Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen Künstlerinnen und Künstler dort, sich von der darstellenden Malerei abzuwenden. Zugleich aber werden auch Arbeiten von hochrangigen österreichischen Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die nach dem 2. Weltkrieg expressiv-abstrakt arbeiteten und sich damit auch ihre eigenen Plätze in der Kunstgeschichte eroberten.
„St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha (Foto: ECN)
Die Chefkuratorin und Direktorin der Albertina modern gestaltete eine Ausstellung, in der eines der zentralen Werke sogar von einem österreichischen Künstler stammt. „St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha ist wandfüllend in einem der mittleren Säle so prominent platziert, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass sich rund um sein Werk vieles andere fügt. Der präzise Farbauftrag – Rot auf weißer Leinwand – vermittelt zugleich eine frei inspirierte, gestische Arbeit als auch ein enormes Gespür für Ästhetik und Reduktion.
In vielen Räumen sind Gegenüberstellungen gelungen, die formal wunderbar zueinanderpassen. So zum Beispiel in jenem, in welchem Bilder von Maria Lassnig neben und gegenüber von solchen von Wolfgang Hollegha oder Helen Frankenthaler hängen. Letztere ist unter anderen auch mit einem atemberaubenden, großen Querformat vertreten. Die Farbschichtungen auf über vier Metern Länge beeindrucken, da sie trotz der Größe nichts an Leichtigkeit eingebüßt haben.
„Ways of Freedom“ Albertina Modern (Foto: ECN)
„Ways of Freedom“ Albertina Modern (Foto: ECN)
„Ways of Freedom“ Albertina Modern (Foto: ECN)
„Ways of Freedom“ Albertina Modern (Foto: ECN)
„Ways of Freedom“ Albertina Modern (Foto: ECN)
„Ways of Freedom“ Albertina Modern (Foto: ECN)
Neben den bekannten Namen wie Pollock, Rothko, Motherwell und Newman entdeckt man auch weniger Bekanntes. Judit Reigel, Debora Remington oder Mary Abbott sind drei von insgesamt 13 Künstlerinnen, welche in der Ausstellung eine verdiente Würdigung erfahren.
Die Wandtexte geben einen schönen Querschnitt und Überblick über die Systematik der Arbeiten: In ihnen werden die Begriffe Action painting, All-over-Strukturen, Farbfeldmalerei oder auch Soak-Stain-Technik erklärt. Neben rein materialtechnischen Erläuterungen erhält man auch einen Überblick über die Blütezeit der Aktionsmalerei in Österreich und über die Malergruppe um die Galerie St. Stephan.
Die Schau verdeutlicht, wie groß die Bandbreite in der abstrakten Malerei von Beginn an angelegt war. Das Erkennen von Handschriften macht Spaß und zeugt von einer gelungenen Auswahl der Bilder. Ein Katalog zur Ausstellung ist sowohl im Shop als auch online erhältlich.
Kann man den Klang eines Ortes erkennen? Gibt es neben Sehens- auch Hörenswürdigkeiten? Der Kulturwissenschaftler und Kurator Thomas Felfer ist dieser Frage nachgegangen und hat Geräusche, Klänge und Gespräche eines Ortes erfasst und nun in Graz, im Museum für Geschichte hörbar gemacht. Die Ausstellung „The sound of St. Lambrecht. Der Klang eines Ortes“ ist eine Ausstellung der anderen Art. Denn viel mehr als man sehen kann, kann man hören.
Wie Sprachaufnahmen von Interviews mit Einwohnern von St. Lambrecht, schon vor Jahrzehnten aufgenommen. Stilecht hat man die Möglichkeit, diese kurzen Gesprächsausschnitte von Kassetten abzuspielen. Junges Publikum wird vielleicht die Inbetriebnahme des Kassettenrekorders vor Herausforderungen stellen. All jene, die damit aber groß geworden sind, dürfen sich auf reminiszenzhafte Gefühle freuen. Ähnliches kann man auch beim Auflegen und Hören von Schallplatten verspüren, zu welchem man sich bequem in 50er-Jahre-Fauteuils setzen kann.
Die kleinen Kassetten-Interviewschnipsel behandeln Themen wie Essen, einen Hausbau, aber lustigerweise auch „Fensterln“, wobei Ungeübte wegen des starken Dialektes nicht jedes Wort verstehen werden. Es geht aber laut dem Ausstellungsmacher gar nicht darum, alles genau zu verstehen. Das Einlassen auf eine ungewöhnliche Sprachmelodie steht vielmehr im Vordergrund – eben hören, wie man „woanders“ spricht.
Foto: ECN
Kurator Thomas Felfer (Bild: Universalmuseum Joanneum / J.J. Kucek)
Bild: Universalmuseum Joanneum / J.J. Kucek
Neben Sprachaufzeichnungen ist es auch möglich, in die Akustik von Räumen eintauchen. Das Stift St. Lambrecht selbst bot hierfür eine wunderbare Soundkulisse. Das metallene Geräusch eines schweren Schlüssels, der ein Schloss aufsperrt, wird abgelöst vom Knarzen einer Türe, die geöffnet wird und im nächsten Moment hört man das Hallen von Schritten in einem großen Raum. Ein kleiner Rundgang durch das Stift wurde auditiv aufgenommen und kann so ohne visuelle Eindrücke nachverfolgt werden. Ganz nebenbei beginnt man zu verstehen, oder besser – zu hören, dass blinde Menschen auf diese Art und Weise einen Eindruck von Räumen bekommen.
