„Wenn Sie sich dafür interessieren“

„Wenn Sie sich dafür interessieren“

"Heldenplatz" (Foto: Karelly Lamprecht)

Es gibt mindestens zwei Arten ein Drama zu inszenieren. Einmal, als versuche man in die Zeit einzutauchen, in der es geschrieben wurde, oder zum anderen so, als würde es gerade brandaktuell geschrieben worden sein. Franz-Xaver Mayr, Jungregisseur, aber bereits an Bühnen wie dem Burgtheater, dem Schauspielhaus Wien oder dem Theater Basel – um nur die größeren zu nennen – tätig, schafft beides zugleich. Seine Interpretation vom „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard am Schauspielhaus in Graz bleibt in der Zeit seiner Entstehung, den 80-er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, aber mit zwei Regie-Ideen holt er das Stück in unsere Gegenwart.

Die Geschichte um die jüdische Familie eines Mathematikprofessors, der sich wegen der politischen Zustände und dem wiederaufkeimenden Antisemitismus in Wien aus seiner Wohnung in den Tod stürzt, ist in vielen Aussagen aktueller als aktuell. Mayr hebt einige dieser Passagen mithilfe eines Biedermann- und Biederfrau-Chores hervor. Dabei erscheinen Bernhards Tiraden wie jene gegen die Politik, die Fehlbesetzungen an den Hochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg und gegen die österreichische Zeitungslandschaft, als hätte er sie für unsere Tage verfasst. Die Idee des Chores funktioniert vor allem deswegen so gut, weil die Hoffnungslosigkeit, die Bösartigkeit, die Beschimpfungen oder die Trostlosigkeit, die in den Texten transportiert werden, keiner einzelnen Person zugeschrieben werden, sondern weil man sie gut als „Stimme des Volkes“ interpretieren kann. Einem Volk, das schon zu Beginn aus einer Loge seinen Unmut über das Bernhard-Stück kundtut Einem Volk, das streckenweise zu stillen Beobachtern degradiert wird, letztlich aber eine tödliche Bedrohung darstellt.

Die zweite Idee, Bernhard aktuell zu inszenieren, geht mit dem mehrfach gestellten Angebot einher: „Wenn Sie sich dafür interessieren!“ Sarah Sophia Meyer macht dieses Angebot dem Publikum schon kurz nach Beginn, nachdem sie das Setting der Uraufführung an der Burg erklärte und den Sturm der Entrüstung, der schon im Vorfeld der Premiere ausgelöst wurde. Ganz einer allumfassenden, literarisch- und sozio-kulturellen Aufklärung verpflichtet, zitiert und verweist sie auf Sekundärliteratur, die das Werk von Bernhard von vielen unterschiedlichen Seiten her beleuchtet. Mit diesem Regieeinfall wird auch klar: Wir befinden uns hier in der post-Bernhard-Ära, in der es nicht mehr nur reicht, seine Stücke nachzuspielen. Vielmehr ist in den Jahren seit der Uraufführung jede Menge an Erkenntnis hinzugewonnen worden, hat sich die politische Landschaft in Österreich verändert und können einige seiner Aussage ohne weiterführende Untersuchungen fehlinterpretiert werden. Fein wäre es gewesen, würden diese Literaturzitate auch im Programmheft auftauchen. Das hätte nicht nur eine schöne Verschränkung ergeben, sondern hätte einen zusätzlichen Mehrwert geboten.

