Konzentrierte Ballung und ephemerer Hauch

Konzentrierte Ballung und ephemerer Hauch

Das Konzert des RSO unter der Dirigentin Susanna Mälkki, das Abonnementpublikum zu zeitgenössischer Musik von Wien Modern in den großen Saal des Konzerthauses lockte, war von einem Gegensatzpaar gekennzeichnet: Konzentrierte Ballung von Klangvolumen stand einem ephemeren Hauch gegenüber, der höchste Konzentration von den InterpretInnen genauso wie vom Publikum verlangte.

MÄLKKI BILLARD diri c Aymeric Warmé Janville

Susanna Mälkki, & Alain Billard beim Festival Musica 2009 in Strasbourg- Foto: © Aymeric Warmé-Janville

Gleich zu Beginn zeigte einer der Großmeister der zeitgenössischen Musik – György Ligeti – wie sehr gehauchtes Nichts und ein flimmriges, unfassbares Etwas das Publikum fesseln kann. In seinem Lontano für großes Orchester aus dem Jahr 1967 – in welchem der Titel Programm ist – entführt er in große, auf- und abschwellende, sich durchdringende und abwechselnde Klangbögen, die fast durchgehend im Pianissimo gespielt werden. Auf diese Art und Weise entsteht eine an den Spätimpressionismus erinnernde Werkfärbung, deren Reiz man sich nicht entziehen kann.

Diesem einprägsam schönen Werk folgte Olga Neuwirths„Remnants of songs … An Ampigory für Viola solo und Orchester“ aus dem Jahre 2009. Auch wenn die Komponistin selbst in einem am selben Tag ausgestrahlten Interview meinte, sie sei gegen Ligeti noch in der Anfängerphase und hätte Angst ob eines Bestehens ihres Werkes neben dem ihres Vorbildes, kann ohne Übertreibung festgestellt werden, dass sie diese nachbarschaftliche Gegenüberstellung mit Bravour bestanden hat. Das 5-sätzige Werk strotzt nur so von kompositorischen Einfällen der unterschiedlichsten Art und Weise und verleiht jedem einzelnen Satz seine bestimmte Charakteristik. Es überrascht vor allem durch seine ausgeklügelte Behandlung des großen Orchesterapparates, die Neuwirth entgegen vieler ihrer anderen Kompositionen ohne elektronische Hilfsmittel pur wahrnimmt. Was das Werk als eines von Neuwirth sofort charakterisiert, ist die Verschachtelung unterschiedlicher Ebenen, die das Hören nicht nur zu einem akustischen Ereignis macht, sondern vielmehr Erinnerungsräume öffnet, ob man will oder nicht. Melodiefetzen – herübergeweht vom Broadway – wie im ersten Satz, oder einige zarte Walzerklänge – wie im letzten Satz, öffnen Türen zu Assoziationen, welche Musik mit Erlebtem gleichsetzen, wie es für die Komponistin so typisch ist. Ständig wechselnde Klangfarben und -orte ziehen rasch vorbei, bleiben flüchtig und doch im akustischen Gedächtnis verankert. Antoine Tamestit war ein idealer Solist, der die Struktur der Komposition so verinnerlicht hatte, dass selbst die schwierigsten Passagen mühelos erschienen. Das RSO wiederum brillierte sowohl in den flirrenden Partien – die mit Ligeti große Ähnlichkeit aufwiesen – als auch in den stampfenden Passagen, in welchen ein einfacher Rhythmus das Geschehen vehement vorantrieb.

Bis in den letzten Satz hinein wechselt Neuwirth verschiedene musikalische Stilrichtungen, ohne jedoch dabei geschmäcklerisch vorzugehen. Vielmehr machen ihre Aneinanderreihungen, die immer ineinander fließen und oft völlig übergangslos erscheinen, großen Eindruck.
Welch persönliche Lebensgeschichte hinter der Komposition steht, ist, bei Stefan Drees nachzulesen, der einige sehr erhellende Texte zu Werken von Olga Neuwirth verfasst hat.

Zwischen den beiden genannten Werken und dem letzten des Abends, Ligetis Atmospères für Orchester, in dem er ohne Schlagwerk auskommt und dabei hauchzarte Windimitationen und Klangwolken bildet, die leise den Raum erobern, konnte kein krasserer Gegensatz eingebaut werden als Bernhard Ganders „Dirty Angel für Flügelhorn, Akkordeon und Orchester“ aus dem Jahr 2010. Ein gefallener und zorniger Engel muss es sein, den Gander in diesem furiosen Stück beschreibt. Der Fortissimo-Einstieg des Orchesters ganz zu Beginn, dem der junge Komponist ein Akkordeon und eine Solotrompete zur Seite stellt, folgen viele weitere unbändige Klangballungen. Immer wieder taucht ein Brausen und Wettern, ein Toben und Klopfen aus dem Klangkörper auf, dem die Stimmen des Akkordeons und der Trompete nur zeitweise Einhalt gebieten können. Wie frei gelassene Kräfte, die aus dem Ruder zu laufen scheinen, hören sich seine Klangsensationen an. Trotz der Vielstimmigkeit ist dennoch das Bestreben zu erkennen, diese großen und heftigen Klangblöcke zumindest durch scharfe rhythmische Einschnitte zu bändigen. Die getriebene Unruhe, die sich permanent eruptiv entlädt, scheint auch nach dem Verklingen der letzten Töne nur scheinbar besänftigt. Wenngleich es zumindest in wenigen Takten dem Akkordeon und der Trompete kurz vor Schluss gelingt, parallel zu agieren und damit das hinter sich stampfende Ungeheuer zu bändigen.

Ein Konzertabend, der von seinem Charakter her dicht und sphärisch zugleich zu fesseln wusste und Neuwirth sowie Gander einen verdienten Platz in der zeitgenössischen Musikproduktion zuwies.

Der Unterschied zwischen Klang und Geräusch

Der Unterschied zwischen Klang und Geräusch

„Ein Klang (von mittelhochdt.: klanc) ist im Unterschied zum Tongemisch ein Schallsignal mit harmonischen Teilfrequenzen, dem das menschliche Gehör eine Tonhöhe zuordnen kann.“ „Geräusch (von Rauschen) ist ein Sammelbegriff für alle Hörempfindungen, die nicht ausschließlich als Ton oder als Klang bezeichnet werden können. Ursache für ein Geräusch sind Schwingungsvorgänge, die in der Regel nicht periodisch verlaufen und sich in ihrer Struktur zeitlich ändern können.“

Die beiden Zitate – aus der Internetenzyklopädie Wikipedia entnommen – lassen sich gut vor eine Besprechung des Konzertes des Talea Ensembles stellen, das im Rahmen von Wien Modern im Konzerthaus einen Abend zum Besten gab, der ausschließlich Werken von Olga Neuwirth gewidmet war. Geübte Wien-Modern-Besucher wissen, dass Konzerte wie dieses normalerweise immer mit großen Erkenntniswerten gespickt sind, was an diesem Neuwirth-Abend auch tatsächlich der Fall war. Aufgrund der klugen Auswahl der Kompositionen war es möglich, Bezüge, Ähnlichkeiten aber auch Brüche und Divergenzen zwischen den unterschiedlichen Stücken zu erkennen. Dies umso mehr, als sich mit der ersten Komposition „indidendo/fluido für Klavier und Zuspiel-CD und der letzten „torsion: transparent variation für Fagott, Ensemble und Zuspiel-CD“ ein Kreis zu schließen schien.

text olga neuwirth Marion Kalter

Olga Neuwirth (Foto: (c) Marion Kalter)

Beide Kompositionen leben und erhalten quasi einen doppelten Boden durch ihre elektronischen Einspielungsergänzungen, wenngleich auch auf unterschiedliche Art und Weise. Muss beim erstgenannten Stück das Publikum damit kämpfen, seine Aufmerksamkeit zwischen einem monotonen, durch geringe Abweichungen in der Lautstärke und auch Tonhöhe stetig präsenten Ton und dem pianistischen Livegeschehen zu teilen, hat Neuwirth die elektronischen Einspielungen im letzten Stück separat als eigenständige Einschübe zwischen die Live-Performance des Ensembles gesetzt. Beide Varianten ergeben gänzlich andere Sinneswahrnehmungen, die weit über Hörsensationen hinaus gehen. Sam Pluta, der das erste Stück bravourös pianistisch meisterte, oszilliert häufig zwischen einer nervösen Grundstimmung mit vielen, kleinintervalligen Stakkati und langsamen Passagen, in welchen breite Bassakkorde die Stimmung beruhigen. Dennoch ist man ständig irritiert und hat auch das Gefühl, dass der Pianist selbst sich von der Last des nach kurzer Zeit aufkommenden Dauertones gerne befreit sähe. Zwischendurch erhascht man Bruchstücke einer kleinen Glockenmelodie, die von einem alten Karussell eines antiquierten Jahrmarktes zu uns herüber zu wehen scheint. Dieses Nebeneinander verschiedener Klangrealitäten kann als ein spezielles Charakteristikum in Neuwirths Kompositionsweise angesehen werden – es ist bei Weitem nicht das einzige Stück, in dem diese zusätzliche Ebene angewendet wird. Das Parallelgeschehen der Einspielungen und der Live-Performance ist in incidendo/fluido jedoch nicht nur irritierend. Vielmehr regt es zu vielen Gedankenspielen und Fragen an. Wie zum Beispiel wo die Grenze zwischen einer Geräusch- und Klangkulisse verlaufen und ob Geräusche von uns neben einem Klangteppich per se als störend empfunden werden müssen oder vielmehr als Ergänzung angesehen werden können, die neue Klanräume eröffnen. Auch die Frage nach dem Verhältnis und Wert von Kontinuum und Abwechslung stellt sich zwangsläufig und springt automatisch weg vom akustischen Geschehen.

