Verlorene Paradiese
Von Michaela Preiner
Die Stella-preisgekrönte Inszenierung „Atlas der abgelegenen Inseln“ bot eine Wechseldusche der Gefühle, bei der das junge Publikum innerhalb kurzer Zeit nicht nur die Entdeckerlust, sondern auch die Zerstörung der Naturparadiese nachvollziehen konnte.
So liest man in der Ankündigung zu „Atlas der abgelegenen Inseln“ der makemake Produktionen auf der Website des Dschungel Wien über das Musiktheater nach dem Buch von Judith Schalansky. Das Stück, von Sarah Ostertag inszeniert und im Rahmen von Wien Modern im November im Dschungel präsentiert, wurde von Hannes Dufek (Platypus) anschaulich und vielfältigst musikalisch illustriert. Samuel Eder an der Klarinette und Zuko Samela (Viola) bedienten zusätzlich noch verschiedene Persussionsinstrumente und unterlegten das Geschehen mit einer spannenden, Klangatmosphäre. Michèle Rohrbach agierte als Erzählerin, die von verschiedenen Inselentdeckungen berichtete. Von unwirtlichen Inseln, die nicht bewohnt werden können, von Südseeinseln, von denen die Ureinwohner bald so kolonialisiert waren, dass sich die alten Riten und Gebräuche ganz verabschiedeten, von solchen, auf denen sich selbsternannte Comtessen mit Liebhabern vergnügten, um auf mysteriöse Weise dann von der Bildfläche zu verschwinden und vielen anderen mehr.
Mit Laura Eva Meuris als Performerin, die in viele Rollen schlüpfte und das Publikum mit ihren Auftritten immer wieder aufs Neue überraschte, erhielt die Vorstellung einen zusätzlichen, tollen zeitgenössischen-Tanz-Drive. Das abwechslungsreiche Geschehen, mit vielen Video-Einspielungen und der Visualisierung der Inseln auf ihren Längen- und Breitengraden, veränderte die Bühne von einer sauberen, ordentlich strukturierten hin zu einer komplett vermüllten, auf der am Schluss viele Plastiksäcke, jede Menge Klamotten000 und andere Requisiten den Boden bedeckten. Eine wunderschöne, zugleich aber auch bittere Metapher für die Vermüllung unserer Meere und die Zerstörung der paradiesischen Inseln, die eine große Herausforderung für die Menschheit darstellt. Auch der Eisbär, der von der Treppe hinter dem Publikum langsam auf die Bühne kroch, entledigte sich letzten Ende seines Felles und wandelte sich zu einer Sonnenanbeterin auf den künstlich angelegten Inseln der Arabischen Emirate.
Der Spaziergang quer durch die Inselwelten und die Jahrhunderte machte einerseits hoch poetisch die Entdeckerlust der einzelnen Kolonialmächte nachvollziehbar, zeigte aber andererseits auch das Zerstörungspotential dieser Unternehmungen auf. Aber er machte auch Lust, sich selbst auf Entdeckungsreisen zu machen – wenn auch heute mit einem anderen Ziel, nämlich die Natur für die kommenden Generationen zu erhalten. Der dystopische Schluss sollte darüber nicht hinwegtäuschen. „Atlas der entlegenen Inseln“ kann als Gesamtkunstwerk bezeichnet werden, in dem sich Musik, Tanz, Erzählung, Videoeinspielungen und andere Projektionen wie ganz natürlich verschränken. Ein Musik-Theaterstück nicht nur für junge Menschen mit jeder Menge aktuellem Diskussionsstoff.