Ran ans Publikum, mit mythologischen Gestalten!

Ran ans Publikum, mit mythologischen Gestalten!

Gedacht war die 3-er-Serie als Vorstellungslauf des neuen Ensembles am Schauspielhaus in Graz. „Metamorphosen“, Teil 1 – 3, so wurden die kurzen Stücke betitelt. Gestaltet wurde Teil 1 und 2 unter Mitwirkung des Ensembles selbst sowie der Regisseurin Anna-Elisabeth Frick. Kurzweilige, zum Teil trashige Ausflüge in die Mythologie wurden geboten, über die man sich von einem zum anderen Mal wieder freuen konnte.

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Meta Morphosen Teil 1 – Otiti Engelhardt, Luisa Schwab, Mario Lopatta (Foto Lex Karelly)

Im Gegensatz zu den allgemein bekannten Götter- und Heldensagen gestalteten sich diese Trips modern, mit Heldinnen und Helden, die sich nicht anders benehmen als unsereins das tut. So durfte sich das Publikum in der einen oder anderen mythologischen Gestalt zum Teil selbst wiedererkennen. Ob Vertumnus oder Pomona – der Gott von Obst und Gemüse und die Baum-Nymphe, ob Pan, Echo oder Narziss, Fama, Herkules oder Medusa – sie alle brachten das Publikum zum Staunen und zum Lachen.

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Meta Morphosen Teil 2 – Franz Solar, Luisa Schwab, Oliver Chomik, Dominik Puhl (Foto Lex Karelly)


Der direkte Kontakt mit dem Zuseherinnen und Zusehern wurde von Fama am stärksten gesucht, flüsterte sie doch dem einen oder der anderen ihre angeblich gerade erfahrenen Neuigkeiten ins Ohr. Währenddessen übte sich Herkules im Hochsprung, immer mit dem Hinweis, dass er die nächste Herausforderung auf alle Fälle schaffen würde. Der Angst einflößenden Erscheinung von Medusa, in giftig-gelbem Outfit, mochte man nicht wirklich näherkommen. Hingegen schaffte es die Band im Teil 3 der Metamorphosen mit Leichtigkeit, das Publikum mitzureißen. Da wurde gerappt, was das Zeug hielt und unter der Leitung von Tim Breyvogel im Saal ordentlich musikalisch eingeheizt. Kalliope und Arachne, Phaeton oder Ceres, sowie die Geschichte eines Mädchens, das sich nichts mehr wünschte, als ein Baum zu sein, erhielten eigene Tracks, die sich zum Teil als wahre Ohrwürmer erwiesen.
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Metamorphosen Teil 3 (Marielle Layher, Anna Klimovitskaya, Tim Breyvogel, Luiza Monteiro, Sarah Sophia Meyer) Foto: Lex Karelly


Je kleiner ein Raum, je näher ein Ensemble am Publikum spielen muss, umso stärker muss es präsent sein und das war es tatsächlich. Im Schauraum braucht es von den Sitzplätzen in der ersten Reihe nur einen kleinen Schritt, um sich auf der Bühne zu befinden. Dementsprechend nahe kommen die Schauspielerinnen und Schauspieler auch an die Sitzenden heran. Ob schon zu Beginn, beim Eintreten in den Raum oder bei der anschließenden Ursuppen-Ausspeisung, alle waren bemüht, mit den Zuseherinnen und Zusehern in irgendeiner Art und Weise Kontakt aufzunehmen. Neben all den theateralischen Finessen war es vor allem diese Idee, die einen Nachhaltigkeitscharakter aufweist. Denn wenn ich jemanden aus dem Ensemble näher kenne, dann bin ich selbstverständlich auch bereit, mehrere Stücke anzusehen, in welchen die Person auch mitspielt. So gesehen waren die „Metamorphosen“ auch eine kluge Akquise-Maßnahme.

Wer ist man, wenn man sprachlos ist?

Wer ist man, wenn man sprachlos ist?

Peter Handke ist ein Geschichtenerzähler. Aber auch ein Sprachsezierer. In seinem Stück „Kaspar“ aus dem Jahr 1967 tat er beides. Wer seiner Sprachkunst darin auf die Schliche kommen möchte, dem oder der bleibt nichts anderes übrig, als den Text zu lesen. Nach einem Hype nach der Veröffentlichung wurde es ruhiger um das Drama, dessen Ausgangspunkt die Geschichte von Kaspar Hauser ist. Jenem Jungen, der mit 16 Jahren in Nürnberg sprachretardiert aufgefunden wurde.

