Der große, sich perspektivisch nach hinten stark verkleinernde Raum, ist blutrot. Die Wände, der Boden, die Decke, alles ist rot, keine andere Farbe ist zu sehen. Durch das Fehlen jeglicher Möblierung wird der offenkundig beabsichtigte Guckkasten-Effekt noch zusätzlich verstärkt. Es hat den Anschein, als hätten die Bewohner dieses kahlen Raumes ganz bewusst alles hinter glatten Schrankwänden verschwinden lassen, was auch nur den leisesten Anschein von Heimeligkeit erweckt.
Wie sich zeigen wird, ist dieser Raum wandlungsfähig. Mal hat er einen hervorspringenden Unterbau entlang der Seitenwände, ein andermal fehlt dieser ganz oder wird durch Hängeschränke ersetzt, die genauso blank und schmucklos sind. Die fehlende Behaglichkeit verweist auf den seelischen Zustand aller, die sich darin aufhalten.
Die Umbauten zu den architektonisch unterschiedlichen Interieurs finden in wenigen Augenblicken statt, immer dann, wenn ein unerwartetes Black die Bühne für Augenblicke so ins Dunkel versetzt, dass die Technik dahinter ganze Arbeit leisten kann. Judith Oswald hat mit ihrer Bühnenausstattung einen genialen Schachzug getätigt. Dass in diesem Surrounding das Thema des Stückes – eine toxische Beziehung eines verheirateten Mannes zu seiner Liebhaberin, mit Wissen seiner Ehefrau – quer über mehrere Jahrhunderte funktioniert, liegt auf der Hand.
„Von einem Frauenzimmer“ mit dem Untertitel „ein Bürgerliches Trauerspiel von Christiane Karoline Schlegel“ war die erste Premiere unter der Leitung der neuen Intendantin Andrea Vilter und der Chefdramaturgin Anna-Sophia Güther. Mit diesem Drama, das 1778 geschrieben, aber nie aufgeführt worden war, verfolgt das Team die Idee, Stücke auf die Bühne zu bringen, die im Kanon der Bühnenliteratur zu Unrecht nicht vorkommen. Christiane Karoline Schlegel, eine Zeitgenossin von Goethe, Schiller und Lessing beschreibt in ihrem Werk die psychologischen Abgründe eines Mannes, der zum Frauenmörder wird. Zugleich zeigt sie aber auch jene Menschen, die ihm ausgeliefert sind und seinem Egoismus, seiner Selbstherrlichkeit, seinem narzisstischen Gehabe und seinen Wutausbrüchen nichts entgegensetzen können.
Sibylle Wallum kleidet Mariane die Ehefrau, die Geliebte Mally, den Familientyrannen Baron Düval und dessen Sohn Fränzchen, sowie alle anderen Figuren in ein kräftiges Blau. Die aufwendigen Reifröcke der Frauen und spitzenbesetzten Gehröcke der Männer verwandeln sich im Laufe der Handlung und werden gegen zeitgeistige Business- aber auch Casual-wear ausgetauscht. Auch das ein Hinweis, auf die leider nach wie vor gültige Thematik.
So modern die Bühne, so antiquiert die Sprache, die dennoch leicht verständlich bleibt. Die Liebschaft, die Baron Düval ganz offen pflegt, erregt nicht nur das Missfallen seiner Frau. Auch der Fürst sieht seine Gesellschaftsordnung gefährdet und versucht mittels Helfershelfern zu retten, was zu retten ist. Er entsendet einen guten Freund, Graf von Sternfeld und als dessen Zureden nichts hilft, Frau von Doenberg, eine Dame mit Einfluss in die höchsten Kreise. Solange die außereheliche Beziehung noch nicht von Störungen von oben betroffen war, leistete sich Düval ganz unverhohlen jeglichen Zornesausbruch mit dem Anspruch, dass seine Familie ihm absoluten Gehorsam schulden müsse. Und tatsächlich lassen sich seine Frau und seine Geliebte, noch mehr aber auch sein Sohn von diesen Attacken einschüchtern. Die beiden Frauen schließen sich in ihrer Not sogar zusammen, versuchen aber dennoch, sich das Verhalten des Tyrannen schönzureden.
