Einen außergewöhnlichen Konzertabend durfte das Grazer Publikum im Stefaniensaal im Rahmen der Styriarte erleben.
Der Concentus Musicus gastierte unter dem Dirigat des jungen Musikers Stefan Gottfried. Gemeinsam mit dem Konzertmeister Erich Höbarth und Andrea Bischof (2. Violine) hat dieser nach dem Rücktritt von Nikolaus Harnoncourt die Leitung des Ensembles übernommen. Dass es nach wie vor qualitativ zu den besten der Welt zählt, stellte es an diesem Abend unter Beweis.
Gewidmet war das Programm Franz Schubert, den man sowohl im ersten als auch im zweiten Teil spielte. Mit dem internationalen Bass-Bariton-Star Florian Boesch erklangen nach der Ouvertüre zum Zauberspiel „Die Zauberharfe“ einige atmosphärisch sehr intelligent ausgesuchte Schubert-Lieder mit Orchesterbegleitung. Sowohl Anton Webern als auch Johannes Brahms hatten diese vertont, wenngleich sie leider nicht oft zu hören sind und deswegen viele im Publikum überraschten.
Dem vollen Klang, den Boesch an seiner Seite als Ausgangsmaterial hatte, musste eine ebenso füllige Stimme beigegeben werden. Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man, dass normalerweise die Lieder nur mit Klavier begleitet werden und aus diesem Grund das Stimmvolumen bei weitem nicht so groß sein muss. Boesch zeigte jedoch, was es heißt, Schuberts Lieder nicht nur herausragend zu singen, sondern sie von ihrem Grund auf auch zu verstehen. Er erarbeitete sich die Texte so, wie dies ein genialer Schauspieler machen würde, der in einem einzigen Satz imstande ist, die Stimmung mehrfach zu wechseln. Auch Boesch konnte in ein- und derselben Strophe vom zartesten Pianissimo zu Forte aufbrausen vice versa und beeindruckte nicht nur mit seinem herausragenden Bariton, sondern auch mit seiner Gestik und Mimik.
Dabei kam kein einziges Mal ein triefendes Pathos auf, welches andere Sänger gerne benutzen, um den Liedern eine abgehobene Künstlichkeit aufzuoktruieren. Die Interpretation von Boesch in Begleitung des Orchesters, das zum Teil mit Instrumenten arbeitet, die auch zu Schuberts Zeiten eingesetzt wurden, stellte ein so außergewöhnlich beeindruckendes Hörerlebnis dar, dass man ohne Mühe prognostizieren kann, dass es lange Zeit im Musikgedächtnis des Publikums verankert bleiben wird.
Der zweite Teil des Abends brachte ein Novum mit sich. Dafür setzte der Concentus musicus zwei Sätze vor den Beginn von Schuberts „Unvollendeter“, die selbst ja nur in zwei Sätzen überliefert ist. Das von Schubert für den dritten Satz vorgesehene Scherzo war von ihm auf nur 20 Takten auskomponiert worden. Die orchestrale Ergänzung und Neufassung nahm der Musikforscher und Dirigent Benjamin-Gunnar Cohrs vor. Als Finalsatz, der anschließend erklang, wollen mehrere Forscher den Zwischenakt zur Schauspielmusik „Rosamunde“ erkannt haben und tatsächlich konnte man, abgesehen von derselben Tonart, einige Parallelen und Verschränkungen zu den vorangegangenen Sätzen wahrnehmen. Das besondere Charakteristikum des Satzes ist eine unglaublich stark ausgeprägte, emotionale Klangdualität. Zwischen schwarz und weiß, lieblich und herrisch, zwischen lyrisch und polternd bewegen sich die Themen in diesem „Unter-Umständen-Finalsatz“ ohne Unterlass.
Wie sehr Franz Schubert mit dieser Komposition die Klassik bereits hinter sich gelassen hatte und bestrebt war, mit neuen Formen dem strengen, formalen Konzept zu entkommen, wurde mit diesem Konzert überdeutlich. Mit den Schlagworten „Emotion vor Konvention“ könnte man in aller Kürze jene kompositorische Idee umreißen, die der Komponist in seiner Unvollendeten zum Einsatz brachte und die seit beinahe 200 Jahren die Hörerinnen und Hörer so außerordentlich begeistert. Die Idee zur Präsentation, die unbekannten Sätze den bekannten voranzustellen, stammte von Alice Harnoncourt. Sie folgte damit dem Beispiel ihres Mannes, der auf diese Art und Weise schon Bruckners „Unvollendete“ mit Cohrs Ergänzungen zur Aufführung brachte.