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Kaspar • Akademietheater (Foto: Susanne Hassler-Smith)

„A söchtener Reuter möcht i wern, wie mein Voater gwen is“ („Ein solcher Reiter möchte ich werden, wie mein Vater gewesen ist.“). Diesen Satz soll Kaspar Hauser damals immer wieder gesagt haben, ohne jedoch den Sinn desselben zu verstehen. Und diesen Satz, von Handke auf „ich möchte einmal der sein, der ein anderer war“ verkürzt, beginnt das Spiel auf der Bühne des Akademietheaters.

Den Angaben, die Handke in seinem Text für die Aufführung fertigte, wird von Daniel Kramer auf seine eigene Art und Weise Rechnung getragen. Eine „Rock-Oper mit grellen Effekten“ stellte sich Handke die Bühnenfassung dar und tatsächlich bewegt sich die Inszenierung im Rahmen eines breiten Genre-Spektrums. Es wechselt zwischen bedrohlichen und absurden Szenen, aber auch solchen, die Empathie mit Kaspar aufkommen lassen oder burlesk-grotesken Szenen. Rockige Musik begleitet die Umbauten. (Musik Tei Blow) Marcel Heuperman gibt einen präsenten, kräftigen, zugleich aber auch zerbrechlichen Kaspar, der sich ohne Sprachfähigkeiten völlig den Repressalien seiner Umwelt ausgesetzt sieht. Eine überdimensionale Schiefertafel, die öfter von einzelnen Ensemblemitgliedern um die eigene Achse gedreht wird, macht deutlich, dass hier ein Lernprozess stattfindet. Kaspar, der zu Beginn als missgestaltetes Ungetüm aus einem engen Plastikschlauch von oben auf die Bühne herabrutscht, wird alsbald aus seinem Monsterkostüm geschnitten. Unter Zuhilfenahme einer elektrischen Baumsäge wird so lange an ihm gezerrt, bis er schließlich nackt auf dem Boden zu liegen kommt. Während er wie ein kleines Kind wimmert, unfähig, sich zu wehren, bläst man die letzten Reste Schmutz mit einem Laubbläser weg. Die Aussage ist deutlich: Dieser Mensch kommt aus dem Wald und wird eher wie ein Objekt behandelt, denn als lebendiges Wesen.

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Kaspar • Akademietheater (Foto: Susanne Hassler-Smith)

Vier durch Latexkostüme unkenntlich gemachte Personen mit Masken auf dem Kopf, sehen sich genötigt, diesem Menschen nicht nur eine Sprache zu lehren. Das Hauptziel, so wird es bald verständlich, ist, diesen durch den Spracherwerb ein Teil der Gesellschaft werden zu lassen. So, dass er sich in diese ohne Umstände einfügen kann. Die Zurüstung dafür erfolgt mittels Worten und Sätzen, so lange, bis der Außenseiter zumindest die Bedeutung von einfachen Worten und Satzgebilden verstehen kann. Dass Handke in seinem Text zugleich der philosophischen Frage nach den Verbindungen zwischen Bildern, Wörtern, deren Bedeutung und Rezeption nachgeht, ist selbstverständlich. Es ist dennoch nicht zwingend notwendig, sich mit diesem Thema wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Die Inszenierung ist eindringlich genug, um die Botschaft zu verstehen und lässt die „Einsager und Einsagerinnen“ ohne Mitleid ihr Werk vollenden.

Die Wandlung von einem Menschen ohne differenzierte Sprache und ohne eine Ahnung der ihn umgebenden Begrifflichkeiten, wird auch mithilfe unterschiedlicher Kostüme von Shalva Nikvashvili veranschaulicht. Bekommt er zuerst ein Babyoutfit mit einer übergroßen Haube, darf er wenig später als Schulbub in eine silbrig glänzende Hose und Hemd schlüpfen. Die kunstvollen Sprachkaskaden der Einsager und Einsagerinnen sind atemberaubend und so rasch vorgetragen, dass man sich gut in die Hauptfigur versetzen kann. Diese müht sich redlich ab, sprechen zu lernen und bekommt erklärt, dass Worte und Bewusstsein zusammengehören und es ohne Worte kein Empfinden und keine Gefühle gäbe. Als er das Ziel mit dem Satz „Ich bin, der ich bin“ zu erlangt haben scheint, wechselt das Bühnengeschehen.