Als dritte, zentrale Komponente, um die sich alles rankt, bleibt das Bernhard-Stück erhalten. Herausragend wird Frau Zittel, Haushälterin und Vertraute von Professor Schuster, von Florian Köhler dargestellt. In hellblauem, knielangem Kleid mit großer, weißer Plastikmasche und Perlenkette versehen, mach diese Besetzung vor allem deswegen Sinn, weil es Köhler mit Leichtigkeit gelingt, von einer Sekunde in die andere in die Rolle des verstorbenen Hausherrn zu schlüpfen, der zu Lebzeiten ein Familientyrann war. Selbstredend, dass die Rückverwandlung in Frau Zittel genauso bravourös von einer Sekunde auf die andere gelingt. Mit der Barcarole (Liebesnacht-Duett) aus der Oper Hoffmanns Erzählungen verweist der Regisseur auch auf eine Liebesbeziehung zwischen Zittl und Professor Schuster und erklärt damit viele ihrer ambivalenten Aussagen über ihren ehemaligen Chef. Raphael Muff spielt das schüchterne Hausmädchen Herta, das sich nicht genug über die Lügen zu ihrer Abstammung wundern kann, die Zittl dem Professor aufgetischt hatte. Antizipierend, ganz auf die Wünsche von ihm zugeschnitten, hatte die Haushälterin die Biografie von Herta zurechtgebogen  – sozial so unterschichtig, dass einem der Atem dabei stockt.

Auch der Bruder des Professors, sowie eine seine Töchter besetzt Mayr mit dem jeweils anderen Geschlecht. Julia Franz Richter verkörpert  Prof. Robert Schuster. Sie gibt einen zarten, alten Mann, der sich aus dem Tagesgeschehen schon lange zurückgenommen hat, sich mit seiner Passivität jedoch nicht von der Anklage des Mitläufertums freisprechen lassen kann. Oliver Chomik schlüpft in die Rolle der wortkargen Tochter Olga, die den Redefluss ihrer Schwester Anna ( Evamaria Salcher) stoisch über sich ergehen lässt. Der Auftritt der Witwe in der letzten Szene wird pompös in Szene gesetzt und evoziert unweigerlich Lacher. Julia Gräfner erscheint in einem schwarzen Kostüm, mit einem Baldachin über ihrem Kopf, den sie selbst, an einer hohen Stange befestigt, über sich trägt. Herrlich, wie schlagartig dieses Kostüm von Michaela Flück all das transportiert, womit dieser Charakter von Bernhard ausgestattet wurde. Ihre Theatralik, welche von der Familie schwer auszuhalten ist, vermischt sich mit einer Trauer, die mehr aus Schein denn als Sein besteht. Die Wahnvorstellungen, unter welchen sie leidet, werden gekonnt visualisiert. Zu Beginn noch subtil –  nehmen die abstrakten Wandprojektionen gegen Ende hinzu an Intensität jedoch zu.

In einem gesonderten Einschub des Chores ist auf einem Transparent eine höchst satirisch-lyrische Zustandsbeschreibung der politischen 80-er-Jahre zu lesen: „In den Waldheimen und Haidern“ prangt aus der Menschengruppe hervor, die kleine, beleuchtet Modelle von Kirchen und alpenländischen Häusern in Händen hält. Aber auch ein Wimpel von Casino-Austria ist gut zu erkennen. Unschwer zu erraten, warum.

Der „Heldenplatz“ in Graz kommt, über 30 Jahre nach seiner Uraufführung, ganz ohne öffentliche Aufregung aus. Aber er zeigt drastisch auf, dass Thomas Bernhards Text nichts an Aktualität verloren hat, sondern geradezu prophetisch angelegt war.

Weitere Termine auf der Homepage des Schausielhaus Graz. https://www.schauspielhaus-graz.com/

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Elisabeth Ritonja

„Fatoumata Diawara“
Im Festspielhaus in St. Pölten brodelte es gewaltig. Fatoumata Diawara – preisgekrönte Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin, geboren in Mali und seit vielen Jahren in Paris zuhause – rockte das Publikum im Saal und holte es im wahrsten Sinne des Wortes von seinen Sesseln aufs Parkett.
„Do you wanna dance?“ – Diesem Aufruf folgten knapp 1000 begeisterte Zuseherinnen und Zuseher nach über einer Stunde Konzert mit Stillsitzen. „Do not think so much, just hear to your heart“, rief sie mehrfach in den Saal und schon verwandelte sich der Zuschauerraum in einen dancefloor.
Wenige Tage zuvor war Diawara bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles aufgetreten. Zwar verfehlte die nominierte Sängerin einen Preis, schrieb aber in ihrem Facebook-Post, dass es zwar dieses Mal nicht geklappt hätte, dass sie sich aber – inshalhah – nächstes Mal einen Grammy abholen würde.

