Im tiefsten Elend glücklich

Im tiefsten Elend glücklich

Im tiefsten Elend glücklich

Von Michaela Preiner

Christopher Hinterhuber (Foto: Nancy Horowitz)
01.
Juli 2018
Felix Austria, unter diesem Generalthema steht das diesjährige Styriarte-Festival und beweist damit, dass Politik und gesellschaftliches Leben sich in der Musik nur bedingt widerspiegeln.
Ein Paradekonzert im Hinblick auf diese These präsentierte das „Philharmonic Five“-Ensemble in der ersten Festivalwoche im Stefaniensaal. „Kaiserwalzer“, so der Titel, gab Einblicke in das musikalische Geschehen der 10er- und 20-er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Genauer gesagt, in die Konzerte des „Vereins für musikalische Privataufführungen“, der 1918 gegründet wurde, um zeitgenössische Musik zur Aufführung zu bringen. Die Idee dazu hatte Arnold Schönberg, der auch zum Präsidenten des Vereins in den Vorstand gewählt worden war.
Das „Philharmonic Five“-Ensemble besteht aus Streicher-Solisten und -Solistinnen der Wiener Philharmoniker und dem Pianisten Christopher Hinterhuber, der für die künstlerische Leitung verantwortlich zeichnet. Ergänzend zu diesem Ensemble war der Abend mit Flöte, Klarinette, Kontrabass, Harmonium und Schlagwerk bestückt. Auf diese Weise war es möglich, ein breites Spektrum an Musik zu spielen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts komponiert worden war. Auch wenn die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler schon zuvor entstanden waren – in der Bearbeitung von Arnold Schönberg erhielten sie erst 1920 ihren orchestralen Kammermusikklang.
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„Ludwig Mittelhammer“ (Fotos: Daniel Fuchs)

Der Solist dafür war DIE Entdeckung des Abends schlechthin – Ludwig Mittelhammer (geb. 1988 in München). Sein klarer und geschmeidiger Bariton beeindruckte gleich von Beginn an genauso, wie sein nobler, schauspielerischer Einsatz. Mit sparsamen Gesten, aber umso ausdrucksstärkerer Mimik machte er die Leiden und Glücksszustände nachvollziehbar, die der junge Mann in diesem Liederzyklus durchlebt. Selten hat man die Gelegenheit, h eine junge Stimme wie diese zu hören, die absolut keinerlei Wünsche offenlässt und das Verlangen evoziert, sofort in den Terminkalender des Sängers zu schauen, um ihn weiter live verfolgen zu können. https://www.ludwig-mittelhammer.de/schedule

Das weitere Programm wies einige Raritäten auf, wie Julius Bittners Tänze aus Österreich, die Christopher Hinterhuber klug vor Bartoks Volkstänze, Sz. 56 erklingen ließ. Auch Josef Labors „Allegretto grazioso“ aus dem Quintett für Klavier, Klarinette und Streichtrio in D, op. 11, gehörte dazu. Ein Stück, dessen Klang sich wie Samt und Seide in die Gehörgänge einschlich und das von Debussys „Syrinx“ für Flöte Solo abgelöst wurde. Dabei konnte man den Eindruck gewinnen, als ob schwerelose, schillernde Tonblasen sich aus der Flöte von Silvia Careddu lösten, die dann durch den Saal schwebten.

Einzig Alban Bergs atonale „Vier Stücke, op. 5“ wiesen in dem Konzert auf den kommenden, großen Umbruch hin, den Schönberg mit seiner 12-Ton-Musik ausformulierte. Die dunkle Serie Bergs kann mit kurzen Einaktern verglichen werden, die, kaum motivisch ausgebreitet, schon wieder verklingen.

