Saul Steinberg – der Zeichner entlang der Linie

Das Tomi Ungerer Museum in Straßburg zeigt bis 28. Februar eine Sonderschau, die dem Zeichner und Karikaturisten Saul Steinberg (1914-1999) gewidmet ist.

Saul STEINBERG, Parade, 1952, Mischtechnik auf Papier, 36 x 57,5 cm. Collection M. et Mme Niemann  © The Saul Steinberg Foundation/ARS, ADAGP Paris 2009 © Musées de la Ville de Strasbourg/ Mathieu Bertola

Saul STEINBERG, Parade, 1952, Mischtechnik auf Papier, 36 x 57,5 cm. Collection M. et Mme Niemann © The Saul Steinberg Foundation/ARS, ADAGP Paris 2009 © Musées de la Ville de Strasbourg/ Mathieu Bertola

Die Schau vereint 135 Werke von insgesamt 41 Leihgebern, wie z.B. dem Vitra Design Museum sowie dem  Centre Pompidou. Der in Rumänien Geborene revolutionierte die Karikatur, indem er sich komplett von der Fläche abwandte und sein Universum entlang der Linie aufbaute. Steinberg, der nach Philosophie- und Literaturstudien in Bukarest in Mailand Architektur studiert hatte, musste 1942 nach Amerika emigrieren. Dort begann seine unglaublich fruchtbringende Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „New Yorker“, für die er in über 50 Jahren 1200 Zeichnungen anfertigte. Seine reduzierte Art, die er allein aus Umrisslinien entwickelte und seine eigene Bildsprache, die aus allgemein verständlichen Kürzeln zusammengesetzt ist, eroberte und beeinflusste auch die Graphiker in Europa. Sein erstes Buch „All in line“ aus dem Jahr 1945 schlug bei den damaligen Illustratoren wie eine Bombe ein und markierte ein stilistisches Umdenken rund um den Erdball.

Die Ausstellung, die erste Präsentation Saul Steinbergs in einem Museum in Frankreich, sieht man von der Präsentation in der Fondation Henri Cartier-Bresson 2008 ab, die durch die Hilfe der Saul Steinberg Foundation ermöglicht wurde, zeigt einen Querschnitt seines Schaffens und ist in verschiedene Themenbereiche gegliedert. Innerhalb dieser Themen werden immer wieder kehrende Motive sichtbar, aber auch die Überschreitung, die Steinberg von der Graphik in die bildende Kunst tätigte. Zu sehen sind Zeichnungen, „falsche Dokumente“, Metamorphosen, Masken aus Papiersäcken und Landschaften. Steinberg karikiert nicht nur, er ist nicht nur mit einem Augenzwinkern unterwegs, sondern er arbeitet auch mit einer subtilen Sozialkritik, die den American dream of life mit vielen Blättern aufs Korn nahm. Stolzierende, herausgeputzte Frauen in hochhakigen Schuhen oder Herren, stocksteif mit Zylindern auf dem Kopf geben ein Gesellschaftsbild wieder, das sich vor allem an Äußerlichkeiten orientiert. Dichte Ansichten von New York, welche die Architekturausbildung Steinbergs erkennen lassen, sind mit kleinen, fast ameisenartigen Menschen garniert, die sich wundersamerweise in dem Häuserdickicht zurecht zu finden scheinen. Uncle Sam trifft in einer großen Arena auf eine Riesentruthahn und weibliche und männliche „Kopffüßler“ üben small-talk bei noblen Cocktailparties.

Saul STEINBERG, Passport, c. 1952, Tinte,Stempel et Collage auf Papier, 36,5 x 29 cm. Privatsammlung , Deutschland © The Saul Steinberg Foundation/ARS, ADAGP Paris 2009

Saul STEINBERG, Passport, c. 1952, Tinte,Stempel et Collage auf Papier, 36,5 x 29 cm. Privatsammlung , Deutschland © The Saul Steinberg Foundation/ARS, ADAGP Paris 2009