Unter sichtbar großem Aufwand entsteht vor den Augen des Publikums eine Wohnungseinrichtung inklusive Dusche und Küche, Bett und Wohnzimmerecke. Nach und nach kommt das gesamte Ensemble in die Szenerie, zieht sich zum Teil ganz aus, duscht und schlüpft in Jogginghosen und Hoodies. Was diese Menschen der Jetzt-Zeit auszeichnet, ist ihre Sprachlosigkeit. Alles, was sie verrichten, geschieht ohne ein Wort. Selbst Interaktionen werden nicht kommentiert. Als eines der länglichen Pakete, die jeder und jede auf die Bühne mitbrachten, ausgepackt wird, kommt eine Maschinenpistole zum Vorschein. Der Wechsel der Begleitmusik hin zu einer, die man locker einem TV-Krimi zuordnen könnte, macht klar, dass das letzte Drama nicht ausbleiben wird. Tatsächlich liegen zuletzt alle, bis auf Kaspar, der sich entfernt hat, leblos am Boden.

Die Existenz, hier auf einen sich ständig wiederholenden Alltagstrott zusammen gedampft, in der sich niemand mehr mit anderen unterhält, niemand mehr den Austausch mit den anderen sucht, scheint eine zu sein, welche den Menschen in den Wahnsinn treibt. So dicht und so drängend in den Szenen davor auch die Sprache verwendet wurde, so unbehaglich einem beim Zusehen dabei werden konnte, so schrecklich scheint das genaue Gegenteil – die Absenz des Gesprochenen – auch zu sein.

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Kaspar • Akademietheater (Foto: Susanne Hassler-Smith)

Mit einer burlesken Szenerie, voll mit Nonsens-Sätzen, Clown-Kostümen und dadaistischem Gehabe, schließt ein Auftritt der vier zuvor schwarz Gekleideten an. Es ist ein Hauen und Stechen mit Worten und mit Objekten, mit dem Schluss-Satz: Endlich sollen alle wollen können, was sie wollen sollen. Nach ihrem Abgang tritt Kaspar in einer völlig veränderten Gestalt auf. Mit grell geschminktem Gesicht in einem Travestie-Kostüm, ist er jetzt fähig, bühnenreife Sätze zu sprechen. „Ich wollte weder ich selber, noch wer anderer sein. Ich selber verstellte mir die Sicht und konnte nichts auseinanderhalten. Ich verirrte mich in den Gegenständen.“ All dies Gesagte spitzt sich mit der Aussage zu: „Das Wehtun hat mir die Verwechslungen ausgetrieben“, wobei sprachlich abstrahiert das zusammengefasst wird, was man zuvor gesehen hat. Gewalt, so lange an Kaspar ausgeübt, bis er sich dem Druck der Gesellschaft gänzlich gefügt hat. Endlich ist er so zugerichtet, wie die Gesellschaft ihn brauchen kann.

In der letzten Szene sitzt er einer gelben Rakete gegenüber, wieder nackt und bloß, ohne Schutz und ohne andere Menschen. Das Atomzeichen auf dem Furcht einflößenden Objekt und das darauf befindliche rote Warnlämpchen, das zu blinken beginnt, machen deutlich, dass sich Kaspar in einer ausweglosen Situation befindet. Seine Antwort darauf kann nicht treffender sein:
„Ziegen und Affen. Ziegen und Affen. Affen und Ziegen“. Die bittere Erkenntnis des nahenden Endes gebiert nichts anderes als abermaligen Nonsens. Was bleibt einem angesichts des bevorstehenden Supergaus anderes auch noch zu sagen?

Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann benötigen keine individuellen Charakterdarstellungen. Ihre in rascher Abfolge gesprochenen Texte erfordern jedoch höchste Konzentration und Genauigkeit. Annette Murschetz gestaltete die Bühne mit vielen Objekten kühl und ohne jeglichen persönlichen Touch – eine adäquate Textergänzung.

Die Inszenierung wartet nicht nur mit einer erweiterten Interpretationsebene auf. Sie zeigt auch, wie man heute mit theatralischen Mitteln punkten kann, auch wenn diese längst überholt zu sein schienen. Theater ist nicht gleich Leben, ist nicht gleich Realität. Das ist Gleichung Nummer 1. Theater gehört zum Leben und zu unserer Realität, wie letztlich auch die Sprache. Das wiederum ist Gleichung Nummer 2.