Wie sehr die Arrangements Schönbergs auch mit Humor unterfüttert sind, bewies schließlich das Finale, der „Kaiserwalzer“ op. 437 von Johann Strauss Sohn. Allen Österreicherinnen und Österreichern hinlänglich aus dem Neujahrskonzert bekannt, überraschte hier der Beginn, in dem unüberhörbar keine elegante Gesellschaft das Tanzbein schwang, sondern Holzschuhe tragende Frauen und Männer. Erst mit Einsetzen des Hauptthemas entwickelte sich jene Eleganz, für die dieser Walzer bekannt ist. Mit der Zugabe des Walzers „Im Krapfenwaldl“, ebenfalls allseits bekannt durch seine Kuckucks- und Vogelstimmen, verabschiedete sich das Ensemble auf höchst launige Weise vom Publikum.

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„Philharmonic Five“ (Foto: Mato Johannik)
Bedenkt man den Ersten Weltkrieg zwischen 1914 und 1918 und die Auflösung der Monarchie, das Leid, das mit dem Kriegsgeschehen in die Welt gekommen war und das österreichische Selbstverständnis in seinen Grundfesten erschütterte, bleibt nur festzustellen: Felix Austria, dass es dir gelangt, diese traumatischen Jahre in Musik zu ertränken, die nichts, aber auch schon gar nichts davon hören lässt, was deine Menschen in diesen Jahren erleiden mussten.
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Was will die Welt noch hören?

Was will die Welt noch hören?

Lukas König (Foto: Arianna Kronreif)

Am 12. April lud das Klangforum Wien unter dem Titel „Genregrenzen“ zu einem seiner gut besuchten Abo-Konzerte. Im Mozartsaal des Konzerthauses erklangen Werke von Bernhard Lang, James Clarke, Alexander Schubert und Lukas König. Wobei letztgenannter Komponist wohl DIE Überraschung des Abends war.

Bernhard Lang bezog sich in DW 24 „loops for Al Jourgensen“, aus dem Zyklus Differenz/Wiederholung, nicht nur auf den Sänger und Mastermind der Industrial-(Metal)-Band Ministry, sondern auch auf den Jazzer Eric Dolphy. In seiner Einführung vor dem Konzert demonstrierte der Saxophonist Gerald Preinfalk die Herangehensweise von Lang, Dolphys Improvisationen zu notieren und in die Komposition einzubringen. Auffallend im Stück waren aber nicht nur die Bezüge zum Jazz oder zur Metal-music, hörbar wurden auch rhythmische Muster, die an Aram Khatchaturian erinnerten. Geprägt ist das Werk von raschen Rhythmenwechseln und einem hohen Tempo, das bis zum Schluss durchgehalten wird. Auch dass im späteren Verlauf an einer Stelle sogar kurz Bigbandrhythmen durchblitzten, zeigt, wie groß die Bandbreite von unterschiedlichen, musikalischen Einflüssen ist, die der Komponist verarbeitete . Die verwendete Elektronik, bei Lang stets präsent, hält eine ausgewogene Balance mit den Live-acts.

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Bernhard Lang (Foto: Harald Hoffmann)

Am Pult agierte – nicht zum ersten Mal beim Klangforum – Baldur Brönnimann. Bestens vorbereitet und zutiefst mit dieser Musik ident, war es ein Genuss, ihm bei der Leitung zuzusehen. Seinen vollen, rhythmischen Körpereinsatz konnte man vor allem bei Langs Komposition wie ein eigenes Instrument lesen, das zugleich als Klammer für alle Beteiligten fungierte.

James Clarke war an diesem Abend mit „Ritornelli“ vertreten, zwei Kompositionen, in welchen die Instrumentalstimmen gleichmäßige, aber voneinander unterschiedliche Rhythmen verfolgten. In Alexander Schuberts „Sugar,Maths and Whips“ konnte der Einsatz der Elektronik nicht nur als eine Klangerweiterung wahrgenommen werden, sondern erzeugte das Gefühl einer eigenen instrumentalen Qualität.

