Eine spannende Mischung

Eine spannende Mischung

Bouchra Ouizguen ist seit einigen Jahren im Tournee-Plan von Kooperationspartnern des zeitgenössischen Tanzes anzutreffen. Frankreich und Belgien spielen dabei eine herausragende Rolle; die Idee, Produktionen länderübergreifend zu unterstützen, findet aber auch gerade im Festival-Business hierzulande immer mehr Zuspruch.

Obwohl sie mittlerweile ihre siebente Produktion auf die Beine gestellt hat, ist sie doch eine Grenzgängerin im zeitgenössischen Tanzgeschehen. In Interviews erzählt sie immer wieder, dass weder sie noch ihre Tänzerinnen eine dementsprechende Ausbildung genossen hätten. Das, was ihre Arbeit auszeichnet, oder vielmehr der Beginn ihrer Arbeit zu diesem Projekt, ist das Aufspüren von Menschen, die noch tradierte Lied- und Tanzformen beherrschen.

In „Elephant“ hat sich Ouizguen zum Ziel gesetzt, marokkanischen Tanz und Musik auf die Bühne zu holen, um sie dem Vergessen und Verschwinden zu entreißen. Als Metapher hat sie sich dafür den Elefanten auserkoren, der eine bedrohte Tierart ist und vielleicht im kommenden Jahrhundert schon ausgestorben sein wird.

Mit drei weiteren Protagonistinnen – einer jüngeren und zwei älteren Frauen, die schon mit Ouizguen zusammengearbeitet haben, präsentierte sie im Programm der Wiener Festwochen im Odeon das Ergebnis ihrer musikalischen und tänzerischen Spurensuche. Das gefundene Material wird bei ihr intuitiv-kreativ zu einem einstündigen Stück verarbeitet. Einem Stück, das nicht nur Traditionelles aufzeigt, sondern dieses Traditionelle in einen neuen Mantel hüllt.

Bevor jedoch ihr Spektakel tänzerisch beginnt, wird erst einmal der Bühnenboden von zwei Frauen mit großen Bodenreibtüchern sauber geputzt. Danach kommen sie – ausgestattet nicht mehr wie Putzfrauen, sondern in Festgewand, mit zwei weiteren Tänzerinnen auf die Bühne, um den Raum nun mithilfe von Weihrauch zu reinigen. Hier wird klar, dass sich das, was gezeigt werden wird, zum Teil im rituellen Bereich abspielt. Und tatsächlich erscheint ein tanzendes Wesen mit einer bunten Kopfbedeckung, die rundum mit hellen Bastschnüren bestückt ist. Bald schon wirbelt es quer durch den Raum.

Anders als ganz zu Beginn kommt die Musik jetzt nicht vom Band. Nun sind es die Frauen selbst, die auf der Bühne live singen. Vielstrophige Litaneien bilden das Hauptkonvolut des musikalischen Geschehens. Sie finden, von einer Vorsängerin ausgehend, ihren Widerhall bei den anderen und werden von ihnen gleichzeitig mithilfe von Djenbes, kleinen Bongotrommeln, rhythmisiert. Dieses musikalische Setting bleibt die ganze Aufführung über so, die einzelnen getanzten Szenen jedoch verändern sich. Man wird Zeuge einer solistischen Einlage, vorgeführt von der jüngsten Frau, die, aufgepeitscht von der Musik, die immer schneller wird, erschöpft zusammenbricht. Aber die Frauen treten auch in einer beeindruckenden Gruppenchoreografie auf.