Ein Höhepunkt der Ausstellung wird jedoch bildgewaltig präsentiert. Die Geschichte der Glockenschmelze von St. Lambrecht im 1. Weltkrieg kann man mithilfe einer Virtual-Reality-Brille nicht nur nachhören, sondern auch sehen. Hoch oben im Kirchturm steht man der Glocke plötzlich gegenüber und erlebt mit, wie diese darüber berichtet, wie sie per Dekret abgenommen und zu Verteidigungszwecken eingeschmolzen werden musste. Der Moment in welchem sie plötzlich und unerwartet, in unzählige Teile gesprengt, zu Boden fällt, ist hochemotional. Selten wartet eine Museumsschau mit so einem beeindruckenden Moment auf.
Es war eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema der Einschmelzung von 70 % aller Glocken in Österreich während der beiden Weltkriege, die Thomas Felfer als Ausgangsbasis für diese Ausstellung diente.
Bild: Universalmuseum Joanneum / J.J. Kucek
Sie wurde im Spätsommer 2022 einen Monat lang im ehemaligen Stiftsspital in St. Lambrecht gezeigt und steht, laut Leiterin des Museums für Geschichte, Bettina Habsburg-Lothringen, am Beginn einer Reihe. In dieser sollen mehrmals pro Jahr weitere „Schaufenster“ in die Region gezeigt werden. Das Interessante der Schau „The sound of St. Lambrecht“ ist, dass sie nicht nur ein regionales Thema aufgreift. Vielmehr sensibilisiert sie die Besuchenden Geräusche und Klänge, Lautes und Leises, kaum Hörbares, aber auch laut Lärmendes mit einem neuen Fokus wahrzunehmen.
„William Kentridge, Notes towards a model opera“ (Foto: ECN)
Stehen bleiben und staunen. Den wummernden Bass im Bauch spüren. Merken, dass man nicht alleine fasziniert ist, sondern auch viele andere Menschen, die sich auf den Klanglicht-Parcours begeben haben. Innehalten und nachdenken und in sich hineinspüren. Die Augen in den Himmel richten und die zarten Klänge wahrnehmen, die zu hören sind, während man dem Aufsteigen und Absinken der neonfarbigen Luftfische (Les Lumineóles von Porté par le vent) zuschaut.
Das sind nur wenige Reaktionen, die man beim Gang von einer Location zur nächsten beim Klanglicht 2019 in Graz erfahren konnte. Je nach Lust und Laune, je nach Tagesverfassung und aktueller Stimmung.
Les Luminéoles, Porté par le Vent (Foto: ECN)
Rein im Laufschritt und ebenso wieder raus aus dem Künstlerhaus, geschoben werden im Hof der Grazer Burg, oder wegen der Menschenmassen gar nicht erst hineinkommen können. Durch die dunkle Herrengasse marschieren und einen Abstecher in die brechend volle Stadtpfarrkirche machen, in der russisch-orthodoxe Chöre zu hören waren, um dann im Landhaushof vor dem leeren Pult des Cellisten Friedrich Kleinhapl zu stehen und den statischen Schriftzug „HUMAN?“ (Sophie Guyot) in roter Leuchtschrift darüber zu lesen. Auch das war Klanglicht 2019 für viele Besucherinnen und Besucher.
Die Eindrücke der audio-visuellen Rauminszenierungen des Festivals boten dem Publikum jede Menge unterschiedliche Erfahrungen. Dabei spielte es eine große Rolle, wie sehr man sich vorinformiert, aber auch, wie viel Zeit man für seinen Rundgang eingeplant hatte. Eines war allerdings klar: Alle 19 Locations an einem Abend abzugehen machte – selbst wenn man es im Laufschritt geschafft hätte – wenig bis keinen Sinn. Denn das Event, das in diesem Jahr zum 5. Mal stattfand und laut Veranstaltern 100.000 Menschen anlockte, verlangte nicht nur gut zu Fuß zu sein, sondern auch für ganz unterschiedliche künstlerische Zugänge offen zu sein und sich dafür letztlich auch zu entschleunigen.
Intruders XL, Amanda Parer (Foto: ECN)
In the rain, Yuki Anai (Foto: ECN)
Sunken cathedrals, Kresimir Rogina (Foto: ECN)
Das Programm, das in der Grazer Oper selbst eröffnet wurde, bot völlig verschiedene, künstlerische Beiträge an. Diese waren zwischen den Polen großartig und bombastisch (Opernbespielung der Außenfassade, sowie Licht-Klang-Konzert im Innenraum von Onionlab & Xavi Bové) bis hin zu minimalistisch (Suchscheinwerfer unter der Hauptbrücke von Anna-Maria Bogner), zwischen gigantischem Neo-Kitsch in der Nachfolge von Jeff Koons (Intruders XL – von Amanda Parer – Osterhasen am Schlossberg und Hauptplatz) und hoher Ästhetik mit laufenden, geometrischen Konstellationen entlang der Fassade der Burg angesiedelt (OchoReSotto). Man könnte wohlwollend auch feststellen – für jeden Geschmack war etwas dabei. Das hat seine Berechtigung, wollen sich dabei doch vor allem die einzelnen Häuser der Bühnen Graz so niederschwellig wie möglich dem Publikum öffnen. Und das tat in diesem Jahr nicht nur das Schauspielhaus, wie schon zuvor, sondern auch das Opernhaus selbst.
