Was normal ist, wird sich zeigen.
14. Januar 2024
Das aktionstheater ensemble tut, was es tun muss. Es bezieht Stellung in einer Zeit, in der einem der Atem ob der braunen Flut, die Österreich zu überschwemmen droht, wegbleibt. „Alles normal. Ein Salon d’amour-Stück“ hinterlässt Spuren in den Köpfen der Zusehenden und das ist gut so.
Michaela Preiner
Foto: (Stefan Hauer)

Theaterkritiken werden auf zweierlei Art geschrieben. Die Erste ist beschreibender Art, überspitzt möchte man sagen: Was dabei herauskommt, ist eine Nacherzählung. Wenn es hoch herkommt, spürt man noch die Zustimmung oder Ablehnung des oder derjenigen, die geschrieben hat. Die zweite Art befasst sich stärker mit den Einfällen der Regie und der Performance des Ensembles und bringt, je nach Recherchefähigkeit der Schreibenden, die eine oder andere zusätzliche Hintergrundinfo. Am Ende steht schließlich ein positives oder negatives Resümee – oder auch eine gänzliche Beurteilungs-Enthaltung.

Diese Rezension möchte sich ein wenig abseits von diesen beiden Polen umsehen und Gedanken verschriftlichen, um das Phänomen dieser Theatergruppe besser verstehen zu können. Das aktionstheater ensemble schart eine Fangruppe um sich, die sich sehen lässt. Aktuell weist die Facebookseite 10.530 Follower auf. Tendenz permanent steigend. Von nichts kommt nichts, das weiß in Österreich jedes Kind, und tatsächlich ist der stetige Zustrom einer, den sich Martin Gruber und sein Team über die Jahre hinweg mit jeder einzelnen Vorstellung erarbeitet hat. Die aktuelle Spielserie nur in Wien von sechs Abenden ist praktisch ausverkauft und liefert damit ein tröstliches Indiz, dass Theater, wenn man es richtig macht, nicht so rasch von der Bildfläche verschwinden wird.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser


Viele FB-Follower kommen auch tatsächlich über Jahre, zum Teil sogar Jahrzehnte hinweg, in die Vorstellungen und konnten dabei eine bestimmte Entwicklung verfolgen. Zwar gleicht keine Aufführung einer anderen, dennoch werden bestimmte Erwartungshaltungen immer erfüllt, als da wären: Die Schauspielerinnen und Schauspieler geben Einblicke in ihr eigenes Leben. Was davon theatralisch überhöht oder erfunden ist und was tatsächlich stimmt, darf geraten werden. Spannungen innerhalb der Gruppe werden veröffentlicht, entladen sich immer verbal, ab und zu jedoch auch körperlich. Das Bühnenbild hat ein ästhetisches Konzept, das ganz subtil auch auf die Kostüme übergreift. Das Wichtigste kommt in dieser kurzen Aufzählung am Schluss: Das jeweilige Thema, mit dem sich das aktionstheater ensemble befasst, ist stets hochaktuell und von gesellschaftlicher Brisanz.

Und genau das darf als USP in der österreichischen Theaterlandschaft gesehen werden. Hier werden keine Geschichten aus uralten Zeiten nacherzählt, hier geht es nicht um exemplarisch gute oder schlechte Verhaltensweisen. Hier regiert ausschließlich der Zeitgeist, der sich jedoch – panta rhei – beständig verändert und manches Mal sogar innerhalb weniger Monate scheinbar keinen Stein auf dem anderen lässt. Waren es zu Beginn der Gruppe lange Zeit Themen, die sich mit der Rolle der Geschlechter zueinander beschäftigten, wenngleich auch dies immer mit einem gesellschaftskritischem Impetus verbunden war, so verschob sich in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk hin auf politische Entwicklungen, die einen nicht zu übersehenden Einfluss auf unser aller Alltagsleben haben. Das Lachen, das Staunen und das Entsetzen lagen in diesen Inszenierungen oft direkt nebeneinander. Meist jedoch gelang es den Zusehenden jedoch, sich selbst vom absurden Bühnen-Geschehen, von so manch abstrusen Ideen oder verrücktem Gebaren abzuschotten und von sich selbst wegzuschieben.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

