Sie gehören weltweit zu den besten Ensembles für zeitgenössische Musik. Sie zeichnen sich durch ihre Flexibilität und ihren Mut aus, Neues auszuprobieren. Beides brauchten die Damen und Herren des Ensemble Phace bei der österreichischen Uraufführung von Monadology XVIII «Moving Architecture».
Es ist ein Gemeinschaftswerk des Komponisten Bernhard Lang und der Tänzerin und Choreografin Silke Grabinger, das sie bereits 2002, anlässlich des 10-Jahre-Jubiläums des Baus des Austrian Cultural Forum NYC von Raimund Abraham, erarbeiteten.
Nicht nur, dass die Komposition und die Choreografie Hand in Hand gingen. Nicht nur, dass Grabinger eine eigene Notation für die Choreografie erarbeitete, die Lang dann in seine Partitur integrierte. Die Choreografie bezieht sich auch auf die Musikerinnen und Musiker. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn diese in ihrer musikalischen Produktion Pause haben.
Barbara Vuzem und Matej Kubuš agierten dabei sowohl solistisch, als auch als Vortanzende, die dem Ensemble Halt und Sicherheit bei seinen ungewohnten Bewegungen gab. „Ein wichtiger Punkt ist, dass die Bewegungen auf den Gesten der Musikerinnen und Musikern basieren, die ich von den Proben abgenommen habe. Ich habe mich dabei gefragt: Wie bewegt sich eigentlich ein Musiker, eine Musikerin, wenn sie nichts tun? Es ist interessant, welch lustige, interessante und unterschiedliche Gesten es da gibt. Daraus konnte ich einen eigenen Bewegungskatalog erarbeiten“, erklärte Grabinger in einem gemeinsamen Interview mit Lang. Und auch, dass die Bewegungen nicht in die Breite ausufern, sondern vertikal ausgerichtet sind, war dabei zu erfahren. Ein Bezug auf den nur 7,5 Meter schmalen Grundriss des Hauses, das aber 24 Stockwerke aufweist.
Die Musik von Bernhard Lang fußt ebenfalls auf dem Gebäude-Grundriss, der sich nach oben hin ständig verjüngt. Und so ist auch das Anfangs-Stück das längste und das allerletzte, das kürzeste. Mit weißen Stirnbändern und Bemalungen rund um den Kopf, weißen Shirts und Hosen waren die Tanzenden und Musizierenden ausstaffiert. Einzig die Solistin Daisy Press trug ein bodenlanges, weißes Kleid, das sie beim Gehen wie einen Fächer auseinander falten konnte. Ein wunderbares Lichtdesign unterstützte die extrem abwechslungsreiche Performance. Mal glänzend weiß und hell, dann wieder leicht rosa beleuchtet, mal in Schatten getaucht, dann wieder unter einzelnen Lichtkegeln agierten die Damen und Herren auf der Bühne des Tanzquartiers. Dem Generalthema „Pop Song Voice“ von Wien Modern wird das Stück in mehrfacher Hinsicht gerecht. Denn Lang verwendete Bob Dylan´s „Like a Rolling Stone“ als Ausgangsmaterial, das er nicht nur zu Beginn, sondern immer wieder innerhalb des Stückes aufblitzen lässt.
Der Komponist verschmolz Texte der Emigrantin Rose Ausländer mit seiner Musik, die Grabinger an einigen Stellen förmlich illustrierte. Als Press über den „floor“ singt, legen sich alle auf den Boden, als sie einen Raum als „Zelle“ benennt, beginnen sich alle wie in Hospitalisierungsbewegungen mit ihrem Oberkörper rasch nach vor- und zurückzubewegen.
Die vielen Loops, aber auch kurzen Wiederholungspassagen ergeben eine eigene Dynamik, in die man sich rasch einhört. Die einzelnen musikalischen Teile, die ganz unterschiedlich gefärbt sind, gehen teilweise ineinander über, oder präsentieren sich wie symphonische Ausschnitte, aber auch kammermusikalische Sätze. An einer Stelle lassen Fanfaren und langgezogene Dur-Akkorde in Gedanken einen italienischen Fürstenhof der Renaissance auferstehen, dann wiederum groovt der Sound und swingt, sodass man gerne mittanzen möchte.
Vom Dunkel der Emigration, die sich in den ersten Teilen breit macht, hin zu einer starken Hoffnung und auch Spaß am Leben ist die Komposition ausgerichtet. Die Bewegungselemente jedoch bleiben immer dieselben. Der choreografische Kanon zeigt zackige Arm- und Bein- und ruckartige Kopfbewegungen. Die Menschen sehen in dieser Choreografie aus, als wären sie von einem Außen getrieben. Nur an einer Stelle darf sich Vuzem an ihren Partner in Zuneigung anlehnen. Sonst, so hat es den Anschein, ist das Leben ein einsames, von Arbeit und Zwängen geprägtes.
Ergänzend zum ohnehin schon dichten Geschehen auf der Bühne sind verschiedene Projektionen zu sehen. Nicht durchgehend, sondern in einer bewussten Dramaturgie von abstrakt bis illustrierend, erhellt sich die Wand hinter dem Ensemble zeitweise. Gezeigt werden Bilder des ACF von außen, konzentrische Kreise, die dunkler und heller werden, Rauch, der wie ein bewegtes, abstraktes Bild von oben nach unten seine Schlieren zieht, aber auch zarte Wolken beim allerletzten Satz. Hoch oben, im letzten Stock darf man schon den Himmel schauen!
Immer wieder in der Musikliteratur werden Musikerinnen und Musiker auf die Bühne geholt. Aber wenn, dann als musizierende Statisten, die ein Orchester spielen oder auch als Solistinnen und Solisten oder als marschierende Blasmusikkapelle. In diesem Stück ist die Rolle sowohl der Ensemblemitglieder als auch der Tanzenden und der Solistin gänzlich neu gedacht. Sie verschmelzen zu einer Einheit, einem Organismus, bei dem sich die Grenzen zwischen den verschiedenen Berufen auflösen. Dass sie alle, inklusive dem Dirigenten Joseph Trafton, barfuß agierten, hat ganz sicher nicht nur etwas mit der Ästhetik der Choreografie zu tun. Ohne Schuhe auf der Bühne zu sitzen, ist für Musikerinnen und Musiker so, als würden sich Tänzerinnen und Tänzer nackt ausziehen. Das Mitklopfen eines Taktes gestaltet sich völlig anders, ob man Leder oder Plastik unter den Füßen hat, oder gar nichts. Die Erdung, das Gefühl, mit dem Boden in direktem Kontakt zu stehen, wirkt sich sicherlich auch ursächlich auf das Spiel selbst aus. Die bloßen Füße können aber auch als ein Hinweis auf die Verletzbarkeit des Menschen gedeutet werden. Auf der Flucht zu sein, so wie Rose Ausländer es war und wie es heute Millionen Menschen weltweit sind, bedeutet unter Umständen, alles zu verlieren und mit Glück das nackte Leben zu behalten.
Dass sich solche Gedanken einstellen, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass Lang und Grabinger mit all den Interpretinnen und Interpreten ganze Arbeit geleistet haben. Das Stück hat das Zeug, sich zu einer Musik- und Tanzikone des beginnenden 21. Jahrhunderts zu mausern. Dazu bedarf es nicht viel mehr, als einiger verständnisvoller Augen und geschulter Ohren, die sehen und hören, welch unglaubliches, vorausschauendes Kreativpotential in Monadology XVII „Moving Architecture“ enthalten ist. Und dies weitertragen oder damit weiterarbeiten.