An Selbstbewusstsein mangelt es der 37-jährigen, afrikanischen Musikikone nicht. Und davon braucht sie auch mehr als genug in ihrem Business. Ausgestattet mit einer Stimme, die vom rauchigen Alt bis zu einem hellen, klaren Sopran alles bereithält, begleitet sie sich bei ihren Auftritten selbst auf der E-Gitarre. Einem Instrument, das nach wie vor auf den Bühnen der Welt hauptsächlich von Männern gespielt wird.

Mit ihren vier Musikern, Yacouba Kone an der Gitarre, Sekou Bah am Bass, Jean Baptiste Gbadoe an den drums und Arecio Smith am Keyboard lieferte sie eine Bühnenshow, in der sich musikalisch ihre afrikanischen Wurzeln mit westlicher Rock-, Pop- und Folktradition vermischen. Einige Texterklärungen, die Fatou – wie sie ihre Freunde nennen –  dem Publikum auf Englisch anbot, wurden dankbar aufgenommen, verwendet die Sängerin in ihren Liedern doch ihre Muttersprache Bambara. Das Recht auf Bildung, zur Schule zu gehen, das Recht auf ein glückliches Leben werden darin genauso angesprochen wie kulturelle, afrikanische Traditionen. „Essen, Musik, Feste feiern gehören dazu. Musikinstrumente, die viele Jahrhunderte alt sind auch. Darauf können wir stolz sein!“, stärkt Diawara auch das Selbstbewusstsein ihrer eigenen Landsleute und versucht gleichzeitig, Afrika bei ihren Konzertauftritten in einem anderen Licht zu präsentieren als nur in jenem von Horror-Schlagzeilen.
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„Fatoumata Diawara“ bei ihrem Auftritt im Festspielhaus St. Pölten (Fotos: ECN)
Neben rhythmisch mitreißenden Rockballaden waren es vor allem ihre Solo-Auftritte, in welchen sie mit ihrer Stimme und eigener Gitarren-Begleitung das Publikum verzauberte. Dabei gelang ihr die Mischung zwischen traditionellen, afrikanischen, musikalischen Formvorgaben und einer eigenen, lyrisch-rockigen Interpretation besonders gut. Zu sehen, wie sehr sie dabei in ihren Gitarrensoli versinkt und sich Zufriedenheit und tief empfundene Freude in ihrem Gesicht widerspiegelt, war einfach zauberhaft.

Ihr Bühnenoutfit – eine modern gestylte Variante traditioneller, afrikanischer Roben – gehört ebenso zu ihrem Markenzeichen wie ihre muschelverzierten Dreadlocks. Auch darin äußert sich die Grenzüberschreitung dieser Künstlerin, die mit ihrem neuen Album „Fenfo“, aus dem Tacks zu hören waren, weltweit ihr Publikum begeistert.

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Leider nicht nur ewig Gestriges

Leider nicht nur ewig Gestriges

Leider nicht nur ewig Gestriges

Elisabeth Ritonja

 

„Chikago“ wortwiege wien (Foto: Christian Mair)

29.

Oktober 2018

EEs ist eine kunstvolle Geschichte, die Theodora Bauer da geschrieben hat. So kunstvoll, dass einem das Kunstvolle daran auf den ersten Blick gar nicht auffällt. „Schuld“ daran ist vor allem auch die Sprache, die ganz wider Erwarten Vergangenes, wie in der Hochliteratur üblich, nicht im Praeterium, sondern im Perfekt wiedergibt. Jener Zeitform also, die in Österreich im täglichen Sprachgebrauch verwendet wird, wenn von Zurückliegendem gesprochen wird.