Im Abschlussstück „torsion: transparent variation“, das James Baker minutiös genau dirigierte, fanden sich die elektronischen Einspielungen, wie schon erwähnt, exakt vom übrigen Klanggeschehen abgegrenzt. Die Live-Passagen dieser Komposition überlappen sich nicht mit den Geräuschen und Klänge aus der Dose, kommen sich nicht in die Quere, sondern ergänzen sich aufs Beste. Besonders hervorzuheben ist dabei die Leistung des Fagottisten Adrian Morejon, der streckenweise einen langen Atem zu beweisen hatte. Seine lang gezogenen, klaren Dauertöne sind ein immer wiederkehrendes akustisches Merkmal, das Neuwirth einem dichten Klanggeschehen im Ensemble entgegensetzt. Auf- und absteigende Linien und zwischendurch starke, durch das Schlagwerk unterstützte, Rhythmisierungen beleben die Komposition und lassen sie in vielen unterschiedlichen Klangfarben flirren. Lange Zeit ist man sich nicht sicher, welcher Geräuschkulisse die Einspielungen entnommen sind, erst gegen Ende des Stückes wird verzerrt eine kleine Klezmer-Melodie erkennbar. Und ab diesem Moment bekommt das Stück eine weitere, tiefere Dimension. Historisches verbindet sich mit Zeitgenössischem, das sich wiederum seiner Historie erinnert und damit seine Wurzeln offenlegt. Eine Kompositionsmethode, die Neuwirths Stücke nicht nur klanglich interessant machen, sondern darüber hinaus mit vielerlei zusätzlichen Bedeutungsebenen ausstatten.

Musik ist bei Neuwirth nicht nur Musik, sondern, so hat es den Anschein, oft Mittel zu philosophischen Erkundungsgängen, die immer eine Vielzahl von möglichen Wegen aufzeigen oder zumindest anreißen. Eindimensionales Denken kommt dabei nicht vor – Parallelitäten, Hypertrophien und Gegensätzliches vermischen sich, so wie dies auch in unserem Leben abseits des Konzertsaales tagtäglich vorkommt – ohne dass es von uns zwangsläufig wahrgenommen wird.

Der harte, bissig-brüchige Celloton, der sich mit furiosen Fagottpassagen in „In Nacht und Eis“ vermischt, und mittels Ringmodulator klanglich noch verschärft wird, trägt dazu bei, dass man das Stück nicht nur ob seines Titels als Programmmusik auffassen könnte. „Ad auras…in memoriam H.“ für zwei Violinen und Holztrommel ad lib. stellt dabei zwei ungleich gestimmte Geigen in hohen, feinen Dissonanzpassagen immer wieder gegenüber, lässt Themen wechselseitig aufnehmen oder in einem Echo wiedergeben und von harten Holzschlägen kräftig akzentuieren. „Akroate Hadal“ für Streichquartett schließlich widmete sich weiträumig der Erkundung neuer Klangspektren von Saiteninstrumenten, was als weiteres Neuwirth-Charakteristikum angesehen werden kann. Eine Geige oder Bratsche von ihren Klangmöglichkeiten so zu handhaben, wie wir dies gewohnt sind, kommt bei Neuwirth nicht vor. Exemplarisch kann das Stück für all jene stehen, in welchen sie spannungsgeladen vom Klang zum Geräusch wechselt, so lange, bis im Bestfall diese Geräusche als neuartige Klänge erkennbar werden können. Geräuschsensationen und seien sie beim ersten Hören auch noch so irritierend, verlieren rasch ihre Irritation und verwandeln sich in Passagen, in deren Wiederkehr bald ein Erkennungsmoment liegt.

Und dennoch: Auf dieser Welt ist nichts so, wie es auf den ersten Blick oder Ton zu sein scheint. Olga Neuwirth zeigt dies in einem jeden ihrer Stücke aufs Neue.

Weitere Infos zu den erwähnten Arbeiten liefert Stefan Drees im Katalog von Wien-Modern, die Texte sind jedoch teilweise unter dem Titel „Vom Aufrauhen der Klänge. Notizen zu Olga Neuwirths Kammermusik“ auch auf der Homepage von Olga Neuwirth selbst gut nachzulesen.

Die Zeit hat bei uns nur Urlaub gemacht

Die Zeit hat bei uns nur Urlaub gemacht

Ist es möglich, komplexe Ideen in einem Tanzstück auf die Bühne zu bringen, an dem viele kreative Köpfe beteiligt waren, ohne das sich ein einziger als Spiritus rector redlich hervortun darf? Grace note – als Uraufführung von Wien Modern am 31. Oktober aufgeführt – zeigt, dass dies tatsächlich funktioniert und ein rundes und beeindruckendes Ganzes ergibt, welches den verdorbenen Brei, der von vielen Köchen zubereitet wurde, Lügen straft. Das Ensemble Phace, der Komponist Arturo Fuentes, die Tanztruppe Liquid Loft, der Choreograf Chris Haring und Günter Brus, der in Österreich wohl nicht vorgestellt werden muss, bilden jene Mischung, aus der gelungene zeitgenössische Cross-over-Projekte entstehen können.

txt gracenote3 c Michael Loizenbauer

grace note eine Uraufführung bei Wien Modern mit Phace und Liquid Loft – Foto (c) Michael Loizenbauer

Menschen werden geboren, erschaffen sich ihren ganz persönlichen Zugang zur Welt, treiben ihre Späße und Kunst!, diskutieren, arbeiten und produzieren, bis sie diese Welt wieder verlassen – oder vielmehr das, was sie für ihre Welt gehalten haben. Basierend auf den „Sechs Vorschlägen für das neue Jahrtausend“ von Italo Calvino, von denen jedoch nur fünf fertiggestellte Essays zustande kamen, komponierte der junge Arturo Fuentes eine einstündige Musik, die auch ohne Bühnengeschehen aufgeführt werden könnte. Fuentes, in Österreich kein Unbekannter mehr, hat heuer das österreichische Staatsstipendium für Komposition erhalten und agiert obendrein als diesjähriger composer in residence beim Ensemble Phase. Für „grace note“ entwarf er Klangteppiche der Unendlichkeit, entführt aber genauso in hektische frühindustrielle Zeiten – wenn er einem ansteigenden elektronischen Grundrauschen die Geräusche eines anfahrenden Zuges beimischt – oder unterstreicht die Artikulationen einer Sängerin ironisch mit Klarinettengeräuschen die Küsse imitieren, wie bei einem Play-back Grimassen unterstreichen oder lasziven Augenaufschlägen ihre beabsichtigte Wirkung konterkarieren. Neben all der subjektiven Auseinandersetzung mit Calvinos Text gibt es aber auch eine Erweiterung der angerissenen Fragestellungen, die sich jedoch ganz und gar nicht auf das Hier und Jetzt beziehen und dieses beleuchten. Vielmehr trägt Günter Brus mit einem von ihm selbst gesprochenen Text zur Erweiterung des Geschehens bei, indem er dieses von der zukünftigen Ewigkeit abkoppelt und einen kleinen philosophischen Exkurs zum Thema Zeit beisteuert.
Was ist Zeit – wo fängt sie an und wo hört sie auf? Ist es möglich, Zeit als etwas wahrzunehmen, das endlich ist? Zeit ist laut Brus etwas von Menschen Gemachtes und unsere Geschichte ist eine, die aus Legenden und Mythen, Märchen und Lügen konstruiert wurde. Nur die Kunst selbst, wie etwa eine Komposition, ist etwas Zeitloses, etwas, das bis ans Ende der Zeit und darüber hinaus hör- und fühlbar bleibt. Mit diesem Erlösungsversprechen setzt der österreichische Generalist unter den zeitgenössischen bildenden Künstlern einen Kontrapunkt zum wirbelnden Geschehen auf der Bühne, das von alltäglichen Wirrnissen des Lebens nur so strotzt, zugleich aber auch sehr einprägsame und wunderschöne Bilder vermittelt.

Einen musikalischen Höhepunkt liefert Roland Schueler, indem er sein Cello zu einem Percussionsinstrument verwandelt und ein Solo hinlegt, das einfach nur atemberaubend ist. Ab nun müsste er den Titel „Cellopercussionist“ tragen, der ihm sehr gut stehen würde. Sein Saitenschlagen und -zupfen, das er nur mit seinen Fingern ausführt, ersetzt jeden Drumstick und seine Meisterschaft – seine spezielle Virtuosität – kann gar nicht explizit genug betont werden. Während Schueler mit seinem Cello nahe am Publikum sitzend sein Percussionfeuerwerk abbrennt, agieren im Hintergrund zwei Tänzer (Luke Baio und Ian Garside) mit einem meterlangen Kabel, das sie in Schwingungen bringen. Unter ihren geschickten Bewegungen erzeugen sie damit Sinus- und Cosinuskurven, flache Endlosschleifen oder ganz unregelmäßige Wellenbewegungen. Dieses auf der Bühne ungeliebte, aber technisch notwendige Utensil erhält unter ihrer Bearbeitung eine ganz neue ästhetische Komponente.

