Rohtko oder Rothko – finde den Fehler

Rohtko oder Rothko – finde den Fehler

Eine der letzten großen Produktionen der Wiener Festwochen trug den Titel „Rohtko“. Mit diesem bewussten Schreibfehler des Namens von Mark Rothko verriet oder verbarg, je nachdem, wie man es interpretieren will, Łukasz Twarkowski sein Konzept, den Fragen nachzugehen: Was ist ein Original, was ist eine Fälschung, welcher Erzählung darf man im Kunstbusiness glauben und welcher nicht? Den Text steuerte Anka Herbut  bei.

european cultural news.com rohtko oder rothko finde den fehler Rohtko c Arturs Pavlovs 3 2024 04 19 112952 sqbt

„Rohtko“ bei den Wiener Festwochen (Foto: Arturs Pavlovs)

Fasziniert von der Möglichkeit, im Theater multimedial zu arbeiten, verwendete er für seine Arbeit eine große Menge an technischem Equipment, als da wären: Ein opulentes, wandelbares Bühnenbild, mit kleineren und größeren Räumen, welche das NY Chinarestaurant Mr. Chow aus den 70er-Jahren wiedergaben. Zusätzlich zwei metallene Container, die als asiatische Imbissbuden fungierten, sowie einer Crew, welche das Ensemble filmte. Diese Live-Aufnahmen wurden auf große Screens über dem Bühnengeschehen projiziert. Und, wie man aus dem Lehrbuch für Wahrnehmungspsychologie weiß, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit des Publikums auf diese Projektionen, zumal das Geschehen darunter zum Teil auch gar nicht oder nur schwer zu sehen war. (Bühne Fabien Lédé, Kostüm Svenja Gassen)

Inhaltlich bot Twarkowski vier Stunden lang Nachhilfeunterricht in Bezug auf den Kunstmarkt und entzückte damit vornehmlich wohl jene, die davon entweder keine Ahnung haben, oder solche, die vom Kunstmarkt ausgeschlossen beziehungsweise zum Teil auch schon ordentlich gebeutelt wurden. Dies ließ sich aus dem heftigen Applaus ablesen, den die Aufführung sowohl bei der Premiere als auch am darauffolgenden Tag einfuhr.

Der Hauptplot – die Geschichte um die letzten Wochen im Leben des aus Lettland stammenden US-amerikanischen Künstlers Mark Rothko und seiner Frau Mell – verzahnte sich mit jenem Kunstskandal, der mit der Fälschung eines Rothko-Gemäldes einherging. Die bis dahin allseits geschätzte Galeristin Ann Freedman ging einer Kunstfälscherbande auf den Leim und verkaufte in der traditionsreichen Galerie Knoedler nicht nur einen falschen Rothko, sondern auch andere Fälschungen von namhaften amerikanischen Zeitgenossen.

european cultural news.com rohtko oder rothko finde den fehler Rohtko c Arturs Pavlovs 22

„Rohtko“ bei den Wiener Festwochen (Foto: Arturs Pavlovs)

Als dritten Layer verwies der Regisseur auf die Künstlerin Marta Zarina – Gelze, die sich 2014 wenige Wochen vor einer Performance, die sie in der Geburtsstadt von Rothko machen sollte, das Leben nahm. Last but not least gab es einen verkürzten Einblick in das aktuelle Geschehen des  NFT-Marktes, der im Internet vornehmlich Käufer in Kryptowährung anzieht.

Die Umbauten wurden durch laute Rave-Musik begleitet, vorsorglich und zu Recht verteilte man beim Eingang Ohrstöpsel. Es mag wohl an der Fülle der Themen liegen und auch an den zum Teil gelängten Szenen, dass sich die Erzählungen im Laufe der vierstündigen Aufführung ausdünnten. Eine derzeit übliche Praxis, die bereits reichlich ausgereizt erscheint, durfte auch nicht fehlen: Die Verweise, dass man oder frau Schauspielerinnen und Schauspieler seien und die Rolle von XY verkörperten. Mit Freude darf man jenen Tag erwarten, an dem diese krampfhaften Realitätsbezüge der Vergangenheit angehören.