Für Theaterfreaks und solche, die es werden wollen

Für Theaterfreaks und solche, die es werden wollen

Er hat ihn sicher gestohlen. Den blauen spitzen Hut mit den goldenen Sternen und der Mondsichel. Den Magier-Hut aus Walt Disneys „The sorcerer‘s apprentice“. Denn mit diesem ist es ein Leichtes zu zaubern, was einem in den Sinn kommt. Ernst Kurt Weigel muss ihn besitzen, jenen Hut, der dem Zauberlehrling viel Ungemach brachte, seinem Meister aber den uneingeschränkten Status des wahren Könners.

Man kann sich bestens vorstellen, wie der Theatermacher, mit dem Hut auf dem Kopfe, seine Mash-up-Ideen in einen großen, dampfenden Kessel wirft, das Gebräu kundig umrührt und es schließlich an sein Ensemble verteilt, auf dass es selbst erleuchtet würde vom Geist des Dramas und auch jenem des Filmes. Jeweils eine große Suppenschüssel davon bekommen auch all jene, die sich um Kostüm und Sound bemühen, denn schließlich muss alles aus einem Guss sein.

Und wahrlich, es ist ein Guss geworden – und was für einer! Oder exakter ausgedrückt: Es ist eine Melange geworden – Mash-up klingt wahrlich zu unfein, für das, was im Kessel des Off-Theaters gebraut wurde: Natural.Born.Medea nennt sich die schmackhafte Mixtur. In ihr vermischen sich zwei grauenvolle Geschichten zu einer Erzählung, deren tragische Hintergründe sich in Witz und Tollerei verwandeln, sodass einem ganz schwindelig davon werden könnte. So, wie sich die beiden Erzählungen vermengen, so tun es auch ihre Protagonistinnen und Protagonisten. Verschmelzen zum Teil in ein und dieselbe Person, um sich bald darauf mit Leichtigkeit von ihr wieder zu trennen. Franz Grillparzers „Medea“ trifft ihren „Jason“, der durch den Zaubertrank seinen Vornamen selbstverständlich englisch ausspricht. „Tscheison“ heißt er, wird aber von „Mae“ alsbald als „Jay“ gerufen. Genauso wie ihre Zwillinge im Geiste „Mickey“ und „Mallory“, vom Regisseur Oliver Stone einst auf die Leinwand gezaubert, fühlen sie sich von Beginn an zueinander hingezogen. Die Lust, ihr verkorkstes Leben via Social-Media-Kanäle millionenfach unter ihren Bewunderern zu verbreiten, ist ein weiteres Schmiermittel ihrer Beziehung.

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NATURAL.BORN.MEDEA (Foto: Günter Macho)

Ganz dem mordenden Filmduo verpflichtet, ziehen die beiden bald eine blutige Spur über die Bühne, mit gewaltigen Licht- und Soundbegleitungen und ballern auf alles, was sich in ihrer Umgebung bewegt. Vater und Mutter, die am Beginn der Entsorgungsorgie stehen, haben es aber in sich. Denn obwohl dahin gemetzelt, wird Mallory-Medea von ihnen nie loskommen. Zum Glück gibt es da auch noch einen Gefängnisdirektor. Einen, der sich stets als Humanisten rühmt und in jedem und jeder nicht das Monster, sondern rein den Menschen erblicken möchte. Einen, der besessen ist von der Idee, im Maßnahmenvollzug mithilfe des Theaters die Menschheit von ihrem bösen Tun erlösen zu können. In seinen Hallen treffen alle aufeinander. Medea und Jason, Mickey und Mallory, Medeas Mutter und Vater sowie ihre Amme Gora. Logischerweise versammelt sich dort auch die Gegenseite in Gestalt der Tochter des Anstaltsleiters alias Kreusa und deren Mutter, zuständig für die Urlaubsbuchungen der Familie für die Silvesterparty im Ausland. Dass ihr werter Gemahl nicht weiß, wann das in diesem Jahr stattfindet, zeugt von seinem glasklaren Geisteszustand, der sich von jenem seiner Schützlinge nicht wesentlich unterscheidet.

Tollkühn stürzen sich alle, die man zu Beginn in einem Narrenhaus wähnte, in die Erzähl-Schlacht, angetrieben von der Idee, im Sauseschritt Stones und Grillparzers Dramen dem zeitwunden Publikum auf Wienerisch näherzubringen. Obwohl: So ganz Wienerisch dann auch wieder nicht, denn schließlich mutiert das Wigwam, in welches sich das Gangsterduo nach dem Genuss von halluzinogenen Schwammerln und Ebbe im Benzintank ihres Autos flüchtete, zu einem steirischen Unterschlupf. Die weibliche Eingeborene fährt darin einen oststeirischen Dialekt auf, dass einem warm ums Herz wird.