Sie bildet den künstlerischen Höhepunkt der Performance. Als Kontakt-Improvisation angelegt, ist sie jedoch alles andere als improvisiert. Nachdem zuvor Kleidungsstücke ins Off gezogen wurden – was als eindringliche Metapher vom menschlichen Ableben verstanden werden kann, und die Frauen eine Klagelitanei anstimmten, gruppieren sich die drei Tänzerinnen zu einem einzigen Organismus. Sie bewegen ihn in immer wieder neuen Kombinationen mithilfe von Hebetechniken durch den Saal. Dabei entsteht der Eindruck, dass sie einander in ihrer Trauer und ihrem Schmerz halten und niemals fallen lassen. Es ist dies eine hochemotionale und aussagekräftige Szene. Zeigt sie doch Menschen in einer Ausnahmesituation, die für sie nur durch gegenseitigen Zusammenhalt zu bewältigen ist. Wie sie sich miteinander verbinden, sich in die anderen fallen lassen, von ihnen gezogen oder geschoben werden, wie sie in ihrem laut artikulierten Schmerz dennoch nicht zu Boden gehen, sondern sich immer und immer wieder gegenseitig stützen und halten, ist auch in höchstem Grade metaphorisch zu lesen.

Die Mischung aus tradierter Musik und neuer Choreografie erscheint in diesem Moment nicht aufgesetzt, sondern ganz natürlich. Sie versetzt das Publikum in die Lage, weit über das tänzerische Geschehen hinauszudenken. Dass sich dabei die Arbeit von Bouchra Ouizguen beinahe automatisch in einem größeren, kulturhistorischen Kontext, wiederfindet, macht ihr Werk auch für andere Disziplinen wie der Musikwissenschaft, der Kulturanthropologie oder der Soziologie interessant.

Alles schon da gewesen und doch viel Neues

Alles schon da gewesen und doch viel Neues

Michael Köhlmeier wurde im deutschsprachigen Raum nicht nur durch seine Romane bekannt, sondern hauptsächlich durch seine persönlich gefärbten Erzählungen über die griechische Mythologie. Das Schauspielhaus in Graz hat ihn zu einer Lesung zu ebendiesem Thema eingeladen. Der Autor und Multikreative, sogar Liedtexte und Kompositionen stammen aus seiner Feder, erzählte über die Entstehung der griechischen Götter und deren Welt im Olymp bis hin zur Erschaffung der Menschheit und den Beginn des Trojanischen Krieges.

Wer seine CDs zu dem Thema kennt, die er vor nun schon über 20 Jahren aufgenommen hat, mag vielleicht etwas überrascht gewesen sein. Präsentierte Köhlmeier die griechische Mythologie in höchst launigem Plauderton, mit vielen Finessen, die einen guten Erzähler ausmachen. Mit wenigen Worten gelangen ihm dabei sehr lebendige Charakterisierungen der Götter und Menschen, die er zuweilen auch mit einem für diese typischen Habitus veranschaulichte. Dass er Zeus als besonders guten Liebhaber bezeichnete, ständig auf neue Abenteuer aus, war auf der Hand liegend und über Jahrtausende tradiert. Peleus, den späteren Gatten der Meeresnymphe Thetis, kennzeichnete er jedoch mit dem Hinweis, dass dieser sehr gerne „jawoll!“ sagte. Während das Publikum darüber schmunzelte, wusste es noch nicht, dass es an späterer Stelle dankbar für dieses „Jawoll“ sein würde. Zu jenem Zeitpunkt nämlich, als nach unzähligen Götteraufzählungen sein Name wieder fiel und das große Grübeln begann, wer denn dieser Peleus jetzt doch gewesen sei. „Sie erinnern sich, das ist der, der immer jawoll sagte“, half Köhlmeier so manchem Gedächtnis elegant auf die Sprünge. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie gut er sein erzählerisches Handwerk versteht.

Entlang der Göttergenese erfuhr man wie nebenbei auch allerlei kulturhistorisch Interessantes, wie die Erfindung der Gitarre durch Hermes, der dies Kunststück schon als Säugling an seinem ersten Lebenstag zustande gebracht hatte. Hörbar erstaunt waren die Zuhörenden auch, als sie erfuhren, dass die bildenden Künstler bei der Darstellung von Leda und dem Schwan schlichtweg „gelogen“ haben. Hatte Leda während der Vereinigung mit Zeus doch die Gestalt einer Gans angenommen, was aber auf den Gemälden nicht zu sehen ist. Über die Konservierungskraft göttlichen Achselschweißes durfte man ebenso stauenden wie über eine originelle Verstellungs-Aktion von Odysseus, der hoffte, damit nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Die Feststellung, dass er damit der erste Wehrdienstverweigerer der Geschichte war, fand, wie so viele andere humorige Vergleiche, beim Publikum großen Anklang.