Mit „Chikago“ – wohl gemerkt mit „k“ – einer Familiengeschichte, die im Burgenland beginnt, dann nach Amerika wechselt, um schließlich wieder im burgenländischen Ausgangsort zu enden, ist ihr dieses Kunststück gelungen. Mittlerweile wurde der Roman auch für zwei Preise nominiert. (Literaturpreis Alpha, Burgenland Buchpreis)

Die Wortwiege wien unter der Leitung von Anna Maria Krassnigg, die schon Bauers „Am Vorabend“ in diesem Sommer in der Thalhof wortwiege inszenierte, nahm sich des Romans an und präsentierte ihn nun in einem äußerst stimmigen Ambiente – der „Alten Bibliothek“ in der Grünangergasse 4, dem Sitz des Verbandes des Österreichischen Buchhandels. Die Premiere wurde am 26. Oktober – dem Österreichischen Nationalfeiertag – gespielt.

Als „szenische Lesung“ wird dieser Abend tituliert. Es ist eine eher trockene Bezeichnung, die nicht im Geringsten wiedergibt, was man dabei erlebt. Am ehesten könnte man diese spezielle theatrale Form als Zwitterwesen zwischen einer Theateraufführung und einer inszenierten Buchvorstellung beschreiben. Eine Buchvorstellung jedoch, in der nicht nur angeteasert, sondern der Plot bis zum Ende erzählt wird.

Anna Maria Krassnigg hat schon mehrfach dieses subtile Format mit Suchtfaktor gezeigt, das Theaterfreaks genauso begeistert wie Leserinnen und Leser mit geringerem Theaterbesuchswillen. Krassniggs Spezialität sind Abende in nicht-theatralen Räumen. Es sind gerade diese oftmals selten, oder bislang nicht bespielten Locations, die diesen Vorführungen ihren Reiz verleihen. Dabei sitzt das Publikum sehr nahe am Geschehen, manches Mal sogar mittendrin.

Krassnigg und Luka Vlatkovic schlüpfen in unterschiedliche Rollen und begleiten Nina C. Gabriel als „Anica“ durch ihre dramatische Familiengeschichte. Auf dem Holztisch, der die Bibliothek der Länge nach beinahe zur Gänze ausfüllt, sind alte Fotoalben ausgebreitet. Schnaps, Schwarzbrot, Äpfel und Kletzen (getrocknete Birnen) laden zu einem gemütlichen, familiären Beisammensein ein.

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„Chikago“ Luka Vlatkovic (Foto: Christian Mair)

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Theodora Baur (Foto: Paul Feuersänger)

Bauer erzählt, intelligent aufgebaut, von einer burgenländischen Familie mit zwei ungleichen Schwestern, von der eine bei der Geburt ihres Kindes stirbt. So, wie schon ihre Mutter zuvor an ihrer Geburt starb. Sie berichtet auch von einem zweiten Geschwisterpaar in Amerika, das – wie sich herausstellt – gar kein Geschwisterpaar ist und ebenso auf dramatische Weise getrennt wird. Und sie erzählt von einem jungen Mann, der mit seiner Tante von Amerika wieder ins Burgenland zurückkehrt und dort zu einem der ersten brutalen Nazis mutiert.

Dabei verwendet sie eine einfache Sprache mit starken Bildkomponenten, die einem das Gefühl vermitteln, bei allen Szenen unmittelbar dabei zu sein. Auf diese Weise wird man zu einer Art „erweiterter Familie“, die teilhaben darf an der Geschichte, die doch weit über eine simple Familienerzählung hinaus geht.

Wenn das Ensemble unprätentiös kleine, von innen beleuchtete Pumpkins auf den Tisch stellt und Vlatkovic auf dem Hackbrett „The Stars-Spangled Banner“ anspielt, weiß man, dass man die Überfahrt nach Amerika geschafft hat. Und als das Horst-Wessel-Lied erklingt, wenngleich auch nur zart auf den Hackbrettsaiten angetippt, wird klar, dass die Zeit des Nationalsozialismus im Burgenland angebrochen ist und großes Unheil über die Familie bringen wird.