In der aktuellen Inszenierung ist damit jedoch gründlich Schluss. „Alles normal. Ein Salon-d‘ amour-Stück“ nennt sich die Show, die der dystopischen Vorstellung folgt, welche die Herrschaft nach der herbstlichen Nationalratswahl eines „Volkskanzlers“ voraussagt. Wieder verwenden Gruber und sein Dramaturg Martin Ojster sowie das Ensemble bereits aufgezählte, dramaturgische Konstanten. So darf Isabella Jeschke in jene nun schon weitverbreitete Irrmeinung eintauchen, die besagt, dass man unter allen Umständen alle negativen Einflüsse fernhalten müsse, um selbst glücklich werden zu können. Schönheit voran, ist ihre Devise und ein willkommenes Verhaltensmuster für all jene, die dem Wahlvolk ohnehin jegliche Intelligenzkompetenz absprechen. Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper, genauer dem eigenen Geschlechtsteil, wie es Thomas Kolle zelebriert, auch sie ist in keiner Art und Weise zielführend, wenn es darum geht, die Demokratie in Österreich zu bewahren. Zeynep Alan, deren Familie aus der Türkei stammt, macht sich hingegen bereits Gedanken, ihren Namen zu ändern, um nicht als jemand erkannt zu werden, der keine österreichischen Vorfahren hat. Und Michaela Bilgeri hat sich vollends aus dem gesellschaftlichen Diskurs in die eigenen vier Wände zurückgezogen, um dort am Pc zu zocken, was die Gehirnwindungen hergeben. Wieder werden aktuelle Lebensmodelle beschrieben, die man so oder in einer anderen Spielart bereits im real life kennengelernt hat und über die man sich im besten Fall noch wundern kann. Allerdings gibt es bei „Alles normal“ zwei Ausnahmen.

Zum einen liest der Autor Elias Hirschl Textpassagen mit dem Mantra „es ist normal“ vor, in welchen das Grauen von Alltagshandlungen und abgenutzten Beziehungen fröhliche Urstände feiert. Was bei vielen im Publikum Lacher auslöst, bleibt anderen ad hoc im Hals stecken. Zum anderen ist es Babett Arens, die als Conférencière durch den Abend führt und sichtbar immer wieder versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. An einer Stelle jedoch rastet sie unvermittelt und brüllt mehrfach: „Aufstehen, wir sollten aufstehen!“ Womit sie nicht das sich-Erheben von einem Sessel meint. Ihr Ruf ist der, dem alle folgen sollten, denen ihre Freiheit in unserem Land, wie wir sie bis jetzt gewohnt waren, lieb ist.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

In diesem Moment wird klar, was dieser Abend bezwecken soll und was auch viele Inszenierungen davor bezwecken wollten. Er ist nicht als leichte Kost einer Abendbeschäftigung anzusehen, die man nach dem Nachhause-Gehen schon wieder vergessen hat. Die musikalischen Ohrwürmer, die er bereithält, sind nicht bloße Klangstaffage, sondern gerieren sich als assoziative Texterweiterungen. Tamara Sterns Interpretation eines jiddischen Tanzliedes, eine fetzige, rein instrumental dargebotene Nummer mit Balkanflair oder Leonhard Cohens „Take this waltz“, die einen Abschluss bildet, der mehr als nachdenklich stimmt – auch das lenkt die Aufmerksamkeit auf das aktuelle politische Geschehen. Höchst bereichernd agierte das musikalische Ensemble am Premierenabend mit der Besetzung von Atanas Dinovski, Lisa Lurger, Severin Trogbacher, Daniel Neuhauser, Tobias Pöcksteiner und Monica Anna Cammerlander. Letztere greift auch ins Bühnen-Geschehen ein und erzählt von demütigenden Erfahrungen in einem Musikensemble.