Letztlich jedoch war es weder die überbordende Technik noch die Sezierung der Kunstmarkt-Volten, die fesselten. Vielmehr – und das ist das Gute an dieser Inszenierung – beeindruckte das Ensemble mit seiner Schauspielkunst. Die Szene des jungen „Journalisten“, in welcher dieser jenem reichen Sammler auf den Zahn fühlt, welcher um 8,5 Millionen Dollar eine Rothko-Fälschung kaufte, ist dafür ein Beispiel. Großartig das Mienenspiel der beiden Männer, die zum einen Schadenfreude und zum anderen tiefe Enttäuschung, gepaart mit Rachegelüsten, ausdrückten.

european cultural news.com rohtko oder rothko finde den fehler Rohtko c Arturs Pavlovs 10

„Rohtko“ bei den Wiener Festwochen (Foto: Arturs Pavlovs)

Aber auch jene Szene, in welcher eine Künstlerin, die als Kellnerin im Chinarestaurant ihren Lebensunterhalt verdient und von einem Museumsdirektor eingeladen wird, ein von ihm erdachtes Performance-Konzept aufzuführen, zeugt von der hohen Schauspielkunst des Ensembles. Während die beiden essen, entwickelt sich eine Konversation, in welcher letztlich offen bleibt, ob der Reiz des Geldes und der zarte Duft von Ruhm reicht, um die unbekannte Künstlerin von ihren Prinzipien, nur ihre eigene Kunst zu präsentieren, abbringen werden.

Nach diesen Highlights sieht man auch darüber hinweg, dass die Figuren von Rothko und seiner Frau Mell in einer Schlafzimmerszene mehr als plakativ über die Bühnenrampe kommen. Schuld daran sind aber nicht die Darstellenden, sondern vielmehr die Führung der beiden Figuren. Eine ebensolche Kritik ist bei der Schluss-Szene angebracht, in welcher sämtliche Beteiligten sich zu einer Präsentation einer NFT-Aktion zusammenfinden und sich in White cubes über das neue Format unterhalten. Und zwar so, als wären NFTs nichts anderes als Gemälde, die man sich wie eh und je in Galerien ansieht.

Als nützliche Draufgabe bot der informative Text des Programmzettels den Hinweis auf die unterschiedlichen, kulturellen Zugänge zu original erhaltener oder auch nicht original erhaltener historischer Architektur. Der Begriff des Originals wird in China gänzlich anders bewertet als bei uns. Eine der seltenen humorigen Momente resultierte aus diesem Wissen in einem knappen Dialog: Ein asiatisches Paar spaziert ungeniert ins Rothko-Schlafzimmer und stellt dabei lapidar fest, dass es sich die Menschen im Westen wohl extrem schwer machen würden. Die Lacher kommen hier zur rechten Zeit, die Düsternis der Szene davor wähnte lange und wenig packend.

„Rohtko“ von Łukasz Twarkowski bot dem Publikum eine gemischte Kost. Tolle schauspielerische Leistungen und intensiv recherchierte Storys trafen auf eine künstlerische Leitung, deren Freude an Opulenz, welche die Arbeit am Theater bieten kann, bis in die letzten Regiefalten auskostete. Bis dahin, wo eine Fülle auch zur Überfülle werden kann.

Ausgiebige Bravi an: Juris Bartkevičs, Kaspars Dumburs, Ērika Eglija-Grāvele, Yan Huang, Andrzej Jukubczyk, Rēzija Kalniņa, Katarzyna Osipuk, Artūrs Skrastiņš, Mārtiņš Upenieks, Vita Vārpiņa, Toms Veličko, Xiaochen Wang

Ob die Mahlzeit, die sich der asiatische Koch und die asiatische Köchin per Essensboten holen ließen, für den Eigenverzehr gedacht war, oder einem ahnungslosen Kunden als Gericht eigener Produktion weiterverkauft wurde, bleibt unklar. Der Gast hat sich die Herkunftsfrage jedenfalls nicht gestellt, sondern sich lediglich über den guten Geschmack gefreut. Der Vergleich zwischen der Fälschung und Herkunftsfrage eines millionenschweren Bildes und einer Box mit Frühlingsrollen hinkt zwar, bietet aber zumindest ein nettes Small-talk-Futter bei Vernissagen.

Graz ohne Wasser

Graz ohne Wasser

Der junge Luis ist ein Aussteiger. Er hat sich in die Wälder rund um Graz zurückgezogen, denn was die Gesellschaft ihm bietet, erscheint ihm nicht mehr lebenswert. Nach dem Hörensagen haben sich Superreiche den Schlossberg gekauft, dort ein Privat-Resort mit eigenem, bewachten Grundwasserzugang gebaut. Die Mur ist ausgetrocknet, Wasser das kostbarste Gut. Internet gibt es aufgrund des Energiemangels nur mehr rationiert. Eine erträumte Reise nach Venedig könnte nur mehr zum Teil zu Fuß zurückgelegt werden und Gondelfahrten würden nicht mehr unter den Brücken stattfinden, sondern darüber.

european cultural news.com graz ohne wasser 327 ampere luis und line C2A9 johannes gellner 3mp

„Ampere“ im TIB (Foto: Johannes Gellner)


Aber das Leben im Wald gestaltet sich nicht so, wie Luis es sich ausgemalt hatte. Lebendes Frischfleisch gibt es nicht mehr, Larven sind das einzige wirklich proteinhaltige Lebensmittel. All das erfährt man von ihm, der sich rührend um sein Stromaggregat – Line – kümmert. Ganz so, als wäre sie seine Geliebte. Benzinbetrieben bietet sie ihm zumindest den Luxus von Licht.