Neben all den zum Teil mäandernden Lebensläufen und Begebenheiten teilte der Autor auch seine persönlichen Gedanken über die Entstehung dieser Mythologie. Er verwies darauf, dass dieses Erzählen von Geschichten, das von Generation zu Generation stattfand, begann, als es noch keine rechtsstaatlichen Gefüge gab. Interessant war auch seine Idee, dass diese Erzählungen Menschen auch von einer Last befreien konnte. Zu erfahren, dass man mit seinem Schicksal nicht einmalig in dieser Welt ist, dass es Handlungen wie Mord und Totschlag, Ehebruch und Verrat oder Charaktereigenschaften wie Feigheit und Überheblichkeit, überbordender Zorn und Eitelkeit und all das daraus resultierende Leid immer schon gegeben hat, bedeutete für viele Menschen eine erleichternde Erkenntnis.

Die Idee, sich in Graz mit Michael Köhlmeier jemanden auf die Bühne zu holen, dessen Name über die Theaterszene hinaus eine Strahlkraft besitzt, wurde mit einem sehr gut verkauften Haus belohnt. Ein cleverer Schachzug in einer Zeit, in der das Publikum zum Teil das kulturelle Live-Angebot nach wie vor noch zögerlich annimmt.

(Foto: ©Udo Leitner)

Bei uns wird Geschichte lebendig

Bei uns wird Geschichte lebendig

Er sei Dr. Ignaz Semmelweis und nur ihm sei die Entdeckung der Ursache des Kindbettfiebers zu verdanken. Joseph Listers und Louis Pasteur hätten nur seine Entdeckung wesentlich später berühmt gemacht, ärgert sich der Wiederauferstandene in einer Suada ersten Ranges. Und schon befindet sich die erschrockene Gästegruppe mittendrin im Geschehen.

DER.SEMMELWEIS.REFLEX (Foto: Barbara Pálffy)

DER.SEMMELWEIS.REFLEX vom ‚das.bernhard.ensemble‘ ist die neueste Inszenierung von Ernst Kurt Weigel, ausgestattet mit einer fulminanten Choreografie von Leonie Wahl. Zu Recht ist dem Stück die Kategorie ‚Ein Tanz.Schau.Spiel‘ vom Ensemble zugeordnet, denn von allem drei gibt es reichlich.

Vorweg jedoch ein Wikipedia-Auszug, der das Themenfeld der Inszenierung sehr anschaulich wiedergibt.

„Als Semmelweis-Reflex wird die Vorstellung beschrieben, dass das wissenschaftliche Establishment eine neue Entdeckung quasi „reflexhaft“ ohne ausreichende Überprüfung erst einmal ablehne und den Urheber eher bekämpfe als unterstütze, wenn sie weit verbreiteten Normen oder Überzeugungen widerspricht. Namensgebend für diesen Begriff ist die Entdeckung der Bedeutung der Hygiene durch den ungarischen Chirurgen und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis.

In einigen Fällen hatten Innovationen in der Wissenschaft eher eine Bestrafung als eine entsprechende Honorierung zur Folge, weil jene Innovationen etablierten Paradigmen und Verhaltensmustern entgegenstanden. Die Begriffsbildung wurde vom amerikanischen Autor Robert Anton Wilson (1932–2007) geprägt und nach dem ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis (1818–1865) benannt.

