Mit Beethoven und den Hip-Hoppern im Park
23. November 2023
Manches Mal erlebt man Überraschungen. Der Auftritt von Andrea B. Schramek im Artists mit dem Stücktitel „Kiki van Beethoven“ in Graz war eine solche.
Michaela Preiner
Theater
Foto: (Hilde Matouschek officina)

Wenn man, wie bei dieser Vorstellung in eine Location geht, die man nicht kennt, ein Stück sieht, das in Österreich das erste Mal aufgeführt wird und auch bisher nicht die Gelegenheit hatte, die Schauspielerin live auf der Bühne zu erleben, dann liegt es fast auf der Hand, dass man überrascht wird. Dass diese Überraschung jedoch rundum so positiv ausfällt, das verblüfft dann doch.

Die Location – das Artists – im selben Haus wie das Volksheim untergebracht, jedoch mit eigenem Eingang und kurioserweise einer anderen Adresse, ist ein Veranstaltungsort mit überaus freundlichen Menschen, die dort werken. Angefangen vom Kartenverkäufer im Vorraum, bis hin zu jenem, der hinter der kleinen Bar steht und sichtbar Freude an Konversationen hat. So banal es klingt, aber allein schon der nette Empfang verbreitet eine angenehme Stimmung. Ein Umstand, den so manch arrivierte Bühne nicht mehr im Fokus hat.

Schramek hat sich, nach einiger Zeit Spielabsenz, ein Stück ausgesucht, das ihr auf den Leib geschrieben scheint. Die sympathische Schauspielerin schlüpft darin in sage und schreibe acht Rollen, inklusive ihrer eigenen als Erzählerin. Im Drama gehört sie einer Damenrunde an, die sich in einer noblen Pariser Altersresidenz zusammengefunden hat. Noch rüstig, unternehmen die vier Freundinnen gemeinsame Ausflüge und treffen sich bei Kuchen und Tee. Kiki, so der Name der Hauptfigur, entdeckt eines Tages am Flohmarkt einen Gipsabdruck von Beethovens Antlitz und ist verwundert. Weder sie noch Zoe, Rachel oder Candie hören Musik, wenn sie das gipserne Antlitz betrachten. Ganz im Gegensatz zu ihrer Jugendzeit, in welcher Beethovens Streichquartette, Klavierkonzerte, Fidelio oder seine Symphonien wie von selbst bei der Betrachtung in ihren inneren Ohren erklangen.

Andrea Schramek in Kiki van Beethoven 2 c Hilde Matouschek officina

Andrea Schramek in „Kiki van Beethoven“ (Foto: Hilde Matouschek officinia)

Éric-Emmanuel Schmitt, der Autor der Stückes, erzählt eine Geschichte mit zwei parallelen Handlungssträngen, die sich im Objekt des Gipsportraits verzahnen.

Es ist zum einen die Erzählung über jene seelischen Verwundungen, die man im Laufe seines Lebens erhält, aber gerne vergessen und zuschütten möchte, inklusive der Geschichte eines jungen Mannes, der einen Suizid wählte.

Zum anderen erlebt man mit, wie sich zwischen Kiki und einem jungen Hip-Hopper, den sie in einem Park kennengelernt hat, eine Freundschaft der besonderen Art entwickelt. Eine Freundschaft, mit Nachhaltigkeitscharakter, wie sich herausstellen wird.

Ab einem bestimmten Alter hat man viel erlebt und gesehen und aus den Erfahrungen seine eigenen Schlüsse daraus gezogen. Viele Menschen legen sich dabei eine Art seelische Hornhaut zu, um die psychischen Wunden zuzudecken, die sie erlitten haben. Schmitt konstruiert mit scheinbarer Leichtigkeit Situationen, die dazu angetan sind, die individuellen Wunden der vier Frauen wieder offenzulegen. Als Katalysator und Sichtbarmachung der Wandlungen dient Beethovens Musik, die im Heilungsprozess aller eine wichtige Rolle spielt.

Es sind die berührenden Momente jeder Geschichte, die Schramek so pur über den Bühnenrand bringt, dass man vergisst, dass hier nur eine einzige Frau vor einem steht. Der Besuch in Auschwitz, bei welchem Rachel an der Gedenktafel der Ermordeten einen Teil ihrer Familie entdeckt, gehört dazu. Aber auch die Sehnsucht der heimlichen Postkartenschreiberin Zoe, die erkannt hat, dass ihr in diesem Leben keine reale Liebe glückt. Stattdessen verschickt sie mithilfe ihrer Enkelin Postkarten aus aller Welt an einen Mann, den sie unerkannt bleibend, liebt.

In Kiki selbst bricht die Erinnerung an den Selbstmord ihres Sohnes auf, den sie ihrer Schwiegertochter zuschreibt. Erst als ihr diese einen Brief überreicht und eindringlich bittet, ihn zu lesen, erkennt sie, dass ihre Einschätzung falsch war, sie vielmehr mit der Schuldauslagerung ihre eigene Trauer, Angst und Wut zu unterdrücken versuchte.

Auch wenn die einzelnen Geschichten direkt ins Herz gehen, so verfügt Éric-Emmanuel Schmitt doch über die Fähigkeit, mit subtilem Humor so gegensteuern zu können, dass man keine Taschentücher zücken muss. Dies mag wohl einer der Gründe sein, warum er derzeit zu einem der meistgespielten und meistgelesenen Autoren in Frankreich zählt.

Andrea Schramek in Kiki van Beethoven 5 c Peter Wohlfahrt

Andrea Schramek in „Kiki van Beethoven“ (Foto: Peter Wohlfarth)

Die Art und Weise, wie die Schauspielerin die einzelnen Charaktere sichtbar macht, ist beeindruckend. Genauso wie das Timing ihrer Gesten und ihrer Mimik. Jeder Handgriff, jeder einzelne Schritt sitzt perfekt und kommt zum richtigen Zeitpunkt. Aufregung und Wut, Mitleid und Empörung sind nur einige Emotionen, welche sie mit Leichtigkeit sichtbar machen kann. Auch der Wandel zwischen verschiedenen Orten und Zeiten fällt ihr in ihrem one-woman-Auftritt nicht schwer. Alles in allem liefert sie ein schauspielerisches Gesamtpaket ab, das richtig überzeugt. Und vor allem, das Lust auf mehr macht.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, gepaart mit einem Blick in die Zukunft ergibt ein überaus rundes, dramatisches Konstrukt mit Tiefgang und Humor gleichermaßen. Mit „Kiki van Beethoven“ darf man einen Theaterabend erleben, der zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken anregt. Und das mit den ureigensten Mitteln, die dem Theater zur Verfügung stehen: einer guten Geschichte und einer ebensolchen Schauspielerin.

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