Der aus Bagdad stammende Zaid Alsalame spielt den jungen Mann mit großem Charme, Witz und viel Einfühlungsvermögen. Streckenweise vermittelt er den Eindruck, die eine oder andere Aussage bezüglich Hunger und Durst selbst erlebt zu haben. Eingespielter Sound von einem Starkregen oder Geraschel im Unterholz beleben das Setting. Ein Baumstumpf mit einigen wenigen Ästen, ummantelt mit Aluminiumfolie, Regenschirme, die von Luis zum Wasserauffangen verwendet werden, ein Wasserkanister – mehr braucht es nicht, um das karge Leben des Aussteigers zu veranschaulichen. (Ausstattung Anna Sommer).

Trotz aller Widrigkeiten hat der junge Mann seinen Humor nicht verloren. Obwohl mit jedem Tag sein Überleben noch stärker auf der Kippe steht, versucht er das Beste daraus zu machen. Eine selbst gebastelte Wünschelrute schlägt nicht beim erhofften, nassen Gut an, vielmehr wird sein hektisches Graben mit dem Fund einer Ukulele belohnt. „Schaut aus wie Kunst!“, ist sein Kommentar dazu. Und obwohl oft als Überlebensmittel tituliert, hilft sie ihm nur kurzfristig, den harten Alltag in ein romantisches Setting umzuwandeln. Letztlich kann er aber nicht davon abbeißen. „Das Holz eignet sich gut als Brennmaterial und die Saiten für Hasenfallen“.
Mit diesem Satz entzaubert die Autorin die Vorstellung, dass Kultur immer über dem Alltäglichen stünde.


Das dystopische Zukunftsszenario beeindruckt nicht nur durch die Performance des Schauspielers. Es ist auch der knappe Text von Rucker, der mehr verbirgt, als preisgibt, dadurch aber gerade das Kopfkino in Gang setzt. Gerne hätte man davon noch mehr gehört, sitzt doch jeder einzelne Satz perfekt. Der Starkregen in den Tagen zuvor und die Hitze am Besuchstag des Stückes rücken die düstere Prognose nahe in die Gegenwart.

Man wünschte der Low-Budget-Produktion ein wenig mehr Finanzierung, dann könnten heute auch bereits im Off-Bereich etablierte Stilformen wie Visuals das Geschehen noch stärker optisch untermauern.

Logischerweise endet das Stück nicht mit einem Happy End, lässt aber durch einen Regiekniff offen, ob Luis und seine Line nicht doch noch eine Überlebenschance haben. Zumindest eine kurzfristige.

Sind Menschen nichts anderes als Wölfe?

Sind Menschen nichts anderes als Wölfe?

Der aus Israel stammende und in Berlin lebende Choreograf entwirft ein Szenarium, in welchem die Tanzenden mehr Wölfen ähneln als Menschen. Um diesen Eindruck zu verstärken, werden anfangs auch tierische Laute in den Sound eingearbeitet, ganz so, als würden wilde Hunde an Leinen gehalten schnauben und ungeduldig Laut geben. Shamir ist auch für das Licht und das düster-stimmige Bühnenbild verantwortlich. Das siebenköpfige Ensemble und der schauspielende Sprecher – Daniel Tille – agieren in einem dunklen Setting, viel Theaternebel, aber einem abwechslungsreichen Soundlayer von Sandrow M aus Dresden.

Daniel Tille (Foto: Werner Kmetitsch)

Daniel Tille (Foto: Werner Kmetitsch)

Daniel Tille hat selbst den Text beigesteuert, der dem Geschehen eine erweiterte Erklärungsebene geben soll. Über die literarische Qualität kann man diskutieren, ist er doch einfach gestrickt und lässt an einer einzigen Stelle Humor durchblitzen. Wenn er meint, dass wir mit zu wenigen Mittelfingern geboren seien, um unseren Unmut über die Welt genügend kundzutun, darf das Publikum zumindest einmal kurz lachen.

Darüber hinaus agiert er als Aufpeitscher oder Despot und erscheint schon rein optisch in langem, schwarzem Ledermantel und seiner alle anderen überragenden Körpergröße als ‚leader of the pack‘. „Ich habe heute mein Spiegelbild verloren“, „Ich bin schwach, zeig mir den Weg, Meister“, „Wir fliegen in den Kosmos und sehen im Spiegel einen Steinzeitmenschen“ oder der Reim „Die finstre Mutter ist uns leid und hüllt uns in ihr blut´ges Kleid“ sind Sätze aus seinem Text, den die Choreografie genau genommen gar nicht benötigt. Es würde reichen, wenn Shamir Tilles Rolle choreografischer andächte, ohne dass dieser dabei tatsächlich tanzen muss.

