„Carmilla“ wurde vom irischen Schriftsteller Joseph Sherida le Fanou verfasst und in einer Novelle 1872 veröffentlicht. Das einzig Interessante an der aus heutiger Sicht flachen Geschichte ist die Tatsache, dass mit der Figur von Carmilla der erste weibliche Vampir erfunden worden war. Dass sich die Vorgänge in einem abgelegenen steirischen Schloss ereigneten, ist nicht dem Ideenreichtum des Grazer Ensembles entsprungen, sondern stammt tatsächlich aus der Feder von Sherida le Fanou und darf wohl als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Aufnahme in den Spielplan angesehen werden.
Unter der Regie von Luise Voigt schafft das Ensemble das Kunststück, aus einer literarischen Vorlage ohne nennenswerte Bedeutung – sieht man vom Einfluss für Stoker ab – ein dramatisches Ereignis mit immerhin mehreren Interpretationsebenen kreiert zu haben. Der darin verfolgte feministische Ansatz macht Sinn. Er weist auf tradierte Geschlechtsmuster hin, die zugleich hinterfragt werden. Möglich ist dies durch filmisch festgehaltene Interviews mit den Schauspielerinnen und Schauspielern, die über ihre Rolle und ihr Nachdenken über ebendiese Auskunft geben.
Maßgeblich tragen Maria Strauch mit ihrer Bühne und den Kostümen, sowie Frederik Werth und Nicolas Haumann mit der Videoarbeit und Musik zum Gelingen des Abends bei. Denn es sind diese Mittel, welche das Geschehen bühneninteressant machen.
Die in einem Schloss lebende Familie, der Vater, seine 19-jährige Tochter Laura, eine Gouvernante und eine Hauslehrerin, wird durch Carmilla erschüttert, die aufgrund eines Unfalles in der Nähe des Anwesens aufgenommen und gesund gepflegt wird. Bald schon entwickelt sich eine erotische Anziehung zwischen der Tochter und Carmilla, die von der jungen Frau nicht wirklich eingeordnet werden kann. Vielmehr werden die Dorfoberen – der Arzt und der Pfarrer hinzugezogen, um diese Gefühlsverirrungen zu unterbinden.
Annette Holzmann kommt als Carmilla ohne Text aus, wirkt jedoch als einzige Frau authentisch und nobel. Anna Klimovitskaya bleibt als Laura das gesamte Stück über naiv und manipulierbar. Thomas Kramer erheitert gleich bei seinem ersten Auftritt als braun gebräunter Landarzt mit gebleichtem Gebiss das Publikum. Željko Marović als General mit umgeschnalltem Plastik-Sixpack, der sich von Laura Onkel nennen lässt, mimt einen lächerlichen Macho, der dennoch mit seinem Machtgehabe die Frauen als Sexpuppen tanzen lässt. Marielle Layher und Sarah Sophia Meyer als Gouvernante und Hauslehrerin sind mehr als nur weibliche Staffagen. Sie erklären dem Publikum abseits des Originaltextes das Aufkommen von Vampir-Erzählungen und deren Ursprung im 18. Jahrhundert. Marielle Layher bringt in ihrer Videosequenz außerdem einen wichtigen Betrachtungsaspekt ein. Das Gefühl, dass offenbar jene Zeit vorbei ist, in welcher man dachte, mit seinem Tun zu einer besseren Zukunft beitragen zu können, benennt sie deutlich.
Es sind nicht nur die grellen Kostüme im Stil der kunststoffschimmernden 70-er-Jahre und die übertriebenen Perücken, welche die Figuren überzeichnen. Ihre Stimmen werden elektronisch verändert und verstärkt, erhöht oder auch tiefer gesetzt, sodass sie wie mechanisiert klingen. Eine Persiflage auf die Entstehung von Softpornos, in der ausschließlich die vermeintliche Lust der Frauen videografiert wird, steht im Gegensatz zu einer etwas zu lange geratenen Liebes-Szene, untermalt mit sanften Klängen. In dieser geben sich alle Agierenden gemeinsamer Lustempfindungen hin, teilen ihre erotischen Freuden miteinander, ohne dabei jedoch platt und aufdringlich zu wirken.
Die Motivation, warum Carmilla letztlich als Vampir bezeichnet wird und als solcher gepfählt werden muss, erhält in der Inszenierung eine plausible Grundlage. In einem Solo-Auftritt des Vaters – Sebastian Schindegger – erzählt er dem Publikum in einer verballhornten Kunstsprache von seinem Besuch bei der von ihm Begehrten. Dieser bringt ihm jedoch nicht, wie erhofft, ein sexuell befriedigendes Abenteuer, sondern vielmehr eine Zurückweisung, der er mit erkennbaren Beschimpfungen antwortet. Die Gehirnwäsche, die Laura sowohl vom Pfarrer als auch vom Arzt erhält, inklusive eines nur angedeuteten sexuellen Übergriffes, der von ihr komplett verdrängt wird, tun ein Übriges. Sie bewirken, dass auch die junge Frau von der Richtigkeit überzeugt ist, dass Carmilla als Vampir getötet werden muss.
Die Inszenierung lebt von den Ideen, die sich bei der Erarbeitung des Textes ergaben, wie zum Beispiel jener extrem komischen Szene, in welcher die „Textsicherheit“ von Schindegger nicht und nicht klappen will. Erst, als der Satz im breitesten Steirisch von ihm gesprochen wird, hat er damit Erfolg.
Eine besondere Rolle ist Dominik Puhl zugedacht. Er agiert nicht nur als Pfarrer mit aus der Hose gesprungenem Plastikpenis, den es zu geißeln gilt. Seine Aufgabe als Conferencier ist ihm auf den Leib geschnitten. Seine letzten Sätze – eine Hommage, zugleich aber auch eine in Domina-Manier ausgeführte Beschimpfung des Schauspielhauses selbst, entschädigen für so manch plattes Geschehen davor. Besonders erwähnenswert sind Helga Gräff, Nazar Mykytiuk, Jonathan Punguil und Laura Vincer, die als Blasmusikensemble dem Geschehen ein ordentliches Lokalcolorit beifügen.
Ein Abend, bei dem das Ensemble und die Bühnentechnik zum größten Teil wettmachen, was der Ursprungstext vermissen lässt.