Die im Raum verteilten Instrumente, Sesseln und Mikrofone auf ihren Galgenständern, sind die einzigen Requisiten. Trotz dieser Kargheit genügt diese Ausstattung, die nur durch eine geschickt eingesetzte Beleuchtung einem athmosphärischen Wandel unterliegt, völllig. Stephanie Cumming, als einzige Frau agierend, belebt die Szenerie nicht nur wie ihre beiden Kollegen durch ihre tänzerischen Eingriffe, sondern stellt in einer Szene – in der ihr Gebaren, wie schon erwähnt, durch das Saxophon (Lars Mlekusch) akustisch unterstrichen wird – ihr komödiantisches Talent zur Schau. Gerade der beinahe ständige Wechsel zwischen intellektuell anspruchsvollen Passagen und solchen, in denen laut gelacht werden darf oder auch jenen, bei denen die Ästhetik des Bühnengeschehens im Vordergrund steht machen gemeinsam mit der klugen und zugleich packenden Musik den Reiz der Vorstellung aus.

„Die Zeit gehört vor ihrem Ende totgeschlagen“ räsoniert Brus in einem seiner letzten Statements des Abends. Hoffen wir, dass sich ihr Mörder damit noch lange Zeit lassen.

Wien Modern Eröffnungsabend – es darf gelacht werden!

Wien Modern Eröffnungsabend – es darf gelacht werden!

Zum ersten Mal ging die Eröffnung von Wien Modern im Theater an der Wien über die Bühne. Und die wurde für 2 Werke von Olga Neuwirth – der in diesem Jahr der Programmschwerpunkt gewidmet ist – nicht nur als Sitzplatz für die Musizierenden benötigt.

Wien Mondern

Das Klangforum Wien und Andrew Watts bei der Eröffnung von Wien Modern (c) Facebook Fanpage Wien Modern

Gleich zu Beginn wurde ein Film eingespielt, auf dem der Besitzer des Hotels Waldhaus in Sils Maria im Engadin, sehr liebenswürdig und anschaulich zugleich, eine wahre Rarität vorstellte. Er präsentierte ein mechanisches Klavier, das noch vor dem 1. Weltkrieg angefertigt worden war und an Abenden, an denen es keine Live-Musik gab, die Hotelgäste unterhielt. Nachdem seine Mechanik kaputt geworden war, fristete es Jahrzehnte ein unbeachtetes Dasein in der Abstellkammer, bis es der neu eingestellte Haustechniker die „Welte Mignon“ in liebevoller Restaurierungsarbeit wieder zum neuen Leben erweckte. Das noch weit Phantastischere an der Geschichte ist, dass dazu noch eine große Anzahl an Papierwalzen erhalten ist, auf denen Pianisten der Entstehungszeit der Klavieres Werke eingespielt haben und so Musik konserviert werden konnte – noch bevor das Grammophon seinen Siegeszug antrat. Auf diese Weise ist das Hotel heute im Besitz eines wahren Musikschatzes. Olga Neuwirth ließ sich davon inspirieren und schuf ihr Stück „Kloing“ für computergesteuertes Klavier, Live-Pianisten und Videoeinspielung. Und es wäre nicht ein Stück von Neuwirth, würde es vor Einfällen nicht gleich so strotzen.

Ganz am Anfang, nachdem der Pianist bemerkt hat, dass sein Instrument ein Eigenleben hat, tritt er mit diesem kokett in einen zarten Dialog. Die mittlere Lage, die computertechnisch verstimmt ist, verströmt einen Hauch von Erinnerung und evoziert ein Gefühl von längst vergangenen, schönen Zeiten. Begleitet wird das musikalische Geschehen von einem rasant geschnittenen Film, der immer wieder von Live-Einspielungen unterbrochen wird, in welchen die Tastatur des Klavieres zu sehen ist, auf welcher sich ein wahrer Kampf abspielt. Kurz wiegt Neuwirth ihr Publikum im falschen Glauben, dass es einer Präsentation beiwohnt, in welcher das Miteinander von Mensch und Maschine in trauter Harmonie vorexerziert wird. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, artet die Komposition doch in einen Kampf der beiden aus. Mit zunehmender Dauer hat man den Eindruck, als würde das Klavier sich wie ein lebendiger Organismus gegen Aufgezwungenes wehren und selbst Oberhand gewinnen wollen. Was dann auch vollends durch einen wunderbaren Einfall der Komponistin erreicht wurde. In Zusammenarbeit mit dem Institut für elektronische Musik und Akustik der Musikuniversität Graz gelang eine Sonifikation, also eine Umsetzung eines Erdbebens in eine Partitur. Doch bevor man meinte, die Tasten würden von gigantischen Erdwellen in Bewegung gesetzt werden, durfte Marino Formenti tief in die Klangkiste des 19. Jahrhunderts greifen. Ob romantische Walzer von Schubert, die Regentropfenprelude von Chopin oder einer der ungarischen Tänze von Liszt, immer war es das Klavier, welches im Wettstreit mit ihm das letzte Wort für sich beanspruchte. Dabei gebärdete sich die Elektronisierung als würde sie sich wie ein Pulsschlag durch alle Register fortpflanzen oder auch wie ein wild gewordener Kobold, der imstande war, des Pianisten Spiel ununterbrochen zu stören. Als schließlich die in Notation verwandelten Aufzeichnungen der seismischen Erschütterungen auf den Tasten Platz ergriffen, musste der Pianist w.o. geben. Keine Taste mehr, die von Formenti gedrückt werden hätte können, kein Rhythmus mehr, welcher dieser Urgewalt etwas entgegensetzen hätte können. Wer das Stück als reine Technikkritik begreift, denkt etwas zu kurz. Denn die Umsetzung der seismischen Kurven auf die Tasten des Klavieres sind nur ein Hilfsmittel, um die Urgewalten der Natur zu veranschaulichen, gegen die der Mensch und auch seine noch so ausgeklügelte Technik letztendlich völlig hilflos sind.
Formenti gab sich am Ende nicht nur dem technisierten Klavier geschlagen, sondern auch der Natur selbst, die, so hatte es zumindest den Anschein, den Sieg über jede Technik errungen hatte. Der Mensch bleibt bei Kloing – und das in wunderbar humorvoller Verpackung – ein Spielball zwischen Natur und Kultur.

Der zweite Teil des Abends war Neuwirths Bearbeitung von Songs des weltberühmten Countertenors Klaus Nomi gewidmet. Der jung verstorbene Nomi faszinierte in den frühen 80er Jahren nicht nur Neuwirth. Viele seiner Lieder wie „Simple man“ oder „Eclipsed“ sind heute noch Ohrwürmer und so wunderte es nicht, dass das Publikum der Neuinterpretation, gesungen von Andrew Watts, dankbarst folgte. Die schräge Instrumentalisierung, die ganz ähnlich auch Goran Bregovic mit seinem Wedding- and Funural-Orchestra einsetzt, bewirkte, wie schon in „Kloing“ zuvor, dass der Eindruck entstand, einer musikalischen Erinnerung beizuwohnen. So gesehen hat Neuwirth ihr Ziel sicherlich erreicht – eine Reminiszenz an einen Künstler zu schaffen, der uns leider schon lange nicht mehr mit seiner außergewöhnlichen Musikalität und Stimme erfreuen darf. Die hinterlegten kurzen Filme, auf welchen ein bärtiger Kapitän – stand Captain Iglo Pate? – jedes neue Musikstück einläutete, bewirkten, dass das Bühnengeschehen in einzelne Kapitel unterteilt wurde. Und tatsächlich hatte man gegen den Schluss hin den Eindruck, als hätte man ein dickes, reich bebildertes Buch durchgeblättert und an vielen einzelnen Geschichten teilnehmen können. Der einzige Wermutstropfen war die mittlere Stimmlage, die bei Watts lange nicht mit so viel Brillanz und vor allem Kraft ausgestattet ist wie seine hohe. Dies hielt das Publikum jedoch von heftigen Bravo-Rufen überhaupt nicht ab. Das Klangforum Wien unter dem Dirigenten Clement Power agierte, wie immer, professionellst, tadellos und mitreißend.

Ein ganz besonderer Eröffnungsabend, voll mit Witz, Ironie und musikalischem Tiefgang, bei dem einmal mehr deutlich wurde, dass zeitgenössische Musik primär nicht nur kopflastig, sondern auch extrem unterhaltend sein kann.

Wir können nur die erreichen, die sich dafür auch interessieren!

Wir können nur die erreichen, die sich dafür auch interessieren!

Matthias Lošek (c) WIEN MODERN/Julia Stix

Matthias Lošek (c) WIEN MODERN/Julia Stix

Interview mit Matthias Lošek, dem Leiter des Festivals Wien Modern im Dezember 2011

Michaela Preiner: Herr Lošek wie viele Saisonen planen Sie voraus?

Matthias Lošek: Vier Saisonen im Moment. Aber es gibt noch keine fertigen Saisonen. Es gibt auch keine komplett fertige Thematik. Es gibt aber schon Themen und dazu auch schon einzelne Projekte, die bis 2014 reichen.