Semmelweis führte das gehäufte Auftreten des Kindbettfiebers, einer der Hauptursachen für die hohe Sterblichkeit von Müttern nach der Entbindung, auf mangelnde Hygiene bei Ärzten und Krankenhauspersonal zurück und bemühte sich, Hygienevorschriften einzuführen. Seine Studie von 1847/48 gilt heute als erster praktischer Fall von evidenzbasierter Medizin in Österreich. Zu seinen Lebzeiten wurden seine Erkenntnisse jedoch nicht anerkannt und von vielen Kollegen, besonders aber von Vorgesetzten als „spekulativer Unfug“ abgelehnt. Erst nach den Arbeiten Joseph Listers (1827–1912) im Bereich der Antiseptischen Medizin wurden die Zusammenhänge zwischen fehlenden Desinfektionsmaßnahmen, Bakterieninfektionen und Kindbettfieber klar.“

Nach einer Kurzeinführung in besagter „Leichenhalle“ siedelt Weigel das Geschehen im Allgemeinen Krankenhaus Wien an, genauer an der geburtshilflichen Abteilung, an der Semmelweis nach seinem Studium zu arbeiten begann. Gerald Walsberger verkörpert den aus Ungarn stammenden Arzt, der Abertausende Frauen schon in seiner Generation retten hätte können. Hätte – wäre seine Entdeckung, die Übertragung von Viren auf die Gebärenden durch die Hände der Ärzte, von der Kollegenschaft ernst genommen worden.

Kajetan Dick gib seinen ersten – aber bei Weitem nicht einzigen Widersacher – Prof. Klein, der seinem jungen Assistenzarzt bezüglich seiner Hygiene-Erkenntnisse kein Wort glauben will. Die beiden Charaktere könnten besser nicht besetzt sein. Das unglaubliche Komödiantentum von Dick, das einen Höhepunkt in einem Dauerlauf rund um die Bühne erfährt, während er dabei beständig jubiliert, dass er nun auf den Semmering auf Urlaub fahre, reibt sich wunderbar an der Zwanghaftigkeit, mit welcher Walsberger den unaufhörlichen Wissensdrang von Semmelweis verdeutlicht.

Es sind psychologisch gut nachvollziehbare Momente, wie jener, in dem Semmelweis sich sein Hirn zermartert, als er über die Entstehung des Kindbettfiebers nachdenkt, die das Stück so lebhaft machen. „Denk nach Semmelweis, denk nach!“ – wiederholt Walsberger immer wieder, schon fast manisch, und schlägt sich dabei auf seinen Kopf. Wer hat nicht schon die Lösung eines Problems aus seinem eigenen Gehirn herauspressen wollen? Immer wieder werden aber auch Szenen voller Spannung bis hin zum Horror so mit Humor gewürzt, dass sie verdaulich bleiben. Wenn Dick als Anatomielehrer von einem Studenten mehrfach mit dessen verunreinigtem Skalpell geschnitten wird, bleibt einem jedes Mal kurz die Luft weg, weil man das tragische Ende vorausahnt.

Leonie Wahl, Yvonne Brandstetter und Sophie Resch spielen berauschend intensiv zum einen Studienkollegen von Semmelweis von der Med. Uni Wien, zum anderen verkörpern sie Gebärende, aber auch Krankenhauspersonal. Die Szenerie wechselt dabei meist nur lichttechnisch. Aus den anfänglichen Seziertischen werden später Krankenbetten, die auch für eine sehr außergewöhnliche Choreografie Verwendung finden. Dafür verbleibt das Ensemble auf den Tischen und bewegt sich ausschließlich auf ihnen. B.fleischmann steuert live den Soundtrack bei, der, begonnen vom Brahms´schen Gute-Nachtlied, bei dem einem Böses schwant, bis hin zu jazzigen Klängen ein riesiges musikalisches Spektrum aufweist. Pia Stross ist ein Kostümsetting gelungen, das trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Trashigkeit beeindruckt. Dass man Charaktere mit kleinen Frisurenattributen kennzeichnen kann, ist ein fulminanter Einfall!

