Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024

Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024

Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024
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Michaela Preiner
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Das Programm war breit gefächert. Buchpräsentationen, Lesungen, Konzerte in- und outdoor an verschiedenen Plätzen in der Stadt, Performances, Ausstellungen und die Eröffnung eines Genusslabors boten ein straffes Programm, bei dem die Besuchenden Lücken in Kauf nehmen mussten, so dicht waren die einzelnen Programmpunkte getaktet.

Geschichte und Anforderungen an eine Kulturhauptstadt

Im Zentrum der Stadt, in der ehemaligen Trinkhalle mit ihren charakteristischen, historischen Säulen, befindet sich der Info-Point sowie das Pressezentrum, in dem sich in- und ausländische Pressevertreterinnen und -vertreter tummelten. Es ist lange her, dass Bad Ischl einen derart internationalen Zulauf erleben durfte. Ab dem Jahr 1822 bis nach dem Ersten Weltkrieg war man in Ischl, wie es damals noch hieß, bevor es die Adelung als „Bad“ erfuhr, an hochrangige Gäste aus dem In- und Ausland gewöhnt. Erst nach dem Untergang der Donaumonarchie und dem abnehmenden Besuch des Adels und der Bourgeoisie schrumpfte die Ausstrahlungskraft des Ortes. Der Tourismus blieb dennoch erhalten, obgleich auch mit anderen Vorzeichen. Kuren in Bad Ischl wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Domäne von österreichischen Kranken, die von den verschiedenen Versicherungsträgern dorthin  geschickt wurden. Die Kultur, einst in dem kleinen Ort durch Komponierende und Literaturschaffende, Musizierende und Theatermenschen geballt vertreten, trat in den Hintergrund. Das Lehártheater verlor seine Strahlkraft, diente später als Mehrzweckveranstaltungsraum und Kino und wurde schließlich aufgrund seines maroden Zustandes geschlossen. Wer Modernes hören oder sehen wollte, musste fort von hier.

Mit dem Programm der Kulturhauptstadt 2024 ändert sich dies nun. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vergabe der „Kulturhauptstadt Europas“ teilen sich insgesamt 23 Gemeinden diese Zuschreibung. Zwar präsentiert sich Bad Ischl als Bannerträgerin des Kulturereignisses, die Teilnahme der weiteren teilnehmenden Gemeinden aus dem Salzkammergut wird sich im Laufe des Jahres verstärkt zeigen. Man erhofft sich dadurch nicht nur internationale Aufmerksamkeit, die sich auch in Nächtigungszahlen ausweisen soll. Grundidee ist jedoch, so die künstlerische Leiterin Elisabeth Schweeger bei ihrer Eröffnungsrede auf der Bühne im Kurpark vor mehreren Tausend Menschen, Kultur auch abseits von urbanen Zentren zu stärken. Sie sieht Kultur als ein gesellschafts- und demokratiepolitisch wichtiges Medium, das gerade in ländlichen Regionen nicht nur bei den Touristen, sondern bei den Menschen, die hier leben, viel bewirken kann. Damit erfüllt sie auch die Anforderungen, die seitens der Geldgeberin, der EU, gestellt werden. Wie es in einem Beschluss des Europäischen Parlamentes konkret heißt, soll durch den Zuschlag zur Kulturhauptstadt eine „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Kultur- und Kreativsektors, insbesondere des audiovisuellen Sektors, mit Blick auf die Förderung intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums“ erreicht werden. Und weiter: „Mit dem Titel ausgezeichnete Städte sollten zudem die soziale Inklusion und Chancengleichheit fördern und so stark wie möglich darauf hinwirken, dass eine möglichst große Bandbreite aller Teile der Zivilgesellschaft an der Vorbereitung und Durchführung des Kulturprogramms beteiligt ist, wobei besonderes Augenmerk auf junge Menschen, Randgruppen und benachteiligte Gruppen gelegt werden sollte.“ Tatsächlich durfte man die Umsetzung dieser Anforderungen bereits am Eröffnungswochenende live miterleben.

Das Eröffnungskonzert

Das abendliche Eröffnungskonzert auf der großen Bühne im Kurpark lockte trotz eisiger Minustemperaturen tausende Bad Ischler und Menschen aus der Umgebung an. Mit den aus dem Salzkammergut stammenden Künstlerinnen und Künstlern – Hubert von Goisern, Tom Neuwirth aka Conchita Wurst und Doris Uhlich wurde gezeigt, dass die Region mehr als nur traditionelles Brauchtum zu bieten hat. Alle drei sind Persönlichkeiten, die sich auf den Bühnen der Welt profilieren konnten und symbolisch dafür stehen, dass auch mit regionalen Wurzeln internationale Anerkennung erarbeitet werden kann. Mit einem Auftritt von Schülerinnen der Modeschule Ebensee, die moderne Trachten-Interpretationen aus Papier präsentierten, erhielt der Abend zusätzlich einen starken regionenbezogenen Charakter, ausgestattet mit einem aktuellen Design-Twist.

Tom Neuwirth aka Conchita Wurst Henrieke Iring courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Tom Neuwirth aka Conchita Wurst (Foto: Henrieke Iring, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024)
Opening Hubert von Goisern Henrieke Iring courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Hubert von Goisern (Foto: Henrieke Iring, courtesy
Doris Uhlich Daniel Mayer courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Doris Uhlich (Foto: Daniel Mayer, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024)
Modeschule Ebensee 54 Henrieke Iring courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Modeschule Ebensee 54 Henrieke Iring, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Ausstellungen und Installationen

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Maruša Sagadin – „Luv Birds in toten Winkeln“
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Altes Sudhaus Bad Ischl Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“ (Fotos ECN)
Tagsüber wurden mehrere Ausstellungen eröffnet wie jene im Postgebäude mit einer Arbeit der Künstlerin Maruša Sagadin. Die österreichisch-slowenische Künstlerin installierte dort „Luv Birds in toten Winkeln“, eine mehrteilige Skulptureninstallation. Auf Säulen angeordnet, finden sich bunte Körperteile wie Zungen, Ohren oder Lippen. Sie verweisen auf intime Zonen und Handlungen, die im öffentlichen Raum aber kaum mehr einen Platz finden. Die kleinen Sitzbänke, die sich im hohen Atrium neben den Säulen befinden, dürfen tatsächlich zum Sitzen verwendet werden und verändern damit auch die bisherige Nutzung.