Wie nebenbei wird das goldene Vlies ohne vorherige Bestellung per Lieferando-Essensboten geliefert, von Medea klugerweise der direkten Blickrichtung aller wieder entzogen, schlussendlich aber, wie es ihm gebührt, todbringend wieder eingesetzt. Der Zauberer mit dem blauen Hut lässt nichts aus, aber schon gar nichts. Weder die Schlangenszene aus „Natural born killer“, noch die Annäherung von Kreusa an Medea in Gestalt der Seelsorgerin und Tochter des Gefängnisdirektors. Ein wilder Ritt durch die literarische Genealogie des goldenen Lammfelles inklusive Heiligem Gral und Harry-Potter-Verweis wird genauso geboten wie die unheilvolle Gesangsszene, an welcher Medea im Beisein ihrer Rivalin und ihres Gatten herzzerreißend scheitert. Franz Schuberts Ständchen „Leise flehen meine Lieder“ aus seinem Schwanengesang, seinem letzten großen Zyklus, den er vor seinem Tod verfasste, fügt sich nicht nur passend in das wienerische Kolorit. Es antizipiert als letzte große musikalische Tat dieses tragischen Genies auch gleich das letale Ende einiger Charaktere subkutan mit.

Mit welch hoher literarischer Qualität der Zaubertrank ausgestattet ist, darf am parallelen Einsatz der natürlich wirkenden Mischung von Grillparzers Dramensprache und zeitgeistigem Slang unterschiedlichster Gesellschaftsschichten erkannt werden. „Leck Fettn ihr seids vull nebn die Schua“ und „kommt her zu mir, ihr heimatlosen Waisen, wie frühe ruht das Unglück schon auf euch“ stehen nicht in beißendem Widerspruch zueinander, sondern amalgamieren in einem geistig-literarischen Cocktail auf wundersame Art und Weise.

Zauberei mag wohl auch im Spiel sein, wenn sich Medea, das benutzte, das weggeworfene, das schambehaftete, gefürchtete und doch weitsichtigste Wesen von allen, ganz ihrem Verlassenheits-Schmerz ausliefert und unter grauenhaftem Geschrei ihre Kinder mordet. Denn mit einem Mal ist alles weg, was gerade noch fröhlich und unsinnig war. Ganz so in Rauch aufgelöst, wie der Dampf über dem Kessel des Disney-Magiers. Der grelle und schrille Theater-Trank kippt mit einer Umdrehung in die entgegengesetzte Richtung wie vergoren in die schwärzeste Brühe, so ungenießbar, dass sie bitter im Hals stecken bleibt.

NATURAL.BORN.MEDEA

NATURAL.BORN.MEDEA (Foto: Günter Macho)

Der fleischfressende, angsteinflößende Hase, der das Publikum schon beim Eintritt irritierend verfolgte und ein ständiger Begleiter Jasons ist, mag als Vorbilder Monty Python, Alice im Wunderland oder aber die Killer-Hasen-Marginalien mittelalterlicher Handschriften anführen. Die Etymologie seines alternativ gebrauchten Wortes Kaninchen stammt aus dem Lateinischen cuniculus, was übersetzt „unterirdischer Gang“ bedeutet. Auf die wilde Schar an Charakteren von Natural.Born.Medea angewandt, könnte man salopp mit dem Strafvollzugs-Direktor argumentieren, dass „das Böse halt im Gehirn drin ist“ oder die Karnickel-Metapher auch anders ausdrücken: In den Tiefen des Unterbewussten lauert das Unheil.

Rina Juniku, Andrzej Jáslikowski, Jula Zangger, Kajetan Dick, Anja Štruc, Matthias Böhm, Yvonne Brandstetter auf der Bühne, Leonie Wahl als Choreografin, b.fleischmann als Soundakrobat, sowie Julia Trybula, welche den Charakteren ihr markantes Aussehen verpasste und die Ausstattung besorgte – sie alle gehören x-fach beklatscht vor den nicht vorhandenen Vorhang.

Mögen die kommenden Vorstellungen all jene anlocken, die theaterbesessen sind, aber auch all jene, die noch nie im Theater waren. Für beide Gruppen garantiert das.bernhard.ensemble einen unvergesslichen Abend. Fürchten muss sich niemand, außer davor, dass der theatrale Zauber Suchtcharakter haben kann, besitzt doch EKW mit Bestimmtheit einen blauen spitzen Hut mit goldenen Sternen und einer Mondsichel darauf.