Die Überraschung des Abends lieferte am Schluss des Konzertes Lukas König, der sich der experimentellen Popmusik verschrieben hat und auch als Schlagzeuger agiert. Die Einladung des Klangforums, für das Ensemble ein Stück zu komponieren, empfand er als große Herausforderung und als Auftrag, von Null auf Tausend etwas Qualitätvolles abliefern zu müssen. „Am liebsten hätte ich alles in das Stück gepackt“, erklärte er im Gespräch vor dem Konzert, wohl wissend, dass das gar nicht möglich ist. Mit der auf Experimentalmusik spezialisierten Sängerin Audrey Chen an seiner Seite agierte er, selbst am Synthesizer, auch im gesanglichen Duo. Sein extrem abwechslungsreiches Stück mit einem dunklen, beinahe schon erdig-bedrohlichen Duktus beeindruckte auch durch seine gut nachvollziehbare Struktur. Immer wieder öffneten sich kurze Fenster in eine gänzlich andere, musikalische Welt, in der Gamelanklänge hörbar wurden. Mit Audrey Chen bereitete es keinerlei Schwierigkeiten, Königs experimentelle Stimmführung passgenau in Szene zu setzen. Nicht nur einmal mischte sich dadurch zu einem dumpfen Dröhnen ein stimmliches Flattern und Rauschen, ein Knarzen und eine verblüffende Harmonie zwischen dem menschlichen Organ und den verwendeten Synthesizer-Klängen. Immer wieder ließ König die Bläser aufbrausen und sich wie ein wildes Tier vereinigen, um danach wieder abzuflauen. Langgedehnte, durch Trommelschläge akzentuierte Klangstreifen, eine freejazzig angelegte Passage mit Chens Stimme sind nur wenige von vielen, unterschiedlichen musikalischen Ideen, die König hier zu einem abwechslungsreichen, dichten Stück verarbeitete, das beim Publikum großen Beifall evozierte. Die Frage, die sich König stellte, als er am Beginn seiner Kompositionsarbeit über den Auftrag nachdachte: „Was will die Welt eigentlich noch hören?“, kann einfach beantwortet werden: Ein Stück wie dieses!

Der Superstar Baldassare Galuppi

Der Superstar Baldassare Galuppi

Es gibt sie tatsächlich noch. Jene Entdeckungen, die es ermöglichen, in ein neues, musikalisches Universum einzutauchen, das bislang unbekannt war. Möglich machte dies Florian Stemberger, Pianist und ausgebildeter Jurist. Im Schubert-Saal des Konzerthauses spielte er ein Recital ausschließlich mit Werken von Baldassare Galuppi. Jenem italienischen Komponisten, der zu seiner Zeit der best bezahlte und höchst geachtete in Italien war. So geachtet, dass Nachkommen von Vivaldi, als sie neues Notenprogramm für den sächsischen Hof zusammenstellen sollten, auf einige Vivaldi-Partituren den Namen Galuppi schrieben, da dieser wesentlich bekannter und gefragter als Vivaldi war und die Notenabschriften somit auch mehr Geld einbrachten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Galuppi eine Generation jünger als Vivaldi war und die Auftraggeber im 18. Jahrhundert nur neueste Kompositionen hören wollten. Die große Bekanntheit Galuppis resultierte zu seiner Zeit zum großen Teil aus seinen Opernkompositionen. Niemand Geringerer als Carlo Goldoni schuf dazu die Libretti. Dies führte dazu, dass der Komponist die „opera buffa“ zu einer Hochblüte brachte und die antiken Themen der „opera seria“ immer weiter zurückgedrängt wurden.

Florian Stemberger entdeckte Galuppi durch die Einspielung seiner C-Dur Sonate von Arturo Benedetto Michelangeli. Es ist das einzige Klavierstück, das von Galuppi außerhalb Italiens bis heute bekannt geworden ist. Die Schönheit dieses Werkes hatte es dem österreichischen Pianisten angetan und er machte sich auf eine akribische Suche nach weiterem Material. Dabei wurde er in Archiven in Brüssel, München aber auch Venedig fündig.