Steinberg, der seine Ausreise aus dem faschistischen Italien als traumatisches Erlebnis zeit seines Lebens in Erinnerung hielt, verarbeitete dieses Geschehen in einer ganzen Reihe von ebenfalls selbst erzeugten Dokumenten und Zeugnissen, die er seinen Freunden widmete. Alberto Giacometti, Henri Cartier Bresson, Le Corbussier und andere wurden von ihm mit Urkunden bedacht, die zugleich natürlich die ganze Abstrusität von staatlichen Papieren schlaglichtartig vor Augen führt. Der Souverän ist für Steinberg in diesem Fall nicht der Staat sondern er selbst, der diese absurden Dokumente mit einer Fülle von Stempeln und verschnörkstelten Schriftzeichen versieht,die teilweise an barocke Ernennungsurkunden erinnern. Allein diese Arbeiten zeigen deutlich, wie sehr Steinberg die Grenze zur bildenden Kunst mit Leichtigkeit überschreiten konnte – seine Assemblagen aus den 70er Jahren, in welchen er Gebrauchsgegenstände wie Pinsel und Stifte vereinigte, sind ein weiterer Beweis dafür. Auch die Zusammenarbeit mit Igor Strawinsky im Jahr 1967 an der Oper in New York zeigt sein grenzüberschreitendes Arbeiten. Für „Die Geschichte vom Soldaten“ verfertigte er 4 Bühnenbilder. Seine in den 60er und 70er Jahren gemalten Landschaften, Aquarelle mit tief angesetzten Horizonten, in welchen die Menschen fast verloren erscheinen, zeigen einen ganz anderen Steinberg. Eines jener Bilder avancierte auch zum Titelblatt des New Yorkers, das, betrachtet man es genau, die Personen des Abendgebets von Millet in einer endlosen Reihe wiedergeben. Davor stehen zahllose Maler an ihren Staffeleien und mühen sich mit dem zur Ikone gewordenen Angelusmotiv Millets ab. Ein Zeichen, wie sehr sich Steinberg mit der europäischen Kunstgeschichte auseinandersetzte und sich auch selbst als einer ihrer zeitgenössischen Protagonisten verstand.

Die Synthese von Linie und Idee beherrschte Saul Steinberg perfekt. Seine Hand, so erklärte er einmal, sei diejenige, welche die Zeichnung bestimmen würde und nicht sein Kopf. Die Linie folge seiner Hand, und die Idee, die während des Zeichnens entstehe, entstamme mehr einem unbewussten denn einem bewussten Prozess. Das mag zwar für Zeichnungen gelten, die Steinberg alleine für sich fertigte, seine Arbeit für den New Yorker jedoch benötigte sehr wohl präzise Vorstellungen, die der Künstler schon vor seiner Arbeit anstellen musste. Schon nach kurzer Zeit war Steinberg in den USA ein anerkannter Künstler, dessen Arbeiten ab 1946 im MoMa gezeigt wurden.

Steinberg wurde auch von den großen Künstlern seiner Zeit geachtet, was sich auch in der Zusammenarbeit an 4 kleinen Blättern zeigte, die er anlässlich eines Besuches bei Picasso mit diesem fertigte. Eines davon ist in der Ausstellung zu sehen. Am rechten Seitenrand ist in einer peniblen Auflistung zu lesen, dass der obere Blattteil von Picasso und der untere von Steinberg stammt, was dem Werk eine große Portion Humor hinzufügte. Humor war eines der wichtigsten Antriebsmittel Steinbergs, deutlich auch in einigen „falschen“ Objekten erkennbar. Eine Leica, gefertigt aus bemaltem Holz zum Beispiel oder eine selbst gebastelte Buntstiftschachtel mit der Aufschrift Fabrica Kilipiru, was soviel heißt wie: Fabrik der schlechten Qualität, zeigen, mit wie viel Witz Steinberg eine sehr subtile Konsumkritik aussprach, die heute mehr denn je Aktualität besitzt.

Saul STEINBERG, Sans titre (Leica factice), c. 1975, Kordel, Holz mit Metallbemalungen, 9,5 x 15,5 x 8 cm. Collection Fondation Henri Cartier-Bresson © Henri Cartier-Bresson/ Magnum  Photos © Henri Cartier-Bresson, ADAGP Paris 2009 © The Saul Steinberg Foundation/ARS, ADAGP Paris 2009

Saul STEINBERG, Sans titre (Leica factice), c. 1975, Kordel, Holz mit Metallbemalungen, 9,5 x 15,5 x 8 cm. Collection Fondation Henri Cartier-Bresson © Henri Cartier-Bresson/ Magnum Photos © Henri Cartier-Bresson, ADAGP Paris 2009 © The Saul Steinberg Foundation/ARS, ADAGP Paris 2009

Die Ausstellung gibt Zeugnis von einem Künstler, der zu Unrecht nur in die Schublade des Karikaturisten gesteckt wird und erschließt mit schönen Arbeiten das komplette Universum Saul Steinbergs.

Die Schau wird von einem Katalog begleitet, in dem unter anderen ein sehr persönlicher Artikel seiner Nichte Daniela Roman über ihren „Onkel aus Amerika“ sowie ein interessanter Beitrag von Ian Topliss über die Vita Steinbergs zu lesen sind. (Saul Steinberg, L`écriture visuelle, Musées de la ville de Strasbourg, 2009)

Humor war eines der wichtigsten Antriebsmittel Steinbergs, deutlich auch in einigen „falschen“ Objekten erkennbar. Eine Leica, gefertigt aus bemaltem Holz zum Beispiel oder eine selbst gebastelte Buntstiftschachtel mit der Aufschrift Fabrica Kilipiru, was soviel heißt wie: Fabrik der schlechten Qualität, zeigen, mit wie viel Witz Steinberg eine sehr subtile Konsumkritik aussprach, die heute mehr denn je Aktualität besitzt.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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