Mit „Transfiguration – die Verwandlung“ wurde zu den Klängen des Spaniers Zinkman mit einer Auskoppelung der Grazer Philharmoniker eine Lichtshow gezeigt, die den Innenraum zum Hauptakteur der Show verwandelte. Verzahnt mit den neo-romantischen Klängen wurden dabei einzelne, architektonische Highlights wie die Voll- und Halbreliefs an den äußeren Balkonseiten oder auch das Deckengemälde aus dem Dunkel des Raumes gehoben. Die Lichtstrahlen bildeten eine eigene, spannende Raumerfahrung und machten gleichzeitig die musikalisch-rhythmische Struktur sichtbar.
Diese meditative Wirkung stand im krassen Gegensatz zur Installation an der Fassade der Oper, die vom Kaiser-Franz-Josef-Platz aus von tausenden Besucherinnen und Besuchern frenetisch gefeiert wurde. Dabei begann das Gebäude zu atmen, sich auszudünnen und vermeintlich den Blick in sein Inneres freizugeben. Die stürzende und bröckelnde Fassade und die optische Täuschung einer Drehung des Hauses um die eigene Achse waren nur einige Highlights dieser Perfomance, die – schon traditionell – zu den beeindruckendsten der jeweiligen Festival-Ausgabe gehört.
Leicht fassliche Installationen wie jene im Dom im Berg, bei welcher Yuki Anai den Kreislauf des Wassers in zarter, poetischer Weise in Licht umsetzte, standen wesentlich sperrigeren und erklärungsbedürftigeren gegenüber. Die Installation „what if“ der Österreicherin Tina Frank im Eingangsbereich des Künstlerhauses gehörte dazu. Trotz Informationsblatt, in dem das Konzept erklärt wurde, blieb letztlich doch nur ein sehr persönlicher und intuitiver Zugang, der von der menschlichen Durchzugskolonne, die in diesem Raum nicht nur in diesem Jahr wieder festzustellen war, erheblich erschwert wurde.
Wie schon 2018 boten OchoReSotto im Hof der Grazer Burg ausreichend Augenfutter. Mit den am Boden aufgestellten, niedrigen Wasserbecken, wurde ein zusätzlicher Spiegelungseffekt erreicht, der auch das Publikum miteinschloss, was zu sehr reizvollen Fotomotiven führte.
Sehr anspruchsvoll und sowohl politisch als auch ästhetisch auf der Höhe unserer Zeit zeigte sich die Arbeit „notes towards a model opera“ von William Kentridge im Schauspielhaus. Auf drei großen Leinwänden so auf der Bühne platziert, dass die Besuchenden davor Platz nehmen konnten, beeindruckte der südafrikanische Kunst-Star mit einer höchst artifiziellen Sicht auf die Vereinnahmung Afrikas seitens der Kolonialherren aus Europa, aber auch dem aktuellen Versuch der chinesischen Großmacht, in Afrika Fuß zu fassen. Seine Mischung aus Film und Fotomaterial, aus Malerei, Tanz und Archivaufnahmen im Wechsel zwischen Schwarz-Weiß- und Farbgeschehen, löste jede Menge Assoziationen und Diskussionsstoff aus. Besser kann man einen Ort wie das Schauspielhaus, in welchem zeitgenössischer Dramenproduktion breiter Raum gewidmet wird, im Rahmen von Klanglicht wohl kaum bespielen.
Der „Truck“ von Erwin Wurm, bekannt aus diversen Museums-Shows fand dieses Mal seinen Platz vor dem Orpheum. Die „sunken cathedrals“ am Freiheitsplatz von Kresimir Rogina, waren nicht, wie man annehmen hätte können, in blauem Licht, sondern nur in pianistischer Klangfülle versunken. „For iTernity“ von Katja Heitmann animierte das Publikum, sich mit selbst gehaltenen Plexiglasscheiben auf die Suche nach dem projektierten Film zu machen und auf der Murinsel wallte künsticher Nebel (ArtificialOwl), um ein holographisches Windspiel zu erzeugen. Mit etwas mehr punktuell eingesetztem Licht wäre der Effekt sicherlich noch spektakulärer gewesen.
Jordan Soderberg-Mills verwandelte die Schaufenster des Kaufhauses Kaster und Öhler in ein halluzinogenes Erlebnis, das an so manche ästhetische Umsetzung von Lichtbrechung der 60er- und 70er Jahre erinnerte. Dagegen gingen seine überarbeiteten Graz-Fotos in den Werbeflächen an der Straßenbahnhaltestelle am Hauptplatz leider fast unter. Peter Koglers Kunsterweiterung auf schwarz-weiße Schals, abgesehen von seiner Kunsthaus-Haut-Bespielung, stand wiederum diametral der Installation von Gor Chahal in der Stadtpfarrkirche gegenüber. Für eine gute Sicht auf die Projektionen der Gesangstexte an die Kirchendecke musste man sich setzen, was jedoch nur wenige Besuchenden tatsächlich auch taten. Die beiden letztgenannten Beispiele zeigen exemplarisch auf, wie groß der Spannungsbogen der Beiträge zwischen den Polen Konsum und Kontemplation angelegt war.
