch ausgekoppelte, musikalische Titel daraus zu Weltruhm gelangten und aufgrund ihrer jeweiligen Kürze gerne an einem Abend gezeigt werden.
Das rein orchestrale Zwischenspiel der Cavalleria rusticana darf auf keiner CD-Compilation fehlen, in der Liebesgefühle musikalisch gebündelt sind. Aus Pagliacci wiederum wurde Bajazzos Arie „vesti la giubba“, besser bekannt als „ridi Bajazzo“ – im Handumdrehen zum klassischen Gassenhauer.
Inhalt der Opern von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo sind Liebesbeziehungen, die durch Eifersucht schließlich mit dem Tod enden. Beide Werke sind dem Verismo zuzuordnen. Einer in Italien entstandenen Operngattung, die Wert auf übersteigerte Affekte legt und deren Handlung in einfachen Milieus – entweder auf dem Land, oder wie in Pagliacci – bei einer Schauspieltruppe – angesiedelt sind.
Lorenzo Fioroni aus Italien inszenierte beide Stücke mit einem traurig-melancholischen Clown als Verbindungselement. Allen Grazerinnen und Grazern ist Jörn Heypke als Clown Jako bestens bekannt. Ob auf Kindergeburtstagen und Straßenfesten, Einlagen bei Partys oder Workshops – irgendwann kreuzen sich die Wege von kreativen Menschen in der Steiermark mit jenen des Künstlers einmal.
Nun hat er seinen großen Auftritt in der Grazer Oper gleich zu Beginn von Cavalleria rusticana und stimmt das Publikum mit seiner Mimik, trotz holpertatschigem Gehabe und einer höchst gelungenen Slapstickeinlage, auf eine schwermütige Grundhaltung ein. Im „Pagliacci“ wird er zu Beginn regungslos am Boden liegen und damit zumindest im übertragenen Sinn das Ende der Handlung auch vorwegnehmen. Denn der Direktor der fahrenden Theatergruppe, der den Bajazzo verkörpert, kommt schließlich ums Leben.
Fioroni verwendet in seiner Regie für die Cavalleria ein aufwändiges, über der Bühne schwebendes Prospekt. (Bühnenbild Paul Zoller) Darauf ist in michelangelesker Manier Gott Vater wiedergegeben und blickt auf das Orchester und die Sängerinnen und Sänger herab, die darauf ebenfalls abgebildet sind. Tatsächlich kommt der Religion eine eher untergeordnete Rolle zu. Denn das, was die Menschen in dem kleinen Dorf am Land tun, hat nichts mit göttlicher Eingebung zu tun. Sie verlieben und verlassen sich, sie werden sich untreu und lassen ihrer Eifersucht freien Lauf, bis hin zur letalen Ausschaltung des Rivalen.
Birgt schon das Libretto an sich jede Menge an psychologischer Schwarz-Weiß-Malerei, scheut sich Fioroni nicht, dies durch begleitende Handlungen noch zu unterstreichen. Audun Iversen in der Rolle des Alfio tritt von Anbeginn an wie der ultimative Bösewicht in schwarzem Outfit auf und überbietet so ziemlich jeden Macho, den die Opernbühne bisher gesehen hat. Konsequent, dass er letztlich seiner untreuen Frau ein Kleidungsstück nach dem anderen vom Leib reißt, als er ihre Untreue erfährt. Mareike Jankowski als Lola ist in ihrer Unterwäsche schutzlos den Blicken der Gesellschaft ausgeliefert und zutiefst gedemütigt.
„Cavalleria rusticana“ Ezgi Kutlu (Santuzza), Chor und Extrachor der Oper Graz (Foto: Werner Kmetitsch)
„Cavalleria rusticana“ Ezgi Kutlu (Santuzza) (Foto: Werner Kmetitsch)
Der derben Handlungsvisualisierung steht ein musikalisches Rundum-Wohlfühlpaket dagegen. Oksana Lyniv, die Chefdirigentin der Grazer Oper, leitet präzise ein höchst aufmerksames und fein abgestimmtes Orchester. Stimmlich war das Ensemble am Abend des Vorstellungsbesuches bestens disponiert. Mit Mareike Jankowski und Ezgi Kutlu als Santuzza standen sich zwei Frauen gegenüber, die ihre Rollen nicht nur sängerisch, sondern auch schauspielerisch bestens ausfüllten. Auch die Männer, neben Audun Iversen brillierte Aldo di Toro als verliebter Turiddu, trugen zu einem musikalischen Erlebnis der Spitzenklasse bei. Die Kostüme (Annette Braun), zeitlich in der Mitte des 20. Jahrhunderts angesiedelt, spiegeln eine homogene Gesellschaft, in der jedes Abweichen von den Regeln mit sozialen Sanktionen bestraft wird. Einzig das Outfit von di Toro hätte vorteilhafter ausgewählt werden können, um sein Embonpoint etwas zu kaschieren.