War 2011 das erste Mal, dass Sie international mit einem Themenschwerpunkt aus dem Ausland so groß eingeladen haben?

Wien Modern versteht sich als international agierendes Festival, das auch so wahrgenommen wird. Für mich ist es besonders wichtig, dass dieses Festival international wahrgenommen wird, weil nur dann auch eine nationale Sichtbarkeit gegeben ist. Es ist ja nicht so, dass wir nur internationale Künstler, wie dieses Jahr aus Großbritannien, einladen, die sich natürlich freuen, dann auch gespielt zu werden. Es geht ja auch in die andere Richtung, nämlich dass ein Festival Wien Modern auch eine Plattform für österreichische Komponisten und Ensembles darstellt, sich präsentieren zu können. So ist, nur um ein Beispiel zu nennen, das Klangforum genauso wie wir daran interessiert, zusammen etwas zu machen.

War diese Saison komplett von Ihnen durchkomponiert?

100% war sie von mir geplant, nicht 1 Promille war nicht von mir.

Wann haben Sie mit der Planung angefangen?

Ich habe damit am 2. Oktober 2009 angefangen, genau an dem Tag, als der Anruf kam, dass ich der Erstgereihte nach dem Hearing der letzten drei Kandidaten sei. „Wir bieten Ihnen diesen Job an, Ja oder Nein?“ Nach dem Ja begann das Hirn zu arbeiten. Offizieller Termin war dann der 1. März 2010. Ich musste mir ja auch schon Gedanken über das letzte Jahr machen. Denn mein Vorgänger hatte für 2010 noch kein fertiges Festival hinterlassen.

Wird es beim nächsten Mal wieder einen Schwerpunkt geben, wie in diesem Jahr?

Ja.

Wollen Sie diesen schon verraten?

Nein. Das Einzige was ich schon sagen kann ist, dass es die 25. Saison sein wird.

Also ein Jubiläum.

Es ist die 25. Saison. Der Mensch neigt dazu, solche Zahlen gerne jubilarisch darzustellen. Ob wir das machen und ob das Publikum so sieht, da warten wir mal ab. Aber es ist die 25. Saison, nicht der 25. Geburtstag, der wäre 2013. Wir feiern nicht, aber wir heben die 25. Saison heraus. Weil wir damit auch im Gegensatz zu einem Geburtstag stehen, der ja immer etwas Statisches hat, also Innehalten bedeutet, bei welchem man die dazugehörige Torte anschneidet. Das ist mir zu traditionell zu statisch und auch immer gefährlich, gerade in einer Stadt wie in Wien. Wir sagen 25. Saison, 25. Auflage/Ausgabe des Festivals. Das impliziert für mich etwas mehr Bewegung. Es ist nicht unwichtig darauf aufmerksam zu machen, damit die Leute diese Institution in ihrer ganzen Komplexität noch einmal wahrnehmen und dies nicht unbedingt in einer traditionellen Form, wie man das bei Jubiläen gewohnt ist. Das Festival hat wie jedes Festival die Aufgabe, sich – nicht jährlich neu zu erfinden, das wäre etwas übertrieben – aber sich jährlich neu die Frage zu stellen: Wofür stehen wir und wie füllen wir das?

Sie könnten jetzt also ad hoc keine Antwort geben, wenn ich früge „Wofür stehen Sie?“

Wir haben, um es zeitgemäß auszudrücken unseren Claim: „Das Festival für Musik der Gegenwart“. Diese Gegenwart ist allerdings auch kein zeitlicher Begriff, der ad hoc nur das Jetzt impliziert. Diese Gegenwart impliziert für mich zumindest eine Historie, die Zukunft erscheint mir ein bisschen wie Kaffesudleserei. Historie bedeutet für mich, wenn ich das Werk eines Komponisten programmiere. Dann geschieht ja das, was hier angeboten und komponiert wird, nie ohne Bezug zu einer Vergangenheit. Das bedeutet, er hat Einflüsse und Lehrer gehabt. Wir haben das im diesjährigen Abschlusskonzert gut erklärt, ohne es explizit zu erläutern. Cerha hat den Schwerpunkt gebildet und einer seiner bekanntesten Schüler hat den Schlusspunkt bestritten, nämlich Georg Friedrich Haas. Und das meine ich mit dieser Wechselwirkung zwischen Gegenwart und Historie. Jeder von uns hat den berühmten Rucksack, den er mitschleppt. Und das ist natürlich, so denke ich, bei Kunst an sich immer der Fall. Wir sind kein Uraufführungsfestival. Ich hab es sehr schön gefunden, als Lothar Knessl bei der Eröffnungsrede klar gemacht hat, dass wir nicht Donaueschingen sind. Wir sind nicht das Festival, das neue Trends oder Moden zeigt. Es ist immer noch ein Festival, das in diesen vier Wochen eine Behauptung erfüllen will und auch kann. Wir zeigen, dass neue Musik, Musik der Gegenwart, zeitgenössische Musik, wichtig für ein Land wie Österreich ist, und stellen die Beschäftigung damit und das Angebot auch dementsprechend zur Verfügung.

Würden Sie Wien Modern als wichtigsten Impulsgeber für die zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten in Österreich schlechthin sehen?

Diese Beantwortung fällt mir schwer. Ich glaube, dass es für Ensembles und Komponisten von großer Relevanz ist, mit diesem Festival zu arbeiten.

Es hat ja in dieser Saison Konzerte gegeben, bei denen sich an einem Abend sehr viele Komponistinnen und Komponisten treffen konnten und dies auch taten.

Ich hoffe, dass dies bei jedem Konzert der Fall ist, nicht nur auf dem Podium.

Bekommen Sie auch Rückmeldung von den Damen und Herren, dass dies etwas sei, was sie nicht missen möchten.

Ja, hier gibt es natürlich ein Feedback, denn in den 4 Wochen hat man eben die Möglichkeit, die Sie soeben geschildert haben. Man hat permanenten Kontakt mit Komponisten, und zwar nicht nur kurz vor dem Konzert, während der Pause oder kurz danach, sondern Stunden danach oder auch manchmal schon Stunden davor. Es kommen nicht nur solche, die in Wien residieren, oder jene aus den Bundesländern, sondern von überall her, es ist ja ein internationales Festival. Es sind andere Veranstalter da und dies ist natürlich ein ungeheurer Meeting- und Melting Pot. Das macht auch die Vielfarbigkeit eines Festivals aus. Das ist ja nicht nur bei Wien Modern so, sondern das sollte bei allen so sein, ob es die Wiener Festwochen sind oder die Salzburger bzw. Bregenzer Festspiele, alle sind immer auch eine Art „Rummelplatz“. In dieser Zeit arbeiten wir aber natürlich gleichzeitig sehr intensiv. Es ist eine Arbeit, die morgens beginnt und spät nachts endet. Für mich ist diese Zeit allerdings als Arbeit schwer wahrzunehmen. Diese Zeit ist sehr anstrengend und sehr intensiv zugleich und stellt auch hohe Ansprüche an die eigene Kondition.

Es gab ja in diesem Jahr einige Dislozierungen. Wie waren Sie denn damit zufrieden, dass nicht nur das Konzerthaus für Wien Modern der einzige Veranstaltungsort war?

Ich war sehr zufrieden damit.

Wurde das vom Publikum auch angenommen?

Wir hatten dieses Jahr, genauso wie letztes Jahr, wieder neue Räume. Es ist ja nicht so, dass wir per se sagen, wir benötigen jedes Jahr 2 oder 3 neue Spielstätten, nur um zu sagen, wir haben neue Spielstätten. Das ergibt sich einfach aus dem Programm heraus. Nehmen wir zum Beispiel Münchhausen. Zuerst standen Wolfgang Mitterer und Münchhausen fest. Dann überlegte man sich natürlich: das geht in eine Art trash-comedy-opera. Das braucht auch Platz, so etwas funktioniert nicht überall. Es braucht einen Ort, der konnotiert ist mit dieser Art von Aussage. Dann war es relativ schnell klar, dass das Rabenhoftheater hier in der Stadt wohl das geeignetste Theater sein würde. Und Gott sei Dank haben das die Betreiber des Rabenhofes auch so gesehen. Und so kam man dann eben zu einer Kooperation. Rabenhof hat perfekt geklappt, das war auch schon ein schöner Moment, als vor ca. einem Jahr erstmals angefragt wurde und man sich traf und beschnuppert hat und es letztlich sehr gut geklappt hat. Die Brunnenpassage dito. Für das nächste Jahr wird es sicher auch wieder interessante und gut gewählte Locations geben. Wir machen uns allerdings nicht auf Suche nach Theatern oder Schauplätzen, die es noch gäbe. Wir sagen nicht: Wir wollen neue Räume entdecken und dann gemeinsam bespielen und fragen uns erst nach dieser Suche, ob wir da etwas haben, was aufgeführt werden kann. Das war in den Nuller-Jahren so die Idee. Die Eroberung der Räume war zu dieser Zeit ein großes Thema und egal was gemacht wurde, es mussten neue Räume erschlossen werden. Unser Konzept ist ein anderes. Wir haben zuerst ein Projekt und machen uns dann Gedanken, welchen Raum dieses verlangt. Ich habe auch immer gesagt, dass ich zum Beispiel ein Streichquartett von Johannes Maria Staud nicht in der Ankerbrotfabrik mache, die ich zwar sehr schätze, aber das wäre dann nur, um den Raum zu präsentieren und ihm einen hippen Mantel umzuhängen. Dem Komponisten und seiner Komposition tue ich damit aber nichts Gutes.