Alles zurück auf Anfang

Alles zurück auf Anfang

Georg Büchners Leonce und Lena verfasste der Autor des Vormärz, der hellsichtig seine Zeit beobachtete, aber leider viel zu jung starb, im Jahr 1836. Dieses Drama, als Komödie geführt, ist vielmehr eine scharfe Abrechnung mit den absolutistischen Umständen seiner Zeit. Die Französische Revolution war eines der einschneidendsten gesellschaftlichen Ereignisse, oder besser gesagt, die Ereignisse, die zu ihr führten und jene, die nach dem Terreur in eine neue Gesellschaftsordnung mündeten.

Leonce und Lena am Schauspielhaus Graz

Leonce und Lena am Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Büchner spürte die Nachbeben dieser Zeit in Darmstadt, das zum Großherzogtum Hessen gehörte und musste erleben, wie die Menschen damals noch von den absolutistischen Gnaden der jeweils herrschenden Adelsgeschlechter abhängig waren.

Heute, knappe 200 Jahre später, erleben wir in der westlichen Welt gerade den Umbruch von freien Demokratien hin zu neuen absolutistischen Formen. Die Gemeinsamkeit des Neolibertarismus und des Turbokapitalismus schufen eine neue Kapitalkonzentration, die jener der Absolutisten verblüffend ähnlich ist und einen neuen Geldadel hervorbrachten.

So verwundert es nicht, dass die Autorin und Regisseurin Rebekka David Büchners Werk mit Leichtigkeit in die Jetzt-Zeit adaptieren konnte. Früher hießen sie Leonce und Lena, heute vielleicht Viktoria und Mark oder Ivanka und Jared. Das, was die jungen Menschen, ohne ihr eigenes Zutun zu großem Reichtum gekommen, in ihrem Innersten bewegt, dürfte sich über die Jahrhunderte nicht wirklich geändert haben. Der Langeweile, welche die Erbengeneration schier auffrisst, entkommen sie nur durch Flucht aus ihrer Heimat. Der Zufall fügt beide, welche von der Fusion, der Firmenverheiratung, der beiden Firmenimperien nichts wissen wollen, dennoch zusammen. Weniger Zufall als blanke Berechnung wird letztlich einen großen Gewinner hervorbringen: Valerio, der ehemalige Diener von Leonce, ergreift die Gunst der Stunde und zieht alle Macht an sich, um dem neuen Superimperium vorzustehen.

So zeitgeistig David das Geschehen auch auslegt, dennoch spürt man aufgrund des Bühnensettings und der Kostüme noch immer einen Hauch Vormärz. Dies ist auch Rudi Widerhofer zu verdanken, der als Vater von Leonce in einem historischen Nachtgewand, senil verblödet, sich am Ende ebenfalls seinem Schicksal ergibt. Bis dahin hält er den Fortgang der Geschichte mit Humor zusammen, obwohl er zutiefst depressiv, mit seinem Schicksal und vor allem dem seines Sohnes, der sich zu keinem Tun aufraffen kann, hadert.

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Leonce und Lena am Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Otiti Engelhardt als Lena und Dominik Puhl als Leonce machen zwar klar, dass reich sein auch nicht immer ein Honigschlecken ist. Beobachtet man aber das beständige Tun ihrer Angestellten, der Gouvernante, gespielt von Annette Holzmann und von Valeria, dargestellt von Mario Lopatta, kommt man zu einem untrüglichen Schluss: Die Jeunesse dorée ist nur mit ihren Luxusproblemen behaftet, vom Leben der Habenichtse hat sie keine Ahnung, vielmehr noch, sie will auch keine haben. Lena und Leonce wirbeln in ihrer Verliebtheit völlig problemvergessen über die Bühne und ziehen ihre Dienerschaft dabei ungefragt mit. Spielen ist ihre liebste Beschäftigung, die sie, gebildet wie sie sind, auch mit dem „homo ludens“-Begriff von Johan Huizinga rechtfertigen.

Das Bühnenbild von Robin Metzer ist aufwändig und vielfältig. Die Drehbühne, sowie Video-Einspielungen und weiterer bühnentechnischer Theaterzauber gestalten die knappen zwei Stunden höchst abwechslungsreich. Wie schon in den vorangegangenen Produktionen dieser Spielzeit auf der Hauptbühne „Von einem Frauenzimmer“ und „Sonne/Luft“ wird die Bühnentechnik voll ausgenutzt, was einer berechtigten Rückbesinnung auf den Reiz der Möglichkeiten des Theaters gleichkommt.

