Die Strahlkraft von Johann Sebastian Bach wirkt auch im Tanz

Die Strahlkraft von Johann Sebastian Bach wirkt auch im Tanz

Michaela Preiner

Foto: (Andreas J. Etter )

11.

Juni 2024

Ein Opernhaus, wie jenes in Graz, ist gut aufgestellt, wenn es mehr als nur Opernpublikum anlockt. Mit der Produktion „Bach Variations“ lud man Tanzbegeisterte ein und präsentierte einen glitzernden Abend, an welchem das Ensemble mit den einfallsreichen Choreografien brillierte.

Die Idee, zwei Choreografen und eine Choreografin einzuladen, um drei unterschiedliche Bach-Interpretationen tanzen zu lassen, ging voll auf. Alle Inszenierungen verzichteten auf ein Bühnenbild, setzten jedoch auf exquisite Art und Weise eine beeindruckende Lichtregie ein. (Johannes Schadl, Sakis Birbilis)

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Leonardo Germani, Gionata Sargentini, Fabio Agnello (Foto: Andreas J. Etter)

Anne Jung choreografierte in „Strings attached“ eine Mischung aus Spitzentanz und zeitgenössischem Bewegungsrepertoire. Wie auch ihre beiden anderen Choreografie-Kollegen nutzte sie als musikalische Vorlage eine zeitgenössische Bach-Interpretation. Der schottische Komponist Peter Gregson überarbeitete 2018 Bachs Cellosuiten und spielte diese bei der Deutschen Grammophon ein. Dabei verwendete er zusätzlich elektronische Klänge, sodass die Musik stellenweise stark abstrahiert erklang. So entfernt Bach zu Beginn zu erahnen war, so greifbar wurde er später an Stellen, die Anne Jung beinahe „wörtlich“ tänzerisch umsetzte. Jede kleine Phrase, jeder Takt, wurde körperlich sichtbar und ergab so starke, akkurate Verzahnungen mit der Musik. Solistisch, in Paargruppierungen, aber auch mit einem zwölfköpfigen Ensemble zugleich auf der Bühne, reagierte Jung auf die Neukomposition von Gregson. Vielfältigste Hebefiguren, nicht nur paarweise, sondern häufig auch in kleineren Gruppen ausgeführt und eine Fülle an Body-Kontakt-Ideen ergaben ein so reichhaltiges Formenrepertoire, dass man mit dem Schauen gar nicht nachkam. Dabei vermied Anne Jung bis auf das allerletzte Pas-de-deux den Eindruck, dass die Tanzenden Emotionen zueinander aufbauten. Zwar benötigten die Menschen einander, mussten sich aufeinander verlassen können und schufen miteinander ein großes Ganzes. Allerdings wurde erst im allerletzten Teil spürbar, was vor allem das klassische Ballett neben den körperlichen Höchstleistungen für das Publikum attraktiv machte: die Sichtbarmachung von Emotionen zwischen den Menschen. Genau diese Erwartung wurde am Ende von „Strings attached“ eingelöst. Die hautfärbigen Kostüme der Frauen, Bodies mit Spitzenapplikationen und hellbraune Hosen der Männer, die mit nacktem Oberkörper tanzten, sowie der Beginn und der Schluss, der vor dem neobarocken eisernen Vorhang getanzt wurde, referenzierten stark auf Anne Jungs umgesetzte Idee, historisches Ballett mit einer aktuellen Formensprache zu verbinden.

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Barbora Kubátová, Thibaut Lucas Nury, Gionata Sargentini, Yuka Eda, Savanna Haberland (Foto: Andreas J. Etter)

Gänzlich anders zeigte sich „Kepler-69c“ von Pablo Girolami, der eine Neuinterpretation von Bachs Toccata und Fuge von Guilherme Curado als musikalische Grundlage wählte. Mit einem ‚Wumms‘, wie er den auditiven Beginn selbst nennt, beginnt seine Choreografie für fünf Personen. Girolami baut, anders als Jung zuvor, ein konkretes Szenarium auf und lässt seine Gruppe auf dem Exoplaneten Kepler-69c landen. Dieser, ein planetarer Himmelskörper, befindet sich außerhalb des vorherrschenden gravitativen Einflusses unserer Sonne, jedoch in einer wahrscheinlich habitablen Zone. Girolami zeigt eine Gruppe von Menschen in beigefärbigen Bodies mit eng anliegenden Kapuzen und Ausbeulungen im Bereich der Torsi. Seine Truppe scheint schon einiges mitgemacht zu haben und agiert über weite Strecken wie ein Organismus. Ängstlich auf Musik und Licht reagierend, zusammenzuckend, dicht aneinander stehend, fühlt man ihr Fremdsein auf diesem Planeten. Die Musik, ausgestattet mit viel Hall und Bass, korrespondiert mit starken Lichtkegeln, die einen unwirtlichen Raum simulieren. Die Menschen, die sich hier zusammendrängen, werden gebeutelt und geschüttelt und scheinen über weite Strecken fremdbestimmt. Girolami lässt das klassische Ballettrepertoire komplett hinter sich und keine romantische Illusion welcher Art auch immer aufkommen. Erst im Voranschreiten der Choreografie gelingt es den Menschen, sich voneinander zu lösen um bald darauf durch wilde, rhythmische Strikes auf den Boden geworfen zu werden. Dass sie dort nicht bleiben, sondern sich durch Aufforderung und Vorbild eines Einzelnen, der wieder in die Bewegung kommt, wieder aufrappeln und neu formieren, wirkt versöhnlicher und hoffnungsfroher als zu Beginn. Das abrupte Black lässt jegliche weitere Interpretation offen.

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Ballett Graz (Foto: Andreas J. Etter)

Mit „Selon Désir“ legte Andonis Foniadakis eine Choreografie vor, die er schon zuvor mit mehreren anderen, europäischen Ballett-Kompagnien auf die Bühnen brachte. Sein musikalischer Ausgangspunkt – die Eingangschöre von Bachs Matthäus- und Johannespassion, fragmentiert und neu interpretiert von Julien Tarride, bieten dem 15-köpfigen Ensemble eine hochfrequente Energie-Unterlage. In bunten, seidigen Röcken und Oberteilen tanzen Frauen und Männer gleichermaßen in einem unablässigen Strom immer neuer Bewegungsmuster und Paarkombinationen. Ein unablässiges Hüpfen, Wirbeln, Laufen und Springen erweckt den Eindruck eines unablässigen, vielfältigen Lebensstromes. Dabei überträgt sich das Individuelle in das Kollektive und wird als etwas Allgemeines erfahrbar. Mit Fortschreiten der Choreografie werden Wiederholungen erkenn- und danach auch erwartbar. Nach gänzlichem Zusammenbrechen folgen, logisch richtig, Hebefiguren, deren über alle Köpfe erhöhte Tänzerinnen jedoch, als würde sich der Akt jeweils um eine Kreuzabnahme handeln, wieder rasch von der Schwerkraft angezogen, in sich zusammensacken. Es ist nicht nur die große Anzahl der Tanzenden in ihren bunten Outfits, die für viel Augenfutter sorgen. Die mitreißende, musikalische Neuinterpretation macht diese Arbeit außerdem hörenswert.

Die besuchte Vorstellung wurde vom Publikum zu Recht minutenlang beklatscht.