Die Willensbekundung der politisch Verantwortlichen bei den Eröffnungsreden, Klanglicht zu einem Fixpunkt im Frühjahrs-Event-Geschehen in Graz zu etablieren, lässt auf Fortsetzungen hoffen.
Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.
Günter Brus • „Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)
Das Bruseum am Landesmuseum Joanneum in Graz zeigt im Reigen der Ausstellungen anlässlich zum 80. Geburtstag von Günter Brus eine Schau mit vielen bisher noch nie ausgestellten Werken.
Der Titel „Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ macht klar, worum es geht: Um Zeichnungen, die rund um die Aktionen des Künstlers in den 60er-Jahren entstanden sind. Entweder als vorbereitende oder auch nachbearbeitete Reflexionsmomente, nicht jedoch als Skizzen im klassischen Sinne, welchen danach eine größere Ausführung folgt
Es finden sich auch einige Arbeiten darunter, zu deren Aktions-Ausführung es nicht gekommen war, da diese letztlich gar nicht stattgefunden haben. Bisher hielt sich die Meinung, Brus hätte erst nach Beendigung der Aktionen zu zeichnen begonnen. Die Ausstellung zeigt jedoch, dass für ihn dieses Medium immer schon ein adäquates Ausdrucksmittel war, das er über die Jahrzehnte hin, vom Beginn seines Schaffens an, verwendete. Vieles aus der Anfangszeit ist jedoch heute nicht mehr vorhanden. Das liegt auch daran, dass die Blätter nicht dafür gedacht waren, jemals in einer Ausstellung zu landen. Vielmehr waren es oft nur Gedankenstützen, in welchen die Themenfelder abgesteckt und verarbeitet wurden, die letztlich in den Aktionen ihren Ausdruck fanden.
Die Verletzlichkeit des Körpers als zentrales Motiv
Dass der Körper dabei im Mittelpunkt steht, wird auf den ersten Blick klar. Die Fragilität, das Ausgesetztsein, die Verletzlichkeit – dies zentrale Aussagen vieler Arbeiten. Stilistisch ist ein großer Bogen von realistischen Selbstportraits über michelangeleske Gesten, von Einflüssen der Wiener Giganten wie Klimt und Schiele, aber auch Kokoschka zu entdecken. Je fragmentarischer die Zeichnungen jedoch werden, je radikaler ihre Aussage, umso stärker wird die persönliche Handschrift von Brus erkennbar. Die Auseinandersetzung mit dem Individuum und mit der Macht, aber auch mit der Weiterentwicklung des Körpers ist und bleibt bei ihm zentral.
Was auch sichtbar wird: Brus verwendete Materialien, wie sie auch in der Arte povera zum Einsatz kamen, nur mit einem gänzlich anderen Output. Seine silbrigen und goldglänzenden Papiere, mit denen er einige gezeichnete Figuren ausstattete, sind nichts anderes als Suppenwürfelverpackungen, wie sie heute noch verwendet werden. Aber auch das Papier, auf dem er zeichnete, zum Teil vom Altwarenhändler gekauft, war von minderer Qualität, wie ein Ringordner mit Kriegspapier, den Brus mehrere Jahre lang verwendete.
Über 200 zum Teil noch nie gezeigte Werke
„Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)
„Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)
„Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)
„Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)
„Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)
„Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen von Günter Brus“ (Foto: ECN)
Die große Auswahl – die Schau vereint über 200 Werke – gibt nicht nur einen Einblick in die grafisch-formale Umsetzung geplanter Aktionen, sondern vielmehr in das Denken des Künstlers an sich. Tabulos und scheinbar schmerzbefreit seziert er darin nicht nur Körper- sondern vor allem auch menschliche Befindlichkeitsschichten. Das Penetrieren von Leibern, die Verstümmelung von Gliedmaßen werden solitär gezeigt, ohne Verursacher. Der Kontext erschließt sich nur aus den Aktionen selbst, die Brus fotografisch festhalten ließ. Und aus den Ereignissen, die ihn dazu nötigten, Österreich zu verlassen. Die Beschimpfungen und Bedrohungen, die auf ihn und seine Familie einprasselten, erfahren in seinen Zeichnungen eine grafische Transformation. Seelischer Schmerz wird so zu körperlich nachvollziehbarem, das Empfinden von innen nach außen gestülpt. Nie stehen die Gesichter im Mittelpunkt, nie werden von Schmerz verzerrte Antlitze gezeigt. Brus ist nicht mit einer lustvollen Dekadenz ausgestattet, die er triebhaft kanalisieren muss. Vielmehr sind es tiefgreifende Erkundungen des Fleischlichen und das Nachdenken über Möglichkeiten von körperlichen Veränderungen, die er zu Papier bringt. Sein inneres Auge nimmt darin Posen und Rituale vorweg, die in der Umsetzung dann tatsächlich eins zu eins, oder aber gänzlich anders zur Ausführung gelangten. Denn als Regieanweisungen, denen unbedingt Folge zu leisten ist, sind die Zeichnungen nicht zu verstehen.