Während die drei Frauen und vier Männer des Tanzensembles, Naomi Bethke, Diego del Rey, Fabio Agnello, Giulio Panzi, Lorenzo Galdeman, Lucie Horná und Stephanie Carpio beinahe ständig in Bewegung sind, schleicht Tille, wolfsgleich, gerne zwischen ihnen herum oder beobachtet sie von einem erhöhten Standpunkt aus. Wenn es das Setting verlangt, wird er auch zum Berserker und bewirft eine Solistin mit federleichten Bühnen-Kohlen, die den Boden bedecken. Ganz so, als würde er ihren Ausbruchsversuch in ein individuelles Dasein sofort bestrafen.

Shamir verwendet in seiner Choreografie viele Urban-dance-Elemente und lässt die Tänzerinnen und Tänzer häufig auf dem Boden agieren. Ihr Robben, Dehnen, Rollen und Strecken ist höchst ästhetisch. Ihr selten lang aufrechtes Stehen oder Tanzen verweist plakativ auf die Erzählung vom Wolf im Menschen. Temporeiche Abschnitte werden mehrfach durch statische unterbrochen, in welchen das Ensemble, völlig ausgepowert, auch wieder Luft holen kann. Angst und Panik, aber auch Angriff oder sich Wehren, am häufigsten jedoch Unterwerfungsgesten, sind aus dem Bewegungsrepertoire deutlich herauszulesen. Ein vielfaches Straucheln, Fallen und Taumeln der Tanzenden, ganz im Gegensatz zum stets kraftvoll auftretenden Tille, machen klar, wer hier das Leittier ist.

"Urban Wolves" • Oper Graz (Foto: Werner Kmetitsch)

„Urban Wolves“ • Oper Graz (Foto: Werner Kmetitsch)

In der Musik von Sadrow M wechseln Rave-Beats mit elektronischen Wellness-Chorälen, aber auch einer langen, leichtfüßigen Jazz-Impro am Klavier. Dass am Schluss eine dunkle Moll-Melodie im allerletzten Akkord in Dur aufblitzt, ist der einzige hoffnungsvolle Moment, aus der tierischen Bestimmtheit doch noch im menschlichen Dasein anzukommen. Die Verzahnung von Schauspiel und Tanz in „Urban Wolves“ darf man als Experiment mit Ausbaufähigkeit sehen.

Der Hitze im Untergeschoß, in welchem die Studiobühne der Oper Graz untergebracht ist, wurde man leider noch immer nicht Herr. Kreislaufschwache Menschen sollten die Location nur dann besuchen, wenn nicht tropische Temperaturen herrschen, wie bei der Premiere. Das Klima in dem Raum ist nicht nur eine Zumutung für das Publikum, sondern vor allem auch für jene, die spielen, performen, oder tanzen. Umso größer ist die Leistung des Ensembles an diesem Abend zu bewerten.

3 mal ig

3 mal ig

3 Tage – 2 Künstler

Beide haben künstlerische Werdegänge beschritten, die stark mit der Wirtschaft verzahnt sind, dennoch sind sie ihrer eigenen Handschrift immer treu geblieben.

Soltys (geb. 1956) war von 1980 bis 1985 Lehrbeauftragter an der Universität für Musik und Darstellende Kunst, Graz (Abteilung Bühnenbild) und von 1986 bis 2007 Leiter für Bühnenbild der Werkstätten der VEREINIGTEN BÜHNEN GRAZ. Seit 1989 ist er Mitglied des Künstlerkollektivs Intro Graz Spection und arbeitet seit dem Jahr 2007 freischaffend.

Andreas Quella-Gratze (geb. 1962) studierte Bühnenbild in Graz und kam dabei erstmals mit Herbert Soltys als Lehrer in Kontakt. Danach arbeitete er als Freelancer im Bereich Malerei und Grafik und unterstütze Sepp Zotter von Beginn seiner Karriere als Chocolatier. Seit vielen Jahren fungiert er als dessen Art Director und wurde mit der Gestaltung der Schokoladeschleifen weit über Österreich hinaus bekannt.

european cultural news.com 3 mal ig IMG 8619

Foto: European Cultural News

Im Laufe der Jahre verloren sich Soltys und Quella-Gratze aus den Augen, fanden aber durch Helmut Kocher, Inhaber einer Spenglerei und Dachdeckerei, wieder zusammen. Der Unternehmer ist leidenschaftlicher Kunstförderer und bescherte dem kunstinteressierten Publikum in Graz ein besonderes Event. Die Galerie Sommer, die über 10 Jahre neben dem Standort in der Liebenauer Hauptstraße auch in der Stempfergasse eine Niederlassung hatte, schloss diese mit 17. Juni. Die letzten drei Tage im altehrwürdigen Palais Kazianer wurden dank Helmut Kocher für ein Sonderevent genutzt.