Der Superstar Galuppi – immerhin war er auch „maestro di coro“ von San Marco, das war das höchste Amt, das in seiner Profession damals in Venedig vergeben werden konnte – stand musikalisch zwischen dem ausgehenden Barock und der frühen Klassik und verband in seinen Kompositionen alte mit neuen Stilmitteln. Bei der Wiedergabe der ausgewählten Werke verzichtete Stemberger auf einige notierte Wiederholungen, um dem Publikum in Wien so viel Musik wie möglich von dem Komponisten zu Gehör zu bringen. Und tatsächlich beeindruckte die Bandbreite von Galuppis Kompositionsfähigkeiten. Barocke Tonskaskaden mit den üblichen Triller- und Vorschlagsverzierungen waren ebenso zu hören wie Toccaten, die ganz in der Bachnachfolge einen höchst komplizierten Tonsatz aufweisen. Dass Stemberger bei der Toccata in F-Dur, i 15 (Thematischer Index der Sonaten und Konzerte von Hedda Illy) ein Arpeggio realisierte, ließ im wahrsten Sinne des Wortes aufhorchen. Unterfütterte er doch die rechte Stimme mit einem auffallend akkordisch gesetzten, dichten Bass in der Linken, bei dem sich die gewagten Harmonien von der barocken Praxis absetzten und ein spannendes, musikalisches Gefüge ergaben.

Auffallend waren von Beginn weg der kräftige Anschlag des Pianisten, der den Steinway-Flügel in keiner Weise schonte. Seine Technik, für die er in Galuppis Sonaten einen eigenen Anschlagsmodus entwickelte, könnte man am besten mit der Einhaltung barocker Präzision aus dem Verständnis der Instrumente dieser Zeit beschreiben, jedoch praktisch auf einem zeitgenössischen Flügel umgesetzt. Vieles, was Galuppi für Cembalo schrieb – DEM Tasteninstrument seiner Zeit – ist laut Stemberger darauf nicht gut wiederzugeben. Das betrifft die Melodieführung ebenso wie die Bassbegleitung. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Entwicklung des Pianofortes, dem Vorgänger unserer heutigen Klaviere, von Bartolomäo Christofori 1726 in Florenz abgeschlossen war und Galuppi davon wahrscheinlich nicht nur informiert war, sondern auch auf solchen Instrumenten spielen konnte.

Schließlich war er auch ein weitgereister Mann und konzertierte an den Höfen in London, Dresden oder St. Petersburg, die allein schon aus Imagegründen großen Wert auf den Erwerb der neuesten Instrumente legten. Stembergers Spiel beeindruckte vor allem in seinen wild auf die Tasten gesetzten Arpeggios und seinem Staccato-Spiel, bei denen es den Anschein hatte, als würde er dem Instrument mächtige Schläge versetzen. Zugleich geht von seiner Virtuosität, die er vor allem im zweiten Teil des Programmes demonstrierte, eine Faszination aus. Seinen Fingern und Armbewegungen ist eine der Komposition innewohnende Choreografie abzulesen, die Stemberger durch sein entwaffnend lebhaftes und rasantes Spiel sichtbar werden lässt. Dass er dabei mit geschlossenen Augen spielt, fasziniert zusätzlich.

Die „Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit“, die Stemberger in den Galuppi-Sonaten erkennt, möchte der Pianist, vielleicht auch mithilfe von Sponsoren, in naher Zukunft auf zwei CDs festhalten. Das Publikum bedankte sich mit langen Ovationen, für die Stemberger sich mit zwei Zugaben revanchierte.

Mehr als nur ein Halleluja

Mehr als nur ein Halleluja

Foto: Natalie Paloma Photographie

In Mitteleuropa ist es Tradition geworden, Georg Friedrich Händels „Messiah“ in der Fastenzeit aufzuführen. Wenngleich es dafür ganz unterschiedliche Aufführungsmodi gibt. Das Oratorium, 1741 innerhalb von drei Wochen geschrieben, enthält insgesamt 53 musikalische Nummern und ist in drei Teile eingeteilt. Häufig gelangt nur ein Teil zur Aufführung, oder es werden Streichungen von einzelnen musikalischen Teilen vorgenommen.

Das Publikum im ausverkauften Goldenen Saal des Musikvereins kam in einen seltenen Genuss.Der Chorus sine nomine unter der Leitung von Johannes Hiemetsberger wählte die schwierigste und anspruchsvollste Aufführungsvariante. Er führte mit der Instrumentalbegleitung des Ensembles Prisma das Oratorium in seiner vollen Länge auf.

