"Das täglich Leben" (Foto: Christian Mair)

Mit gleich zwei Doppelabenden wartete in dieser Saison das Thalhof-Wortwiege-Team um Anna Maria Krassnigg auf. Neben „Maslans Frau + Tiefer als der Tag“ wurden „Das tägliche Leben“ von Marie von Ebner-Eschenbach + „Am Vorabend“ von Theodora Bauer aufgeführt. Faszinierend dabei war die Radikalität, mit welcher die Geschlechterrollen dabei umgekehrt wurden.

„Das tägliche Leben“ und „Am Vorabend“ sind zwei Stücke, die, wie sich herausstellte, perfekt ergänzen. Für Bauer war letzteres das erste dramatische Werk, das sie mit Bravour ablieferte. Ganz bewusst als Gegenstück zum „Täglichen Leben“ konzipiert, erzählt sie in dem 4-Personen-Stück die Geschichte einer Gräfin, die ihren alten Mann über eine Treppe zu Tode stürzen lässt und auf dem Polizeirevier dies zur Anzeige bringen möchte.

In einer tollen Besetzung – die letztlich nicht anerkannte Mörderin spielte Doina Weber, den alten Polizisten Martin Schwanda, Daniel F. Kamen schlüpfte in die Rolle des Polizisten-Frischlings und Petra Staduan verkörperte seine Freundin – wurde dem Publikum eine Hochschaubahn der sich überschlagenden Ereignisse präsentiert.

Die gelungene, literarische Mischung aus Komödie und psychologischem Drama wurde von Anna Maria Krassnigg als Kammerspiel mit viel Gefühl für akkurates Pointentiming angelegt. Die Überzeichnung der Charaktere erwies sich als adäquates Mittel, Theodora Bauers furiosem Handlungsgalopp ein entsprechendes Gewicht entgegenzusetzen.

Trotz aller Tragik und aktuellen Querverweisen in das derzeitige, politische Umfeld in Österreich, präsentierte sich das Stück mit einer Leichtigkeit, die dem Inhalt diametral gegenübersteht. Doina Weber durfte in einer Rolle glänzen, in der sie die Lebensweisheit einer alternden Frau mit Empathie und Abgebrühtheit vereinen konnte. Petra Staduan hingegen als rotzfreche, junge Frau, beeindruckte vor Lebensfreude nur so sprühend nicht zuletzt mit einem flapsigen Idiom. Daniel F. Kamen hatte alle Hände voll zu tun, um sich aus einer peinlichen, nicht ganz unverschuldeten Situation zu retten und erwies sich dabei als wunderbarer Komödiant und Martin Schwanda genoss sichtlich das Ausufern der Ereignisse in der Wachstube – zeitweise mit weißem Motorradhelm auf dem Kopf.

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Doina Weber hatte zuvor schon einen schauspielerischen Parforceritt der Sonderklasse abgeliefert. In Marie von Ebner-Eschenbachs „Das tägliche Leben“ verkörperte sie eine Dame der besseren Gesellschaft, die sich auf die Suche nach der Suizidursache ihrer Freundin macht.

Der psychologisch fein ziselierte Text, von Krassnigg dramatisiert und Jerome Junod in Szene gesetzt, beleuchtet das Leben der Verstorbenen ähnlich wie in einer Familienaufstellung und lässt dabei das familiäre Umfeld der Selbstmörderin erkennbar werden. Selten hatte man bisher die Gelegenheit, einen Monolog so raumgreifend vorgeführt zu bekommen wie in dieser Inszenierung. Darin agiert die Hauptfigur nicht statisch, von Schmerz durchbohrt, sondern höchst viril, denkend, beobachtend und letztlich aufklärend.

Das zuckerlrosa und himmelblaue Interieur (Bühne Lydia Hofmann), auf zwei Ebenen verteilt, diente als Requisitenfundus und machte zugleich klar, dass die Welt in Pastellfarben auch eine grausame sein kann. Weber beeindruckte mit einer Mischung aus Erzählerin und Beobachterin, die schließlich zu einer Conclusio fähig war, die sich aus all den Lebensbausteinen ergab, die ihre Freundin letztlich in den Tod trieben.

Jerome Junod wartete mit einem eindringlichen Schluss, abseits von Marie von Ebner-Eschenbachs Text auf, denn er ließ Petra Staduan, ganz in Schwarz gekleidet, auftreten und Claudio Monteverdis „Lamento della ninfa“ singen. Jene Arie, in der eine junge Frau herzerweichend ihr Liebesleid klagt. In diesem Moment – Doina Weber stand dabei als zurückgebliebene Freundin, von Schmerz erfasst, regungslos vor dem Publikum, verdichtet sich die Tragik des Stückes auf eine magische Weise, die das Publikum aufs Stärkste emotionalisierte.

Mit diesem zweiten Doppelabend wurde deutlich, dass – wie es die Leiterin der Thalhof-Wortwiege einmal formulierte – das Publikum beim Sommertheater nicht das Hirn abgeben muss, es zugleich aber auch auf tiefe Gefühle gefasst sein sollte.