In zwei Räumen standen sich die Arbeiten von Herbert Soltys und Andreas Quella-Gratze gegenüber. Großformatig sind jene von Soltys, der es über Jahrzehnte hin gewohnt war, mit enormem Malgerät riesige Leinwände zu bearbeiten. Kleinformatig präsentierte hingegen Quella-Gratze seine Arbeiten. Ob unterwegs oder zu Hause, er hat immer neben sich Papier liegen, um plötzliche Einfälle festzuhalten.

Beide treffen sich in zwei Stilkriterien sowie zum Teil auch inhaltlich. Zum einen arbeiten sie mit einer Farbenvielfalt, die unbekümmert, ja oft provokant nebeneinandersetzt, was gerade gefällt. Überdies verwenden sowohl Soltys als auch Quella-Gratze malerische und grafische Elemente und zeigen so, dass sie mit Farbe und Linie gleichermaßen umzugehen wissen. Inhaltlich treffen sich die Künstler in der permanenten Beschäftigung mit dem Menschen in all seinen Bewegungen oder auch statischen Momenten.

Quella-Gratze greift oft zu fließenden Formen, in welchen sich seine Körper auflösen und schweben. Grazil erscheinen sie immer und mischen sich mit deutlich erkennbaren Menschenwesen. Seine Bilder erzählen Geschichten, die viele Interpretationen offen lassen. Er selbst hingegen komponiert sie mit einer ganz bestimmten Idee. Wer nachfragt, ist im Vorteil, denn dann hat man das Glück, durch seine Erklärungen auch in seine kreative Gedankenwelt einzutauchen. Seine Bilder sind in dem Sinn keine Suchbilder, aber man sucht in seinen Bildern dennoch stets einen Sinn. Vieles, was man erblickt, scheint Traumszenen entnommen, oft punktet er mit einer hochästhetischen Komposition, der nichts mehr hinzuzufügen oder wegzunehmen ist.

Soltys hingegen betreibt in seinem jüngsten Zyklus kunsthistorische Aufklärungsarbeit. „Der Frühling“ von Botticelli tummelt sich neben einer Miniatur von Günter Brus, eingefasst in einem goldenen Barockrahmen. Joseph Beuys blickt fröhlich aus einem Bild und hält in einer seiner Hände eine kleine Tanz-Figurine, ganz so, als hätte er die Skulptur von Degas gerade aus einem Museum entwendet. Die Porträts blicken die Betrachtenden durchgehend direkt an, suchen deren Blick geradezu. Die kunsthistorischen Referenzen sind für den Künstler Fingerzeige, dass das Gestern ins Heute reicht und das Heute durch das Gestern eine neue Zukunft schafft.

Neben einer fulminanten Vernissage, bei welcher die Räumlichkeiten der Galerie förmlich aus ihren Nähten platzten, durften die Besucherinnen und Besucher am letzten Tag einen weiteren Höhepunkt erleben. Herbert Soltys hatte während der kurzen Ausstellungsdauer ein Bild angefertigt, auf dem viele einzelne Porträts zu erkennen sind. Den letzten Schliff verpasste er seiner Arbeit vor Publikum. Andreas Quella-Gratze überarbeitete dieses anschließend mit seiner eigenen Handschrift partiell und nach der zweifachen Signatursetzung übergaben die beiden Künstler das Werk Helmut Kocher als „Dankeschön“ für seinen Einsatz und seine Unterstützung.

european cultural news.com 3 mal ig IMG 9204

von links nach rechts: Herbert Soltys, Andreas Quella-Gratze, Nicole Sommer, Helmut Kocher (Foto:ECN)

‚3 mal ig‘ vereinte nicht nur zwei unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten mit ihren Werken auf harmonische Weise. Die Aktion machte auch deutlich, dass Kunstschaffende auch abseits von der sonst mehr als bekannten Rivalitätsgeste miteinander kooperieren können. Mit der Tatsache, dass es dafür einen kunstsinnigen Katalysator benötigte, nämlich Helmut Kocher, der selbst für die Kunst der beiden brennt, schließt sich der Kreis: Kunst und Wirtschaft stehen sich nicht diametral gegenüber. Im besten Fall ergänzen sie sich für beide Seiten auf das Zufriedenstellendste.