Besonders berührend ist ein Zyklus, den Brus nach der Geburt seiner Tochter schuf. Mit Gouache weiß gehöht, setzt er den kleinen Körper ebenso in einen kahlen Raum, wie zuvor schon viele andere und bedroht ihn durch spitze Gegenstände wie Scheren oder Reißnägel. Jedoch ist es gerade die Verwendung der weißen Farbe, die sich wie ein Schutzmantel um das kleine Wesen legt und als Geste des Beschützens empfunden werden kann.
Der Direktor des Bruseums, Roman Grabner, verbindet in seinen Führungen die großen Namen der Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts eloquent mit jenen Ideen, welche Brus in seinen Blättern visualisierte. Die gefühlte und visuell umgesetzte Vorwegnahme so manch später ausformulierter, philosophischer Theorie um Macht, Kontrolle, Machtmissbrauch, Körperveränderung und Körperveinnahmung, die er bei Brus sieht, lässt sich im Nachhinein sehr schön konstruieren. Und obwohl in der Realität der Künstler einen anderen, wesentlich pragmatischeren Zugang verfolgt haben dürfte, der ihn dazu motivierte, seine geschundenen und körperlich veränderten Figuren in mannigfacher Gestalt auf Papier zu bannen, sind diese Gedankenspiele nicht von der Hand zu weisen. Gilles Deleuze wies auf die Parallelität von Kunst und Philosophie ausdrücklich hin und bemerkte, dass beide einem kreativen Schaffensprozess unterliegen, wenngleich die Kunst neue Affekte und die Philosophie neue Begrifflichkeiten produziert.
Ganz abseits jeglicher philosophischer Herangehensweisen berührt die Ausstellung zutiefst. Sie gibt Einblick in ein künstlerisches Gedankengebäude, das sich dem Kern des Menschseins anzunähern versucht. Das sich offenkundig ebenso einer ungeschönten Wahrheit verpflichtet fühlte, die wir nur allzu gerne ausblenden. Sei es Folter und Krieg, sei es ein Dahinvegetieren in Armut und Krankheit oder sei es auch der nahende Tod. In all diesen Seinszuständen ist der Körper weder fotogen noch begehrenswert, noch strahlt er Sexappeal aus. Aber er berührt, berührt zutiefst.
Unsere Empfehlung: Nehmen Sie sich Zeit für die Ausstellung und gönnen Sie sich eine Führung. Gerade die vielen Verbindung zu den Aktionen, die dabei angesprochen werden, sind erkenntnishaft, wenn man die Blätter in diesem Zusammenhang betrachtet.
Kunst kann etwas bewegen. Nicht nur die Herzen der Menschen, sondern auch ihre Beine. Das bewies das Festival „Klanglicht“ in Graz nun bereits zum 4. Mal. Die Veranstaltung, die von den Bühnen Graz präsentiert und mit dem Label „THE FESTIVAL OF SOUND AND VISION“ gebrandet wurde, ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Zum einen steht dahinter eine ganz pragmatische Idee, nämlich das Publikum dort abzuholen, wo es ist – auf der Straße. Spielstätten wie die Oper, das Schauspielhaus, Next Liberty, Dom im Berg und das Orpheum machen dabei optisch und auditiv im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam. Zum anderen kommen viele Menschen mit einer zeitgenössischen Kunstgattung ohne jegliche Schwellenängste in Berührung und lassen sich davon begeistern. Dass sich auch der Tourismus der Stadt Graz darüber freut, ist ein positiver Nebeneffekt. An die 100.000 Besuchende hatte das Festival in diesem Jahr Ende April.
In die Burg musst schauen, das ist super!
Dieser aufgeschnappte Satzschnipsel aus der Menschenmenge wurde so offenbar sehr häufig kommuniziert. Denn was sich „in der Burg“ – genau gesagt – dem Hof der Grazer Burg – abspielte, war gigantisch. So extrem, dass selbst die breite Einfahrt zum Parkplatz der Steiermark-Regierenden mit Menschen völlig verstopft war und zeitweise das Hinein- und Hinauskommen zur Location mühsam wurde. Kein Wunder, denn die Klanglicht-Installation „Arkestra of light: parallel“ von Ochoresotto aus Österreich war tatsächlich eine Wucht, im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht auch deshalb, weil das Künstlerkollektiv mit Lia Räder, Volker Sernetz und Stefan Sobotka-Grünewald aus Graz stammen und um die Wichtigkeit des Gebäudekomplexes wissen. Mit einem brummenden, die Herzfrequenz im wahrsten Sinne des Wortes packenden Sound und einem gigantischen, geometrisch aufgebauten Lichterkosmos verwandelten sie die historische Architektur in eine surreale Umgebung, in der man die Baumasse zeitweise völlig vergessen konnte.
Klanglicht, Burghof (c) European cultural news
Schauspielhaus und Oper
In direkter Nachbarschaft, im Schauspielhaus, teilten David Reumüller und Muscle Tomcat Machine, die Bühne durch eine gigantische Leinwand. Betreten wurde die Installation „Exposure o.T.“ vom Zuschauerraum her, hinter der Bühne gelangte man direkt ins Freie.
Klanglicht Schauspielhaus (c) European Cultural News
Allein schon dieser Backstage-Eindruck lohnte den Besuch. Auf die mit einem zarten Netz-Muster unterlegte Leinwand wurden mittels Live-Kameras jene Menschen projiziert, die sich auf der Bühne bewegten. Schwarz-weiß-Impressionen, Verdichtungen und Entzerrungen gaben einen Blick frei auf eine andere Wahrnehmungsebene unserer Realität. Der einfache, ruhige Sound-Loop, unterstütze die Konzentration auf das visuelle Geschehen.