Neben den familiären Verstrickungen, in denen sich zeigt, wie sehr sich die Geschichte von Blutsverwandten in den nachfolgenden Generationen wiederholen kann, erklärt sie am Beispiel des jungen Jo – Josip oder Josef – wie es skrupellosen Regieschergen gelingt, junge Männer zu rekrutieren und sie zur Unmenschlichkeit umzupolen.

Von ersten, unbeholfenen Liebesanbahnungen bis hin zu hoch emotionalen Ausbrüchen darf Vlatkovic die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen darstellen und dabei seine große Klasse zeigen. Gabriel agiert als Bindeglied zwischen den Generationen.

Dabei reicht ihre unglaublich beredte Mimik völlig aus, den Charakter der Anica in allen Höhen und Tiefen plausibel zu verkörpern. Dass die Regisseurin und Theatermacherin Anna Maria Krassnigg selbst als Schauspielerin in drei unterschiedlichen Rollen agiert, ist nicht ganz ein Novum. Nur wenige dürften wissen, dass sie vor ihrer Ausbildung und Karriere als Regisseurin und Professorin am Max Reinhardt Seminar spielte.

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„Chikago“ – Nina Gabriel, Anna Maria Krassnigg, Luka Vlatkovic (Fotos: Christian Mair)

Dass der Abend dem Publikum extrem unter die Haut geht mag wohl auch damit zusammenhängen, dass er so viele Parallelen zur Gegenwart aufweist, dass einem dabei schwindelig werden könnte. Das Erkennen, dass Bauers Roman nicht nur von ewig Gestrigem berichtet, ist harter Tobak.

Mit der ersten Produktion der Reihe „Szene Österreich“, in der Krassnigg junge Autorinnen und Autoren präsentieren möchte, hat sie sich die Latte sehr hoch gelegt.

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Unterm Feinripp brodelt es gewaltig

Unterm Feinripp brodelt es gewaltig

Unterm Feinripp brodelt es gewaltig

Von Michaela Preiner

„Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ (Foto: Gerhard Breitwieser)
31.
Mai 2018
Es fängt harmlos an. Sie kommen in Feinrippleibchen und ebensolchen Unterhosen auf die Bühne. Blütenweiß, versteht sich. Bald schon nesteln ihre Hände lässig am Unterhosenbund, kurz darauf verschränken sie ihre Arme vor ihren Heldenbrüsten.
Wenn da nicht die ständig tänzelnden Beine wären, könnte man meinen, eine rein Testosteron gesteuerte Machogruppe vor sich zu haben. Aber Martin Gruber, Chef des aktionstheater ensembles, verlangt von seinen Männern mehr als nur stereotypes Hormon-Gehabe.
In der neuen Produktion „Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ des Kult-Ensembles aus Vorarlberg beschäftigt er sich nicht zum ersten Mal mit dem Phänomen Mann. Schon in „Angry young men“ wurde dieses Thema ausgelotet, wenngleich mit einem anderen Schwerpunkt. Damals trugen die Jungs samt und sonders Schwarz und stellten das Martialische in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Dieses Mal geht es viel stärker um Emotionen, die von Männern gerne versteckt werden. Obwohl es nicht viele Männerklischees gibt, die an diesem Abend ausgelassen werden, ist doch nichts so eindeutig, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint.

Da gibt es das Mama-Söhnchen (Peter Pertusini), das darunter leidet, dass seine Mutter seine väterliche Familienlinie schlecht redet. Dann den aggressiven Frauenverbraucher (Fabian Schiffkorn), der nicht versteht, warum er Stress mit Sitzengelassenen bekommt.

Dass ein Mann auch Angst haben darf, offenbart Andreas Jähnert gleich in der ersten Szene. Die Eingangstür zu seiner Wohnung, die er gerne mit so einem „eckigen Ding“ absichern möchte, bräuchte man nur antippen, schon könne man ihn ungehindert im Bett meucheln. Sein Bruder Sascha wiederum versucht alle, vor allem aber die Frauen zu verstehen. Er findet sie deshalb spannend, weil er mit ihnen ständig seinen eigenen Horizont erweitern kann.