Ein Theater ist ein Theater, ist ein Theater, ist ein Theater

Ein Theater ist ein Theater, ist ein Theater, ist ein Theater

Die Rechnung

In Zusammenarbeit mit dem Volkstheater entwickelte er gemeinsam mit den Schauspielern Frank Genser und Christoph Schüchner eine Fassung, die vom Volkstheater auch noch im Herbst in verschiedenen Bezirken gezeigt werden wird. Die Ursprungsfassung, die Etchells gemeinsam mit Bertrand Lesca und Nasi Voutsas erarbeitete, wurde während des Festivals in Avignon voriges Jahr gezeigt und diente als Basis einer Stückentwicklung, die mit einem einfachen Setting beginnt. Im Laufe der Vorstellung wird diese jedoch immer ausufernder und absurder, um am Ende logisch dort zu enden, was der Titel ankündigt: bei einer Rechnung. Zwei Männer spielen eine Szene in einem Restaurant, in welchem der Ober ohne Unterlass Wein in das Glas seines Gastes gießt, sodass dieses übergeht und den Tisch überschwemmt.

european cultural news.com ein theater ist ein theater ist ein theater ist ein theater Die Rechnung 6 c Nurith Wagner Strauss

„Die Rechnung“ (Foto: Nurith Wagner-Strauss)


Ein gutes Kunstwerk, egal, aus welchem Genre es stammt, erkennt man an einigen wenigen Merkmalen. Zum einen ist es formal so gestaltet, dass Publikum verschiedener gesellschaftlicher Schichten und verschiedenen Alters Gefallen daran finden können. Zum anderen bietet es nicht nur eine, sondern mehrere Interpretationsebenen an. Der letzte Punkt ist jener der Wiedererkennung. Ob in der bildenden Kunst, im Tanz, der Musik oder im Theater – eine künstlerische Handschrift so zu erarbeiten, dass sie vom Publikum rasch zugeordnet werden kann, ist jenen vorbehalten, die ihr Handwerk verstehen. Tim Etchells ist so jemand und er erfüllt alle vorangegangenen Qualitätsmerkmale mit Leichtigkeit.

Es ist nicht zuletzt der herausragenden schauspielerischen Leistung von Genser und Schüchner zu verdanken, dass sich „Die Rechnung“ als eine der sehenswertesten Produktionen der Festwochen erweist. Dieses kleine Kammerspiel, aufgeführt vor einem roten Vorhang, kommt lediglich mit zwei Tischen, einigen Sesseln, sowie Besteck, Tischtüchern, einem Glas und einer Flasche aus. Und es lässt das Kopfkino rattern, dass man kaum mit dem Nach- und Vorausdenken mitkommt. Befinden wir uns in einer Endlosschleife, die sowohl unseren Alltag als auch jenen im Bühnenberuf versinnbildlicht? Werden uns auf höchst kunstvolle, zugleich aber auch einfache Art und Weise die philosophischen Denkmuster von These, Antithese und Synthese vorexerziert? Kommen wir mit der Idee zurecht, dass in 50 Jahren andere Menschen im Theater sitzen werden als wir, die wir die 50 schon überschritten haben? Oder dürfen wir uns einfach mit Freude und Genuss der fulminanten Darbietung hingeben, bei der ein Ober zum Torero mutiert oder ein Gast daran verzweifelt, dass ihm der Kellner den Wein vorenthält?

Dies und eine Reihe weiterer Fragen, aber auch Erkenntnisse, blitzen während der Vorstellung in den eigenen Gedanken auf und lassen staunen und lachen zugleich. Und wecken unglaublich Lust, die Produktion ein zweites Mal anzusehen. Während der Festwochen sind die kommenden Vorstellungen bereits ausverkauft. Für den Herbst sollten jedoch auch jetzt schon Karten gekauft werden, es gibt – sieht man sich die Buchungen im Internet an – nicht mehr allzu viele freie Plätze.

How goes the world

Auch in der Produktion „How goes the world“ greift Etchells auf Ersatzbausteine aus dem Theateralltag zurück. Allerdings arbeitet er dort mit zwei Männern und zwei Frauen, einem ausgeklügelten, wenngleich auch „arm“ wirkenden Bühnenbild, einem beinahe durchgehenden Soundlayer und einer großen Anzahl an Kostümwechseln. Wieder ist es die Beschäftigung mit dem Theaterspielen an sich, der Sinnhaftigkeit von Regieanweisungen, der Flexibilität des Ensembles, das auf immer neue Weise mit immer den gleichen auditiven Einspielungen zu kämpfen hat. In dieser Inszenierung jedoch verblüfft er auch mit Inhaltswechseln, allein ausgelöst durch veränderte Kostüme und veränderte Aufstellung der Darstellerinnen und Darsteller. Agieren sie zu Beginn wie in einem psychologisch tiefgründigen Kammerspiel, wechseln sie an einem Punkt zu einer Krimi-Farce, um bald darauf Tolstoi oder Tschechow anklingen zu lassen.

european cultural news.com ein theater ist ein theater ist ein theater ist ein theater How Goes the World c Michiel Devijver 300 dpi

„How goes the world“ (Foto: Michiel Devijver)


