Wichtig ist es, ein Mensch zu sein

„DI_VER*SE“ in Wien im KosmosTheater (Foto: Caro Stark)

s beginnt wie in Frankensteins Schloss. Hinter einem Vorhang verpasst ein Arzt einem kleinen Wesen, gerade auf die Welt gekommen, einen chirurgischen Eingriff. Dieser soll das Geschlecht, das nach der Geburt nicht eindeutig zuzuordnen war, ein für alle Mal festlegen. Das Publikum wird durch die dunklen Schatten hinter dem Vorhang Zeuge dieses grausigen Geschehens.

Was sich nach einem dramaturgischen, frühen Höhepunkt einer Theaterstückes anhört, der die Zusehenden fesseln soll, ist leider auch heute noch für viele Menschen Realität. Rund 1,7% der Neugeborenen sind keinem Geschlecht zuzuordnen und – wenn sie Glück haben – bleibt es erst einmal dabei. Haben sie Pech, passiert, was bereits eingangs beschrieben wurde.

dieheroldfliri“ aus Vorarlberg, gegründet von Barbara Herold und Maria Fliri, nahmen sich des Themas Geschlechterdiversität an und zeigten ihr Stück „DI_VER*SE“ in Wien im KosmosTheater. Der sperrige Titel verrät schon viel über das Thema an sich. Denn entgegen herkömmlichen Meinungen von hetero-ausgerichteten Menschen gibt es über diese Geschlechtszuordnung noch andere, die als Transsexuelle und Inter-Personen eine Begrifflichkeit erfahren haben. Daneben gibt es auch Menschen mit einer queeren Identitätszuschreibung. Die begrifflichen Zuweisungen sind nicht unumstritten, auch nicht innerhalb der einzelnen Gruppen, aber was viele eint: Das Empfinden ihrer Geschlechtlichkeit bringt zumindest für eine gewisse Zeit in ihrem Leben eine Menge Leid mit sich.

Herold erarbeitete den Text ausschließlich mit betroffenen Menschen und machte darin klar, dass das Erkennen und richtige Benennen der eigenen Geschlechtlichkeit oft Jahre dauern kann und die Gesellschaft dabei einen enormen Druck ausübt. Drei Männer, die in Frauenkörpern geboren wurden und drei Frauen, die in Männerkörpern leben, lieferten Statements ab, die gekonnt zu einer flüssigen Theaterproduktion verarbeitet wurden. Dabei ist die Aufklärung über die verschiedenen Spielarten des menschlichen Geschlechts ein Hauptcharakteristikum des Stückes. Dass dies nicht biertrocken geschieht, ist auch der Regie von Barbara Herold zuzuschreiben.

Zugleich darf man sich auch jene Fragen stellen, die den Bereich der gesellschaftlichen Rollenmodelle betrifft. Was ist so stark mit den Attributen von männlichem und weiblichem Geschlecht konnotiert, dass ein Abweichen davon beinahe unmöglich erscheint? Wie im Falle jener Menschen, die unter allen Umständen eine Geschlechtsumwandlung an sich durchführen lassen wollen, ja müssen, weil dieser Wunsch für sie alles andere in den Hintergrund stellt. Aber es stellt sich auch die Frage, warum die Gesellschaft Menschen derart ablehnend gegenübertritt, die nicht ihrem eigenen Rollenverständnis entsprechen. Alle diese Fragen werden im Stück zumindest angeschnitten, weitergedacht und hinterfragt muss vieles jedoch nach der Aufführung selbst werden.

Maria Fliri, Peter Bocek und Helga Pedross schlüpfen in männlich-weibliche und weiblich-männliche Rollen mit fließenden Übergängen und berichten von ihren unterschiedlichen Erlebnissen mit sich und der Gesellschaft. Manches dabei gerät auch komisch, wie die Ansage: „Ich hasse Formulare: Mann oder Frau. Manchmal gibt es eine dritte Möglichkeit. Ob ich Firma ankreuzen soll?“ Die Erzählstränge werden in die Rahmenhandlung des „kleinen Ich-bin-Ich“ von Mira Lobe eingebunden. Eine höchst charmante Idee, lässt doch Lobe das Geschlecht des kleinen Wesens in ihrem Kinderbuchklassiker offen.

„Es ist nicht wichtig, eine Frau oder ein Mann zu sein. Wichtig ist es, ein Mensch zu sein.“ Diese Aussage von einem Betroffenen bringt auf den Punkt, was auch das Theaterstück zu vermitteln versucht.

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