Mit Laufschriften, die von der linken Saalwand kommend danach quer über die Bühne projiziert werden, bis sie am Ende der rechten Saalwand verschwinden, wird der „Marketingsprech“ unserer Konsumgesellschaft verdeutlicht. (Bühne und Kostüm Valerie Lutz, Video Resa Lut) Jeder einzelne Satz ist ein bekannter Werbeslogan, der eine heile Welt und ein heiles Ich vorgaukelt. Ob man fernsieht oder Radio hört, ins Kino geht oder Zeitung liest – all diese Slogans sind aus diesen Medien wohlvertraut und entlarven sich ob der dargebotenen Inflation in der Vorstellung als leere Satzhülsen. Der allerletzte Satz jedoch, der über die Wände kriecht, er kommt nicht von links. In blutroter Farbe schleicht er nun von der rechten Saalseite zur Mitte und schließlich nach links an der Wand entlang. „Es wird rauchen und es wird Verletzungen und Verwundungen geben – es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land. Herbert K… anlässlich seiner ‚Heimattour‘ durch Österreich.“ Das sitzt, das fährt ein, das macht stumm, ad hoc.

Damit gelingt es Gruber und seinem Ensemble, die Stimmung im Saal zu kippen. Immer wieder ist ihm das auch schon bei vorherigen Produktionen gelungen, nie jedoch derart vehement und bedrückend und nie jedoch auf so plastische und drastische Art und Weise wie dieses Mal. In dieser Inszenierung ist es nicht mehr möglich, unbeteiligt aus dem aufgebauten Szenario herauszukommen. Es gelingt nicht mehr, das Ungeheuerliche, das sich gerade über uns allen zusammenbraut, von uns zu schieben. Mit der Wahrnehmung dieses Satzes, der eine projizierte Berglandschaft in eine Wüste oder eine rot getränkte Schneelandschaft verwandelt, je nachdem wie man es interpretieren möchte, kann niemand der Zusehenden jemals mehr sagen: Dass das so kommen wird, haben wir ja nicht ahnen können.

Gruber ist an einem Punkt angelangt, an welchem die Realität derart in das theatrale Geschehen wirkt, derart in einzelne Lebensentwürfe seines Ensembles übergreift, dass ein Wegducken, Nichtmucken und ein Runterschlucken nicht mehr möglich ist. Es wird so lange nicht mehr möglich sein, solange sich diese politische Bedrohung von rechts nicht auflöst und das ist derzeit nicht zu erwarten. Für die Theaterarbeit dieser Institution bedeutet das zugleich aber auch, dass sie zukünftig noch viel mehr als bisher jeglichen Zulauf und jegliche Unterstützung braucht, die sie auch nur bekommen kann. Denn eines ist klar: Wenn ein anderer Wind zu wehen beginnt, kann er sich in einen derart bedrohlichen Sturm verwandeln, dass auf Österreichs Bühnen tatsächlich nur mehr „salon d‘ amours“ zu sehen sein werden. Seichte Unterhaltungen, ohne Tiefgang und schon gar nicht ausgestattet mit gesellschaftspolitischer Kritik, die davongeweht sein wird. Schließlich lebt man ja von politisch motivierten Subventionen.

Werdet aktiv und tut etwas – wir haben euch gezeigt, wohin es führen kann, wenn ihr euch nicht wehrt, wenn ihr nicht aufsteht. Das ist die Kernaussage nicht nur dieses Abends des aktionstheater ensembles. Die Arbeiten, die nun schon seit 35 Jahren kontinuierlich dem Publikum präsentiert werden, sind in der Rückschau eine logische, künstlerisch verwandelte Dokumentation unserer gesellschaftlichen Verfasstheit. Dass sie in den vergangenen Jahren immer stärker mahnend und anklagend wurde, ist in hohem Maße konsequent und zutiefst bewundernswert. Hut ab vor der Haltung, politisch Farbe zu bekennen und koste es, was es wolle, gegen einen Prozess Stellung zu beziehen, der nicht nur gesellschaftszersetzend wirkt, sondern auch demokratiegefährdend. Es wird spürbar, dass diese theatralische Arbeit an Gewicht zunimmt, zugleich aber auch an Wichtigkeit. Deshalb heißt es für uns – und ziemlich sicher auch für den Großteil des Publikums: „Stay tuned“ aktionstheater ensemble!

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