Weil Sie die Brunnenpassage erwähnt haben, das war ja sehr interessant dort. Öffnet sich dort das Festival auch neuem und anderem Publikum?

Natürlich ist das ein Gedanke gewesen, weil es mir schon gut gefällt, wenn man die Öffentlichkeit erreicht. Und da gibt es sicherlich Plätze, die vielleicht mit einer anderen Öffentlichkeit hantieren, wie auch das Rabenhoftheater, das das auch tut. Wenn wir diese Öffentlichkeit erreichen, dann schadet das sicherlich weder dem Festival noch den Institutionen. Diese Wechselwirkung ist natürlich eine Bereicherung. Allerdings müssen wir die Kirche schon im Dorf lassen. Wir können nur die erreichen, die sich dafür auch interessieren, denn wir zwingen ja niemanden, hinzugehen. Die Menschen, die wir erreichen, interessieren sich für das, was wir im Angebot haben. Diese Öffnung und Öffentlichkeit finde ich gut und die tut dem Festival auch gut. Ich hoffe natürlich, dass dies auch in den kommenden Jahren sich weiter so entwickelt.

Bei der Brunnenpassage möchte ich noch hinzufügen, dass es dort ja eine ganz besondere Situation ist. Denn dort, glaube ich, wird nicht nur das Publikum angesprochen, das sich dafür interessiert, denn der Raum ist ja mit seinen Glasfronten in beide Richtungen sehr offen.

Die Menschen interessieren sich ja trotzdem, wenn sie eintreten.

Ja klar, aber sie interessieren sich natürlich nicht a priori für Wien Modern.

Das genau meinte ich ja mit der Öffentlichkeit. Es ist richtig, dass sie vielleicht im ersten Moment gar nicht wissen, dass es eine Veranstaltung von Wien Modern ist. Damit kann ich ganz gut leben, denn das finde ich nicht so schlimm. Denn wenn sie das interessiert und fasziniert, was sie dort erleben, dann wissen sie sehr bald, was das ist. Die Neugierde ist einfach vorhanden, und wenn es uns dann noch gelingt, dass sich diese Neugierde in andere Richtungen fortpflanzt, ist dies das Beste, was passieren kann. Dann führt der Weg fast automatisch irgendwann in die klassischen Räumlichkeiten, wie etwa Konzerthaus oder Musikverein. Wenn dies nicht passiert und sich herausstellt, dass diese Menschen nur das Projekt in der Brunnenpassage gut fanden, dann muss man dies auch akzeptieren.

Das heißt jetzt aber nicht, dass nächstes Jahr automatisch etwas in der Brunnenpassage sein wird.

Nein, das bedeutet nicht, dass nächstes Jahr etwas sein wird oder auch nichts sein wird. Sowohl Brunnenpassage, als auch Rabenhof waren wahnsinnig tolle Produktionen. Die Auslastungszahlen im Rabenhof zum Beispiel sind schlicht sensationell gewesen. Natürlich spräche alles dafür, wieder etwas im Rabenhof zu machen. Nur Mitterer und Rabenhof war eine „aufgelegte“ Geschichte, muss man ganz ehrlich sagen. Manchmal sind die Dinge so einfach, leider zeigt sich das oft erst im Nachhinein.

Das heißt den „Lotto 6er“ können Sie nicht immer für sich reklamieren?

Nein, ich spiele ja nicht einmal privat Lotto. Das ist ganz akribische Arbeit und manchmal ein wenig Glück.

Arbeiten Sie bei der Auswahl der Stücke auch auf die Quote hin?

Nein, natürlich sind die Auslastung und die Zuschauerzahlen wichtig. Jeder der sagt, das ist völlig unwichtig, lügt. Denn nur wenn ich vor- und nachweisen kann, dass das was ich mache auch eine Öffentlichkeit interessiert, dann ist es auch gut. Ich kann ja nicht einfach sagen: „Das, was ich mache ist, gut, es kommt nur niemand, weil alle „Deppen“ sind.“ Ich habe ja auch eine Verpflichtung gegenüber denen, die das zwar nicht üppige Budget zur Verfügung stellen. Sprich der Steuerzahler und die Steuerzahlerin und die Sponsoren haben natürlich auch ein Interesse, dass das Festival eine gewisse Zahl an Zuschauer erreicht.

Wie viel waren es denn heuer?

Es waren 19.300 Zuschauer.

Waren Sie damit zufrieden?

Es waren mehr als in den letzten Jahren.

Das heißt, Sie können sehr zufrieden sein.

Dafür bin ich noch zu jung, um sehr zufrieden zu sein. Die Latte hängt natürlich damit sehr hoch. Nur lässt sich natürlich nicht voraussagen, dass wir nächstes Jahr 19.400 oder 20.000 Zuschauer haben werden. Es hängt ja auch immer von den Kapazitäten der Locations ab. Diese Quote ist also mehr als relativ zu sehen. Die Zahlen haben natürlich eine Bedeutung und werden in der Öffentlichkeit häufig stärker wahrgenommen als die künstlerische Seite. Bei unserer Presseaussendung zum Ende des Festivals haben wir natürlich die Zahlen präsentiert und auch einiges zur künstlerischen Ausrichtung geschrieben. Sie können mir glauben, meist wurden nur die Zahlen in den Medien publiziert und ganz, ganz selten auch etwas zum Künstlerischen.

Bekommen Sie denn auch vom Publikum in irgendeiner Art und Weise eine Rückmeldung?

Ja, unser Publikum ist Gott sei Dank eines, welches nicht schüchtern ist. Nachdem man offensichtlich in der Zwischenzeit auch weiß, dass mein Gesicht dasjenige ist, das dies alles zu verantworten hat, bekomme ich sehr unmittelbar und direkt die Rückmeldungen und da sind nicht immer nur nette Worte dabei. Es ist natürlich auch schön, wenn man gelobt wird für die Arbeit. Wie es mir am Buffet im Konzerthaus passiert ist, wo ein Mann mir nicht nur guten Appetit wünschte, sondern sich auch für das schöne Programm bedankte. Das tut natürlich gut. Aber auch die kritischen Anmerkungen sind wichtig, sie zeigen ja auch, dass das Publikum sich mit dem Programm auseinandersetzt und auch, dass das Festival sowohl angekommen ist, als auch aufgenommen wurde, aber nicht nur als rein traditionelle und institutionelle Sache angesehen wird, sondern eben als lebendiger Organismus und das soll es ja auch sein.

Ist Ihre Arbeit bei Wien Modern so, wie Sie sich das vorgestellt haben?

Ich habe sieben Jahre bei den Bregenzer Festspielen gearbeitet und dort eine Schiene betreut, aufgebaut und geleitet und weiß heute noch nicht, ob eine Saison so war, wie ich mir das vorgestellt habe. Das kann ich so nicht beantworten. Es gab Momente heuer, bei denen ich an mir und an den Reaktionen der Öffentlichkeit merkte, dass es jetzt offensichtlich ganz gut aufgegangen ist. Das allerdings für einen Gesamtzeitraum von 4 Wochen mit 70 Veranstaltungen zu sagen, das kann ich nicht und ich glaube, dass dies auch nie möglich ist. Denn was würde ich dann machen, wenn das komplett aufgegangen wäre? Dann würde ich wahrscheinlich kein nächstes Jahr mehr machen wollen.

Ist der Stachel im Fleisch das, was sie motiviert weiterzumachen?

Der Antrieb ist jedes Jahr anders. Ich kann nicht sagen, wir haben es heuer so gemacht, nächstes Jahr machen wir es anders oder besser. Natürlich ziehen wir unsere Erfahrungen daraus, aber das hat weniger mit programmatischen Aspekten zu tun. Es geht dabei mehr um organisatorische Erkenntnisse. Nur weil zum Beispiel ein Wolfgang Mitterer dieses Jahr gut funktioniert hat, bedeutet das nicht, dass wir krampfhaft überlegen, wie wir im Programm nächstes Jahr wieder einen Mitterer unterkriegen. Das geht ja gar nicht und wäre auch sehr fad. Wenn wir an 2012 denken wissen wir, das wird ein komplett anderes Festival.

Gab es Überraschungen in diesem Jahr?

Bei der Pressekonferenz habe ich deutlich gemacht, dass gerade die fünf performativen Veranstaltungen für uns und auch für mich persönlich einen Schwerpunkt bilden. Und dass wir gerade bei diesen Veranstaltungen einen so großen Zuspruch seitens des Publikums hatten, war schon überraschend. Mir war schon klar, dass das eine interessante Geschichte darstellt, auch fürs Publikum, nicht nur für die Komponisten und Beteiligten. Dass wir dabei aber über 90% Auslastung hatten, das hat mich doch überrascht. Dass trotz aller Unkenrufe bezüglich des Abschlusskonzertes – da meinten ja viele, dass nach der Pause der Saal halbleer sei – das Haus auch nach der Pause noch voll war, hat mich natürlich befriedigt und das macht mich auch stolz aufs Publikum.

Gäbe es etwas mit dem sich Ihr Publikum ködern ließe?

Mein Publikum lässt sich nicht ködern. Ich will es auch nicht ködern.