Gegenüber, im alten Sudhaus, war der Andrang zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“ so groß, dass man auf einen Besuch am kommenden Tag vertrösten musste, da die Kapazität an Besuchenden ausgelastet war. Der Kurator, Gottfried Hattinger, hat ganze Arbeit geleistet. 18 Beiträge von insgesamt 21 Künstlerinnen und Künstlern geben einen erstaunlichen Überblick über künstlerische Beiträge zu diesem Thema. Von Installationen, die nur über eine App am Handy vor Ort abgerufen werden können bis zu Werken, die sich während der Ausstellung permanent wandeln und solchen, die eine unglaubliche statische Schönheit ausstrahlen, ist alles vertreten. Eineinhalb Stunden sind für den Besuch zu wenig. Wer sich umfassend mit den Arbeiten auseinandersetzen möchte, sollte sich reichlich Zeit dafür nehmen und nicht einen zu kalten oder zu heißen Tag aussuchen. Der Ort ist nicht heiz- und kühlbar, für wetterbedingte Ausnahmetage also eine Herausforderung.

Ganz in der Nähe, an der Hinterseite des Postgebäudes, prangt in luftiger Höhe ein „besticktes Netz“ der Künstlerin Katharina Cibulka. „Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in“ ist darauf zu lesen. Es ist die 29. Ausgabe ihrer „solange“-Reihe, in welcher unter Teilnahme der ortsansässigen Bevölkerung Sätze gebildet werden, welche deutlich machen, warum es auch heute noch immer engagierte Feminist:innen geben muss. Einen Rückblick in die 1920er-Jahre kann man im Lehártheater wagen. Dort ist eine Neuinterpretation des legendären Ballet Méchanique zu sehen. Der amerikanische Komponist George Antheil schuf am ersten Höhepunkt der industriellen Revolution eine „Musikmaschine“, die über 20 Minuten lang automatisch eine Komposition abspielt, zu welcher parallel ein Schwarz-Weiß-Film von Férnand Leger projiziert wird. Winfried Ritsch, Professor für elektronische Musik und Akustik an der MUK, der Kunst- und Musikuni Graz, schuf mit seinen Studierenden eine Bearbeitung der Klanginstallation mit elektronischen Mitteln, die einige Jahre zuvor für das Kunsthaus in Graz in Auftrag gegeben worden war. Die Adaption in Bad Ischl entzückt durch das morbide Surrounding, das jedoch nicht mehr lange so bleiben wird. Bis 2027 soll das Theater auch mithilfe von Mitteln aus dem Kulturhauptstadtbudget in neuem Glanz erstrahlen. Im Moment jedoch vermischt sich der in die Jahre gekommene Raum mit seinen sichtbaren Bauwunden atmosphärisch gekonnt mit den Klängen der Pianos, Glocken, Xylofone, Trommeln und anderen Instrumenten, die wie von Zauberhand bewegt werden. Wer diese beeindruckende Installation sehen möchte, muss dies bis Mitte April tun, danach wird das Lehártheater anderweitig genutzt werden.

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Katharina Cibulka „Solange“ (Foto: ECN)

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Ballet Méchanique (Foto: ECN)

Altes Sudhaus Bad Ischl Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“

Genusslabor

Genusslabor Daniel Mayer courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Genusslabor Bad Ischl (Foto: Daniel Mayer)

Genusslabor Bad Ischl Altes Rezeptbuch

Genusslabor Bad Ischl (Foto: ECN)

Gebusslabor Marc Schwarz Photo courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Genusslabor Bad Ischl (Foto: Marc Schwarz)

Genusslabor Bad Ischl Kredenz Inneneinrichtung

Genusslabor Bad Ischl (Foto: ECN)

Vorausplanung ist auch angesagt, wenn man sich im „Wirtshauslabor Bad Ischl, Genusslabor“ Feines servieren lassen möchte. Die Tourismusschule Bad Ischl belebt mit dem weit um bekannten Gastronomen Christoph „Krauli“ Heid vom Siriuskogl die ehemalige Bahnhofsrestauration. Dort dürfen die jungen Wirtinnen und Wirte ihre Idee von zeitgemäßer Gasthauskultur ausleben. Begonnen von der Auswahl der Speisen bis hin zur Bedienung, liegt es in ihrer Hand, ob der Act ein Erfolg wird. Am ersten Wochenende war dieser gleich so groß, dass viele, die kamen, um zu essen, auf ein anderes Mal vertröstet werden mussten. Jene, die Glück hatten, freuten sich nicht nur über das kulinarische Angebot, sondern vor allem darüber, mit wie viel Enthusiasmus und Freude die jungen Menschen hier ans Werk gingen. „Das hätten wir nicht gedacht, dass das so gut funktioniert“ war zu hören, aber auch „da sag noch einer, die Jungen würden nichts können!“. Das Genusslabor erweist sich in hohem Maße nicht nur als Praxisraum für die Schülerinnen und Schüler der 4 HLa. Es ist auch ein Kommunikationsort ersten Ranges, in dem man schnell mit anderen Gästen und den Betreibenden ins Gespräch kommt. Ein weiteres Wirtshauslabor wird am 29. Jänner unter der Ägide von Jochen Neustifter in Gmunden eröffnet werden. Die Einbindung der jungen Leute bietet nicht nur einen Praxisbezug. Vielmehr schafft sie eine Verbindung zur Kulturhauptstadt-Idee mit einer großen Reihe von Multiplikatoren, die sich mit dieser Idee identifizieren.

O-Töne und die „interventa-Performance

Die Menschen im Salzkammergut sind freundlich und redselig. Schnell kann man Kontakte knüpfen und erfährt so einiges, was Kulturfreaks wie mich erstaunt. Eine Aussage sollte all jene aufhorchen lassen, die für Projekte abseits der Hauptstädte in Österreich zuständig sind, nicht nur im Salzkammergut. Während der Einführung zur Performance „interventa Hallstatt 2024“, anmoderiert von Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Sabine Kienzer, wandte sich ein Besucher trocken zu seiner Begleiterin mit den Worten: „Ich versteh` gar nix“. Auf ihre Entgegnung, dass die Lautstärke ja in Ordnung sei, kam die Antwort: „Es ist nicht die Lautstärke, ich verstehe den Inhalt nicht, ich weiß nicht, was das heißen, soll, was die Frauen da sagen.“ Die beiden Initiatorinnen berichteten in wenigen Sätzen, dass im Herbst in Hallstadt das Symposium „interventa“ stattfinden wird und welchen Inhalt dieses hat. Völlig unerwartet kam von einem daneben stehenden Besucher ein fulminanter Gegenschlag: „Die Kunst hat eine eigene Sprache und in dieser Sprache wird hier gesprochen. Wir haben jetzt in dem Jahr einmal Gelegenheit, diese Sprache zu lernen“. Das saß und erregte keine Widerrede.
Die Performance, choreografiert von Esther Balfe, war ein Vorbote der „interventa Hallstatt 2024“, die von 19. – 22.9.2024 stattfinden wird. Darin wird Baukultur zwischen Tradition und Innovation interdisziplinär behandelt werden. Tänzerinnen und Tänzer von der Musik und Privatuniversität Wien, ausgestattet mit der weißen Arbeitstracht von Salinenarbeitern, hatten hölzerne Glocken umgebunden, die von der HTBLA Hallstatt gefertigt worden waren. Ein Hinweis auf die bodenständige Glöckler-Tradition der Region, die jedoch nur von Männern ausgeführt wird. Die Tanzenden trugen Schriftzeichen, die sich als einzelne künstlerische Objekte erwiesen. Gestaltet wurden sie von der Künstlerin Isabella Kohlhuber und zusammengestellt ergaben sie den Titel der Arbeit: „Glasschiebetür“. Die Künstlerin setzt sich intensiv mit der Typografie auseinander und verwendete dafür ein Verputzmaterial, das beim Bauen verwendet wird. Auch hier wurde dem Gedanken des Miteinander und des Einbindens der Bevölkerung vor Ort Rechnung getragen.

