Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024
Geschichte und Anforderungen an eine Kulturhauptstadt
Mit dem Programm der Kulturhauptstadt 2024 ändert sich dies nun. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vergabe der „Kulturhauptstadt Europas“ teilen sich insgesamt 23 Gemeinden diese Zuschreibung. Zwar präsentiert sich Bad Ischl als Bannerträgerin des Kulturereignisses, die Teilnahme der weiteren teilnehmenden Gemeinden aus dem Salzkammergut wird sich im Laufe des Jahres verstärkt zeigen. Man erhofft sich dadurch nicht nur internationale Aufmerksamkeit, die sich auch in Nächtigungszahlen ausweisen soll. Grundidee ist jedoch, so die künstlerische Leiterin Elisabeth Schweeger bei ihrer Eröffnungsrede auf der Bühne im Kurpark vor mehreren Tausend Menschen, Kultur auch abseits von urbanen Zentren zu stärken. Sie sieht Kultur als ein gesellschafts- und demokratiepolitisch wichtiges Medium, das gerade in ländlichen Regionen nicht nur bei den Touristen, sondern bei den Menschen, die hier leben, viel bewirken kann. Damit erfüllt sie auch die Anforderungen, die seitens der Geldgeberin, der EU, gestellt werden. Wie es in einem Beschluss des Europäischen Parlamentes konkret heißt, soll durch den Zuschlag zur Kulturhauptstadt eine „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Kultur- und Kreativsektors, insbesondere des audiovisuellen Sektors, mit Blick auf die Förderung intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums“ erreicht werden. Und weiter: „Mit dem Titel ausgezeichnete Städte sollten zudem die soziale Inklusion und Chancengleichheit fördern und so stark wie möglich darauf hinwirken, dass eine möglichst große Bandbreite aller Teile der Zivilgesellschaft an der Vorbereitung und Durchführung des Kulturprogramms beteiligt ist, wobei besonderes Augenmerk auf junge Menschen, Randgruppen und benachteiligte Gruppen gelegt werden sollte.“ Tatsächlich durfte man die Umsetzung dieser Anforderungen bereits am Eröffnungswochenende live miterleben.
Das Eröffnungskonzert
Das abendliche Eröffnungskonzert auf der großen Bühne im Kurpark lockte trotz eisiger Minustemperaturen tausende Bad Ischler und Menschen aus der Umgebung an. Mit den aus dem Salzkammergut stammenden Künstlerinnen und Künstlern – Hubert von Goisern, Tom Neuwirth aka Conchita Wurst und Doris Uhlich wurde gezeigt, dass die Region mehr als nur traditionelles Brauchtum zu bieten hat. Alle drei sind Persönlichkeiten, die sich auf den Bühnen der Welt profilieren konnten und symbolisch dafür stehen, dass auch mit regionalen Wurzeln internationale Anerkennung erarbeitet werden kann. Mit einem Auftritt von Schülerinnen der Modeschule Ebensee, die moderne Trachten-Interpretationen aus Papier präsentierten, erhielt der Abend zusätzlich einen starken regionenbezogenen Charakter, ausgestattet mit einem aktuellen Design-Twist.
Ausstellungen und Installationen
Gegenüber, im alten Sudhaus, war der Andrang zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“ so groß, dass man auf einen Besuch am kommenden Tag vertrösten musste, da die Kapazität an Besuchenden ausgelastet war. Der Kurator, Gottfried Hattinger, hat ganze Arbeit geleistet. 18 Beiträge von insgesamt 21 Künstlerinnen und Künstlern geben einen erstaunlichen Überblick über künstlerische Beiträge zu diesem Thema. Von Installationen, die nur über eine App am Handy vor Ort abgerufen werden können bis zu Werken, die sich während der Ausstellung permanent wandeln und solchen, die eine unglaubliche statische Schönheit ausstrahlen, ist alles vertreten. Eineinhalb Stunden sind für den Besuch zu wenig. Wer sich umfassend mit den Arbeiten auseinandersetzen möchte, sollte sich reichlich Zeit dafür nehmen und nicht einen zu kalten oder zu heißen Tag aussuchen. Der Ort ist nicht heiz- und kühlbar, für wetterbedingte Ausnahmetage also eine Herausforderung.