Hiemetsberger hat schon in den letzten Konzerten mit ungewöhnlichen Einfällen Originalität bewiesen. So auch in diesem, nicht nur was die Interpretation aller drei Teile betrifft. Er griff auch in der Besetzung der Solisten und Solistinnen auf eine Vorgehensweise zurück, die zu Zeiten von Händel noch nicht unüblich war. Den Altus besetzte er mit Markus Forster, einem Countertenor. Dieser lieferte mit seinem speziellen Timbre eine weitere Klangschattierung zu den drei anderen Solo-Stimmen bei, was sich als sehr reizvoll erwies.

An seiner Seite glänzte Ursula Langmayr mit einem wunderbar sicheren und voluminösen Sopran. Ihr zartes Tremolo passte außerordentlich gut zu den vielen, kleinen barocken Verzierungen, die ihr Part aufweist. Gernot Heinrich durfte seinen samtweichen Tenor präsentieren, der in schönem Gegensatz zu Matthias Helms kräftigem, virlen Bass erklang.

Außergewöhnlich war auch die Aufstellung des Cembalos, dessen Corpus in der Mitte der Bühne auf der kleinen, transportablen Orgel auflag. Auf diese Weise kam dieses ausgesprochene Kammerinstrument, das vor allem bei einer großen Chor- und Orchesterbesetzung sonst klanglich oft völlig untergeht, wunderbar zur Geltung. Außerdem konnte Johannes Bogner so an mehreren Stellen im dritten Teil nahtlos vom Cembalo ans Orgelregister wechseln, was für höchst ungewöhnliche Klangmischungen sorgte.

Besonderes Augenmerk legte Hiemetsberger nicht nur auf die präzise Führung seines Chores, der immer wieder aufs Neue beeindruckt. Auch das Ensemble Prisma wurde von ihm unglaublich nuanciert geleitet. Vor allem in der sehr farbig gestalteten Dynamik, die sich an einigen Stellen innerhalb von wenigen Noten ensembleübergreifend exaktest veränderte, beeindruckte der Klangkörper. Gut hörbar war auch der Kontrabass von Alexandra Dienz. Auch dieses Instrument, wenn es nicht von einer herausragenden Qualität ist und auch ebenso gespielt wird, ist leider viel zu selten gut aus einem Klangkörper herauszuhören. Die glasklare, ja beinahe durchsichtige Instrumentalwiedergabe der Partitur und  der perfekt abgestimmte Chor präsentierten die komplexe Musik gut nachvollziehbar. Und dies mit einem intensiven, aber völlig unaufgeregten Dirigat.

Das Konzert am 13. März war eine musikalische Sternstunde, nicht nur für die Sängerinnen, Sänger und Musizierenden an ihren Instrumenten. Das Publikum dankte mit derart langen Ovationen, dass Hiemetsberger zur großen Freude und unerwartet das „Halleluja“ als Zugabe noch einmal singen ließ.

Aus der Eiseskälte des Konzertes in die warme Wiener Winternacht

Aus der Eiseskälte des Konzertes in die warme Wiener Winternacht

Aus der Eiseskälte des Konzertes in die warme Wiener Winternacht

Von Michaela Preiner

„Schnee“ (Foto: ECN)
15.
Januar 2018

Ein außergewöhnliches Konzerterlebnis bot das Ensemble Phace am 10. Jänner 2018 im Berio-Saal des Wiener Konzerthauses. Auf dem Programm stand die Komposition „Schnee“ des 1952 in Kopenhagen geborenen Hans Abrahamsen.

Das Konzert war Teil einer kleinen Reihe mit dem Titel „Transcience“, die verschiedenen Naturphänomen gewidmet wurde. Im November wurde das Thema Eis behandelt, im Jänner folgte Schnee, der März bringt Regen und der Mai thematisiert das Thema Luft. Ausgangsbasis bzw. Inspiration boten dabei nicht nur die jeweiligen Naturerscheinungen an sich, sondern auch Christoph Ransmayrs Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“.