Klanglicht Opernhaus (c) European Cultural News
Klanglicht Opernhaus
Von der Ästhetik her völlig anders, wenngleich mindestens gleich beeindruckend wie die Installation im Burghof, präsentierte sich die Grazer Oper seinem Publikum. Die auf der Straße vor dem Kaiser-Josef-Platz sitzenden und stehenden Menschen genossen sichtlich, dass der Straßenbahnverkehr an den drei Abenden von Klanglicht eingestellt wurde, um die Sicht auf die Rückseite der Grazer Oper nicht zu beeinträchtigen. „Axioma“ der Gruppe Onionlab aus Spanien erntete nach jeder „Vorstellung“ Applaus. Wer mit 3-D-Brillen ausgestattet war, durfte sich darüber freuen, einige der Sequenzen beinahe haptisch zu erfahren. Wie die Kreativen, die international gebucht sind, die Fassade in Einzelteile zerfallen ließ, wie sich ganze Kuben aus der Wand lösten oder kleine Teilchen den Zusehenden imaginär um die Ohren flogen, war mehr als beeindruckend und höchst unterhaltsam zugleich.
Peter Rosegger alive
Wer in Graz kennt das am Rande des Stadtparks aufgestellte Peter-Rosegger-Denkmal? Seit dem Klanglicht 2018 sicherlich mehr Menschen als zuvor. Denn Michael Bachhofer & Karl Wratschko gelang das Kunststück, DEN steirischen Dichter, gefangen in weißem Marmor, zum Leben zu erwecken. Mit mildem Lächeln, strengem Gesichtsausdruck oder ein wenig verschmitzt sprach er zu seinem Publikum, wobei es die ausgewählten Texte in sich hatten. „Ich bin viele Gesichter“ hieß der Titel dieser Arbeit, in der deutlich wurde, dass sich auch große Geister mit Prognosen irren dürfen, dass einige ihrer Aussagen aber auch prophetisch sind und – sehr tröstlich – sich im Laufe eines Lebens Ansichten auch ändern können. Die wunderbare Überblendung des steinernen Gesichtes mit lebendigem Videomaterial machte Lust, Denkmäler, egal wo immer sie aufgestellt sind, auf diese Weise neu zu betrachten. Dabei könnte man wesentlich mehr über jene Menschen erfahren, die in Europa zum Teil nur mehr aufgrund ihrer marmornen Konterfeis auf öffentlichen Plätzen bekannt sind. Denk-mal bekam bei Bachhofer und Wratschko einen gänzlich neuen Interpretationsansatz und zählte zu den originellsten Installationen dieses Jahres.
Der Schlossberg von innen und von außen
Der Österreicher Winfried Ritsch und Rombout Frieling aus den Niederlanden bespielten den Dom im Berg mit ihren Arbeiten „Pianometalspace // Soundlinks“ und „Motion Scape“. Einem Raum-Licht-Klang-Gesamterlebnis, das mit robotischem Klavierspiel gekoppelt wurde. Zu beneiden waren jene, die auf den Wippen von Frieling chillen und entspannt den Blick über die Domkuppel streifen lassen konnten. Alle anderen wurden von beflissenem Wachpersonal höflich daran gehindert, sich eine kleine Ruhepause am Boden sitzend oder an den Seitenwänden lehnend, zu gönnen.
Klanglicht, Dom im Berg (c) European cultural news
Ganz anders hingegen erlebte das Publikum das Szenario bei der Schlossbergtreppe. „Scala lucida“ von Teresa Mar bot einen anderen Blick auf den Schlossbergfels, über den sich der sogenannte „Kriegssteig“ windet. Er wurde in den Kriegsjahren zwischen 1914 und 1918 von Pionieren und russischen Gefangenen errichtet. Unterschiedliche eingefärbt und ebenfalls mit Sound unterlegt, lösten sich die einzelnen Natur- und Architekturformationen zum Teil optisch völlig auf. Schade, dass die Lichtstärke zu wünschen übrig ließ und der starke Farb-Effekt, der im Programmheft abgebildet worden war, nur gemindert wahrzunehmen war.
Der Landhaushof als Labyrinth
Mit pinkfärbigen Leuchtstäben, scheinbar aus dem Nichts über den Hof des Landhauses schwebend, beeindruckte der Niederländer Wouter Brave. „Floating light“ war der passende Titel. Die Berührungen der Stäbe, die zwangsläufig von den Menschen beim Durchqueren des Raumes ausgelöst wurden, bewirkten ein ständiges Pendeln in unterschiedliche Richtungen. Wer die Sandsack-Installation ›Bodycheck/Physical Sculpture No. 5‹ von Flatz auf der Documenta IX erlebt hat, durfte sich eines kleinen Flashbacks erfreuen. Drückten damals 60 kg schwere, zylindrische Objekte spürbar auf jene Besuchenden, die sich einen Weg durch das Labyrinth bahnen wollten, waren es im Landhaushof periphere, kaum wahrnehmbare Berührungen, die man am eigenen Körper spüren konnte. „Timber“ der Studio Percussion graz lieferten dazu Live-Beats, die jedoch nicht mit dem Tanz der Klangstäbe gekoppelt waren.
