Die unterschiedlichen Gesichter der Schmelz
Von Michaela Preiner
Musik in der Tischtennishalle
Stammtischgespräche
Durch den Kunstgriff von Ellipsen – bei welchen Wörter oder ganze Teile eines Satzes ausgelassen werden – durfte das Publikum die fehlenden Begriffe im eigenen Kopfkino ergänzen. Nur ein…, das erfolgreich…., kann sozial. Oder: Wenn wir uns…, dann können wir wieder…! Waren zwei dieser fragementierten Aussagen, deren Inhalt sich dennoch aus dem Kontext leicht erschließen ließ. Fremdenfeindlichkeit, aber auch parteiinternes Hakelschmeißen schwappten trotz aller künstlerischer Bearbeitung derart lebensnah ins Publikum, dass einem Angst und Bang werden konnte. Eine witzig-spritzige Idee, die den Improvisationen von Richard Barrett und Samuel Cedillo eine zusätzliche Rhythmik verlieh. Hannes Dufek (Gitarre, Objekte), Nikolaus Feining (Kontrabass), Sophia Goidinger-Koch (Viola), Irene Kepl (Violine) und Marina Poleukhina (Objekte) schufen eine dichte, hörenswerte Klangatmosphäre. Ein höchst gelungener Beitrag, der zum dritten Programmpunkt an diesem Nachmittag überleitete.
Die letzte Station
Nach 15 Gehminuten im herbstlich kühlen Schmelz-Surrounding war das Pensionistenhaus „Haus Schmelz“ die letzte Station des kulturellen Herbstausfluges. Im Speisesaal warteten Familienschnappschüsse aus den vergangenen Jahrzehnten waren auf den Tischen ausgebreitet. Hochzeiten, Taufen, Urlaube an der Adria, Feste im Garten, Omas mit ihren Enkelkindern – alles, was im Laufe eines Menschenlebens fotografisch festgehalten wurde und wird, intime Momente, konnten die Besucherinnen und Besucher in aller Ruhe betrachten. Daneben lag ein Schreibblock mit der Aufschrift: Wo ist deine Zeit geblieben? Ein bereit gestellter Bleistift lud ein, sich während der Vorstellung Notizen zu machen.
Diese Aufführung lebte aber nicht allein von den Kompositionen von Tamara Friebel, Alexander Kaiser, Lorenzo Pagliei, Sergej Newski und Frederik Neyrinck. Die unbeabsichtigten Live-Darbietung einiger Heimbewohnerinnen ergänzten das Spektakel auf höchst illustrative Art und Weise. Während Kaoko Amano mit ihrer ersten Darbietung und ihrem kräftigen Sopran die Zeile „have a bucket of tears“ immer wieder und wieder beschwörte, erscheint eine alte Dame im Saal mit den Worten: „Mir ist fad oben! Kann ich dableiben?“ Kaum war die Frage an eine Betreuerin nahe der Eingangstüre gestellt und die erste Dissonanz wahrgenommen, drehte sich die Pensionistin mit den Worten um „Ich geh wieder, aber im Fernsehen ist auch nix Gescheites!“ Zwei weitere Bewohnerinnen hielten bis zum Schluss durch, wenngleich auch sie mit ihren Kommentaren zwischen den Stücken nicht hinter dem Berg hielten. „Des holt i net aus, des versteh i net“ und „i bin zu wenig intelligent“ wurden von heftigem Kopfschütteln begleitet. Auch wenn diese Interaktionen nicht geplant waren, so konnte man diese durchaus als Bestandteil der Aufführung wahrnehmen und die eigenen Gedanken während der durchgehend dunkel gefärbten, musikalischen Darbietungen in eine ganz andere Richtung schweifen lassen. Dabei ging es weniger darum, das Vergangene zu betrauern oder wieder zu beschwören, wie es intendiert war, sondern vielmehr um die Frage: Was wird mit mir sein, wenn ich in diesem Alter bin? Werde ich den Anschluss an zeitgenössisches Kunstgeschehen einmal verlieren? Was passiert in einer Umgebung, in der sich nur – oder beinahe ausschließlich – alte Menschen miteinander beschäftigen?
Die musiktheatralischen Darbietungen ließen sich im Rückblick auch zu einem sehr sinnigen Ganzen zusammensetzen. Sport, Freizeit, Alter – komprimiert auf einem kleinen Radius – ist das, was die Schmelz unter anderen Attraktionen zu bieten hat. Die große Klammer der zeitgenössischen Musik bot die Gelegenheit, sich diese Lebensvarianten einmal aus einem neuen Blickwinkel anzusehen. Sehr gelungen.