Abrahamsens Komposition, in der sich der gedankliche Austausch mit Bach gut nachvollziehen lässt, besteht aus insgesamt 10 Kanons. Sie beziehen sich perlenschnurartig aufeinander und bieten eine Fülle von Assoziationen, die mit Schnee in Verbindung gebracht werden können. Um dem Publikum die Möglichkeit zu bieten, das Konzert ganz entspannt zu verfolgen, war die Mitte des Saales mit einem Belag ausgestattet, auf dem die Menschen sitzen, aber auch liegen konnten. Wer wollte, nahm auf den Stuhlreihen rund um den Entspannungsbereich Platz.

Das mit zwei Klavieren, je einer Flöte, Oboe, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello und Schlagwerk ausgestattete Ensemble wurde von Nacho de Paz hinter einem drehbaren Dirigentenpult geleitet. Zum Teil waren die Instrumente mit Lautsprechern verbunden, was insbesondere bei klanglosen Streicherpassagen zu neuen Hörerlebnissen führte.

Der Anfang konnte mit Kopfbildern von einzelnen Schneeflocken verbunden werden. Flocken, die sich nach und nach langsam formierten und eine kalte Winterlandschaft überzogen. Die kleine, einfache Melodie im Klavierdiskant wurde von rhythmisch exakten, tonlosen Streichern ergänzt. Im zweiten Kanon setzte eine im mikrotonalen Bereich angesiedelte Tonverschiebung ein. Das weiche Flockenfallen verdichtete sich zusehends zu einem Prasseln von harten Schneekristallen. Überraschend veränderte sich das auditive Geschehen durch einen leisen Staccato-Einsatz der Bläser in weiterer Folge und einem verhaltenen Klopfgeräusch.

Wer das Glück hatte, in seinem Leben unterschiedliche Primärerfahrungen in Zusammenhang mit Schnee gemacht zu haben, wurde bei diesem Konzert mit mehreren Flashbacks belohnt. Wurden doch zusätzlich zu den bereits geschilderten, auditiven Ereignissen Erinnerungen an einen nassen Schneeregen wach, an kalte, nur zum Teil dünn vereiste Pfützen, die unter unbedachten Schritten einbrechen. Das Geräusch von Matsch auf unbefestigten Landstraßen und tauendem Eis, das Gefühl einer kalten, eisigen Winternacht, die Erinnerung eines beklemmenden Erlebnis, sich in einem windumtobten Haus mitten auf dem Land zu befinden, aber auch die Freude an Rutschpartien auf unsicherem, vereisten Grund, sowie ein weit entfernt hörbares Glöckchengeläut von Pferdegespannen gehörten ebenso zum Kopfkino wie schließlich eine riesige Eishöhle, die in der eigenen Vorstellung langsam durchschritten werden konnte.

Die Komposition lebt von einer gelungenen Balance zwischen nachvollziehbaren, sich zum Teil wiederholenden Strukturen und einer zauberhaften, inspirierenden Klangfarbigkeit, die zum Träumen bleichermaßen wie zum Meditieren einlädt.

Wie sehr es Abrahamsen gelang das Thema körperlich fühlbar umzusetzen, wurde deutlich, als einem beim Nachhause gehen aus der Kälte der Schnee- und Kristallnacht des Beriosaales beim Öffnen der Konzerthaustüre unerwartet eine milde Wiener Winterluft einhüllte.

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Weihnachtskonzert mit Überraschungseffekten

Weihnachtskonzert mit Überraschungseffekten

Weihnachtskonzert mit Überraschungseffekten

Von Michaela Preiner

Chorus sine nomine in der Karlskirche (Foto: Natalie Paloma Photographie)

15.

Dezember 2017

Adventkonzerte haben in Österreich eine lange Tradition und erfreuen sich über einen regen Zuspruch. Wenn darin jedoch zeitgenössische Musik vorkommt, ist der Andrang schon viel weniger heftig. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass der „Chorus sine nomine“, unter der Leitung von Johannes Hiemetsberger, es regelmäßig schafft, auch mit einem höchst anspruchsvollen Programm schon lange vor dem Konzerttermin ausverkauft zu sein.