Obwohl höchst artifiziell dargestellt, wird die Tragik der Frauen, die am Kindbettfieber starben, so intensiv nachspürbar, dass es einem die Kehle zuschnürt. Es ist nicht nur diese kreative Glanzleistung, sondern darüber hinaus auch der Umstand, dass es Weigel tatsächlich gelungen ist, ein Stück über einen Mann als feministische Glanznummer hinzustellen, der fasziniert. Er zeigt sowohl die Abhängigkeit der Gebärenden von den sie betreuenden Ärzten, zugleich aber auch die Stärke der Frauen und ihren unbändigen Lebenswillen. Er macht klar, wer zu Semmelweis‘ Zeiten – und wie wir wissen, nicht nur damals – die Hauptlast der familiären Aufgaben zu tragen hatte. Antipodisch setzt er die Götter in Weiß dagegen, die zwar tagtäglich mit dem Leid der Frauen konfrontiert sind, sich aber emotional davon völlig unbeeindruckt zeigen. Spürbar wird aber auch jenes Dilemma, in dem sich Semmelweis befindet, nachdem er entdeckt hat, dass er selbst und seine Kollegen bei vielen Gebärenden an deren Tod beteiligt war. Erkenntnis, gekoppelt mit Grauen und einer vermeintlichen Ausweglosigkeit wird im Folgenden zu einem schlüssigen Movens, das Walsberger eine breite Palette an Gefühlsmomenten an die Hand gibt, um Semmelweis in seiner ausweglosen Verzweiflung darzustellen. Zugleich liefert der Umstand aber auch die psychologische Begründung, alles in seinem Leben der Vermittlung seiner Erkenntnis unterzuordnen. Allen voran das eigene, persönliche Wohlergehen.

Die Lebensgeschichte von Semmelweis wird in dieser Inszenierung bis zu ihrem bitteren Ende durchexerziert. Einem gewaltsamen Ende, von dem man nicht genau weiß, wie es dazu kam. „Geschichte wird lebendig“, dieses Eingangsstatement bleibt in dieser Aufführung Programm. Dass Weigel mit diesem Stück einen Zeitgeist getroffen hat, der sich angesichts der Pandemie tatsächlich auf breiter Front wieder mit dem großen Fragenkomplex von naturwissenschaftlichem Wissen und Nichtwissen beschäftigt, mag eine Seite des Erfolges sein. Bislang waren alle Aufführungen ausverkauft. Die Art und Weise der theatralischen Umsetzung ist der weitere Erfolgspfeiler. Intensives Theaterspiel, ganz nah am Publikum, unerwartete Handlungsvolten, spritzig-witzige Dialoge und meisterhaft aufgebaute, hoch emotionale Augenblicke – all das sind weitere Zutaten zu diesem geglückten Theaterabend.

Es ist zu hoffen, dass DER.SEMMELWEIS.REFLEX nach seinem ersten Spieldurchgang eine Wiederaufnahme erfährt und noch wesentlich mehr Personen mit dem Theater-Virus der Subvariante bernhard.ensemble infiziert.

 

Die Revolution fraß ihre Kinder

Die Revolution fraß ihre Kinder

Die Revolution fraß ihre Kinder

Die Revolution fraß ihre Kinder

Elisabeth Ritonja

Dantons-Tod (Foto: Andrea Klem)
„Dantons Tod. Narren, Schurken, Engel“ – hatte in den Kasematten in Wiener Neustadt Premiere. Die „wortwiege“ bespielt den revitalisierten Renaissance-Bau bereits zum zweiten Mal mit ihrem Festival „Bloody Crown“.
Das Festivalmotto ist Programm, sucht doch die künstlerische Leiterin, Anna Maria Krassnigg, die Stücke passgenau für die Orte aus, an denen sie aufgeführt werden. Der Verteidigungsbau unweit des Bahnhofes trägt den Flair von „the rise and fall of power“ in sich und ist bestens geeignet, mit Themen bespielt zu werden, die sich mit Macht beschäftigen.

Georg Büchners Revolutionsdrama wird in einer Fassung der Theatermacherin gespielt, die gemeinsam mit Jérôme Junod auch für die Regie verantwortlich zeichnet. Charakteristisch ist die radikale Reduzierung auf die wichtigsten Figuren: Danton, sein Gegenspieler Robespierre, dessen unbarmherziger Adjutant Saint-Juste sowie Camille Desmoulins – Dantons getreuer Freund.

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Dantons Tod – (Foto: Andrea Klem)
Die ausschließlich weibliche Besetzung hat das Kunststück zu meistern, neben diesen Wahnsinns-Charakteren auch in Frauenrollen zu schlüpfen. Die Wandlung dazu geschieht meist nur innerhalb von wenigen Augenblicken.