Anders gefragt: Warum sollte man zu den Konzerten von Wien Modern gehen?

Ich bin ja kein Marketingmann und kann das nicht so ausformulieren. Der Grund ist für mich ganz einfach. Was Österreich auszeichnet, ist seine Musik und die verschiedensten Kunstformen. Die dürfen aber nicht nur historisch gewandet sein, die müssen auch aus dem Jetzt kommen. Ich habe es dieses Jahr häufiger gesagt: „Das ist der Rohstoff dieses Landes.“ Und diesen Rohstoff wertzuschätzen, dafür steht Wien Modern.

Ich bedanke mich und freue mich auf das Festival 2012.

Ich habe den Eindruck, dass ich ein musikalischer Tafelbildmaler bin

Ich habe den Eindruck, dass ich ein musikalischer Tafelbildmaler bin

Gerald Resch (c) Wien Modern Lavinie Haala

Gerald Resch (c) Wien Modern Lavinie Haala

Interview mit dem österreichischen Komponisten Gerald Resch anlässlich des Festivals Wien Modern 2011.

Wie ist das für Sie, wenn Sie ein Werk von sich bei der Uraufführung das erste Mal hören?

Meine Vorstellung ist doch ziemlich genau, daher ist es nicht sehr überraschend; ich weiß ja, was ich geschrieben habe. Bei manchen Sachen, die ich mir anders vorgestellt habe – da geht es vor allem um Balance – wenn ich zum Beispiel höre, was die Hörner spielen, weiß ich, dass ich anstelle von Mezzopiano doch besser Mezzoforte notieren hätte sollen. Das sehe ich dann als meinen Fehler an, den man aber leicht ausbessern kann.

Kann man diese Ausbesserungsarbeiten mit jenen am Theater vergleichen, bei welchen man ja auch noch bemüht ist auf die Reaktionen des Publikums einzugehen?

Nein, eigentlich nicht, denn ich arbeite ja nicht auf die Reaktionen des Publikums hin, sondern in Bezug auf meine eigene Vorstellung. Was ich aber schon mache, ist der Versuch, mit dem, was ich schreibe, spannend zu bleiben. In gewisser Weise bin ich mein erster Hörer. Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich mir dann auch sagen, wenn mir jetzt fad ist, ist dem Publikum vielleicht auch schon fad. Aber vielleicht stimmt das auch nicht, denn Komponisten tendieren immer dazu, zu schnelle Tempi zu wählen. Man sitzt ja wochenlang über einer bestimmten Stelle, die man dann ja irgendwann genau kennt und dann denkt man sich „weiter, weiter, weiter“. Für jemanden, der das aber zum ersten Mal hört, ist es vielleicht zu rasch, wenn man mit ungewohnten Inhalten konfrontiert wird.

Eines Ihrer Hauptcharakteristika ist für mich das Überraschungsmoment, das so gut wie in jedem Ihrer Stücke vorkommt.

Es gibt viel zeitgenössische Musik, die sehr diskontinuierlich ist, in der sehr viele Brüche aufeinanderfolgen, sehr starke Kontraste in sehr kurzer Zeit eingesetzt werden. Das ist in meiner Musik nicht so. Bei mir geht es fast immer um recht logische, deutliche Prozesse die sich entwickeln. Wie das z.B. in meinem Violinkonzert Schlieren der Fall ist. Die Geige beginnt alleine, dann kommen die Schlagzeuger dazu, dann die Solobratsche und der Orchesterapparat schwingt sich wirklich erst peu à peu ein – bis er irgendwann stärker ist als der Solist, der dann fast in diesem Orchester-Klangbad ertrinkt. Aber das braucht alles seine Zeit, eine gewisse Trägheit, eben einen gewissen zeitlichen Verlauf. Diese Neigung zur Kontinuität ist für mich schon ein sehr großer Unterschied zu Komponisten wie dem frühen Wolfgang Rihm zum Beispiel, bei dem oft sehr stark kontrastierende Elemente unmittelbar aufeinanderfolgen.

Ist das ein Generationenunterschied, eine Anti-Haltung die bedeutet, ich gehe das anders an?

Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Die Persönlichkeiten sind einfach unterschiedlich gestrickt. Mir erscheint es interessanter, die Hörer in gewisser Weise an der Hand zu nehmen und in die Musik hineinzuziehen als Unterschiedliches einigermaßen wirr vorzuzeigen.

Sie erzählen mit ihrer Musik eigentlich gerne, oder?

Ja, ich vermute schon. Mir kommt auch vor, dass in den letzten Jahren das dramaturgische Denken wichtiger wird. Am Beginn einer Komposition habe ich meist eine Menge loser Ideen und denke mir dabei auch, dass ich als Schluss dieses oder jenes einsetzen könnte, aber ich weiß noch nicht genau, wohin es mich im Verlauf der Komposition tragen wird. Die Möglichkeiten konkretisieren sich im Laufe der Arbeit und dann bin ich plötzlich an einer Stelle, an der sich das Stück soweit klar entwickelt hat, dass ich es als spannend empfinde, genau jetzt einen Bruch einzuführen. Also ist dieses Überraschungsmoment von dem Sie sprechen, das es so gut wie in jedem Stück gibt, doch mit ziemlichem Bedacht eingesetzt. Das ist so wie bei einer Pointe, bei der müssen Sie sich gut überlegen, wo Sie sie setzen. Im Englischen heißt Pointe ja timing, was es genau trifft.

Sie haben in den letzten 10 Jahren kontinuierlich 1-3 Kompositionsaufträge pro Jahr erhalten. Komponieren Sie eigentlich immer und sagen Sie dann „das kann ich jetzt für diesen Auftrag verwenden“ oder läuft das bei Ihnen anders ab?

Nein, eigentlich ist es so, dass ich die Einschränkungen, die mit einem Auftrag oft verbunden sind, gerne habe. Das ist eine Charakterfrage. Es gibt den berühmten Roman von Georges Perec „La disparition“ in dem er alle Buchstaben verwendet, bis auf den einen, der im Französischen am Häufigsten vorkommt, nämlich das E. Dieser Roman ohne E ist eine Unglaublichkeit. Ein Roman von 300 Seiten der ohne diesen Buchstaben auskommt. Versuchen Sie nur einen Satz zu formulieren ohne E! Sie werden automatisch auf völlig andere Dinge kommen, die Sie ausdrücken, wie wenn Sie ohne Einschränkung sagen könnten, was immer Sie wollen. Dieser Georges Perec bzw. das Oulipo, wie diese französische Richtung aus den 70er Jahren genannt wird, also ouvroir de litterature potentielle, hat mich immer sehr begeistert. Also dieses „was mache ich aus einer Einschränkung“. Bei mir beginnen sofort die Augen zu glühen und das Hirn zu rattern, wenn ich weiß, ich hab eine inspirierende Einschränkung. Bei Cantus firmus, dem Stück, das ich vergangenes Jahr für das Festspielhaus St. Pölten geschrieben habe, wusste ich, dass bei der Aufführung danach die 2. Symphonie von Mendelssohn, Lobgesang, aufgeführt werden würde. Ein großes Stück für Chor und Orchester und Texten aus der Heiligen Schrift, eine richtig affirmative Gotteslobmusik. Und ich sollte das Stück für die erste Konzerthälfte schreiben. Das war eigentlich eine unglaubliche Bürde, etwas zu finden, was von dem Mendelssohn nicht erdrückt wird, ihn auf eine sinnvolle Art und Weise kommentiert und trotzdem meine Musik ist. So etwas mag ich sehr und finde ich hochspannend. Deswegen habe ich mich über diesen Auftrag auch sehr gefreut.

War es für Sie immer schon klar, dass Sie mit der Musik etwas zu tun haben werden oder hätten Sie genauso gut in andere Künste abgleiten können?

Ich selber hatte als Jugendlicher den Eindruck ich könnte alles Mögliche werden, aber meine damaligen Lehrer meinen rückblickend, dass es für sie klar gewesen sei, dass ich Musiker werden würde. Ich hatte damals wohl eine sehr verklärende Selbstsicht.

Sind Sie diesbezüglich erblich vorbelastet?

Nicht wirklich. Meine Eltern sind beide Lehrer, mein Großvater war ein tschechischer Kellner und da gehörte es natürlich auch dazu, dass man Geige spielte, damit die Leute im Gasthaus mehr Schnaps tranken. Wobei schon irgendein Gen ausgebrochen sein dürfte, das ein paar Generationen übersprungen hat, da mein Bruder auch Musiker ist und an einem Gymnasium Musik unterrichtet.

Gibt es für Sie Parallelen in anderen Künsten, wie der bildenden Kunst, der Literatur, im Theater die das widerspiegeln, was Sie in Ihren Kompositionen machen?