Thomas Kolle beherrscht auf weiten Strecken das Bühnengeschehen als Prügelknabe. Wer meint, Prügelknaben könnten nichts beherrschen, wird an diesem Abend eines Besseren belehrt. Denn während sich seine Kollegen mit Schlägen an ihm abreagieren, liegt er am Boden und schaut lächelnd ins Publikum. Macht haben nur die, denen man Macht gibt und die bleibt in dieser Szene eindeutig bei Thomas.

Benjamin Vanyek wiederum steht außen vor. Bei allem und jedem. Er ist der personifizierte Verweigerer und bringt alleine deswegen den einen oder anderen der Truppe auf die Palme. „Du musst doch für etwas sein“, bekommt er dabei zu hören, ist sich selbst jedoch als Minuszahl im Gerangel um das ewige Schneller, Höher, Weiter völlig genug.

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„Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ (Foto: Stefan Hauer)

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„Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ (Foto: Gerhard Breitwieser)
Die Texte, die von Elias Hirschl, Wolfgang Mörth, Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble selbst stammen, werden häufig an späterer Stelle relativiert oder sogar sinngemäß ganz aufgehoben. Die Weisheit, dass es nur Schwarz im Leben genauso wenig gibt wie nur Weiß, wird dabei subtil vermittelt.

Die Farbschattierung der Männer-Befindlichkeiten, zumindest jene, die nach außen projiziert wird, liegt irgendwo dazwischen. Den starken Mann, den, der jederzeit mit Hammer und Bohrmaschine aushilft, den emphatischen, aber auch den, der immer weiß, wo es lang geht, sucht man in dieser Inszenierung vergebens. Aggressiv sind sie alle aber samt und sonders, ihr Konkurrenzkampf beginnt schon beim Joggen an der Ampel, wenn sie andere Männer sehen. Zu den Unbillen, die ein Männerleben zu ertragen hat, kommen noch weitere in der Form von Albträumen.

Einzelne, fein geschliffene Textpassagen freuen hingegen die, die philosophie- oder auch sprachaffin sind. Wie zum Beispiel jene, in welcher sich Benjamin gegen den Zirkelschluss behaupten muss, Kickl wäre ausgerechnet wegen ihm Innenminister geworden.

Die Demontage des gängigen Manns-Bildes geht so weit, dass im finalen Auftritt alle weiße Cheerleader-Pompons im Gleichklang schwingen – bis auch da das zackig Männliche sich letztlich step by step Bahn bricht.

Nadine Abado unterfüttert das Geschehen mit einigen Ohrwürmern. Ob rockig oder im Stil einer Ballade – die aus Wien stammende Künstlerin, die im Herbst ihr erstes Album herausbringt, darf zeigen, was sie kann. Und das ist beeindruckend. Claudia Virginia steuert, wie schon in vorigen Produktionen, projizierte Schmetterlinge auf schwarzen Fahnen und einen brüllenden Panther bei. Oder ist es nur eine Prothese tragende Dogge?

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„Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ (Fotos: Stefan Hauer)

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„Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ (Foto: Gerhard Breitwieser)
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„Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ (Fotos: Stefan Hauer)

„Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ könnte im realen Leben tatsächlich wunderbar sein und auch Wunder bewirken. Wenn das, was auf der Bühne des Theater Kosmos in Bregenz verhandelt wurde – ein offener Umgang mit den eigenen Schwächen – auch tatsächlich gelebt würde. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Die Aufführungsserie in Wien findet dieses Mal im Kosmos-Theater statt und beginnt am 13. Juni. Infos auf der Homepage.

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Wichtig ist es, ein Mensch zu sein

Wichtig ist es, ein Mensch zu sein

„DI_VER*SE“ in Wien im KosmosTheater (Foto: Caro Stark)

s beginnt wie in Frankensteins Schloss. Hinter einem Vorhang verpasst ein Arzt einem kleinen Wesen, gerade auf die Welt gekommen, einen chirurgischen Eingriff. Dieser soll das Geschlecht, das nach der Geburt nicht eindeutig zuzuordnen war, ein für alle Mal festlegen. Das Publikum wird durch die dunklen Schatten hinter dem Vorhang Zeuge dieses grausigen Geschehens.