Einzig Isabella Wolf bleibt ausschließlich in der Rolle des unnahbaren, behandschuhten Robespierre, der die Fäden in einem elitär anmutenden Club hinter seinen Turntables zieht. Unnahbar, emotionslos und unbestechlich wie er zu sein scheint, sind für ihn Menschen nur dann nicht der Guillotine zu übergeben, wenn sie nicht nur pro-republikanisch, sondern vor allem auch lasterlos sind. Mit einer kurzen verbalen Entgleisung seiner volltrunkenen Stimme beim Befehl, Danton aus dem Kerker zum Schafott zu bringen, entlarvt das Regieduo dieses Ideal als unhaltbar. Wolfs Robespierre wirkt mondän vergeistigt und weicht keinen Millimeter von seinem vermeintlich geraden Weg auf dem langen Catwalk durch die Röhre des Spielraumes ab. Nicht fassbar, beinahe geschlechtslos, aber von einer alles überragenden Gestalt (Schuhe und ein hoher Zylinder helfen dabei kräftig), gibt Wolf diesem Geschichtstitan eine erinnerungswürdige Erscheinung.

Durch die Rollenkonzentration wird in der Inszenierung tatsächlich verstärkt das Augenmerk auf jene Frauen gelenkt, welche die Revolutionsmänner begleiteten. Nina C. Gabriel verkörpert nicht nur einen desillusionierten Danton, der seine Männlichkeit auch im Bordell ausleben muss und dessen brillanter Geist und seine Gewissensbisse ihn am Ende seines Lebens gehörig zusetzen. Ihr häufiger Rollentausch zwischen seiner Frau Julie und Danton ist mehr als beeindruckend. Die Zartheit von Julie steht in grellem Kontrast zu ihrem Mann, der sich stimmgewaltig gegen seine Verurteilung vor dem Wohlfahrtsausschuss zur Wehr setzt. Ein Highlight in ihrer Performance ist auch jene Szene, in welcher Danton Robespierre philosophisch den Gottesbeweis zunichtemacht. Jeder Satz ein Treffer, der trotz höchster Komplexität das Publikum packt und mitreißt.

Petra Staduan steht in der Rolle des Camille Desmoulins an der Seite Dantons. Ein Freund und Mitstreiter, der in seinen letzten Nachtstunden im Kerker einen wilden Traum durchleben muss und damit genauso emotional wird wie dessen junge Frau Lucile. Die nächtliche Suche nach ihrem Mann, ihre geistige Umnachtung und ihr aberwitziger Entschluss, sich durch pro-Königs-Rufe ebenso auf die Guillotine zu bringen, gehören zu den eindrucksvollsten Momenten des Stückes.

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Dantons Tod (Fotos: Ludwig Drahosch)
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Dantons Tod – (Fotos: Andrea Klem)
Gänzlich konträr verhält sich Judith Richter, ausgestattet mit Frauenpower pur, die sie vor allem für die Darstellung der Hure auch braucht. Unabhängig und verletzlich zugleich, voller Ideale, dass die eigene Lebenslust nicht gegen die Natur stehen kann und ausgestattet mit einem philosophischen Monolog der Sonderklasse, indem sie das Lemmingtum der Masse gut beschreibt, wird klar, warum sie für Danton eine so große Anziehungskraft besaß. Starke Charaktere lieben ein ebensolches Gegenüber – in dieser Regie wird dies auch klar und deutlich erkennbar. Saint-Just, den Judith Richter ebenfalls spielt, versteckt seine Unbarmherzigkeit hinter einer verspiegelten Pilotenbrille und stellt mit seiner Kaltschnäuzigkeit den unbeugsamen Robespierre noch in den Schatten.

Ein Sounddesign, in dem unheilvolles, wenn doch entferntes Dröhnen genauso vorkommt, wie eine Abfolge romantischer Klavierakkorde, (Christian Mair), Kostüme, die in ihrem tiefen Schwarz einen scharfen Kontrast zum Bühnenraum bieten, der in Weiß getaucht wird (Bühne Andreas Lungenschmid, Licht Lukas Kaltenbäck und Kostüme Antoaneta Stereva) fügen sich zu einem ästhetischen, zeitgenössischen Ganzen und wirken dennoch zeitlos.