Ein weiterer, interessanter Kommentar zur Eröffnung kam von einer Geschäftsinhaberin in der Innenstadt. „Ich habe mir die Tanzperformance von Doris Uhlich, den ‚Pudertanz‘, sehr genau angesehen und gemerkt, dass die nackten Menschen, die auf der Bühne waren, ganz unterschiedlich aussahen. Eine Frau mit einer amputierten Brust und sogar behinderte Menschen im Rollstuhl waren dabei. Dass sie nackt waren, fand ich in Ordnung, aber ob das auch für die Kinder gut zu sehen war, bin ich mir nicht sicher.“ Prompt kam auch hier eine Antwort – und auch hier nicht von „Zugereisten“, sondern einer Angestellten: „Für die Kinder sollte das nichts Besonderes sein, denn sie sollten zu Hause schon gesehen haben, wie ein Mann und eine Frau nackt aussehen.“ „Das ist halt Kunst“ brachte ein älterer Herr seine Meinung zu dieser Performance gegenüber Bekannten auf der Straße auf den Punkt. Uhlichs Perfomances mit nackten Menschen spaltet die Meinungen immer, verweist aber künstlerisch in allerhöchstem Maß auf eine der wichtigsten Forderungen, welche eine Kulturhauptstadt zu erfüllen hat: Soziale Inklusion und Chancengleichheit mit Augenmerk auf benachteiligte Gruppen. Dass die ästhetische Komponente an diesem Abend, wohl dank der Kälte, eine ganz besondere war, sollte erwähnt werden. Das Puder, das sie und ihr Ensemble forsch aus den Puderbehältern drückten, blieb lange in der kalten Luft schwebend stehen, bis es zu Boden sank. Die Lichtregie tat ein Übriges, diese Optik unvergesslich in Szene zu setzen.

Nicht Franz Lehár, sondern Oscar Straus

Mit der „Operette“ „Eine Frau, die weiß, was sie will.“ von Oscar Straus, einem jüdischen Komponisten, der zeitgleich mit Franz Lehár in Bad Ischl arbeitete, wurde am Eröffnungswochenende mit einer Produktion der „Komischen Oper Berlin“ auch auf einen weiteren Schwerpunkt der Kulturhauptstadt verwiesen. Verstärkt soll die Aufarbeitung von jüdischem Leben in der Stadt und im Salzkammergut vorangetrieben werden, um ein Kapitel zu beleuchten, das viele Jahrzehnte verschwiegen wurde. Zwar bedarf es, um hinter einige der Programmierungen zu blicken, eigener Recherchen. Gerade aber von jenem Publikum, das sich auf den Weg in die Region macht, um das kulturelle Geschehen hier vor Ort zu genießen, kann das erwartet werden. Der eine oder andere direkte Verweis mit Hintergrundinformationen zum leichteren Verständnis wäre dennoch angebracht, hauptsächlich für all jene, für die Kunst im Alltagsleben eine Randerscheinung darstellt. Denn die beiden angesetzten Vorstellungen dienten nicht nur zur Publikumserheiterung, sondern hätten auch ein wesentlich größeres Aufklärungspotential geboten, was das Leben und Schicksal von Oscar Straus und vielen anderen aus seinem Umkreis betrifft. Ein kleiner Einblick ist hier nachzulesen.

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Es sind Gespräche wie die oben angeführten, die das Salz in der Kommunikation vor Ort in diesem Jahr ausmachen. Die Auseinandersetzung mit Neuem, das Aufbrechen von alten Mustern, das Diskutieren miteinander und auch das Reden darüber werden einen Mehrwert bringen, der nicht zu monetarisieren ist. Wer sich für zeitgenössisches Kunstgeschehen interessiert, wird in Bad Ischl und dem Salzkammergut in diesem Jahr fündig und muss nicht mehr, wie bisher, fort von hier. Dass der Schwerpunkt der künstlerischen Beiträge von Frauen kommt, ist vor allem auch im internationalen Kunstgeschehen nicht nur bemerkenswert, sondern extra herauszuheben. Dies ist Elisabeth Schweeger zu verdanken, die am Eröffnungsabend laut und mit Begeisterung ins Mikrofon rief: Die Zukunft gehört den Frauen!

Alle Informationen finden sich hier:
https://www.salzkammergut-2024.at/

Von Bad Ischl in die große weite Welt und retour

Von Bad Ischl in die große weite Welt und retour

In Sichtweite des Kongress- und Theaterhauses von Bad Ischl befindet sich die ehemalige Villa des jüdischen Komponisten Oscar Straus (1870-1954). Phonetisch könnte man ihn der großen Strauß-Dynastie zuordnen, mit der er jedoch nichts zu tun hatte. Ganz im Gegenteil: Aufgrund etwaiger Verwechslungen ließ er das ursprünglich zweite s, das er am Namensende trug, sogar amtlich streichen. Anlässlich der Eröffnung der Kulturhauptstadt Bad Ischl und Salzkammergut 2024 wurde die Produktion der Komischen Oper Berlin „Eine Frau, die weiß, was sie will“ aus dem Jahr 2015 für zwei Abende nach Bad Ischl eingeladen. Ab diesem März wird das Stück in Berlin wieder aufgenommen. Die Entscheidung, Oscar Straus erklingen zu lassen und nicht auf den hier omnipräsenten Franz Lehár zurückzugreifen, macht Sinn. Denn, wie Elisabeth Schweeger, die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt mehrfach betonte, war es ihr wichtig, auch auf die jüdische Vergangenheit der Stadt hinzuweisen. Eine Vergangenheit, die lange nicht aufgearbeitet wurde.