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Chorus sine nomine in der Karlskirche (Foto: Natalie Paloma Photographie)

Das mag vielleicht auch an der steigenden Fangemeinde des Chores selbst liegen, der sich nicht nur durch Stimmgewalt, sondern durch hohe Musikalität und äußerste Präzision auszeichnet. Am 13. Dezember wurde in der spärlich beheizten Karlskirche das Programm „Zimt“ – passend zur Vorweihnachtszeit – präsentiert.

Mit Werken des Renaissancekomponisten Alessandro Striggio bis hin zum 2001 verstorbenen Franz Biebl spannte der Chorgründer und -leiter den großen Programmbogen vorweihnachtlicher Klangerlebnisse. Die an den Beginn gesetzte Improvisation unter der Leitung von Julia Renöckl erwies sich als Aufmerksamkeits- und Ohrenöffner. Die Stimmen, durch die besondere Artikulationstechnik durch Obertöne angereichert, erweckten zum Teil einen starken, instrumentalen Eindruck – ein Phänomen, das bei dieser Technik öfters auftritt. Mit diesem wunderbaren und unerwarteten Einstieg zeigte sich bereits, wie groß das musikalische Spektrum ist, mit dem der Ausnahmechor aufwarten kann.

Eine höchst gelungene und intelligente musikalische Dramaturgie leitete von einigen solistischen Instrumentalnummern (Bach und eine Bach-Widmung) mit Simon Pibal an seiner unglaublich warm klingenden Klarinette über zu weiteren Improvisationen, sechs Kompositionen, die aus dem 20. Jahrhundert stammen und anderen, zurückreichend bis in die Vielchörigkeit eines Renaissance-Komponisten wie Alessandro Striggio. Diese Interpretation – gekonnt in die Mitte des Konzertes gesetzt – war einer der Höhepunkte, genauso wie das „Ave Maria“ von Franz Biebl. Dabei setzte Hiemetsberger auf die seltene, wenngleich historisch überlieferte Live-Erfahrung des Raumklanges in einer Kirche und ließ die Sängerinnen und Sänger dafür sogar auf dem unteren Treppenteil eines der aufgestellten Baugerüste Aufstellung nehmen.

Die feine Mischung zwischen Stücken aus der musikalischen Geschichte und zeitgenössischen, die selten zu hören sind, wie Gottfried Wolters bezaubernd vielstimmigen Satz zu „Maria durch den Dornwald ging“ oder Arnold Schönbergs „Friede auf Erden“, bei welchem sich auf so wundersame Weise Dissonantes und Harmonisches wie fein ziseliert ineinander verschränken und gegenseitig aufheben, machte den Reiz des Konzertes aus. Aber auch die kreative Idee, Hugo Distlers „Es ist ein Ros entsprungen“, eine Improvisation in Obertontechnik zu diesem Thema voranzusetzen. Der fragmentierte Text, zum Teil durch Zischlaute akzentuiert und einzelne, kleine Melodiesequenzen ließen dabei das Original zumindest karg immer wieder durchschimmern.

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Chorus sine nomine in der Karlskirche (Foto: Natalie Paloma Photographie)

Auch der Abschluss des Konzertes bot ein weiteres, neues Hörerlebnis. „Ham kumma“, ein in oberösterreichischer Mundart verfasstes Stück der jungen Kirchdorfer Singer-Song-Writerin Anna Maria Schnabl bezauberte genauso wie Bachs „Ich steh an deiner Krippen hier“ aus seinem Weihnachtsoratorium.

„Zimt“ präsentierte sich als ein Statement eines herausragenden Vokalensembles, mit dem zugleich auch aufgezeigt wird, dass das Aufbrechen einer starren Programmatik, wie es gerade im Fall von vorweihnachtlichen Konzert oft der Fall ist, von unglaublich wohltuender Frische sein kann.

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