Die Intimität einer Verführung

Von Michaela Preiner

„Verführung“ (Foto: Markus Sepperer)
04.
Dezember 2017
Die Autorin Marlene Streeruwitz und die Komponistin und Pianistin Katharina Klement überzeugten das Wien-Modern Publikum im Berio-Saal des Konzerthauses mit hoher Musikalität und einem eleganten Sprach-Mix.
Ihre Stimme ist klar und sanft. Ihre Worte reihen sich fließend aneinander und erzeugen den Nachhall einer Liebesgeschichte. Einer Liebesgeschichte, in der von vorneherein der Glaube an ein Happyend das Wissen um die Schwierigkeit einer dauerhaften Bindung verdrängt. Die dazu produzierten Klänge und die Musik schmiegen sich an das Gehörte an, manches Mal verlangen sie jedoch ungeteilte Aufmerksamkeit.
Im Beriosaal des Konzerthauses erlebte das Wiener Publikum die Uraufführung von „Verführung“, einem „Experiment“, in dem Sprache und Musik gleich behandelt werden sollten. Das Konzerthaus und Wien Modern agierten für diese Produktion als Auftraggeber und erhielten ein höchst intimes und feinfühliges Kunsthybrid, bei dem sich die Grenzen zwischen den einzelnen Genres permanent verwischten. Streeruwitz agierte, begleitet von Klement, direkt auf der Bühne und trug ihren Text selbst vor.

Der Ring der Großmutter, in Triest um die Jahrhundertwende von einem Juwelier gemacht, verschwindet darin. Unter einem gut vorbereiteten Wäscheberg, der neben einem Koffer darauf wartet, eingepackt zu werden. Wie auch ein Kind verschwand, unter einem Wäscheberg. Die Liebe, die entgegen besseren Wissens begonnene, auch sie wird sich, oder hat sich bereits, so deutet es Streeruwitz zumindest an, verflüchtigen.

20171127 Verführung c Markus Sepperer 6
„Verführung“ (Foto: Markus Sepperer)
Der Text ist in unterschiedliche, stilistische Teile gegliedert. In einen hoch poetischen, in dem die Gedanken des Publikums Unausgesprochenes ergänzen müssen, in einen eine Geschichte erzählenden, der aber auch nicht alles, was in ihm zu stecken scheint, offenbart. Aber auch in einen aufzählenden Teil, in dem sich eine Präposition sowie an anderer Stelle eine Deklination an die nächste anschließt. „Ich verführe, du wirst verführt, er, sie, es wird verführt“, die Deklinationsreihe, in verschiedene Zeiten, Zahlen, Aktiva, Passiva, im Konjunktiv und Imperativ abgewandelt, scheint unendlich lang. Und macht klar: Verführt wurde gestern, wird heute und wird auch morgen werden. Verführt wird ein einzelner Mensch genauso wie viele gleichzeitig – ein Entrinnen scheint es nicht zu geben. Auch wenn sich die eigene Ratio dagegenstemmt.

Die Komposition von Klement beeindruckte ebenso mit einer Reihe unterschiedlicher, stilistischer Ideen. Die Komponistin bildete zu Beginn mit Soundschnipseln wie dem Prasseln von Feuer, dem Zirpen von Zikaden oder indifferentem Rauschen, die elektronisch eingespielt wurden, ein individuell deutbares Geräuschmosaik. Später begleitete sie den Rhythmus des Textes mit Hilfe des Klavierkörpers rein perkussiv. In einem pianistischen Solo ließ sie eine an- und abschwellende Klangwelle entstehen, die einen eigenen Groove entwickelte. Eine spätere, eindrückliche, elektronische Raum-Klanginstallation, die sich ständig zunehmend über mehrere Lautsprecher im Raum verteilte, um sich nach und nach wieder zu entflechten, fügte dem Text wiederum völlig neue, auditive Qualitäten hinzu.

20171127 Verführung c Markus Sepperer 3
20171127 Verführung c Markus Sepperer 5
20171127 Verführung c Markus Sepperer 8
20171127 Verführung c Markus Sepperer 1
„Verführung“ (Foto: Markus Sepperer)

Mit abermaligen Glaubens- und Wissens-Bekenntnissen verknüpfte Streeruwitz den Schluss ihres Textes kunstvoll ringförmig mit dessen Beginn. Nur folgerichtig, dass Klement dazu auch Geräusche zitierte, die bereits am Anfang zu hören waren.

„Verführung“ bot nicht nur ein anspruchsvolles, musikalisches Kaleidoskop, in dem Katharina Klement beweisen konnte, dass ihre musikalische Kreativität schier unbegrenzt scheint, wobei sie gleichzeitig in der Lage war, sich feinfühligst auf den Text von Streeruwitz einzulassen. Der Autorin gelang mit ihrem Text auch das Kunststück, individuell Erlebtes sprachlich so aufzubereiten, dass sich dies zu einer allgemeingültigen Aussage hin verdichtete.

Ein Ausnahme-„Konzert“, das sich zum Nach- oder Neuhören auch auf einer CD ausnehmend gut präsentieren würde.

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Previous

Next

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Pin It on Pinterest