Ganz in der Nähe, an der Hinterseite des Postgebäudes, prangt in luftiger Höhe ein „besticktes Netz“ der Künstlerin Katharina Cibulka. „Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in“ ist darauf zu lesen. Es ist die 29. Ausgabe ihrer „solange“-Reihe, in welcher unter Teilnahme der ortsansässigen Bevölkerung Sätze gebildet werden, welche deutlich machen, warum es auch heute noch immer engagierte Feminist:innen geben muss. Einen Rückblick in die 1920er-Jahre kann man im Lehártheater wagen. Dort ist eine Neuinterpretation des legendären Ballet Méchanique zu sehen. Der amerikanische Komponist George Antheil schuf am ersten Höhepunkt der industriellen Revolution eine „Musikmaschine“, die über 20 Minuten lang automatisch eine Komposition abspielt, zu welcher parallel ein Schwarz-Weiß-Film von Férnand Leger projiziert wird. Winfried Ritsch, Professor für elektronische Musik und Akustik an der MUK, der Kunst- und Musikuni Graz, schuf mit seinen Studierenden eine Bearbeitung der Klanginstallation mit elektronischen Mitteln, die einige Jahre zuvor für das Kunsthaus in Graz in Auftrag gegeben worden war. Die Adaption in Bad Ischl entzückt durch das morbide Surrounding, das jedoch nicht mehr lange so bleiben wird. Bis 2027 soll das Theater auch mithilfe von Mitteln aus dem Kulturhauptstadtbudget in neuem Glanz erstrahlen. Im Moment jedoch vermischt sich der in die Jahre gekommene Raum mit seinen sichtbaren Bauwunden atmosphärisch gekonnt mit den Klängen der Pianos, Glocken, Xylofone, Trommeln und anderen Instrumenten, die wie von Zauberhand bewegt werden. Wer diese beeindruckende Installation sehen möchte, muss dies bis Mitte April tun, danach wird das Lehártheater anderweitig genutzt werden.
Katharina Cibulka „Solange“ (Foto: ECN)
Ballet Méchanique (Foto: ECN)
Genusslabor
Genusslabor Bad Ischl (Foto: Daniel Mayer)
Genusslabor Bad Ischl (Foto: ECN)
Genusslabor Bad Ischl (Foto: Marc Schwarz)
Genusslabor Bad Ischl (Foto: ECN)
Vorausplanung ist auch angesagt, wenn man sich im „Wirtshauslabor Bad Ischl, Genusslabor“ Feines servieren lassen möchte. Die Tourismusschule Bad Ischl belebt mit dem weit um bekannten Gastronomen Christoph „Krauli“ Heid vom Siriuskogl die ehemalige Bahnhofsrestauration. Dort dürfen die jungen Wirtinnen und Wirte ihre Idee von zeitgemäßer Gasthauskultur ausleben. Begonnen von der Auswahl der Speisen bis hin zur Bedienung, liegt es in ihrer Hand, ob der Act ein Erfolg wird. Am ersten Wochenende war dieser gleich so groß, dass viele, die kamen, um zu essen, auf ein anderes Mal vertröstet werden mussten. Jene, die Glück hatten, freuten sich nicht nur über das kulinarische Angebot, sondern vor allem darüber, mit wie viel Enthusiasmus und Freude die jungen Menschen hier ans Werk gingen. „Das hätten wir nicht gedacht, dass das so gut funktioniert“ war zu hören, aber auch „da sag noch einer, die Jungen würden nichts können!“. Das Genusslabor erweist sich in hohem Maße nicht nur als Praxisraum für die Schülerinnen und Schüler der 4 HLa. Es ist auch ein Kommunikationsort ersten Ranges, in dem man schnell mit anderen Gästen und den Betreibenden ins Gespräch kommt. Ein weiteres Wirtshauslabor wird am 29. Jänner unter der Ägide von Jochen Neustifter in Gmunden eröffnet werden. Die Einbindung der jungen Leute bietet nicht nur einen Praxisbezug. Vielmehr schafft sie eine Verbindung zur Kulturhauptstadt-Idee mit einer großen Reihe von Multiplikatoren, die sich mit dieser Idee identifizieren.
O-Töne und die „interventa-Performance
Die Menschen im Salzkammergut sind freundlich und redselig. Schnell kann man Kontakte knüpfen und erfährt so einiges, was Kulturfreaks wie mich erstaunt. Eine Aussage sollte all jene aufhorchen lassen, die für Projekte abseits der Hauptstädte in Österreich zuständig sind, nicht nur im Salzkammergut. Während der Einführung zur Performance „interventa Hallstatt 2024“, anmoderiert von Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Sabine Kienzer, wandte sich ein Besucher trocken zu seiner Begleiterin mit den Worten: „Ich versteh` gar nix“. Auf ihre Entgegnung, dass die Lautstärke ja in Ordnung sei, kam die Antwort: „Es ist nicht die Lautstärke, ich verstehe den Inhalt nicht, ich weiß nicht, was das heißen, soll, was die Frauen da sagen.“ Die beiden Initiatorinnen berichteten in wenigen Sätzen, dass im Herbst in Hallstadt das Symposium „interventa“ stattfinden wird und welchen Inhalt dieses hat. Völlig unerwartet kam von einem daneben stehenden Besucher ein fulminanter Gegenschlag: „Die Kunst hat eine eigene Sprache und in dieser Sprache wird hier gesprochen. Wir haben jetzt in dem Jahr einmal Gelegenheit, diese Sprache zu lernen“. Das saß und erregte keine Widerrede.