Dass die Musizierenden des Ensembles mit einer Hingabe und Freude spielen, die in dieser Art sehr selten bei Orchestermitgliedern anzutreffen ist, war an diesem Konzertabend gut zu bemerken. Das lässt die berechtigte Hoffnung zu, dass der Concentus musicus, wenn er weiter Wege wie diese geht, weiße Flecken aus der Musikgeschichte in einer derart hohen Qualität zu präsentieren, auch in Zukunft seine herausragende Stellung nicht nur behaupten wird können, sondern vielleicht sogar auch ausbauen.
Auf der CD, die in diesem Herbst mit diesem Programm erscheinen wird, wird das Scherzo und das Trio an die beiden bekannten ersten Sätze angeschlossen werden. Damit wird eine „vollendete Unvollendete“ zu hören sein, die, was in Österreich zu erwarten ist, Diskussionen auslösen wird. Etwas Besseres kann klassischer Musik gar nicht passieren.
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Mit der konzertanten Aufführung von Beethovens Fidelio in der List-Halle bekannte das Styriarte-Team seine uneingeschränkte Solidarität mit Flüchtlingen in unserem Land.
„Historische Musik aufzuführen macht nur dann Sinn, wenn es einen aktuellen Bezug dafür gibt“, erklärte der Dramaturg Thomas Höft vor dem Konzert und verwies damit nicht zuletzt auch auf Nikolaus Harnoncourts Kunstverständnis.
Doch nicht nur die Aktualität, die Höft bei diesem Fidelio herstellen wollte, war ausschlaggebend für die multimediale Aufführung. Vielmehr auch das Gebot des Saales, in dem das gesprochene Wort wesentlich schlechter wahrgenommen wird als der Gesang mit einer Nachhallzeit von 3 Sekunden. Aus diesen Gründen war nach einer Möglichkeit gesucht worden, die Dialoge zwischen den Hauptcharakteren zu vermeiden. So machte man sich auf die Suche, ob es ähnliche Geschichten, wie jene von Leonore, der Ehefrau des eingekerkerten Florestans aus dem Libretto, gibt, die sich in unserer Zeit ereignen. Geschichten von Mut und Flucht, von Befreiung und Standhaftigkeit.
Fündig wurde man bei verschiedenen Flüchtlingshilfsorganisationen. Männer und Frauen, die es nach Österreich geschafft haben und sich in unterschiedlichen rechtlichen Flüchtlingsstadien befinden, vom anerkannten Flüchtling bis zu solchen, die vor der Abschiebung stehen, erzählten dafür kurz ihre Odysseen und Leidenswege. Diese Aufzeichnungen wurden zwischen die musikalischen Nummern eingebaut. Thomas Höfts Stimme aus dem Off gab vor jeder Videoeinspielung kurze Infos über die Menschen und ihre Schicksale und schuf so nachvollziehbare Überleitungen vom Geschehen auf der Bühne zu den jeweiligen Kurzfilmen.
Für so manch eine und einen im Publikum war dies schwer verdauliche Kost. Andere wiederum, wie in der Pause zu erfahren war, lehnten die Vorgangsweise aus ästhetischen Gründen ab. Glücklicherweise jedoch war beim Endapplaus von dieser Einstellung überhaupt nichts mehr zu spüren. Denn sonst hätte man die Erkenntnis zitieren müssen, dass Kulturkonsum, Menschlichkeit und Intelligenz nicht zwangsläufig Hand in Hand einhergehen.
Die Bühnen- und Kostümbildnerin Lilli Hartmann schuf sowohl für den Chor als auch für die Solistinnen und Solisten eine Bekleidungsvariante mit Jeans und blauen Hemden. Ein Bezug zu autoritären Regimen, in welchen alle gleichgeschaltet werden, zugleich aber auch die Einladung, diese Oper niederschwelliger zu transportieren, als dies normalerweise der Fall ist. Auch das Orchester inklusive seines Dirigenten – dem unglaublich stilsicher und lebhaft agierenden Andrés Orozco-Estrada – hielt sich an den Dresscode und spielte ebenfalls in Jeans und blauen Oberteilen.