Ich empfinde persönlich in der bildenden Kunst speziell der letzten 30 Jahre eine ganz starke Zweigleisigkeit. Einerseits das Aufbrechen in die Intermedialität, reziprok dazu aber das Festhalten am Tafelbild. Bei Künstlern wie Gerhard Richter zum Beispiel, der sowohl konkret als auch abstrakt arbeitet, ist diese ganze Bandbreite vorhanden und das ist mir vielleicht ein wenig verwandt. Ich habe den Eindruck, dass ich ein musikalischer Tafelbildmaler bin, dass ich gerne diesen viereckigen Rahmen habe, der bei mir in erster Linie instrumentale Konstellationen bedeutet und dass ich aber innerhalb dieses Rahmens auch zwischen konkret und abstrakt wechseln kann. Das mach ich dann situationsbedingt. Manchmal ist es wichtig, sehr konkret zu sein, manchmal ist es viel spannender, zu abstrahieren. Ich habe vor einigen Tagen mit einer befreundeten Komponistin, Leah Muir, gesprochen. Ihr Freund beschäftigt sich mit Gehirnforschung und wir unterhielten uns darüber, dass ein Gehirn bei Kippbildern, wenn das Gehirn permanent überlegen muss „ist das jetzt nur ein Muster, oder sehe ich da eine konkrete Form drinnen?“ wohl am alleraktivsten ist. Viel aktiver, als wenn Sie einfach nur konkret Figuren sehen und auch viel aktiver als würden Sie erkennen, dass das eine abstrakte Figuration ist. Genau dieser Zwischenbereich, in dem man nicht weiß, ob das schon konkret ist oder nicht, ist auch so etwas wie eine ästhetische Erfahrung.
Bei meinem Stück Grounds beispielsweise gehe ich von einer Gambenfantasie von Henry Purcell aus, die 1680 komponiert wurde. In diesem Stück leite ich das ganze musikalische Material aus einem Cantus firmus ab, der der Purcell-Fantasie zugrunde liegt. Das ist ein kompliziertes Verfahren, in welchem ich mit genetischen Generationen arbeite, sodass beispielsweise die Akkorde, die ich verwende, in irgendeiner entfernten Art und Weise auch aus dieser Purcell-Grundlage herauskommen. Die Dramaturgie dieses Stückes, das 5 Sätze hat, ist die, dass ich sozusagen mit einem normalen Resch-Stück beginne und immer mehr in die Purcell-Region gehe, bis ich dann im 4. Satz diese originale Fantasie von Purcell tatsächlich zitiere und mich schließlich im 5. Satz davon wieder in meine eigene Musik hinein entferne. Das bedeutet ein Spiel zwischen Nähe und Distanz, bei der auch etwas von der Abstraktion ins Konkrete übergeht und sich dann auch wieder ins Abstrakte zurückzieht.

Haben Sie je auch mit Elektronik in Ihren Stücken eingesetzt?

Ich habe ja Komposition einerseits und Musikwissenschaft andererseits studiert und hatte dann den Eindruck, dass mir etwas ziemlich Essentielles fehlt. Etwas Spontaneres, Unakademischeres, was ich in einem Lehrgang für Elektroakustik nachholen wollte. Ich begann das zu studieren, konnte dies aber nur ein Jahr lang tun. Dann kam meine Tochter auf die Welt und damit war klar, dass ich Geld verdienen musste. Bis heute habe ich großes Interesse an der Elektroakustik, aber ich fühle mich darin als Dilettant. Ich glaube, dass da ganz maßgebliche Dinge passieren, die ich auch versuche zu erleben, aber ich weiß noch nicht, ob ich das selbst jemals lernen und für mein eigenes Komponieren verwenden werde.

Feiert bei Ihnen die Postmoderne fröhliche Urstände, weil Sie einen historischen Klangapparat bemühen?

Darin bin ich noch nicht postmodern. Das machen viele andere Kollegen ja auch. Das Orchester ist einfach auch ein Apparat, der in seiner Standardkonfiguration gewissermaßen ein Maximum an Möglichkeiten birgt. Ich nenne da nur das Stück von Clemens Gadenstätter „Fluchten/Agorasonie, das auch für Standardorchester geschrieben ist, mit Integration ganz weniger Zusatzinstrumente. Aber im Grunde ist das ein Orchesterstück für dreifaches Holz und Blech, weil man da einfach so gut wie alles machen kann. Ich glaube nicht, dass die Verwendung eines Orchesters in seiner Standardaufstellung, wie bei einer Tschaikowsky-Symphonie, bereits so etwas ist wie „Sich-verbunden-fühlen“ mit einer Tradition. Trotz seiner langen Geschichte bietet dieser „Apparat“ – das Orchester – einfach ein Füllhorn an akustischen Möglichkeiten. Stellen Sie sich vor, Sie lassen alle Geigen auf dem tiefsten Ton spielen und alle Celli auf dem allerhöchsten. So etwas werden Sie in einem Orchester noch nie gehört haben. Das ist nur ein ganz banales Beispiel. Es gibt einfach Millionen von Möglichkeiten. Insofern sehe ich persönlich auch keine Notwendigkeit, ein Orchester durch Verwendung einer Tonbandschicht zu sprengen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man das, was in der Tonbandspur geschieht, auch einfach ins Orchester hineininstrumentiert.

Man hat gerade während des Festivals Wien Modern die Möglichkeit, viele zeitgenössische Positionen hintereinander zu hören. Inwieweit bildet das für Sie eine Beeinflussung?

Das ist schon sehr wichtig. Ich finde es am Beruf des Komponisten auch sehr schön, dass man über die Kollegen gut Bescheid weiß. Komponist sein ist ja etwas recht Ungewöhnliches, es gibt in Österreich nur ein paar Hundert davon und irgendwann kennt man die ja auch. Jetzt hatte ich die Freude, Kollegen aus England kennenzulernen, wie Emily Howard, mit der ich mich auch ein bisschen befreundet habe und es ist einfach spannend, Werkstattgespräche zu führen. Zu fragen „wie machst Du das?“ oder „wie ist die Situation der Ensembles in Deinem Land?“ oder was auch immer.

Sind Sie selbst einem Ensemble besonders verbunden?

Von Studentenzeiten her dem Ensemble „Phace“, das meine Stücke aufgeführt hat und mich begleitete. Ansonsten mit dem Ensemble Kontrapunkte, bei dem ich mich freue, dass sich sein Dirigent Peter Keuschnig seit vielen Jahren für meine Kompositionen interessiert. Das ist besonders schön, weil sich in einer kontinuierlichen Zusammenarbeit viel reifere Früchte ernten lassen. Dann hatte ich dieses Jahr Premiere, da mich der erste große Klangforum-Auftrag ereilt hat. Das Klangforum ist ja ein absolutes Spitzenensemble für zeitgenössische Musik. Das Stück, das ich da geschrieben habe, war aufgrund der räumlichen Gegebenheiten ohne Dirigent zu realisieren. Es war für das Foyer des Konzerthauses komponiert worden und das hätte für Ensembles, die weniger eingespielt sind, schon große Schwierigkeiten mit sich bringen können. Es war toll zu sehen, wie das Klangforum damit überhaupt kein Problem hatte. Mir fiel auch bei den Proben ein Stein von Herzen, als absehbar war, dass die Akustik funktionierte, was ja bei diesem großen Raum nicht sicher war.

Wie lange brauchen Sie im Durchschnitt für eine Komposition?

Ich schreibe im Durchschnitt 2-3 Stücke im Jahr. Es ist immer die Frage, ab wann ich zu rechnen beginne. Bei jeder Komposition gibt es ziemlich umfangreiche Vorarbeiten: Materialsammlungen, Referenzstücke kennenlernen und analysieren, Klangverläufe ausprobieren usw. Bei Collection Serti, dem Stück für das Klangforum wusste ich 2009, dass ich einen Auftrag bekommen würde. Ds begann ich einmal ganz vage Ideen zu sammeln. Im Laufe des Jahres 2010 ist Sven Hartberger (Anm: jetziger Intendant des Klangforums) mit dem Oskar Serti-Projekt an mich herangetreten. Seine Frage war, ob ich mir vorstellen könnte, für die sehr spezifische Situation im Foyer, eben räumlich verteilt, ohne Dirigent, das „Erste Bank“ Preisstück zu widmen. Und so habe ich ein Stück für einen speziellen Anlass und für einen speziellen Raum komponiert. Man wagt schon etwas Besonderes, wenn man sich für ein halbes Jahr hinsetzt, um eine Viertel Stunde Musik zu schreiben, die dann auch für eine ganz bestimmte Idealsituation maßgeschneidert sein soll.

Lothar Knessl sagte in seiner Eröffnungsrede dieses Jahr bei Wien Modern, dass Komponisten komponieren müssten, egal, ob sie dafür etwas bekämen oder nicht. Stimmen Sie dem zu?

Im Prinzip schon. Aber es ist die große Frage, von welchem Standpunkt man das sieht. Natürlich will man als Komponist in erster Linie Stücke schreiben, und mitunter schreibt man auch gern etwas für diesen oder jenen Freund – ohne Geld. Aber diese grundsätzliche Bereitschaft nehmen Veranstalter auch ganz gerne als Vorwand, sich aus der Pflicht zu stehlen, die Entstehung einer neuen Komposition mitzufinanzieren. Ein Veranstalter käme zwar niemals auf die Idee einen Musiker zu engagieren, ohne etwas zu bezahlen. Bei Komponisten ist das aber etwas anderes. Da geht man mitunter leider davon aus, dass es eine Ehre sei, ein Stück erstmals z.B. im Musikverein zu Gehör bringen zu dürfen und man als Komponist doch dafür dankbar sein müsse. Dieser Meinung bin ich aber definitiv nicht. Das sehe ich auch als Verpflichtung meiner Berufsgruppe gegenüber. Wenn jeder Komponist sagen würde, „gerne, ich schreibe etwas gratis wegen der Ehre“, dann hätten wir ein unglaubliches Preisdumping und die Szene würde ausgehungert und innerhalb kurzer Zeit könnte dann niemand mehr in irgendeiner Art und Weise vom und für das Komponieren leben.