Künstlerhaus und Murinsel
Die in Graz geborene Künstlerin LIA arbeitet seit Mitte der 90er Jahre in Wien auf dem Gebiet der Software- und Netzkunst. Ihre höchst ästhetische Arbeit „Silver Ratio“ ließ das Künstlerhaus im Stadtpark nicht nur innen, sondern auch außen in Blau-Weiß-und Schwarz leuchten. Dabei gelang ihr eine neue Wahrnehmung des Haupteinganges und des Eingangsbereiches, der sich durch seine Verglasung in drei Richtungen hin zum Stadtpark öffnet.
Vor allem auditiv interessant war die Installation „Transience“ von Philip Ross & Joep le Blanc aus den Niederlanden. Le Blanc schuf dafür ein Klangereignis, in welchem er Wassergeräusche in seinen Soundparcours einfließen ließ. Dadurch konnte man den Eindruck gewinnen, das Geschehen unter der Murinsel, das Fließen und die Berührungen des Wassers mit der Architektur zu erleben.
Mariahilferkirche
Ohne Sound wurde das Äußere der Mariahilferkirche von der in Graz aufgewachsenen Azra Aksamija bespielt. In ihrer roten Projektion über dem Eingangsbereich entwickelten sich nach und nach nicht nur architektonische Symbole von Graz wie der Uhrturm, das Schloss Eggenberg oder die Murinsel. Wie von zarter, unsichtbarer Hand legte sie ein imaginäres, illuminiertes Stickmuster um diese herum und verband so „lokales und migriertes Wissen“. Wobei festzustellen ist, dass rote Kreuzsticharbeit nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in Graz und der gesamten Steiermark zu einem wichtigen, kulturellen Erbe gehört, das sich nach und nach jedoch langsam verabschiedet und nur mehr punktuell tradiert wird.
Im Inneren der Kirche erklang Oliver Messiaens „Quatour pour la fin du temps“, gespielt von Kur Mörth, Pauli Jämä, Fuyu Iwaki und Gergely Mohl. Ganz der Funktion des Gebäudes entsprechend, bot sowohl das Äußere als auch der Innenraum der Kirche kontemplative Momente und die Möglichkeit zu einer Verschnaufpause oder einem ruhigen Ausklang des Klanglicht-Rundganges.
Die Stimmung, die in Graz an diesen Abenden an den insgesamt 17 Locations spürbar wurde, war außergewöhnlich. Tausende von Menschen machten sich gelassen, aufmerksam und zugleich höchst kommunikativ auf die Spurensuche nach Licht und Klang. Viel mehr kann Kunst im öffentlichen Raum kaum bewirken.
Lucia war bei dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Österreich 9 Jahre alt. Ihre jüdische Abstammung hätte ihr und ihrer Mutter beinahe das Leben gekostet. Nur mithilfe des besten Freundes ihres Vaters überlebte sie die Zeit der Judenverfolgung in Wien. Reinhold Duschka versteckte die beiden zuerst in seiner Werkstatt und die letzten Monate vor Kriegsende in einem Kohlenkeller-Verschlag eines Wohnhauses, in dem sie nicht einmal miteinander sprechen durften, um nicht entdeckt zu werden.
Angelica war 12, als sie die Gestapo aus dem Gymnasium abholte, weil sie als Jüdin nicht weiter zur Schule gehen durfte. Nach einer Odyssee über Salzburg, das sie mit ihrer Familie Hals über Kopf verlassen musste, nahm sie der beherzte Pfarrer Johann Linsinger in Großarl mit ihren beiden jüngeren Geschwistern und ihren Eltern auf. Er versorgte die Familie Bäumer mit neuen Papieren und beherbergte sie als „ausgebombte Wiener“ bis Kriegsende.
Reinhold Duschka und Johann Linsinger sind zwei Personen von insgesamt 112, die in Österreich den Titel „Gerechte der Erde“ tragen. Einen Titel, der vom israelischen Komitee der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an nicht jüdische Personen vergeben wird, wenn diese nachgewiesenermaßen jüdischstämmige Menschen während des 2. Weltkrieges vor dem Tod uneigennützig und unter Einsatz ihres eigenen Lebens retteten. Im Volkskundemuseum ist nur bis Ende März dieser Thematik eine Ausstellung mit dem Titel „Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung“ gewidmet.
In ihr werden nicht nur die Gerechten Österreichs aufgezeigt. Auch die übelsten Mörder, die dieses Land in der Nazidiktatur schalten und walten ließ, bekommen Gesicht und Namen. Bis man zu den Biographien der Gerechten gelangt, muss man erst ein Spalier dieser Nazischergen durchschreiten, kann dabei ihre Namen und ihre Funktionen lesen und erfährt, welche Verbrechen sie begingen.
„Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ (Foto: European Cultural News)
Die Ausstellung beinhaltet auch kleine Objekte, Fotos und persönliche Andenken an jene, die sich mit ihrer Zivilcourage selbst in Lebensgefahr brachten. Sie fordert die Besuchenden aber auch auf, sich unter eine überdimensionale Polizeikappe zu stellen, in der schlagwortartig Gedanken und Wortfetzen aneinandergereiht wurden, die das „Innere eines Kopfes“ wiedergeben, in dem Recht gegen Unrecht imaginär einen Kampf austragen. Ein Propagandafilm, eine Aufnahme von Hitlers Fahrt durch Wien am 14. März 1938 und Plakate, an Litfaßsäulen montiert, geben die Stimmung wieder, die in jenen Jahren, politisch betrieben, das Volk vergiftete und die Menschen zu Mittätern werden ließ. Eine Reihe von Videofilmen lassen Zeitzeugen zu Wort kommen.