Die Performance, choreografiert von Esther Balfe, war ein Vorbote der „interventa Hallstatt 2024“, die von 19. – 22.9.2024 stattfinden wird. Darin wird Baukultur zwischen Tradition und Innovation interdisziplinär behandelt werden. Tänzerinnen und Tänzer von der Musik und Privatuniversität Wien, ausgestattet mit der weißen Arbeitstracht von Salinenarbeitern, hatten hölzerne Glocken umgebunden, die von der HTBLA Hallstatt gefertigt worden waren. Ein Hinweis auf die bodenständige Glöckler-Tradition der Region, die jedoch nur von Männern ausgeführt wird. Die Tanzenden trugen Schriftzeichen, die sich als einzelne künstlerische Objekte erwiesen. Gestaltet wurden sie von der Künstlerin Isabella Kohlhuber und zusammengestellt ergaben sie den Titel der Arbeit: „Glasschiebetür“. Die Künstlerin setzt sich intensiv mit der Typografie auseinander und verwendete dafür ein Verputzmaterial, das beim Bauen verwendet wird. Auch hier wurde dem Gedanken des Miteinander und des Einbindens der Bevölkerung vor Ort Rechnung getragen.
Ein weiterer, interessanter Kommentar zur Eröffnung kam von einer Geschäftsinhaberin in der Innenstadt. „Ich habe mir die Tanzperformance von Doris Uhlich, den ‚Pudertanz‘, sehr genau angesehen und gemerkt, dass die nackten Menschen, die auf der Bühne waren, ganz unterschiedlich aussahen. Eine Frau mit einer amputierten Brust und sogar behinderte Menschen im Rollstuhl waren dabei. Dass sie nackt waren, fand ich in Ordnung, aber ob das auch für die Kinder gut zu sehen war, bin ich mir nicht sicher.“ Prompt kam auch hier eine Antwort – und auch hier nicht von „Zugereisten“, sondern einer Angestellten: „Für die Kinder sollte das nichts Besonderes sein, denn sie sollten zu Hause schon gesehen haben, wie ein Mann und eine Frau nackt aussehen.“ „Das ist halt Kunst“ brachte ein älterer Herr seine Meinung zu dieser Performance gegenüber Bekannten auf der Straße auf den Punkt. Uhlichs Perfomances mit nackten Menschen spaltet die Meinungen immer, verweist aber künstlerisch in allerhöchstem Maß auf eine der wichtigsten Forderungen, welche eine Kulturhauptstadt zu erfüllen hat: Soziale Inklusion und Chancengleichheit mit Augenmerk auf benachteiligte Gruppen. Dass die ästhetische Komponente an diesem Abend, wohl dank der Kälte, eine ganz besondere war, sollte erwähnt werden. Das Puder, das sie und ihr Ensemble forsch aus den Puderbehältern drückten, blieb lange in der kalten Luft schwebend stehen, bis es zu Boden sank. Die Lichtregie tat ein Übriges, diese Optik unvergesslich in Szene zu setzen.
Nicht Franz Lehár, sondern Oscar Straus
Mit der „Operette“ „Eine Frau, die weiß, was sie will.“ von Oscar Straus, einem jüdischen Komponisten, der zeitgleich mit Franz Lehár in Bad Ischl arbeitete, wurde am Eröffnungswochenende mit einer Produktion der „Komischen Oper Berlin“ auch auf einen weiteren Schwerpunkt der Kulturhauptstadt verwiesen. Verstärkt soll die Aufarbeitung von jüdischem Leben in der Stadt und im Salzkammergut vorangetrieben werden, um ein Kapitel zu beleuchten, das viele Jahrzehnte verschwiegen wurde. Zwar bedarf es, um hinter einige der Programmierungen zu blicken, eigener Recherchen. Gerade aber von jenem Publikum, das sich auf den Weg in die Region macht, um das kulturelle Geschehen hier vor Ort zu genießen, kann das erwartet werden. Der eine oder andere direkte Verweis mit Hintergrundinformationen zum leichteren Verständnis wäre dennoch angebracht, hauptsächlich für all jene, für die Kunst im Alltagsleben eine Randerscheinung darstellt. Denn die beiden angesetzten Vorstellungen dienten nicht nur zur Publikumserheiterung, sondern hätten auch ein wesentlich größeres Aufklärungspotential geboten, was das Leben und Schicksal von Oscar Straus und vielen anderen aus seinem Umkreis betrifft. Ein kleiner Einblick ist hier nachzulesen.
Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)
Es sind Gespräche wie die oben angeführten, die das Salz in der Kommunikation vor Ort in diesem Jahr ausmachen. Die Auseinandersetzung mit Neuem, das Aufbrechen von alten Mustern, das Diskutieren miteinander und auch das Reden darüber werden einen Mehrwert bringen, der nicht zu monetarisieren ist. Wer sich für zeitgenössisches Kunstgeschehen interessiert, wird in Bad Ischl und dem Salzkammergut in diesem Jahr fündig und muss nicht mehr, wie bisher, fort von hier. Dass der Schwerpunkt der künstlerischen Beiträge von Frauen kommt, ist vor allem auch im internationalen Kunstgeschehen nicht nur bemerkenswert, sondern extra herauszuheben. Dies ist Elisabeth Schweeger zu verdanken, die am Eröffnungsabend laut und mit Begeisterung ins Mikrofon rief: Die Zukunft gehört den Frauen!
Alle Informationen finden sich hier:
https://www.salzkammergut-2024.at/