„Die Revolution frisst ihre Kinder“, sagt Danton an einer Stelle. Ja, sie fraß sie alle – auch Robespierre und Saint -Just, wenngleich Büchner dieses gerechtigkeitsausgleichende Ende nicht mehr thematisierte.

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Dantons Tod – (Foto: Andrea Klem)

Dantons Tod. Narren, Schurken, Engel‘, dessen Pro- und Epilog im Himmel spielen, ist alles andere als ein alter Zopf. Es stellt die immer aktuellen Fragen nach Idealen, Menschlichkeit, nach Macht und Rivalität und ist dennoch imstande, starke Emotionen auszulösen. Ein ‚must-see‘ in den Kasematten in Wiener Neustadt.

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Drei für Eine

Drei für Eine

Drei für Eine

Drei für Eine

Elisabeth Ritonja

„Die Königin ist tot“ (Foto: Andrea Klem)
N ach dem fulminanten Festivalstart „Bloody Crown“ mit „König Johann“ in den Kasematten in Wiener Neustadt, erlebte nun „Die Königin ist tot“ von Olga Flor ihre Uraufführung.
Wie war das noch mit den „drei Schicksalsschwestern“, kurz auch „Hexen“ genannt, in Shakespeares Macbeth? Jenen 3 Frauen, die ihm und seinem besten Freund Banquo, als die beiden Männer siegreich aus der Schlacht nach Hause kehren wollen, im nebelumwobenen Feld die Zukunft weissagen?

Man hat keine Zeit, sich mit dieser Frage näher auseinanderzusetzen, während schon der Monolog jener Frau beginnt, die in Olga Flors Roman „Die Königin ist tot“, die alleinige Hauptrolle spielt.

Dramatisiert ist der Roman nun in den Kasematten in Wiener Neustadt unter der Regie von Anna Maria Krassnigg zu sehen. Ihre drei „Langzeitgefährtinnen“, wie sie Isabella Wolf, Nina C. Gabriel und Petra Staduan nennt, schlüpfen dabei in die Rolle jener Frau, der es gelingt, durch ihre weiblichen Reize vom Liftgirl zur „Trophy Woman“ eines Medienmoguls in Chicago aufzusteigen. Unterstrichen wird deren körperbetonte Agitation durch petrolfärbige, figurbetonte Kleider (Kostüme Antoaneta Stereva) von zeitloser Eleganz.

Die Blaupause für den Plot lieferte William Shakespeares „Macbeth“, jenes Königsdrama, in welchem Lady Macbeth ihren Mann zum Mord am Herrscher Duncan überredet. „Mich hat immer interessiert, warum Lady Macbeth nach dem Mord von der Bildfläche des Geschehens verschwindet“, so Flor beim Einführungsgespräch im „Salon Royal“ mit Krassnigg. Das Einzige, was man von ihr im Verlauf der Geschichte nach der Ermordung von Duncan noch hört ist, dass sie sich geistig umnachtet in einen Burgfried zurückgezogen hat, sowie schließlich die Verkündung ihres Ablebens durch den Satz: „Die Königin ist tot, Herr“.

Geht es in Shakespeares Drama um Aufstieg und Fall eines Machtbesessenen, fokussiert Olga Flor das Geschehen auf ihre moderne „Lady Macbeth“. Auf jene Beweggründe, die dazu führen, dass sie ihren zweiten Mann, Alexander – in filmischen Einspielungen von Jens Ole Schmieder gespielt – zur Tötung des Medienmoguls Duncan überredet. Dieser hat sie genauso schnell in die High Society gehoben wie daraus zugunsten einer Jüngeren auch wieder entfernt. Ein fataler Fehler, wie sich im Lauf des Geschehens herausstellt. Seine Saturiertheit, Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit wird sprachlos durch Horst Schily in raffinierten Videoprojektionen deutlich. Auch Martin Schwanda als willfähriger Polizeichef und David Wurawa als Opfer, das unbedarft in eine Falle läuft, erweitern durch diesen Kunstgriff das Ensemble (Video Christian Mair).