Was sich nach einem dramaturgischen, frühen Höhepunkt einer Theaterstückes anhört, der die Zusehenden fesseln soll, ist leider auch heute noch für viele Menschen Realität. Rund 1,7% der Neugeborenen sind keinem Geschlecht zuzuordnen und – wenn sie Glück haben – bleibt es erst einmal dabei. Haben sie Pech, passiert, was bereits eingangs beschrieben wurde.

dieheroldfliri“ aus Vorarlberg, gegründet von Barbara Herold und Maria Fliri, nahmen sich des Themas Geschlechterdiversität an und zeigten ihr Stück „DI_VER*SE“ in Wien im KosmosTheater. Der sperrige Titel verrät schon viel über das Thema an sich. Denn entgegen herkömmlichen Meinungen von hetero-ausgerichteten Menschen gibt es über diese Geschlechtszuordnung noch andere, die als Transsexuelle und Inter-Personen eine Begrifflichkeit erfahren haben. Daneben gibt es auch Menschen mit einer queeren Identitätszuschreibung. Die begrifflichen Zuweisungen sind nicht unumstritten, auch nicht innerhalb der einzelnen Gruppen, aber was viele eint: Das Empfinden ihrer Geschlechtlichkeit bringt zumindest für eine gewisse Zeit in ihrem Leben eine Menge Leid mit sich.

Herold erarbeitete den Text ausschließlich mit betroffenen Menschen und machte darin klar, dass das Erkennen und richtige Benennen der eigenen Geschlechtlichkeit oft Jahre dauern kann und die Gesellschaft dabei einen enormen Druck ausübt. Drei Männer, die in Frauenkörpern geboren wurden und drei Frauen, die in Männerkörpern leben, lieferten Statements ab, die gekonnt zu einer flüssigen Theaterproduktion verarbeitet wurden. Dabei ist die Aufklärung über die verschiedenen Spielarten des menschlichen Geschlechts ein Hauptcharakteristikum des Stückes. Dass dies nicht biertrocken geschieht, ist auch der Regie von Barbara Herold zuzuschreiben.

Zugleich darf man sich auch jene Fragen stellen, die den Bereich der gesellschaftlichen Rollenmodelle betrifft. Was ist so stark mit den Attributen von männlichem und weiblichem Geschlecht konnotiert, dass ein Abweichen davon beinahe unmöglich erscheint? Wie im Falle jener Menschen, die unter allen Umständen eine Geschlechtsumwandlung an sich durchführen lassen wollen, ja müssen, weil dieser Wunsch für sie alles andere in den Hintergrund stellt. Aber es stellt sich auch die Frage, warum die Gesellschaft Menschen derart ablehnend gegenübertritt, die nicht ihrem eigenen Rollenverständnis entsprechen. Alle diese Fragen werden im Stück zumindest angeschnitten, weitergedacht und hinterfragt muss vieles jedoch nach der Aufführung selbst werden.

Maria Fliri, Peter Bocek und Helga Pedross schlüpfen in männlich-weibliche und weiblich-männliche Rollen mit fließenden Übergängen und berichten von ihren unterschiedlichen Erlebnissen mit sich und der Gesellschaft. Manches dabei gerät auch komisch, wie die Ansage: „Ich hasse Formulare: Mann oder Frau. Manchmal gibt es eine dritte Möglichkeit. Ob ich Firma ankreuzen soll?“ Die Erzählstränge werden in die Rahmenhandlung des „kleinen Ich-bin-Ich“ von Mira Lobe eingebunden. Eine höchst charmante Idee, lässt doch Lobe das Geschlecht des kleinen Wesens in ihrem Kinderbuchklassiker offen.

„Es ist nicht wichtig, eine Frau oder ein Mann zu sein. Wichtig ist es, ein Mensch zu sein.“ Diese Aussage von einem Betroffenen bringt auf den Punkt, was auch das Theaterstück zu vermitteln versucht.

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