Eine besondere, gelungene Ausstellungsarchitektur zeigt von innen heraus hell erleuchtete Würfel in einem abgedunkelten Raum. Auf ihnen sind Fotos und Texte über jene Gerechten angebracht, die sich gegen das Gesetz stellten und ihre Überzeugung von Nächstenliebe tatsächlich lebten. Auf diese Weise treten diese Personen wie Lichtgestalten auf, die im wahrsten Sinne des Wortes hellstes, menschliches Licht in das Dunkel einer Zeit brachten, das durch seine grausamen Taten humanistisch unermesslich finster geworden war.
Um in den Kreis der Gerechten aufgenommen zu werden, müssen mehrere Zeugen eidesstattlich Auskunft über das Verhalten dieser Menschen ablegen, was bis heute schwierig ist. „Von über 20 Mitschülerinnen habe ich nur zwei animieren können, diese eidesstattlichen Erklärungen abzugeben“, erzählte die heute 86-jährige Angelica Bäumer bei einem Podiumsgespräch anlässlich der Ausstellungseröffnung . Das Zögern der anderen oder ihre glatte Ablehnung zeigen, wie tief auch heute noch die Ressentiments gegen die jüdische Bevölkerung angesiedelt ist oder wie sehr ein Sich-Bekennen mit der Angst vor einem sozialen Druck von Andersdenkenden abgelehnt wird.
„Wir brauchen auf unser Land nicht stolz sein“, O-Ton von Michael John, Kurator der Ausstellung. „112 Gerechte in ganz Österreich ist wirklich nicht viel. Die Mehrzahl davon kam aus Wien. Aus Linz und Graz ist überhaupt niemand dabei. Einige stammten aus kleineren Städten, manche auch vom Land.“ So unterschiedlich wie die geographische Verteilung ist, so unterschiedlich ist auch die soziale Struktur der Lebensretter und Lebensretterinnen. Von Intellektuellen bis hin zu Bauersfamilien, von Handwerkern bis hin zu Polizisten, von Schauspielerinnen bis hin zu Fabrikbesitzern spannt sich der Bogen.
„Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ (Fotos: European Cultural News)
Die Biografien der Gerechten aus Österreich sind darüber hinaus in einem überdimensional großen Folianten, der in der Ausstellung aufliegt, angeführt. Ein Teil dieser Personen wurde für ihre Hilfe verurteilt und noch während der Naziherrschaft ermordet. Wie tief die Trauer auch heute noch in ihren Familien verankert ist, zeigte eine kleine Geste eines Besuchers am Eröffnungsabend. Er legte seine Hand sanft auf das Foto eines Gerechten, der im Buch der Österreicherinnen und Österreicher verewigt wurde und hielt für einige Augenblicke in einem verinnerlichten Gedenken inne.
„Wer einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Welt“ ist im Eingangstext zur Ausstellung zu lesen. Es ist jener Talmudspruch, der im Ring eingraviert wurde, den Oskar Schindler von den Juden erhalten hatte, die den Nazihorror überlebt hatten.
Um Leben zu retten, braucht es aber Courage. Eine Courage, von der wir Nachgeborenen nicht wissen, ob wir sie zu jener Zeit tatsächlich aufgebracht hätten. Was wir aber machen können, ist, heute gegen jene Ungerechtigkeiten anzukämpfen, die seitens der Gesellschaft und der Politik rund um uns tagtäglich geschehen. Auf die Frage, was denn die heute 86-jährige Angelica Bäumer an ihre Mitmenschen von ihrer Erfahrung weitergeben möchte, antwortete sie ohne zu zögern: „Helfen Sie den jungen, männlichen Flüchtlingen, die ihr Land ohne ihre Familien verlassen mussten. Unterstützen sie jene Familien, die alles zurücklassen mussten und nun, ihrer Sprache beraubt, in einem fremden Land wohnen, in dem sie auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen sind.“
Es ist eine Mahnung, die beschämt. Denn eine Gesellschaft wie unsere, die in einem Land lebt, welches 2017 im Ranking der reichsten Länder der Welt Platz 16 einnahm und dessen politische Führung vehement darauf drängt, die Integration in den Schulen zurückzufahren, Flüchtlinge „konzentriert“ zusammenzufassen und ihnen die Mindestsicherung zu kürzen, ist auf dem besten Weg, sich in eine Richtung zu entwickeln, in der Widerstand gegen die Mächtigen und das Eintreten für die Schwächsten der Schwachen wieder zur Courage mutiert.
„Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ (Foto: European Cultural News)
Die Ausstellung „Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung“ läuft nur bis inklusive 31.3. Das Volkskundemuseum hat in dieser Zeit seine Öffnungszeiten verlängert und bietet allen Besuchenden zu dieser Ausstellung einen Gratis-Eintritt an. Ein umfangreiches Vermittlungsprogramm für Schulklassen und Gruppen, sowie öffentliche Führungen ergänzen die Ausstellung.
Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.