Berückend gleich von Beginn an war die ausgefeilte Dynamik, die der Dirigent seinen Musikerinnen und Musikern entlocken konnte. Der rasche Wechsel zwischen laut und leise innerhalb weniger Takte brachte Beethovens Partitur so richtig zum Schillern. Auch der Einsatz von historischen Instrumentennachbauten war deutlich hörbar. Neben den mit Darmsaiten bespannten Streichern war dies am meisten wohl bei den samtigen Hörnern der Fall. An einer der kritischsten Stellen, an der eine kurze Bläser-Trio-Passage erklang, lieferte eine der Stimmen eine unüberhörbare Schieflage ab. Dieses musikalische Hoppala machte die Schwierigkeit der Spielbarkeit, die sich bei Naturhörnern gänzlich anders gestaltet als bei modernen Instrumenten, deutlich und zugleich den Musikgenuss zu einem höchst menschlichen. Einem, der so nur live im Konzertsaal zu erleben ist und klar macht, dass auch die Musikerinnen und Musiker bei ihrer Berufsausübung fehlbare Menschen sein können, wie wir alle es sind.
Als ein herausragendes Merkmal der Styriarte-Produktionen ist die treffsichere Besetzung zu nennen. Es ist immer wieder eine große Freude, derart gute Stimmen in Graz hören zu können. Mit Tetiana Miyus gelang eine fantastische Besetzung für Marzelline, deren glockenheller, klarer Sopran heftig umjubelt wurde. Johanna Winkel beeindruckte als Leonore nicht nur stimmlich, sondern auch optisch in der Verwandlung zu einem schlanken, großen Fidelio. Ausgezeichnet auch die Herren, unter anderen Johannes Chum als höchst zerbrechlich wirkender Florestan, Adrian Eröd als Minister, der die politisch motivierte Befreiung des Inhaftierten medienwirksam via Handy sofort verbreitete, Jochen Kupfer als Don Pizarro, welcher seine schauspielerischen Fähigkeiten als gewissenloser Mörder unter Beweis stellte und Thomas Stimmel als Rocco, der trotz einer Verletzung mit ruhig gestelltem Arm seine Partie herausragend sang.
Wie sehr das Konzept der Verschränkung zwischen aktuellem Geschehen und Beethovens Ideen von einer hoffnungsfrohen, besseren Welt funktionierte, konnte man bei jener Chorpassage mehr als deutlich spüren, in welcher die Gefangenen des Fidelio-Chors singen: „Oh welche Lust in freier Luft den Atem leicht zu heben.“ Denn mit der Personalisierung von Fluchtgeschichten war zuvor deutlich geworden, was es bedeutet, in einem freien Land leben zu dürfen, in welchem wir wahrlich alle genug Luft zum Atmen und genügend Ressourcen haben, Verfolgten ein neues Zuhause anzubieten. Zusammengesetzt war der Chor aus Profi-Stimmen verschiedener Grazer Chöre und sangesfreudigen Migrantinnen und Migranten, sodass in ihm 14 Nationen vertreten waren.
Ein berührender, intensiver Opernabend, der auch verdeutlichte, dass wir dringend Kulturinstitutionen wie die Styriarte brauchen. Denn diese lassen sich weder mundtot machen, noch biedern sie sich dem jeweiligen Regierungsstil an. Vielmehr sorgen sie immer wieder aufs Neue dafür, um dem Versteinern der Herzen unserer Gesellschaft, die sich permanent auf humanitär höchst fragliche Gesetze beruft, die unabdingbar seien, ein wirksames Mittel entgegenzusetzen.
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Jordi Savall ist ein Garant für volle Häuser. Beim diesjährigen Styriarte-Festival kam der Meisterschürfer historischer Musikraritäten mit großer Entourage auf die Bühne, der bis auf den letzten Platz ausverkauften Helmut List Halle. Ergänzend zu seinem „Concert des Nations“ hatte er mit der „Capella Reial de Catalunya“ ein Großaufgebot an Stimmenexzellenz mitgebracht. Notwendig war dies, da Teile aus dem 8. Madrigalbuch von Claudio Monteverdi zum Vortrag gebracht wurden. In diesem beschrieb der Ausnahmekomponist den Krieg und die Liebe, wobei, bis auf ein an dem Abend gespieltes Stück, nicht der Krieg zwischen Armeen, sondern der Krieg der Herzen besungen wurde. Jener kriegerische Zustand, in den die Liebe uns zuweilen treibt, ohne dass wir es wollen und gegen den wir meist vergeblich versuchen anzukämpfen.