Villa von Oscar Straus in Bad Ischl.

Eingang der Villa von Oscar Straus in Bad Ischl (Foto. European-Cultural-News)

Die Villa, in welcher der viel gereiste Komponist seinen Lebensabend verbrachte, steht zu einem Teil heute leer. Am Haupteingang liegen verwaist Zeitungen, nur im ersten Stock ist eine aktuelle Wohnsituation zu erkennen. Doch gerade dieses Haus könnte mehrere Romane allein über seinen ehemaligen Besitzer erzählen. Oscar Nathan Straus kam schon als Kind mit seinen Großeltern jeden Sommer, wie es im 19. Jahrhundert üblich war, nach Bad Ischl zur Sommerfrische. Hier erlebte er eine Stadt voller Musik. Blasmusik, öffentliche Konzerte im Kurpark, aber auch Aufführungen im Lehár -Theater oder auch im Kongresshaus standen auf der Tagesordnung. Bald wünschte sich der Junge zwei Instrumente – eine Trompete und eine Trommel. Seine liebenden Großeltern erfüllten ihm den Wunsch und dürften sich bald danach die ehemalige Beschaulichkeit der Ischler Sommerfrische zurückgewünscht haben. Denn Oscar beherrschte bald beide Instrumente und brachte das Kunststück zusammen, sie gleichzeitig zu spielen. Von seinem Wunsch, Komponist zu werden, konnte ihn seine Familie nicht mehr abbringen. Die Jugendanekdote, welche von einer der Stadtführerinnen gerne erzählt wird, beleuchtet gut das gesellschaftliche Umfeld wieder, in welchem das Einzelkind aufwuchs. Zugleich auch jene Stimmung, die Ischl damals zu einem Zentrum des kulturellen Sommerlebens in Mitteleuropa werden ließ.

Seiner Hartnäckigkeit verdankte er es schließlich, dass sein Berufswunsch letztlich von seiner Familie doch akzeptiert wurde. Ausschlag gab ein Attest des bekannten Musikkritikers Eduard Hanslick, der darin dem jungen Mann „Frische und Einfachheit“ in zwei seiner Liedkompositionen bescheinigte. Straus studierte in Wien, später in Berlin und verdiente sein erstes Geld als Kapellmeister in Brünn, Teplitz-Schönau sowie Mainz. Für das Berliner Kabarett „Überbrettl“ schrieb er über 500 Kabarett-Lieder, geschuldet auch dem Umstand, dass fast jede Aufführung tags darauf von der Zensur verboten wurde.

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Der finanzielle Erfolg stellte sich bei dieser Tätigkeit jedoch nicht ein, erst mit „Ein Walzertraum“, 1907 in Wien aufgeführt, gelang Straus sein großer Durchbruch. Sosehr Straus für seine „Operetten“ auch bekannt wurde, sosehr sollte man auch seine kritischen Lieder aus Berlin und die ersten Operetten wie „Die lustigen Nibelungen“ nicht vergessen. Letzte trug einen derart deutsch-kritischen Unterton, dass es bei einer Aufführung in Graz zu Tumulten kam und diese vom Spielplan abgesetzt werden musste. Untersuchungen, welche Straus und seinen Librettisten Fritz Oliven, einen Berliner Rechtsanwalt, der unter dem Pseudonym Rideamus Texte für ihn schrieb, zu Beginn des 20. Jahrhunderts beleuchten, zeigen einen Komponisten, der sich damals schon bewusst war, dass Zeiten anbrechen würden, die Gefahr für ihn bedeuten könnten. Ein Umstand, der sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten bewahrheiten sollte.

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Vor den Nazis floh der Straus zuerst von Berlin aus nach Bad Ischl, anschließend in die Schweiz, danach nach Paris und Südfrankreich und letztlich in die USA, wo er für Hollywoodfilme Musik komponierte. Ein Sohn starb an der Front im 1. Weltkrieg, ein weiterer wurde 1944 im Konzentrationslager in Auschwitz ermordet. Nur zwei seiner fünf Kinder überlebten den Vater. Kurz nachdem er 1948 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, kehrte Oscar Straus nach Bad Ischl zurück.

Als „Operette“ angekündigt, erwies sich „Eine Frau, die weiß, was sie will“ in der Fassung des Regisseurs Barrie Kosky, viel eher als eine rasante Nummern-Revue mit atemberaubenden Kostüm- und Charakterwechseln. Dagmar Manzel und Max Hopp schlüpften in insgesamt 20 Figuren, zum Teil sogar gleichzeitig in zwei verschiedene. Die Inszenierung, musikalisch geleitet von Adam Benzwi, versetzte das Geschehen in das Berlin der 30-er Jahre, also in jene Zeit, in welcher das Werk auch entstanden war. Ausgestattet mit einem einzigen Bühnenbild wird die Geschichte einer jungen, verwöhnten Frau erzählt, die nicht weiß, dass eine berühmte

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Operettendiva ihre Mutter ist. Vielmehr lebt sie in der irrigen Annahme, dass ihr diese Soubrette ihren Mann ausspannen will. Erst in der letzten Szene lösen sich die psychologischen Verwicklungen auf. Es sind die schnellen Rollenwechsel, aufgrund der Minimalbesetzung mit zwei Personen und die überzeichneten Figuren, die keinen verkitschten Operettenstaub erkennen lassen. Aber nicht nur die aberwitzige Spielfreude, die von Manzel und Hopp gezeigt wurden, sondern auch der Witz der Liedtexte selbst, bescherte dem Publikum Heiterkeit. „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ ist eines der wohl berühmtesten Lieder, das, aus dem Werk ausgekoppelt, in vielen Chanson-Abenden des deutschsprachigen Raumes zu hören war und auch wieder zu hören ist. Oscar Straus kann in diesem Werk als jemand wahrgenommen werden, der bestens auf der Unterhaltungsklaviatur des Musiktheaters seiner Zeit spielen konnte. Die Chance, dass seine Ohrwürmer auch zuhause nachgesungen werden konnten, hatte er genauso zu nutzen gewusst, wie die subtile Sichtbarmachung von moralischen Anforderungen, welchen die Menschen sowohl in den 30er-Jahren als auch heute nicht gerecht werden können.

2021 wurde anlässlich des „Festivals der Regionen“ ein Projekt in Angriff genommen, in dessen Verlauf eine Landkarte mit „Stecknadeln der Erinnerung“ für die Stadt Bad Ischl erstellt wurde. Das Straus-Haus ist darauf nicht markiert, vielleicht auch, da es in jener Zeit, welche die Spazier-Route „Jüdisches Ischl“ beleuchtet – nämlich die 30er- und 40er-Jahre – noch nicht in Besitz von Oskar Straus war. Es wäre jedoch an der Zeit, die Geschichte des Komponisten einem größeren Kreis von Interessierten bekannt zu machen, nicht nur Musikbegeisterten, die in den meisten Fällen selbst nicht darüber Bescheid wissen.