Die Idee, mit einem Einschub den Chor zu Wort kommen zu lassen und einzelne, persönliche Befindlichkeiten wie Vorlieben, Ängste oder Abneigungen via Mikrofon dem Publikum mitzuteilen, wirkt eher bemüht als dramaturgisch notwendig. Dabei entsteht der Eindruck, Postdramatik auf „Teufel komm raus“ in der Inszenierung unterbringen zu wollen, währenddessen eine kleine Auskoppelung des Orchesters das berühmte Zwischenspiel auf der Bühne als Hintergrundmusik zum Besten gibt. Zum Glück erfolgt darauf die volle Instrumentalfassung. Grund genug, sich dieses Stück anzusehen.
Nach dem höchst diskussionswürdigen ersten Teil des Abends schloss sich ein tadelloser zweiter an, der nach den Erfahrungen mit der Cavalleria rusticana so nicht zu erwarten war.
Pagliacci
Die Herangehensweise des Regisseurs, das übliche Spiel über Theater und realem Leben im Pagliacci umzudrehen, macht durchaus Sinn. Anders als man es kennt, lässt er im ersten Akt die Bevölkerung als theatrale Wesen auftreten. Ausgestattet in einer Kostümmischung aus Halloween und aus den Gräbern Entstiegenen des alljährlichen Dia-de muertos-Festes in Mexiko versammeln sich die Menschen vor dem Kirchgang. Dabei produzieren sie Angst einflößende Gesten in Richtung Publikum. Interpretieren könnte man diesen Auftritt mit der Idee, dass die ganze Welt ein Theater an sich sei, womit Fioroni auch eine derzeit häufig aufpoppende, gesellschaftliche Grundstimmung wiedergibt.
Auch in dieser Inszenierung ist die musikalische Leistung von Orchester und Ensemble herausragend. Iversen und di Toro treten auch in dieser Inszenierung als Rivalen auf, wobei die Besetzung hier durchaus glaubwürdig erscheint.
„Cavalleria rusticana“ (Foto: Werner Kmetitsch)
Pagliacci (Foto: Werner Kmetitsch)
„Pagliacci“ – Aldo di Toro (Canio), Aurelia Florian (Nedda) (Foto: Werner Kmetitsch)
Es ist normalerweise nicht üblich, über körperliche Merkmale von Sängern oder Sängerinnen ein Wort zu verlieren. Und musikalisch betrachtet, tut dies auch tatsächlich nichts zur Sache. Eine Oper ist jedoch ein multidimensionales Kunstwerk, in dem viele unterschiedlichen Sinne angesprochen werden. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum Fioroni dem Umstand der beleibten Statur von di Toro mit einem dementsprechenden Kostüm nicht Rechnung trug, sondern diese noch betonte. Muss dieser doch als Bajazzo unter seinem grünen, abgewetzten Umhang genau jenes rosarote, enganliegende Nachthemd tragen, mit dem auch der zuvor bereits erwähnte, große und schlanke Clown ausgestattet wurde. Was von der Grundsatzidee her nachvollziehbar und auch intelligent ist, würde man dem wunderbaren Sänger in der realen Umsetzung jedoch gerne ersparen.
Auch im Pagliacci arbeitet der Regisseur mit einem Einschub, dieses Mal aber filmisch ausgearbeitet. Darin erscheint der Theaterdirektor wie einst Moses in dem 1923 gedrehten Streifen „Die Zehn Gebote“, wennglich in unsere Zeit versetzt. Szenen in verschiedenen Theatern und Städten gedreht, schließen auch den Chor mit ein und sollen wohl den Eindruck erwecken, dass das Geschehen auch im Hier und Heute so funktionieren kann.
„Pagliacci“ Aldo di Toro (Canio) (Foto: Werner Kmetitsch)
Stimmig lässt Fiorini die Eifersuchtsszene in einer kleinen Einbauküche in einem Arbeiterwohnblock einer Stadt spielen. Ärmlichst augestattet, mit Blick auf unzählige andere Plattenbaufenster wird diese zum finalen Ort einer Gewalttat, wie wir sie heute durch die Medien allwöchentlich allein in Österreich mehrfach mitgeteilt bekommen.
Abermals darf Mareika Jankowski ihrer stimmliche und schauspielerische Stärke präsentieren. Abermals agiert Iversen als unsympathischer, zurückgewiesener Verliebter, der in seiner Kränkung schließlich nicht davor zurückschreckt, Lola zu verraten.
Der Doppelabend an der Grazer Oper beeindruckt vorrangig mit ausgezeichneten, musikalischen Leistungen und einer klugen, durchdachten Pagliacci-Regie. Schon allein deswegen lohnt sich ein Besuch.
Weitere Termine auf der Homepage der Grazer Oper.
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