Musikhistorisch bot der Abend eine Menge an Lehrmaterial. Denn mit der Übertitelung der einzelnen Stücke und der Texte verlor man nicht den Überblick und konnte so, wie nebenbei, erfahren, dass eine „Sinfonia“ bei Monteverdi gerade einmal aus einem Thema mit wenigen Takten bestand oder – wenn es üppig zuging, auch schon einmal 3 Sätze ausmacht, die in wenigen Minuten abgespielt sind. Dankenswerter Weise durfte man auf der Leinwand hinter den Musizierenden die kunstvolle Lyrik mitlesen, die so unglaubliche Sätze wie „Statt Blut weinte eine gequälte Seele für lange Zeit“, bereithielt, um nur ein Beispiel anzuführen.
Italiens wichtigster und einflussreichster Komponist seiner Zeit präsentierte sich mit diesem Madrigal-Konvolut, das er seinem Herrscher, Ferdinand III widmete, am Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Die Polyphonie der Renaissance, die ihn in seinen Messen so berühmt machte, ist hier überwunden. Das Zeitalter des Barock herangebrochen, in welchem unser tonales System für viele Jahrhunderte ausformuliert wurde. Monteverdi darf in vielerlei Hinsicht als einer der Stammväter der europäischen Musik bezeichnet werden. Selbst die Gattung der Oper hat er bereits angedeutet.
La Capella Reial de Catalunya.(Foto: Werner Kmetitsch)
Neben aller musikhistorischer Erkenntnis stand jedoch eines ganz im Vordergrund: Ein sinnliches Erleben von in Musik gegossenen Emotionen rund um das Thema Liebe. Da gab es herzerweichende Lamenti zu hören ob der Untreue eines Mannes. Dann wieder illustrierte das Orchester und ein Männerterzett in höchst humoriger Art und Weise Angstzustände vor der Liebe, vor der man sich wie bei einem Kriegsgegner wappnen und auf Pferden so schnell wie möglich davon galoppieren müsse. Aber auch der Kampf zwischen Tancredi und Clorinda, die dabei ihr Leben verlor, erklang in einer konzertanten Inszenierung, die atemberaubend war. Verantwortlich dafür war der „Erzähler“ Furio Zanasi, der am vorderen Bühnenrand stehend, seine Rezitative und kurzen Arien körpersprachlich höchst illustrativ begleitete und dabei einen unglaublich guten „Draht“ zum Publikum aufbaute.
Besonderes Augenmerk wurde auf die Regie der Auf- und Abgänge des Gesangsensembles gelegt, das nicht, wie sonst oft – permanent auf der Bühne verharrte und regungslos auf seine Einsätze wartete. Dadurch konzentrierte sich das gesangliche Geschehen nur auf die jeweils Singenden, die allesamt an diesem Abend in Höchstleistung auftraten. Mit einem Kriegsmadrigal endend, durfte man eine abschließende Klangfülle erleben, die das Publikum so zu Begeisterungsstürmen hinriss, dass Maestro Savall dieses schließlich noch einmal als Zugabe erklingen ließ.
Großer Aufmarsch in der Helmut List Halle beim Styriarte-Konzert „Wien 1683“. Rechts auf der Bühne die Türken – links die Wiener und mittendrin: Michael Dangl.
Der mittlerweile für seine vielen Rezitationskonzerte bekannte Schauspieler führte das Publikum zwischen den einzelnen, musikalischen Stücken zurück ins Jahr 1683. Damals belagerten die Türken Wien bereits zum zweiten Mal – erfolglos, wie die Geschichte zeigte. Aber mit hohen und grausamen Verlusten auf beiden Seiten.
Mit dem Armonico Tributo unter der Leitung von Lorenz Duftschmid und der „Saraband“, der Vladimir Ivanoff vorstand, „kämpften“ zwei Spitzenensembles um die Gunst des Publikums und zeigten auf, wie groß der kulturelle Unterschied auch in der Musik zwischen Orient und Okzident war – und teilweise bis heute auch noch ist.
Das mit europäischen Instrumenten bestückte 12-köpfige Duftschmid-Ensemble (Streichinstrumente, Flöte, Trompeten, Barockgitarre und Perkussion) stand einem Quintett gegenüber, das mit einer Nay (Rohrflöte), einer Kemençe(Kastenhalslaute), einer Kanun (Kastenzither), Rahmentrommeln und einer Oud (Kurzhalslaute) ausgestattet war.