Die Aufführung in Bad Ischl darf man deshalb als Aufforderung zu weiteren, eigenen Recherchen ansehen. Was wir hier mit weiterführenden Links gerne unterstützen:

Oscar-Straus-Beiträge zur Annäherung an einen zu Unrecht Vergessenen. Im operetta-research-center.org
Oscar-Straus-Beiträge-zur-Annäherung-an-einen-zu-Unrecht-Vergessenen
Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen – Uni Hamburg
https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002671
Webseite Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut</a>

Eine doppelt tragische Liebesgeschichte

Eine doppelt tragische Liebesgeschichte

Zeitgenössische Opern sind, was den Publikumsstrom betrifft, für ein Haus immer ein Wagnis. Umso höher ist es zu bewerten, dass der seit dieser Saison neue Intendant der Grazer Oper – Ulrich Lenz – eine österreichische Erstaufführung des Komponisten Peter Eötvös ansetzte: „Schlaflos“ nach einer Romantrilogie des Nobelpreisträgers Jon Fosse. Uraufgeführt 2021 in Berlin, wurde für Graz eine deutsche Textfassung in der Übersetzung von Errico Fresis in Auftrag gegeben, was sich als goldrichtig erwies.

"Schlaflos" von Peter Eötvös an der Grazer Oper (Foto: Andreas J. Etter

„Schlaflos“ von Peter Eötvös an der Grazer Oper (Foto: Andreas J. Etter

Erzählt wird die Geschichte eines jungen Liebespaares, das in einem kleinen Nest in Norwegen wohnt. Das Mädchen ist von der Mutter ungeliebt, der junge Mann verwaist und nur im Besitz einer Geige. Verstoßen und nirgends angekommen, abgewiesen und gedemütigt, entwickelt sich eine Dynamik aus Gewalt und Totschlag, die den beiden auf ihrer Reise in ein vermeintlich besseres Leben begegnet. Dazu kommt eine zusätzliche psychologische Komponente, die Fosse in Form eines Nebenbuhlers ausgearbeitet hat. Dieser erweist sich letztlich jedoch auch nur als halbherziger Sieger in einem verdeckten Spiel um die Zuneigung der jungen Frau.

Die Brutalität der Handlung wird vom Regisseur Philipp M. Krenn noch verdoppelt. Er versetzt das Paar in die Zeit zwischen den 70er- und 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts und lässt sie zu Beginn an einer kalten, gekachelten Mauer im Umfeld einer Markthalle, wie man sie auch von Bahnhöfen her kennt, kauern. Heike Vollmer (Bühne) und Regine Standfuss (Kostüme) schufen dafür ein authentisches, großartig wandelbares Umfeld, das die Kälte der Charaktere glaubwürdig spiegelt. Schnell wird klar, dass Drogen im Spiel sein müssen, die Existenz der beiden an einem seidenen Faden hängt. Das Schlussbild – es ist dasselbe wie jenes im ersten Aufzug, vermittelt den Eindruck, dass all das, was geschehen ist, vielleicht nur ein Traum gewesen sein könnte. Und tatsächlich lässt Krenn auch innerhalb der Geschichte zwei Deutungsvarianten zu. Zum einen erzählt er bildlich, dass die junge, drogenabhängige Frau eine Totgeburt erleidet und sich anschließend einen goldenen Schuss setzt. Zum anderen folgt er dem Libretto und lässt sie mit ihrem Sohn weiterleben. Wie diese Doppelerzählung aufgebaut ist, ist genauso tricky wie die Erzählstruktur des Autors selbst, der mit überraschenden Wendungen in der Handlung aufwartet. Krenn erreicht dadurch zusätzlich, dass man, wenn man die Trilogie nicht gelesen hat, neugierig darauf wird.

So trostlos wie die Erzählung auch erscheinen mag, so hoffnungsvoll ist sie zugleich auch. Der Komponist Peter Eötvös hat daran einen großen Anteil. Seine Musik hebt in den Traumszenen die Stimmung in schwebende Sphären, welche die Last des Alltags vollkommen vergessen lassen. Grandios werden diese vom doppelten Vokalterzett links und rechts der Bühne in den angrenzenden Logen, gesungen. Dieselbe wohltuende, musikalische Färbung markiert den Schluss, in welchem die Liebe, die über den Tod hinaus spürbar bleibt, zu strahlen beginnt. Vergessen ist in diesen Szenen das Poltern der wilden Biergesellen in einer mobilen, kleinen Trinkhalle. Vergessen auch die kunstvollen Schrei-Koloraturen jener jungen Frau, die verblendet und eifersüchtig das schwangere Mädchen verstößt und schließlich gegen ihren Freund hetzt, sodass er von der Gesellschaft in Lynchjustiz ermordet wird.

Tetiana Miyus und Mario Lerchenberger machen mit ihren herausragenden Stimmen als Alida und Asle den Abend zu einem ganz besonderen Ereignis. Zu Recht wurden die beiden, wie auch Daeho Kim in der Rolle des Nebenbuhlers und Tetiana Zhuravel als junges, eifersüchtiges Mädchen mit Bravo-Rufen und heftigem Applaus bedacht.

Vassilis Christopoulos am Dirigentenpult erwies sich als genau hinsehender und analysierender musikalischer Leiter, dem das Orchester mit ebensolcher Präzision folgte. Eötvös lässt in einzelnen Passagen seine ungarische, musikalische Prägung durchblitzen, wenn Geigen wehmütig oder ausgelassen darüber berichten, wie schön das Leben mit Musik doch sein kann. Beeindruckend sind auch jene Passagen, in welchen sich das Unheil über den jungen Mann zusammenbraut, was durch den Einsatz von wildem Blech verdeutlicht wird. Immer wieder hat auch die Marimba beinahe solistische Einsätze und trägt, wie auch die Klarinetten zu ganz speziellen, charakterisierenden Motiven bei.

Mit „Schlaflos“ war in der Grazer Oper nach „Morgen und Abend“,  komponiert von Georg Friedrich Haas, bereits eine zweite literarische Vorlage von Jon Fosse zu sehen. Auch das darf als höchst kluge Entscheidung gewertet werden. Ermöglicht sie doch dem Publikum, sowohl aktuelle kompositorische als auch literarische Tendenzen auf höchstem Niveau zu verfolgen.

Was normal ist, wird sich zeigen.

Was normal ist, wird sich zeigen.