Immer wieder sind es slapstickhafte Einlagen, die Lacher provozieren. Ein Klavier, auf dem nicht wirklich gespielt wird, das einen dennoch zur Erschöpfung antreibt. Wilde Schusswechsel mit der sofortigen Auferstehung der gerade Hingemetzelten oder eine aberwitzige Kampfszene gegen unsichtbare Gegner. All das wird in einer Endlosschleife mit jeweils leicht veränderten Parametern immer und immer wieder vorgeführt. Es ist ein Leichtes, sich den Probenspaß vorzustellen, auch jene Momente, die von den Schauspielerinnen und Schauspielern durch eigene Kreativität beigesteuert wurden. Es ist aber genauso schwer vorstellbar, wie groß die körperliche und geistige Herausforderung ist, die bei dieser Vorstellung auf der Bühne zu bewerkstelligen ist.

Durch eine Zunahme des Tempos gegen Ende des Stückes und Handlungen, die nicht zueinanderpassen, wird das Geschehen ins derart Absurde gesteigert, dass es kein Verstehen mehr geben kann, sondern eigenen Assoziationen und Interpretationen Tür und Tor geöffnet erscheint. Anders als bei „Die Rechnung“ konfrontiert Etchells sein Publikum mit einem absoluten Overflow an gleichzeitigen und wiederkehrenden Ereignissen, sodass letztlich aus dem Theaterspaß ein Ernst zu werden droht. Auch hier arbeitet Etchells abermals mit einem Erwartungsbruch; lässt er doch Neil Callaghan zum Schluss aus seiner Rolle fallen und im Vorhinein in einem fiktiven Telefongespräch erklären, dass das Stück gleich zu Ende sei. Dass er diese Szene dann abermals spielt und damit wieder einen Turnaround einleitet, ist typisch für Tim Etchells Volten.

Wieder sind es unglaublich tolle, schauspielerische Leistungen, die dargeboten werden und das über lange Strecken völlig ohne Text. Aurélie Alessandroni, der schon erwähnte Neil Callaghan, Aurélie Lannoy und John Rowley performen bis zur völligen Verausgabung und erhielten vom Publikum in der Halle G im MuseumsQuartier bei der Premiere ausgiebige Ovationen.

Die Strahlkraft von Johann Sebastian Bach wirkt auch im Tanz

Die Strahlkraft von Johann Sebastian Bach wirkt auch im Tanz

Die Idee, zwei Choreografen und eine Choreografin einzuladen, um drei unterschiedliche Bach-Interpretationen tanzen zu lassen, ging voll auf. Alle Inszenierungen verzichteten auf ein Bühnenbild, setzten jedoch auf exquisite Art und Weise eine beeindruckende Lichtregie ein. (Johannes Schadl, Sakis Birbilis)

european cultural news.com die strahlkraft von johann sebastian bach wirkt auch im tanz Leonardo Germani Gionata Sargentini Fabio Agnello copy Andreas J. Etter

Leonardo Germani, Gionata Sargentini, Fabio Agnello (Foto: Andreas J. Etter)

Anne Jung choreografierte in „Strings attached“ eine Mischung aus Spitzentanz und zeitgenössischem Bewegungsrepertoire. Wie auch ihre beiden anderen Choreografie-Kollegen nutzte sie als musikalische Vorlage eine zeitgenössische Bach-Interpretation. Der schottische Komponist Peter Gregson überarbeitete 2018 Bachs Cellosuiten und spielte diese bei der Deutschen Grammophon ein. Dabei verwendete er zusätzlich elektronische Klänge, sodass die Musik stellenweise stark abstrahiert erklang. So entfernt Bach zu Beginn zu erahnen war, so greifbar wurde er später an Stellen, die Anne Jung beinahe „wörtlich“ tänzerisch umsetzte. Jede kleine Phrase, jeder Takt, wurde körperlich sichtbar und ergab so starke, akkurate Verzahnungen mit der Musik. Solistisch, in Paargruppierungen, aber auch mit einem zwölfköpfigen Ensemble zugleich auf der Bühne, reagierte Jung auf die Neukomposition von Gregson. Vielfältigste Hebefiguren, nicht nur paarweise, sondern häufig auch in kleineren Gruppen ausgeführt und eine Fülle an Body-Kontakt-Ideen ergaben ein so reichhaltiges Formenrepertoire, dass man mit dem Schauen gar nicht nachkam. Dabei vermied Anne Jung bis auf das allerletzte Pas-de-deux den Eindruck, dass die Tanzenden Emotionen zueinander aufbauten. Zwar benötigten die Menschen einander, mussten sich aufeinander verlassen können und schufen miteinander ein großes Ganzes. Allerdings wurde erst im allerletzten Teil spürbar, was vor allem das klassische Ballett neben den körperlichen Höchstleistungen für das Publikum attraktiv machte: die Sichtbarmachung von Emotionen zwischen den Menschen. Genau diese Erwartung wurde am Ende von „Strings attached“ eingelöst. Die hautfärbigen Kostüme der Frauen, Bodies mit Spitzenapplikationen und hellbraune Hosen der Männer, die mit nacktem Oberkörper tanzten, sowie der Beginn und der Schluss, der vor dem neobarocken eisernen Vorhang getanzt wurde, referenzierten stark auf Anne Jungs umgesetzte Idee, historisches Ballett mit einer aktuellen Formensprache zu verbinden.