Der syrische Musiker Rebal Alkhodari spielte Letztere nicht nur, sondern setzte dem musikalischen Geschehen auch arabische Gesangsglanzlichter auf. Dabei wechselte er nahtlos von der Brust- in die Kopfstimme, in welcher er jene unzähligen Arabesken mit Leichtigkeit wiedergab, die diese Musik so unverwechselbar macht und auszeichnet. Zwischenapplaus nach jeder Darbietung machte klar, wie sehr das Publikum seine Auftritte zu schätzen wusste. Als herausragend im Armonico Tributo Ensemble ist Michael Oman zu nennen, dessen Blockflötenspiel nicht nur virtuos, sondern höchst lebendig und mitreißend war. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass die österreichische, musikalische Abordnung auf der Bühne der „orientalischen“ zahlenmäßig überlegen war.
„Wien 1683“ (Foto: Werner Kmetitsch)
Die gekonnte Stückauswahl von Komponisten wie Johann Heinrich Schmelzer, Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Josef Fux, Gazi Giray Han, Ali Ufki und vielen anonym überlieferten Werken aus dem osmanischen Raum pendelte zwischen barocker Fröhlichkeit, kriegerischen Drohgebärden, mittelalterlich nachklingenden Tänzen, Hymnen für den „Propheten Mohamad“, einem barocken Lamento, einem religiösen Klagelied, innig von Alkhodari vorgetragen und vielen anderen mehr.
Das unglaublich breite, musikalische Spektrum, das dadurch abgebildet wurde, zeigte auch gut auf, dass das Abend- und das Morgenland zu dieser Zeit Musik in gänzlich unterschiedlichen Kontexten verwendete. Waren es in unseren Breiten die kaiserlichen und königlichen Höfe, so wurde Musik bei den Osmanen und darüber im arabischen Raum neben Tanzeinlagen zwar auch an den Höfen dargeboten, diente aber nicht der jeweiligen Herrscherverherrlichung, sondern jener Allahs oder seines Propheten.
Neben all dem prächtigen Ohrenschmaus bekam das Publikum einen höchst anschaulichen Geschichtsunterricht gratis dazugeliefert. Michael Dangls Lesungen aus historischen Überlieferungen benannte nicht nur Zahlen und Fakten, sondern machte die Angst und das Leid, die Feigheit der Herrscher, sowie die Tapferkeit der Bevölkerung und Soldaten emotional nachvollziehbar. Eine kluge, dramaturgische Volte beendete den Abend.
Mit ihr wurde subtil klar gemacht, dass alle Menschen, die auf dieser Welt leben, egal aus welchem Kulturkreis sie auch sind, derselben Conditio humana ausgeliefert sind und sich in der Geburt, dem Tod und dem Vergessen in nichts unterscheiden, Mit den „Gedanken über die Zeit“ von Paul Fleming (1609-1640) befriedete Dangl den Abend, ohne Sieger oder Besiegte hervorzuheben, zu preisen oder zu verdammen. Eine feinsinnige und noble Geste und nicht zuletzt eine Referenz den Musikern der Saraband gegenüber, die nicht aus dem Reich des „Goldenen Apfels“ stammen, wie die Türken Österreich nannten.
„Wien 1683“ (Foto: Werner Kmetitsch)
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All jenen, die in Graz das Konservatorium besuchten oder noch besuchen, ist sein Name wohl bekannt: Johann Josef Fux. Dass er Steiermarks einflussreichster und wichtigster Barockkomponist war, wissen viele Musizierende jedoch gar nicht.
Das Styriarte-Team hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Bekanntheitsgrad des Komponisten drastisch zu steigern und bot dem Publikum in dieser Festvalsaison das „Fux-Opernfest Vol.1“ an.
Das Surrounding dazu war außergewöhnlich. Wurde doch nördlich von der List-Halle ein „Glücksgarten“ mit Lustwandlungsmöglichkeiten angelegt, der in den kommenden Jahren erhalten bleiben soll. „Zwischen den parkenden Autos in der Pause zu marschieren, hatte auch einen gewissen Charme“, wusste Intendant Mathis Huber von den bisherigen Usancen zu berichten. Nun jedoch bietet der Garten und die ihm angeschlossenen, großen Zelte den Musikfans auch die Möglichkeit des Entspannens und des Labens vor und nach den Aufführungen.
Ein Fest sollte es werden, mit allem was dazugehört. Einem fröhlichen Sicheinfinden, einer Verköstigung, Musik zum Tanzen und nicht zuletzt der selten aufgeführten Oper „Julo Ascanio, Re d`Alba“. Der in Hirtenfeld bei St. Marein geborene Musiker schuf diese anlässlich des Namenstages seines Kaisers, Josef I. Sie wurde im März 1708 in Wien am Hofe aufgeführt und erlangte das Gefallen Ihro Gnaden höchstpersönlich.