Theaterkritiken werden auf zweierlei Art geschrieben. Die Erste ist beschreibender Art, überspitzt möchte man sagen: Was dabei herauskommt, ist eine Nacherzählung. Wenn es hoch herkommt, spürt man noch die Zustimmung oder Ablehnung des oder derjenigen, die geschrieben hat. Die zweite Art befasst sich stärker mit den Einfällen der Regie und der Performance des Ensembles und bringt, je nach Recherchefähigkeit der Schreibenden, die eine oder andere zusätzliche Hintergrundinfo. Am Ende steht schließlich ein positives oder negatives Resümee – oder auch eine gänzliche Beurteilungs-Enthaltung.

Diese Rezension möchte sich ein wenig abseits von diesen beiden Polen umsehen und Gedanken verschriftlichen, um das Phänomen dieser Theatergruppe besser verstehen zu können. Das aktionstheater ensemble schart eine Fangruppe um sich, die sich sehen lässt. Aktuell weist die Facebookseite 10.530 Follower auf. Tendenz permanent steigend. Von nichts kommt nichts, das weiß in Österreich jedes Kind, und tatsächlich ist der stetige Zustrom einer, den sich Martin Gruber und sein Team über die Jahre hinweg mit jeder einzelnen Vorstellung erarbeitet hat. Die aktuelle Spielserie nur in Wien von sechs Abenden ist praktisch ausverkauft und liefert damit ein tröstliches Indiz, dass Theater, wenn man es richtig macht, nicht so rasch von der Bildfläche verschwinden wird.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser


Viele FB-Follower kommen auch tatsächlich über Jahre, zum Teil sogar Jahrzehnte hinweg, in die Vorstellungen und konnten dabei eine bestimmte Entwicklung verfolgen. Zwar gleicht keine Aufführung einer anderen, dennoch werden bestimmte Erwartungshaltungen immer erfüllt, als da wären: Die Schauspielerinnen und Schauspieler geben Einblicke in ihr eigenes Leben. Was davon theatralisch überhöht oder erfunden ist und was tatsächlich stimmt, darf geraten werden. Spannungen innerhalb der Gruppe werden veröffentlicht, entladen sich immer verbal, ab und zu jedoch auch körperlich. Das Bühnenbild hat ein ästhetisches Konzept, das ganz subtil auch auf die Kostüme übergreift. Das Wichtigste kommt in dieser kurzen Aufzählung am Schluss: Das jeweilige Thema, mit dem sich das aktionstheater ensemble befasst, ist stets hochaktuell und von gesellschaftlicher Brisanz.

Und genau das darf als USP in der österreichischen Theaterlandschaft gesehen werden. Hier werden keine Geschichten aus uralten Zeiten nacherzählt, hier geht es nicht um exemplarisch gute oder schlechte Verhaltensweisen. Hier regiert ausschließlich der Zeitgeist, der sich jedoch – panta rhei – beständig verändert und manches Mal sogar innerhalb weniger Monate scheinbar keinen Stein auf dem anderen lässt. Waren es zu Beginn der Gruppe lange Zeit Themen, die sich mit der Rolle der Geschlechter zueinander beschäftigten, wenngleich auch dies immer mit einem gesellschaftskritischem Impetus verbunden war, so verschob sich in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk hin auf politische Entwicklungen, die einen nicht zu übersehenden Einfluss auf unser aller Alltagsleben haben. Das Lachen, das Staunen und das Entsetzen lagen in diesen Inszenierungen oft direkt nebeneinander. Meist jedoch gelang es den Zusehenden jedoch, sich selbst vom absurden Bühnen-Geschehen, von so manch abstrusen Ideen oder verrücktem Gebaren abzuschotten und von sich selbst wegzuschieben.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

In der aktuellen Inszenierung ist damit jedoch gründlich Schluss. „Alles normal. Ein Salon-d‘ amour-Stück“ nennt sich die Show, die der dystopischen Vorstellung folgt, welche die Herrschaft nach der herbstlichen Nationalratswahl eines „Volkskanzlers“ voraussagt. Wieder verwenden Gruber und sein Dramaturg Martin Ojster sowie das Ensemble bereits aufgezählte, dramaturgische Konstanten. So darf Isabella Jeschke in jene nun schon weitverbreitete Irrmeinung eintauchen, die besagt, dass man unter allen Umständen alle negativen Einflüsse fernhalten müsse, um selbst glücklich werden zu können. Schönheit voran, ist ihre Devise und ein willkommenes Verhaltensmuster für all jene, die dem Wahlvolk ohnehin jegliche Intelligenzkompetenz absprechen. Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper, genauer dem eigenen Geschlechtsteil, wie es Thomas Kolle zelebriert, auch sie ist in keiner Art und Weise zielführend, wenn es darum geht, die Demokratie in Österreich zu bewahren. Zeynep Alan, deren Familie aus der Türkei stammt, macht sich hingegen bereits Gedanken, ihren Namen zu ändern, um nicht als jemand erkannt zu werden, der keine österreichischen Vorfahren hat. Und Michaela Bilgeri hat sich vollends aus dem gesellschaftlichen Diskurs in die eigenen vier Wände zurückgezogen, um dort am Pc zu zocken, was die Gehirnwindungen hergeben. Wieder werden aktuelle Lebensmodelle beschrieben, die man so oder in einer anderen Spielart bereits im real life kennengelernt hat und über die man sich im besten Fall noch wundern kann. Allerdings gibt es bei „Alles normal“ zwei Ausnahmen.

Zum einen liest der Autor Elias Hirschl Textpassagen mit dem Mantra „es ist normal“ vor, in welchen das Grauen von Alltagshandlungen und abgenutzten Beziehungen fröhliche Urstände feiert. Was bei vielen im Publikum Lacher auslöst, bleibt anderen ad hoc im Hals stecken. Zum anderen ist es Babett Arens, die als Conférencière durch den Abend führt und sichtbar immer wieder versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. An einer Stelle jedoch rastet sie unvermittelt und brüllt mehrfach: „Aufstehen, wir sollten aufstehen!“ Womit sie nicht das sich-Erheben von einem Sessel meint. Ihr Ruf ist der, dem alle folgen sollten, denen ihre Freiheit in unserem Land, wie wir sie bis jetzt gewohnt waren, lieb ist.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

In diesem Moment wird klar, was dieser Abend bezwecken soll und was auch viele Inszenierungen davor bezwecken wollten. Er ist nicht als leichte Kost einer Abendbeschäftigung anzusehen, die man nach dem Nachhause-Gehen schon wieder vergessen hat. Die musikalischen Ohrwürmer, die er bereithält, sind nicht bloße Klangstaffage, sondern gerieren sich als assoziative Texterweiterungen. Tamara Sterns Interpretation eines jiddischen Tanzliedes, eine fetzige, rein instrumental dargebotene Nummer mit Balkanflair oder Leonhard Cohens „Take this waltz“, die einen Abschluss bildet, der mehr als nachdenklich stimmt – auch das lenkt die Aufmerksamkeit auf das aktuelle politische Geschehen. Höchst bereichernd agierte das musikalische Ensemble am Premierenabend mit der Besetzung von Atanas Dinovski, Lisa Lurger, Severin Trogbacher, Daniel Neuhauser, Tobias Pöcksteiner und Monica Anna Cammerlander. Letztere greift auch ins Bühnen-Geschehen ein und erzählt von demütigenden Erfahrungen in einem Musikensemble.

