Ein Abend voll Poesie und Sport
03. November 2023
“And the Stars Will Be up Tonight - Ein rhythmisch-gymnastischer Essay von und mit Mervan Ürkmez“ nennt sich das Ein-Personen-Stück, das im Schauraum des Grazer Schauspielhauses Premiere hatte und mit minutenlangem Applaus bedacht wurde.
Michaela Preiner
Theater
Foto: (Lex Karelly)

Alleine der Untertitel des außergewöhnlichen Theaterabends lässt aufhorchen. Was bitte ist ein rhythmisch-gymnastischer Essay? Wie passen diese beiden Begriffe zueinander? Was hat rhythmische Gymnastik überhaupt auf einer Theaterbühne zu suchen?

Es ist ratsam, sich vor dem Besuch keine Fragen zu stellen, sondern sich einfach überraschen zu lassen. Mervan Ürkmez ist schon auf der Bühne anwesend, während das Publikum in den Raum kommt. Der schlanke, junge Mann mit den schwarzen Haaren trägt diese zu einem festen Zopf gebunden. Er ist nicht verschlossen und auf sein Inneres konzentriert, um den kommenden Auftritt vorzubereiten. Vielmehr begrüßt er viele der Ankommenden und trägt dabei ein sympathisches Lächeln zur Schau.

Als er mit seinem Text beginnt, hört man einen dunkel eingefärbten Sound, der diesen leise begleitet. Diffus und eher bedrohlich wirkt er und verbreitet eine Grundstimmung, die Spannung zum Ausdruck bringt. „Was ich im letzten Jahr gelernt habe“, so lautet der erste Satz, der auch als Überschrift einer Deutschhausarbeit stehen könnte. Der Text, der danach kommt, ist jedoch keine reine Aufzählung, sondern setzt sich vielmehr aus Lebensweisheiten zusammen, die so jedoch in keinem Poesiealbum stehen. Dass manches fest ist, dann wieder auch flüssig, erfährt man. Dass eine Gebäudesprengung nicht einfach durchzuführen ist, aber fast immer gelingt. Und vor allem, dass es Dinge gibt, die Mervan in seinem Leben nicht mehr erlernen wird können – wie einen Spagat. Und schon ist er mitten in seinem Thema, der rhythmischen Sportgymnastik.

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Mervan Uerkmez • And the Stars Will Be up Tonight (Foto: Lex Karelly)

Während der Schauspieler spricht, macht er Dehnungsübungen. Aber nicht solche, wie man sie von der Skigymnastik oder vom Altersturnen – je nach Jahrgang – her kennt. Da stellt er sich schon einmal mit dem ganzen Gewicht auf die vorderen Zehengelenke, da dehnt er seine Extremitäten mit gleichzeitigem Positionswechsel bei gegrätschten Beinen, da geht er in Brückenstellung, den Kopf nach hinten hängend auf allen Vieren wie ein Insekt quer über die Bühne. Alleine dies würde die allermeisten der Zusehenden heillos überfordern.

Im Laufe der Vorstellung kommen auch andere Personen mit auditiven Einspielungen zu Wort. Menschen, die Ürkmez über den Zustand unserer Welt befragt hat. Eine Försterin ist dabei, aber auch ein Transformationsforscher, sowie weitere Befragte aus unterschiedlichen Berufen. Sie erzählen darüber, welche Herausforderungen für unsere Wälder bestehen, was Krisen bedeuten oder dass innerhalb einer Generation sich die Bevölkerung auf der Welt verdreifacht hat.
Während der gesamten Vorstellung turnt der Schauspieler und pendelt in seinen Aussagen und auch in den zuvor aufgezeichneten Gesprächen und Videosequenzen zwischen der eigenen Idee, nach einem Jahr Übung in einem Club, eine eigene Kür auf die Bühne zu bringen und Gesprächszusammenfassungen, mit hohem Aktualitätsbezug. Dabei lässt er sich auf keine Nabelschau ein, aber auch auf keine Gag heischenden oder betroffen machenden Erzählungen. Genau das ist es, was den Abend so interessant macht. Nicht zuletzt die Tatsache, dass man Zeuge und Zeugin einer Idee wird, an welcher der junge Mann trotz Widerständen festgehalten hat. Seine Zweifel und das Eingestehen, das eigene, große Ziel sicher zu verfehlen, aber auch die Selbstmotivation und der Glückwunsch an das eigene zukünftige Ich ringen einem Respekt ab.

Auch dass der Performer die dunklen Zukunftsaussichten nicht einfach kommentarlos stehen lässt, sondern Aussagen aufgenommen hat, die durchaus positiv zu bewerten sind, verbreitet Hoffnung. Genauso wie die Statements seiner jungen Kolleginnen aus dem Verein, die erklären, wie sie von Auftrittsnervosität geplagt es dennoch schaffen, eine gute Performance abzuliefern oder auch eine Niederlage wegzustecken. Dieses Mal sind die Texte mit einem Sound unterfüttert, der hoffnungsvoll positiv, jedoch in keiner Weise platt daherkommt. (Musik Antonia Manhartsberger)

Die Kür, die Mervan Ürkmez am Ende tatsächlich abliefert, ist beachtlich. Sie enthält wunderbare Formationen mit einem rosa-blau-fluoreszierenden Band, komische Momente, in welchen der Schauspieler seine aussagekräftige Mimik einsetzt, aber auch so manches, das an die Qualität von Profisportlerinnen nicht heranreicht, nicht heranreichen kann.

Die Mischung aus Spaß und Ernst, aus intelligenten Texten und hohem körperlichem Einsatz, aus der Einbettung dieses Tuns in unsere Welt, die dabei ist, aus den Fugen zu geraten, all das ist großartig, bewundernswert und voller Poesie. Zugleich tut es auch gut, dass das Genderthema, das gerade bei diesem Sport heiß diskutiert wird, nicht mit dem Holzhammer oder belehrend behandelt wird. Auch das ist ein Grund, warum rhythmische Sportgymnastik tatsächlich auf die Bühne gehört.

Unsere Empfehlung: Schauen Sie sich das an – am besten mit der ganzen Familie.