Sarah Sophia Meyer versucht als Ehefrau so gut es geht Contenance zu bewahren. Ihr ist das ruhige Wesen ihrer Konkurrentin lieber als all das, was sie schon zuvor mit Nebenbuhlerinnen miterleben musste. Marielle Leyher verleiht Mally, der Geliebten, über lange Strecken einen höchst naiven Ausdruck. Lebensunerfahren, weiß sie zum Teil gar nicht, wie ihr geschieht und kippt erst in den letzten Minuten vor ihrer Ermordung in Angst und Panik. Simon Kirsch verkörpert von Beginn an das Ekelpaket, das sich weder dem Druck der Familie noch dem seines Fürsten beugen will. Größenwahn und Eifersucht ergeben schließlich jene tödliche Melange, die ihn zum Messer greifen lässt, um seine Geliebte mit sich in den Tod mitzunehmen. Željko Marović zieht alle Register, die ein Freund nur ziehen kann, um Düval zur Vernunft zu bringen, aber auch Annette Holzmann als Grande Dame muss unverrichtete Dinge ans Fürstenhaus berichten.
Die Regie von Anne Lenk versieht Fränzchen, den zwölfjährigen Sohn der Düvals, mit einem historisch-kindlichem Gehabe. Spielt der Bub in seinen kurzen Hosen doch mit Puppen, die seinen Eltern frappant ähnlichsehen, liest er doch noch stockend in Büchern und duckt sich jedes Mal vor Angst, wenn sein Vater auftritt. Fränzchen wird nicht nur permanent eingeschüchtert, es muss auch miterleben, wie brutal und geringschätzig sein Vater mit den Frauen umgeht. So ist man nicht verwundert, als das Kind in einer Szene mit einer Gerte auftritt und es beim Spiel mit seinen Puppen denselben brutalen Charakterzug erkennen lässt, wie der seines Vaters.
In einer Schlüsselszene liest Fränzchen stockend, wie ein Erstklässler, aus einem großen Buch ein Zitat von Maria Montessori. Dieser Texteinschub macht klar, warum es bis heute in jeder neuen Generation Femizide gibt. Die Reformpädagogin formulierte aus, was viele Menschen bis heute nicht wahrhaben wollen: Dass Erwachsene ihre eigenen Schwächen und Fehler meist unreflektiert an ihre Kinder weitergeben. Sie nannte es in ihren Schriften den „absorbierenden Geist“, der alles wie einen Schwamm aufsaugt, was die Erwachsenen den Kindern vormachen. Dabei können die Kleinen nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden.
In ihrer letzten Szene haben die junge Geliebte und ihr Mörder keinen Raum mehr, in dem sie Platz finden. Stattdessen stehen sie vor einer großen, roten Wand, die bis an den vorderen Bühnenrand gerückt ist. Dadurch wird jene Ausweglosigkeit spürbar, in welcher sich die beiden Menschen befinden. Es geht nicht mehr vor und es geht nicht mehr zurück. Was bleibt, ist der brutale Stich ins Herz der Geliebten, der die ewig währende Vereinigung bringen soll. Die Tötungsszene selbst lässt die Regisseurin von zwei Kindern mit den Masken von Mally und Düval imitieren.
Die Bedrohung, die sich im Laufe des Geschehens permanent steigert, ist auch in der Soundbegleitung von Cammil Jammal zu hören. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn sich ein neues Black auf der Bühne ereignet und man bange wartet, was in der nächsten Szene geschehen wird.
Das Stück lässt sowohl in die Vergangenheit zurückschauen, als auch die Gegenwart spürbar werden. Die gesellschaftlichen Umstände mögen sich seit dem späten 18. Jahrhundert geändert haben, die psychologisch-pathologischen einer patriarchalischen Gesellschaft, die den Männern auch in der Liebe eine unbestrittene Machtposition zugesteht, jedoch nicht. „Von einem Frauenzimmer“ wird nicht nur aufgrund des hohen ästhetischen Wiedererkennungswertes im Gedächtnis bleiben. Die Inszenierung ist ein kraftvoller und zugleich mutiger Auftakt der neuen Intendanz und des zum Teil neuen Ensembles in Graz. Und sie fordert förmlich auf, auch die kommenden Premieren zu besuchen.
Hinweis: Besucher:innen der Sonntagnachmittags-Vorstellungen steht eine kostenlose Kinderbetreuung zur Verfügung! Alle von 3 bis 10 Jahren sind willkommen. Anmeldung bis spätestens 4 Tage vor der jeweiligen Sonntagsnachmittags-Vorstellung unter info@tagesvater.at