Mit Laufschriften, die von der linken Saalwand kommend danach quer über die Bühne projiziert werden, bis sie am Ende der rechten Saalwand verschwinden, wird der „Marketingsprech“ unserer Konsumgesellschaft verdeutlicht. (Bühne und Kostüm Valerie Lutz, Video Resa Lut) Jeder einzelne Satz ist ein bekannter Werbeslogan, der eine heile Welt und ein heiles Ich vorgaukelt. Ob man fernsieht oder Radio hört, ins Kino geht oder Zeitung liest – all diese Slogans sind aus diesen Medien wohlvertraut und entlarven sich ob der dargebotenen Inflation in der Vorstellung als leere Satzhülsen. Der allerletzte Satz jedoch, der über die Wände kriecht, er kommt nicht von links. In blutroter Farbe schleicht er nun von der rechten Saalseite zur Mitte und schließlich nach links an der Wand entlang. „Es wird rauchen und es wird Verletzungen und Verwundungen geben – es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land. Herbert K… anlässlich seiner ‚Heimattour‘ durch Österreich.“ Das sitzt, das fährt ein, das macht stumm, ad hoc.

Damit gelingt es Gruber und seinem Ensemble, die Stimmung im Saal zu kippen. Immer wieder ist ihm das auch schon bei vorherigen Produktionen gelungen, nie jedoch derart vehement und bedrückend und nie jedoch auf so plastische und drastische Art und Weise wie dieses Mal. In dieser Inszenierung ist es nicht mehr möglich, unbeteiligt aus dem aufgebauten Szenario herauszukommen. Es gelingt nicht mehr, das Ungeheuerliche, das sich gerade über uns allen zusammenbraut, von uns zu schieben. Mit der Wahrnehmung dieses Satzes, der eine projizierte Berglandschaft in eine Wüste oder eine rot getränkte Schneelandschaft verwandelt, je nachdem wie man es interpretieren möchte, kann niemand der Zusehenden jemals mehr sagen: Dass das so kommen wird, haben wir ja nicht ahnen können.

Gruber ist an einem Punkt angelangt, an welchem die Realität derart in das theatrale Geschehen wirkt, derart in einzelne Lebensentwürfe seines Ensembles übergreift, dass ein Wegducken, Nichtmucken und ein Runterschlucken nicht mehr möglich ist. Es wird so lange nicht mehr möglich sein, solange sich diese politische Bedrohung von rechts nicht auflöst und das ist derzeit nicht zu erwarten. Für die Theaterarbeit dieser Institution bedeutet das zugleich aber auch, dass sie zukünftig noch viel mehr als bisher jeglichen Zulauf und jegliche Unterstützung braucht, die sie auch nur bekommen kann. Denn eines ist klar: Wenn ein anderer Wind zu wehen beginnt, kann er sich in einen derart bedrohlichen Sturm verwandeln, dass auf Österreichs Bühnen tatsächlich nur mehr „salon d‘ amours“ zu sehen sein werden. Seichte Unterhaltungen, ohne Tiefgang und schon gar nicht ausgestattet mit gesellschaftspolitischer Kritik, die davongeweht sein wird. Schließlich lebt man ja von politisch motivierten Subventionen.

Werdet aktiv und tut etwas – wir haben euch gezeigt, wohin es führen kann, wenn ihr euch nicht wehrt, wenn ihr nicht aufsteht. Das ist die Kernaussage nicht nur dieses Abends des aktionstheater ensembles. Die Arbeiten, die nun schon seit 35 Jahren kontinuierlich dem Publikum präsentiert werden, sind in der Rückschau eine logische, künstlerisch verwandelte Dokumentation unserer gesellschaftlichen Verfasstheit. Dass sie in den vergangenen Jahren immer stärker mahnend und anklagend wurde, ist in hohem Maße konsequent und zutiefst bewundernswert. Hut ab vor der Haltung, politisch Farbe zu bekennen und koste es, was es wolle, gegen einen Prozess Stellung zu beziehen, der nicht nur gesellschaftszersetzend wirkt, sondern auch demokratiegefährdend. Es wird spürbar, dass diese theatralische Arbeit an Gewicht zunimmt, zugleich aber auch an Wichtigkeit. Deshalb heißt es für uns – und ziemlich sicher auch für den Großteil des Publikums: „Stay tuned“ aktionstheater ensemble!

GRAZ-Kunst ist keine Mäusescheiße

GRAZ-Kunst ist keine Mäusescheiße

Verteufelt und verschmäht von den einen, geliebt und vergöttert von den anderen. Einer, der das von sich einst behaupten durfte, war der Grazer Dramatiker Werner Schwab. Bis heute hat sich an dieser Zweiteilung nichts geändert, obwohl er längst einen Spitzenplatz in der deutschen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts eingenommen hat.

In der Silvesternacht vor 30 Jahren, am 1. Jänner 1994, starb Schwab an Atemlähmung, hervorgerufen durch exzessiven Alkoholkonsum. Das, was der Autor in seinem kurzen Leben zwischen 1958 und 1994 seelisch zu verdauen hatte, war eine Menge. Eine schreckliche Kindheit in Elend, Not und Bigotterie gleichermaßen. Darauf aufbauend entwickelte sich ein multikausaler, künstlerischer Ausdruckswillen, der sich aller Genres gleichermaßen bedienen wollte und konnte. Seine Trunksucht, der er letztlich auch erlag, darf als logischer Ausdruck dessen angesehen werden, was sein Innerstes nicht mehr imstande war, auszuhalten.