Anna Maria Schories verpasst dem jungen Liebespaar gendermäßig entgegengesetzte Outfits. Die dabei verwendeten üppigen Tüllbahnen zeugen von ihrer ‚Outstanding role‘, ganz im Gegensatz zu ihren Bediensteten, die in dunkleren Rosatönen praktische Hosen-Hemd-Kombinationen tragen.

Valerio und Lena sind diejenigen, die sich mit dem Problem der Vollzeitbeschäftigung und jener des Müßiggangs intensiv philosophisch auseinandersetzen. Die junge Frau kann dies aufgrund ihrer privilegierten Stellung tun, die sie zu nichts verpflichtet. Der Bedienstete von Leonce hingegen wünscht sich nichts sehnlicher, als einen Zustand herbeiführen zu können, in welchem das Nichtstun zur höchsten Tugend erhoben wird. Die Gouvernante hingegen zeigt immer und immer wieder auf, welcher Mehrbelastung sie ausgesetzt ist, nicht zuletzt durch Teilzeitanstellungen, die ihre permanente Verfügbarkeit verlangen. Der Text belässt die einzelnen Charaktere so, wie Büchner sie angelegt hat und verwendet an einzelnen Stellen auch Zitate aus seinem Drama. Dabei werden diese zum Teil von anderen Personen gesprochen, aber auch zeitgeistig erweitert. Jene, die den Originaltext kennen, werden ihre Freude daran haben. Gekonnt werden auch Bezüge zu Graz hergestellt, wenn es heißt, dass junge Menschen sich heute nicht einmal mehr ein Anwesen in Andritz erwirtschaften könnten. Oder auch, dass die arbeitende Bevölkerung sommers zwei Wochen nach Grado fährt, um dort wieder Energie aufzutanken, um das nächste Jahr durcharbeiten zu können.

Mit dem Auftritt von Elisabeth Wondrack, ihres Zeichens Souffleuse im Grazer Schauspielhaus, wird klar, dass 225 Jahre nach der Französischen Revolution das Gefälle zwischen Arm und Reich wieder an jenem Punkt angelangt ist, welcher der Ausgang des Gesellschaftsumsturzes war. Sie möchte sich beim alten Herrscher andienen und zählt eine lange Liste von Berufen auf, die sie ausführen kann. Es sind jene, in welchen die Menschen prekär verdienen und denen wir alle tagtäglich als Boten, Putzpersonal, Alten- und Kinderbetreuende begegnen.

Obwohl die Inszenierung ein neues Gewand trägt, so gelingt die Vermittlung der Meta-Botschaft, dass wir uns in einer historischen Wiederholungsschleife befinden, aus der unsere Gesellschaft jedoch noch keinen Ausweg gefunden hat. Es ist der australische Historiker Christopher Clark, welcher die Parallelen unserer Zeit zum Vormärz und zur Revolution von 1848 herausgearbeitet hat. Diese Erkenntnis, kunstvoll umgesetzt, darf man Rebekka David anrechnen.

Ein Abend voll Poesie und Sport

Ein Abend voll Poesie und Sport

Alleine der Untertitel des außergewöhnlichen Theaterabends lässt aufhorchen. Was bitte ist ein rhythmisch-gymnastischer Essay? Wie passen diese beiden Begriffe zueinander? Was hat rhythmische Gymnastik überhaupt auf einer Theaterbühne zu suchen?

Es ist ratsam, sich vor dem Besuch keine Fragen zu stellen, sondern sich einfach überraschen zu lassen. Mervan Ürkmez ist schon auf der Bühne anwesend, während das Publikum in den Raum kommt. Der schlanke, junge Mann mit den schwarzen Haaren trägt diese zu einem festen Zopf gebunden. Er ist nicht verschlossen und auf sein Inneres konzentriert, um den kommenden Auftritt vorzubereiten. Vielmehr begrüßt er viele der Ankommenden und trägt dabei ein sympathisches Lächeln zur Schau.