Empfinden Sie, dass es in Österreich eine Ballung an Musikinteresse gibt, welches sich außerhalb des Landes, speziell außerhalb Europas sehr schnell verdünnt?

Ich kann sagen, dass ich in Österreich mittlerweile zu jenen Komponisten gehöre, die sehr gut wahrgenommen werden, aber außerhalb von Österreich so gut wie gar nicht. Ich habe während des Festivals Wien Modern mit einem Kölner Journalisten gesprochen, der mir sagte, dass die dortige Szene viel stärker auf Stockhausen und andere regionale Künstler konzentriert ist, als hier bei uns. Und dass eine breite Internationalität, wie sie heuer Wien Modern gezeigt hat, oder auch das Klangforum vertritt, dort gar nicht möglich sei.

Wenn man sich nun aber die Kunstlandschaft ansieht, so ist es doch speziell die Musik, die derart „national“ unter sich bleibt. „National“ nicht im Sinne von Gesinnung, sondern nur im Sinne von räumlichem Zusammenleben und Arbeiten in einer bestimmten Nation. Die bildende Kunst hingegen überspringt die Grenzen doch viel schneller.

Ich denke, das liegt daran, dass bildende Kunst immer auch einen Marktwert hat. Sie können heute das Bild eines aufstrebenden chinesischen Künstlers kaufen. Wenn Sie ein gutes Gespür haben, ist dieses Bild in 10 Jahren das 5-fache wert. Das ist bei Musik nicht der Fall. Das ist einerseits ein Dilemma. Andererseits ist es aber etwas unglaublich Poetisches zu sagen, dass Musik eigentlich ja nichts wert ist. Wenn Sie sich heute eine Partitur von mir kaufen ist die gar nichts wert, sie klingt ja nicht. Selbst in dem Augenblick, in dem sie klingt, ist sie noch immer nichts wert, weil sie ja einfach nur Luft ist, die sich bewegt und Ihr Ohr erreicht. Sie können sich das nicht an die Wand hängen oder sich damit schmücken, dass Sie reich sind, weil Sie meine Partitur besitzen. Sie sind es nicht.

Sie befinden sich damit ja komplett außerhalb des kapitalistischen Wertesystems.

So empfinde ich das tatsächlich.

Macht Ihnen das Freude oder tut Ihnen das leid?

Ich sehe es als einen legitimen, anderen Blick auf dieses Dilemma. Man jammert im Allgemeinen darüber, dass es für die zeitgenössische Musik so wenig Publikum gäbe, dass man sich in einer Nische befände. Man fragt sich nach der gesellschaftlichen Relevanz des eigenen kompositorischen Tuns. Ich denke aber, dass es auf der anderen Seite auch ein großer Freiraum ist zu sagen, dass es – gerade weil die zeitgenössische Musik außerhalb des kapitalistischen Wertesystems steht – ja doch ein Publikum gibt. Bei Oskart Serti waren an zwei Abenden jeweils 600 Leute, die als eine große Gemeinschaft inmitten „meiner“ Musiker teilweise mit geschlossenen Augen standen und dieses Stück intensiv erlebten. Das ist ja nicht Nichts!

Ist es nicht so, dass sich die Demokratie an ihren Minderheiten beweist? Und nur dann, wenn Minderheiten frei das ausleben können, was sie möchten, leben wir in einem freien demokratischen Land? Der andere Gesichtspunkt ist, dass sich eine Gesellschaft – egal ob Demokratie oder nicht – ja vor allem auch durch ihren Rand definiert. Wenn man nun das Zentrum als Ballung von Menschen sieht, dann hat man natürlich nach außen hin diese Ausdünnung zu den Minderheiten. Man fragt sich immer was bringt das, was kostet das, wer hat was davon, dieser viele Aufwand für die wenigen Leute! Aber es fragt sich eigentlich niemand: Was würden alle diese Menschen machen, denen das gefällt, die gerade dafür ein Auge, ein Ohr, ein Sensorium haben, wenn wir diese Projekte nicht am Leben erhalten würden.

Oder wollten wir in einer Gesellschaft leben, die so etwas nicht mehr ermöglicht? Ich würde mich unweigerlich fragen, ob Wien dann noch die Stadt wäre, in der ich gerne und freiwillig lebe. Ich bin auch davon überzeugt, dass der Umgang mit den Interessen von Minderheiten ein unmittelbarer Indikator für die Reife und die Toleranz einer Gesellschaft ist.

Minderheit bedeutet in Ihrem Fall ja auch Verteidigung der zeitgenössischen Kunstpositionen.

Ja, obwohl das jetzt doch ein bisschen zu kämpferisch klingt. Es gibt auch viel sichtbarere Minderheiten, zum Beispiel die Minderheit der Bettler. Wie geht eine Gesellschaft damit um, dass vor jedem Billa jemand steht, der eine Zeitung verkaufen möchte? Schafft es eine Gesellschaft zu akzeptieren, dass es diese Menschen auch gibt, oder dreht man sich empört weg und findet das unmöglich, weil es diese Menschen früher nicht so sichtbar gab? Das ist tatsächlich eine Frage von Reife. Ich erinnere an dieser Stelle nur daran, dass im Islam der Bettler eine Bereicherung für die Gesellschaft ist, weil er Ihren Mitgliedern die Möglichkeit gibt, Gutes zu tun.

Weil Sie es selbst angesprochen haben: Könnten Sie auch in einer anderen Stadt als Wien leben?

Ich kenne durch mein Studium natürlich einige europäische Städte, aber ich glaube, dass gerade für meinen eigenen musikalischen Ton Wien die richtige Stadt für mich ist. Ich habe gestern bei einem Konzert von Francis Burt und Friedrich Cerha eine ganz schöne Formulierung gefunden. Burt sprach in dem Programmheft von dem „latenten espressivo“ dass es in Wien gäbe, was ihn auch in den 50er Jahren dazu gebracht hätte, bewusst von London nach Wien zu ziehen. Diese Einschätzung teile ich. Dieses „latente espressivo“ als Hintergrundrauschen dieser Stadt ist etwas, womit ich gut kann.

Beziehen Sie sich damit auf die Gruppe jener Menschen, die Musik machen bzw. sich in diesem Umfeld bewegen?

Nicht unbedingt. Zweifelsohne ist die musikalische Infrastruktur in Wien eine hervorragende im Vergleich zu vielen anderen Städten dieser Größe. Aber ich mag vor allem auch die Art, in der in Wien im Alltag Dinge möglich sind. Es ist dem Straßenbahnfahrer streng untersagt, dass er Ihnen mit einem Kinderwagen in die Straßenbahn hilft und er tut es aber trotzdem. Es ist dieses slawische Temperament, das Wien so bereichert. Dieses „es geht doch irgendwie“. Ich bin ja auch ein Zugereister, nicht hier geboren, obwohl ich schon seit 20 Jahren in Wien lebe. Ich lebe sehr gerne in der Brigittenau. Schätze es immer, wenn ich über den Fluss, den Donaukanal muss. Ich mag das sehr, dass man da etwas hinter sich lässt, die Seite wechselt und wie auf einer kleinen Insel lebt.

Jede Stadt hat ja auch ihr eigenes Tempo. Schlägt sich das bei Ihnen auch beim Komponieren nieder?

Das Komponieren ist per se eine unfassbar langsame Tätigkeit. Um hier die Relationen deutlich zu machen: Um 15 Minuten Musik zu schreiben, brauche ich zumindest 400 Stunden. Das ist eine unglaublich luxuriöse Situation. Total unökonomisch. Aber Sie brauchen auch lang um im besten Fall etwas zu machen, was dann auch wirklich schön ist. Man hat auch nicht weniger lang an Heiligenstatuen geschnitzt oder an einem Wasserspeier, der vom Stephansdom herunter guckt. Das ist alles Überfluss an Zeit und Lebensenergie, die da hineingesteckt wurde. Für einen Menschen, der komponiert, dehnt sich die Zeit extrem. Die 15 Minuten Stückdauer werden gedehnt auf 400 Stunden Arbeit. Eine Stadt wie Wien, die sicherlich ein langsameres Tempo hat als z.B. London, wo ich in den letzten Jahren regelmäßig war, ist so einer langsamen Tätigkeit wie dem Komponieren möglicherweise tatsächlich förderlich. In Wien kann ich 4 Stunden am Vormittag sitzen und komponieren und habe das Gefühl, währenddessen nichts Wesentliches versäumt zu haben. Auf diese Weise kommt man kompositorisch gut voran.

Haben Sie mittelfristige Pläne?

Ich habe viele Pläne, aber ich warte auf Angebote. Ich hatte bei Wien Moderne schöne Aufführungen und durfte damit wunderbare Erfolge feiern, aber ich verfolge im Augenblick keinen größeren konkreten Auftrag.

Wenn man jetzt an Sie herankäme, hätten Sie dann Ideen oder würden Sie sich eher freuen, wie Sie eingangs sagten, Begrenzungen zu erfahren?

Ich denke, das würde ich dann in einem reziproken Diskurs sicher klären!

Michaela Preiner führte das Interview mit Gerald Resch im Café Vindobona am 24.11. 2011