"Schwabgasse 94" - Schauspielhaus Graz (Foto: Stella Kager)

„Schwabgasse 94“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Stella Kager)

Mit „Schwabgasse 94 – eine Hommage an Werner Schwab“ setzt ihm nun das Schauspielhaus in Graz unter der fulminanten Regie von David Bösch ein wahres Ehrendenkmal. Nicht, dass das Schauspielhaus in Graz nicht immer schon Schwab auch in vielen Uraufführungen gewürdigt hätte. Doch das, was es dieses Mal zeigt, darf als Kondensat und zugleich auch Höhepunkt gesehen werden. In eineinhalb Stunden wird aufs Ernsthafteste und Spaßigste zugleich befolgt, was Schwab tatsächlich wollte: „Das Publikum müsse sich auf die Schenkel schlagen vor Lachen und dann plötzlich die darunterliegenden Grausamkeiten entdecken“ – Zitat derselbe.

Klug zusammengesetzte Textpassagen aus „Mein Hundemund“, „Die Präsidentinnen“ und „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“, sowie Fragmente aus Schwabs Arbeitsbüchern ergeben ein neues Ganzes, in dem sich sogar eine zarte Liebesbeziehung zwischen der Klo-Superwoman Mariedl und dem gepeinigten Herrmann anbahnt.

Von Beginn an sitzt jeder Satz, passt jede Regie-Idee, beeindrucken das trashige Bühnenbild und die treffenden, ausdrucksstarken Kostüme von Patrick Bannwart. Getragen von einem Ensemble, das sich die Seele aus seinem Leib zu spielen scheint, wird schon nach wenigen Augenblicken klar, dass dieser Abend eine Sensation ist. Wie sich Olivia Grigolli als Frau Wurm und Mervan Ürkmez als ihr Sohn Herrmann anfangs eine Beschimpfungsschlacht ersten Ranges liefern und dabei ihr Innerstes nach außen kehren, ist zum Lachen und zum Erschrecken gleichermaßen. Einen Fuß in blutige Fatschen gebunden, teilweise einen martialischen Ledermantel übergezogen und eine Gasmaske auf dem Gesicht, gelingt dem unterdrückten Sohn dennoch das Kunststück, sich im Handumdrehen in jenen kleinen Jungen zu verwandeln, der von seinem Onkel missbraucht und in den Schweinestall gesteckt wurde. Grigolli in der Rolle der verhärmten Mutter taucht später als Grete, der Gegenspielerin von Erna in den Präsidentinnen wieder auf. Darin liefert sie sich mit Karola Niederhuber das Duell des Wojtyla-Leberkäses gegen eine Pistole, ausgefochten in zwei nebeneinanderstehenden Mülleimern, dass einem Hören und Sehen dabei vergehen kann. Allein für diese Szenen lohnt es sich, das Stück anzusehen, wären da nicht noch eine ganze Reihe anderer. Auch sie leben vom Spiel, vom Text und dem Zauber, dass sich dies alles zu einer Einheit fügt, die Schwab als das erkennen lässt, was er tatsächlich war: Ein Sprachen- und Erzählgigant, der der Gesellschaft einen Spiegel vorhielt, in den viele nicht schauen wollten und auch heute noch nicht schauen können. Karsten Riedels Musikbeigaben, angesiedelt zwischen Punk und Pop trennen die Szenen gekonnt voneinander, ohne als reiner Übergang wahrgenommen zu werden.

Die Auftritte von Rudi Widerhofer als Hundsmaulsepp, Dichter und Nationalratsabgeordneter – sind prämierungswürdig. Als armes Würstchen in doppeltem Sinne, zugleich aber auch verkannter Autor, macht er ein wenig später dem jungen Schwab-alter-Ego Herrmann gleichsam das Fenster in dessen mögliche Zukunft auf. Mit langen, zerzausten Haaren, nur mit Unterhose bekleidet, sitzt er als alter Mann, nicht wie einst Diogenes, in seinem Fass, sondern in einem schwarzen Müllcontainer, in welchem er einen berührenden Monolog über den Todeswunsch rezitiert. So sehr zuvor auch gelacht wurde, so still ist es in diesen Augenblicken im Publikum. Es entsteht dabei eine jener seltenen, magischen Theatermomente, in welchem kollektiv die Gefühle der Menschen sich auf jenen konzentrieren, der sie dazu bringt, Empathie zu empfinden. Mitgefühl für einen, der einer von ihnen selbst sein könnte. Hervorgerufen durch einige wenige, leise Sätze, ohne Pathos vorgetragen, aber mit einem Tiefgang versehen, der einen förmlich zu verschlingen droht.

Luisa Schwab und Chen Emilie Yan als Kovacic-Schwestern und Franz Solar in der Rolle ihres prahlerischen und despotischen Vaters, sowie abermals Karola Niederhuber als seine Ehefrau, zeigen in rosa Hausanzügen mit silberner Kovacic-Glitzeraufschrift, wie sich eine richtige Familie zu präsentieren hat. Die Ermordung des geliebten Hamsters durch den Familienvorstand und deren Nachwirkungen, bis hin zur Hamster-Beerdigung unter Blockflöten-Trauermarsch-Begleitung, hält mehrfach Atemstillstandsmomente bereit. Genauso wie die Auftritte von Annette Holzmann als Mariedl, die nach allen Regeln der Kunst tief in die bühnenmittig platzierte Kloschüssel greift. Auch wenn ihre Monologe hinlänglich bekannt sind, erschafft Holzmann eine berührende Fragilität in ihrer Mariedl, die in scharfem Gegensatz zu all dem Ungemach steht, welches ihr die Gesellschaft, allen voran der Pfarrer und die rivalisierenden Freundinnen Grete und Erna, bereitet.

Papst Johannes Paul II., mit bürgerlichem Namen Karol Wojtyla und zu Schwabs Lebzeiten Vorstand der katholischen Kirche, darf in Überlebensgröße von der Bühne winken, unbeeindruckt von der Schmierage „fuck you mother“, die über ihn verteilt wurde. Die Assoziation zum Leberkäse-Wojtyla liegt gleichermaßen auf der Hand wie zur verhassten, bigotten Muttergestalt.

Das auf alten Fernsehmonitoren eingespielte Feuerwerk mit dem Titel „Happy New Year“ und die Jahreszahl 1994 machen schlussendlich subkutan wehmütig deutlich, dass für Werner Schwab kein fröhliches neues Jahr auf ihn wartete. Letztlich markierte das Datum nur den Beginn eines Zustandes, den sich seine Figuren oft herbei gewünscht haben. Einer, in dem keine Menschen mehr vorkommen, sondern nur mehr Ruhe herrscht.

„Schwabgasse 94 – Eine Hommage an Werner Schwab“ ist wahrlich keine „Graz-Kunst-Mäusescheiße“, wie zu Beginn Herrmann über das kulturelle Geschehen in Graz räsoniert und sollte vom Publikum gestürmt werden. Dies hätte sich nicht nur der Autor, sondern das Ensemble sowie der gesamte Cast der Produktion im Schauspielhaus Graz verdient.

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