european cultural news.com die strahlkraft von johann sebastian bach wirkt auch im tanz header photo bach 1

Barbora Kubátová, Thibaut Lucas Nury, Gionata Sargentini, Yuka Eda, Savanna Haberland (Foto: Andreas J. Etter)

Gänzlich anders zeigte sich „Kepler-69c“ von Pablo Girolami, der eine Neuinterpretation von Bachs Toccata und Fuge von Guilherme Curado als musikalische Grundlage wählte. Mit einem ‚Wumms‘, wie er den auditiven Beginn selbst nennt, beginnt seine Choreografie für fünf Personen. Girolami baut, anders als Jung zuvor, ein konkretes Szenarium auf und lässt seine Gruppe auf dem Exoplaneten Kepler-69c landen. Dieser, ein planetarer Himmelskörper, befindet sich außerhalb des vorherrschenden gravitativen Einflusses unserer Sonne, jedoch in einer wahrscheinlich habitablen Zone. Girolami zeigt eine Gruppe von Menschen in beigefärbigen Bodies mit eng anliegenden Kapuzen und Ausbeulungen im Bereich der Torsi. Seine Truppe scheint schon einiges mitgemacht zu haben und agiert über weite Strecken wie ein Organismus. Ängstlich auf Musik und Licht reagierend, zusammenzuckend, dicht aneinander stehend, fühlt man ihr Fremdsein auf diesem Planeten. Die Musik, ausgestattet mit viel Hall und Bass, korrespondiert mit starken Lichtkegeln, die einen unwirtlichen Raum simulieren. Die Menschen, die sich hier zusammendrängen, werden gebeutelt und geschüttelt und scheinen über weite Strecken fremdbestimmt. Girolami lässt das klassische Ballettrepertoire komplett hinter sich und keine romantische Illusion welcher Art auch immer aufkommen. Erst im Voranschreiten der Choreografie gelingt es den Menschen, sich voneinander zu lösen um bald darauf durch wilde, rhythmische Strikes auf den Boden geworfen zu werden. Dass sie dort nicht bleiben, sondern sich durch Aufforderung und Vorbild eines Einzelnen, der wieder in die Bewegung kommt, wieder aufrappeln und neu formieren, wirkt versöhnlicher und hoffnungsfroher als zu Beginn. Das abrupte Black lässt jegliche weitere Interpretation offen.

european cultural news.com die strahlkraft von johann sebastian bach wirkt auch im tanz Ballett Graz copy 56 Andreas J. Etter

Ballett Graz (Foto: Andreas J. Etter)

Mit „Selon Désir“ legte Andonis Foniadakis eine Choreografie vor, die er schon zuvor mit mehreren anderen, europäischen Ballett-Kompagnien auf die Bühnen brachte. Sein musikalischer Ausgangspunkt – die Eingangschöre von Bachs Matthäus- und Johannespassion, fragmentiert und neu interpretiert von Julien Tarride, bieten dem 15-köpfigen Ensemble eine hochfrequente Energie-Unterlage. In bunten, seidigen Röcken und Oberteilen tanzen Frauen und Männer gleichermaßen in einem unablässigen Strom immer neuer Bewegungsmuster und Paarkombinationen. Ein unablässiges Hüpfen, Wirbeln, Laufen und Springen erweckt den Eindruck eines unablässigen, vielfältigen Lebensstromes. Dabei überträgt sich das Individuelle in das Kollektive und wird als etwas Allgemeines erfahrbar. Mit Fortschreiten der Choreografie werden Wiederholungen erkenn- und danach auch erwartbar. Nach gänzlichem Zusammenbrechen folgen, logisch richtig, Hebefiguren, deren über alle Köpfe erhöhte Tänzerinnen jedoch, als würde sich der Akt jeweils um eine Kreuzabnahme handeln, wieder rasch von der Schwerkraft angezogen, in sich zusammensacken. Es ist nicht nur die große Anzahl der Tanzenden in ihren bunten Outfits, die für viel Augenfutter sorgen. Die mitreißende, musikalische Neuinterpretation macht diese Arbeit außerdem hörenswert.

Die besuchte Vorstellung wurde vom Publikum zu Recht minutenlang beklatscht.