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„Die Königin ist tot“ (Foto: Andrea Klem)
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„König Johann“ (Foto: Andrea Klem)
Die Rolle auf drei Frauen aufzuteilen, macht nicht nur deshalb Sinn, weil der Text auf diese Weise um vieles anschaulicher wird, als dies der Fall wäre, wenn er als Monolog nur von einer Person vorgetragen würde. Es sind auch die unterschiedlichen, charakterlichen Facetten, die jeder Mensch hat, die dabei präzisiert werden. Da blitzt einmal eine Femme fatale auf, die Freude an härteren Sexualpraktiken hat, genauso wie eine verwundete, einsame Seele, die das Alleinsein nicht erträgt. Da schwankt diese namenlose Figur zwischen der anfänglichen Reichtumsverblendung bis hin zum absoluten Willen ihres Machterhaltes, ja dem Wunsch nach dessen Ausbau. Da verdichten sich ihre Ängste, vergewaltigt zu werden genauso, wie ihr späterer Wunsch nach Rache in einer Art und Weise, die nachvollziehbar ist. Gerade die Vielschichtigkeit von Flors „Königin“ macht den Reiz dieses Textes aus. Dies wird durch Krassniggs Regie unterstützt, in der kein Schritt, keine Geste und keine Artikulation dem Zufall überlassen wird. Als ob Flors Sätze eine musikalische Vorlage wären, befolgen die drei Schauspielerinnen eine Choreografie, in welcher sie häufig Körper an Körper eine Einheit bilden, sich dann aber wieder voneinander entfernen und als Einzelpersonen wahrgenommen werden können.
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„Die Königin ist tot“ (Foto: Andrea Klem)
Außergewöhnlich und besonders hervorzuheben ist das Bühnenbild von Andreas Lungenschmid. Er baute in das mittelalterliche Tonnengewölbe eine „Stairway to heaven“ mit Ausblick auf Chicago. Efeuberankt und im Wasser stehend vermittelt es den Eindruck einer Ruine aus dem 20. Jahrhundert und nimmt damit zugleich den Untergang der Königin voraus, die sich letztlich von Verfolgungswahn und schlechtem Wissen geplagt, von ihrem „Turm“ stürzt. Christian Mair sorgt dieses Mal mit einer sehr subtilen Sounduntermalung für Gänsehautstimmung. Diese Klänge kennt man aus Fernsehkrimis, scharf und metallen das Geschehen unaufhörlich seinem blutigen Höhepunkt zutreibend.

Bestechend an der Produktion ist nicht nur die gelungene Bühnenfassung von Flors Roman, sondern auch die Tatsache, dass die historische Vorlage sich in unsere Zeit nahtlos einfügen lässt. Verblüffend auch die Tatsache, dass diese Frau so agiert, als ob die Emanzipation des 20. Jahrhunderts gar nicht stattgefunden hätte. Diese Königin ist nur in Zusammenhang mit der Macht ihrer Männer denkbar und somit zwar als Fädenzieherin des Grauens präsent, nicht aber durch ihre eigene, selbstbestimmte Lebensweise.  Aktuelle Parallelen gibt es leider genügend.

„Bloody Crown“, so der Titel des Festivals, in dem auch Shakespeares „König Johann“ in einer rasanten Fassung von Friedrich Dürrenmatt gespielt wird, erhält durch dieses Stück eine besondere Erweiterung. Die „Krone“ die sich zeitgeistige Mitmenschen heute auf den Kopf drücken – ist sie nicht durch das Ausmaß ihres Einflusses nicht noch viel blutiger geworden, als zu Shakespeares Zeiten? Und: Wie war das noch mit den drei Hexen?

Das Festival dauert noch bis 4. Oktober und wird durch eine Gesprächsreihe im „Salon Royal“ ergänzt.
Weitere Infos hier: https://www.wortwiege.at/

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