„Julo Ascanio“ (Foto: Werner Kmetitsch)
„Julo Ascanio“ (Fotos: Werner Kmetitsch)
Auch in Graz durfte sich das Styriarte Publikum über die musikalisch herausragende Leistung von Fux, aber auch des „welschen“ Klangkörpers, sowie der Sängerinnen und Sänger freuen. Alfredo Bernardini, der Leiter des Zefiro Barockorchesters, kam höchst ungewöhnlich mit seinem Ensemble auf die Bühne. Fröhlich und sich angeregt unterhaltend, marschierten die Damen und Herren mit ihren Instrumenten zu ihren Plätzen, wobei klar wurde: Bierernst würde in dieser Inszenierung nicht wirklich etwas genommen werden. Und tatsächlich setzte die Regie von Wolfgang Atzenhofer der Beweihräucherung des einstigen Kaisers eine große Prise Ironie dagegen und kam so nicht einmal in den leisesten Verdacht reaktionärer Umtriebe. Ausgestattet mit opulenten Crossover-Kostümen von Lilli Hartmann, angelegt zwischen barocken Stilelementen bis hin zu poppigen Glitzeroutfits, sang Kai Wessel in der Titelrolle jenen König, von dem die Habsburger ihren Stammbaum ableiteten. Sein Altus war am besuchten Abend nicht mit einer unverbrüchlichen Standfestigkeit ausgestattet, wies jedoch eine zarte, lyrische Qualität auf. In einem Outfit zwischen Ritter, Barockfürst und Weltraumeroberer kämpfte der König von Alba um die Liebe von Emilia, deren Volk er unterjocht hatte.
Arianna Vendittelli war in dieser Rolle neben Monica Piccinini, die ihre Mutter gab, der Star des Abends. Gar wunderbar zu hören, wie sich die beiden Soprane in ihren unterschiedlichen, bestens disponierten Stimmqualitäten voneinander fein unterschieden. Valerio Contaldo beeindruckte mit seinem klaren, aber nie scharfen Tenor in der Rolle als Teucro, während Mauro Borgioni stimmgewaltig als Evandro seiner Schwester Emilia unmissverständlich klar machte, wem sie ihre Hand reichen sollte.
Die Grazer Medien-Produktionsfirma OchoReSotto steuerte auf einer Videowand, quer hinter der Bühne gespannt, abstrakte, bunte Einspielungen bei, die Details aus den Kostümen geometrisch zerlegten und vergrößerten. Dabei konnten, aufgrund des Einsatzes der verschiedenen Farben wie Rot, Schwarz oder Weiß, gut die unterschiedlichen, emotionalen Befindlichkeiten der jeweiligen Charaktere nachempfunden werden. Rot fungierte dabei logischerweise für die besungenen Liebesgefühle, die Schwarz-Weiß Projektionen begleiteten eher strategische Überlegungen der Charaktere.
„Julo Ascanio“ (Fotos: Werner Kmetitsch)
Dem höfischen, barocken Musikideal in der Halle wurde mit den „Fidelen Hirtenfeldern“ im Garten vor und nach der Vorstellung ein Kontrapunkt entgegengesetzt. Das Spezialensemble für historische Volksmusik trat in clownesken Trachtenkostümen gemeinsam mit „Johann Josef Fux“ (Christoph Steiner) auf, der sich beständig über alles echauffieren konnte, das nach seiner Meinung nach der höfischen Etikette nicht entsprach, wie das „Fräulein Austria“ (Jutta Panzenböck). Deren Naheverhältnis war zum Kaiser sogar so weit vorangeschritten, dass dieser seine selbst komponierte Aria „Tutto in pianto“ laut ihrer Aussage auf ihrem bloßen Körper zur Niederschrift brachte.
Die Idee, dem Publikum mehr als nur eine Oper zu bieten, sondern auch ein wenig von jenem Flair wiederzugeben, was die Aufführung zu ihrer Entstehungszeit gewiss so reizvoll machte, ging auf. Es wurde fröhlich lustwandelt, man hatte seine Gaudi mit der bunten Volksmusikgruppe, gab sich den barocken Klängen hin, genoss steirisches Chili und nicht zuletzt „ein Maul voll Kaiserschmarrn“. Zum Glück hat Fux mehr als nur eine Oper zu bieten, sodass man auf eine Fortsetzung in der nächsten Saison gespannt hoffen darf.
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