Als er mit seinem Text beginnt, hört man einen dunkel eingefärbten Sound, der diesen leise begleitet. Diffus und eher bedrohlich wirkt er und verbreitet eine Grundstimmung, die Spannung zum Ausdruck bringt. „Was ich im letzten Jahr gelernt habe“, so lautet der erste Satz, der auch als Überschrift einer Deutschhausarbeit stehen könnte. Der Text, der danach kommt, ist jedoch keine reine Aufzählung, sondern setzt sich vielmehr aus Lebensweisheiten zusammen, die so jedoch in keinem Poesiealbum stehen. Dass manches fest ist, dann wieder auch flüssig, erfährt man. Dass eine Gebäudesprengung nicht einfach durchzuführen ist, aber fast immer gelingt. Und vor allem, dass es Dinge gibt, die Mervan in seinem Leben nicht mehr erlernen wird können – wie einen Spagat. Und schon ist er mitten in seinem Thema, der rhythmischen Sportgymnastik.

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Mervan Uerkmez • And the Stars Will Be up Tonight (Foto: Lex Karelly)

Während der Schauspieler spricht, macht er Dehnungsübungen. Aber nicht solche, wie man sie von der Skigymnastik oder vom Altersturnen – je nach Jahrgang – her kennt. Da stellt er sich schon einmal mit dem ganzen Gewicht auf die vorderen Zehengelenke, da dehnt er seine Extremitäten mit gleichzeitigem Positionswechsel bei gegrätschten Beinen, da geht er in Brückenstellung, den Kopf nach hinten hängend auf allen Vieren wie ein Insekt quer über die Bühne. Alleine dies würde die allermeisten der Zusehenden heillos überfordern.

Im Laufe der Vorstellung kommen auch andere Personen mit auditiven Einspielungen zu Wort. Menschen, die Ürkmez über den Zustand unserer Welt befragt hat. Eine Försterin ist dabei, aber auch ein Transformationsforscher, sowie weitere Befragte aus unterschiedlichen Berufen. Sie erzählen darüber, welche Herausforderungen für unsere Wälder bestehen, was Krisen bedeuten oder dass innerhalb einer Generation sich die Bevölkerung auf der Welt verdreifacht hat.
Während der gesamten Vorstellung turnt der Schauspieler und pendelt in seinen Aussagen und auch in den zuvor aufgezeichneten Gesprächen und Videosequenzen zwischen der eigenen Idee, nach einem Jahr Übung in einem Club, eine eigene Kür auf die Bühne zu bringen und Gesprächszusammenfassungen, mit hohem Aktualitätsbezug. Dabei lässt er sich auf keine Nabelschau ein, aber auch auf keine Gag heischenden oder betroffen machenden Erzählungen. Genau das ist es, was den Abend so interessant macht. Nicht zuletzt die Tatsache, dass man Zeuge und Zeugin einer Idee wird, an welcher der junge Mann trotz Widerständen festgehalten hat. Seine Zweifel und das Eingestehen, das eigene, große Ziel sicher zu verfehlen, aber auch die Selbstmotivation und der Glückwunsch an das eigene zukünftige Ich ringen einem Respekt ab.

Auch dass der Performer die dunklen Zukunftsaussichten nicht einfach kommentarlos stehen lässt, sondern Aussagen aufgenommen hat, die durchaus positiv zu bewerten sind, verbreitet Hoffnung. Genauso wie die Statements seiner jungen Kolleginnen aus dem Verein, die erklären, wie sie von Auftrittsnervosität geplagt es dennoch schaffen, eine gute Performance abzuliefern oder auch eine Niederlage wegzustecken. Dieses Mal sind die Texte mit einem Sound unterfüttert, der hoffnungsvoll positiv, jedoch in keiner Weise platt daherkommt. (Musik Antonia Manhartsberger)

Die Kür, die Mervan Ürkmez am Ende tatsächlich abliefert, ist beachtlich. Sie enthält wunderbare Formationen mit einem rosa-blau-fluoreszierenden Band, komische Momente, in welchen der Schauspieler seine aussagekräftige Mimik einsetzt, aber auch so manches, das an die Qualität von Profisportlerinnen nicht heranreicht, nicht heranreichen kann.

Die Mischung aus Spaß und Ernst, aus intelligenten Texten und hohem körperlichem Einsatz, aus der Einbettung dieses Tuns in unsere Welt, die dabei ist, aus den Fugen zu geraten, all das ist großartig, bewundernswert und voller Poesie. Zugleich tut es auch gut, dass das Genderthema, das gerade bei diesem Sport heiß diskutiert wird, nicht mit dem Holzhammer oder belehrend behandelt wird. Auch das ist ein Grund, warum rhythmische Sportgymnastik tatsächlich auf die Bühne gehört.

Unsere Empfehlung: Schauen Sie sich das an – am besten mit der ganzen Familie.

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