Unter der Regie von Ulrike Arnold wird gleich in den ersten Augenblicken klar, dass auch in unseren Tagen dieses Phänomen so ist, wie es immer war. Da gibt es auf der einen Seite die Kellner, die mit Tabletts, die mit Aperol-Gläsern bestückt sind, förmlich um ihr Leben rennen, bis ihnen die Luft wegbleibt. Dies allerdings mit so witzig gezeichneten Figuren, dass man dabei herzlich lachen kann. Auf der anderen Seite rudert die reiche Gesellschaft wortlos mit den Armen kreisend über die Bühne, so, als wäre sie nicht mehr von dieser Welt. Es mag wohl an der an Slapstick-Momenten reichen und teilweise outrierten Zeichnung der Figuren liegen, dass die Funken im Laufe des Abends eher spärlich sprühen, denn ein Gesamtfeuerwerk abgeben.
Ständig präsent sind Clemens Rynkowski und Jan Samson Kirzanic, die beiden Musiker, welche die Handlung mit einem zeitgeistigen Sound live untermalen. Dabei wechseln sie von Stage-Pianos und Synthesizern, E-Gitarren und einer großen Tuba auch hin zu einem Pianino und bieten eine große akustische Bandbreite.
Das erste Bühnenprospekt, ein gemalter Himmel mit vielen Wolken, erinnert an Nestroys Zeiten, in welchen das Bühnenbild zum großen Teil aus gemalten Tableaus bestand. Das weiße Sofa und das weiße Sitzkissen stammen aber aus einem heutigen Möbelhaus. Arnold belässt den Text zum größten Teil im Nestroy`schen Diktum und ergänzt ihn stellenweise mit Worten aus unserem Sprachgebrauch. In der „Gastronomie“ fehlen „Praktikanten“, die Armen sind „Unterschicht“ und der verhinderte Modegeschäft-Besitzer, von seiner ursprünglichen Profession her aber Schmied, Gluthammer, kam bei der Kundschaft nicht gut an, da es alles in „metallic blue“ anfertigen ließ.
Zugleich aber animierte die Regisseurin die Grazer Autorin Ulrike Haidacher gemeinsam mit dem Ensemble anstelle der Couplets Songs zu verfassen, die sich mit den verschiedenen Rollen des Stücks auf einer Meta-Ebene befassen. Herr von Lips darf sich darin seine eigene Zerrissenheit mit „ich bin halt so“ zementieren, Kathi macht klar, dass sie nur so brav sei, weil Nestroy ihre Rolle so geschrieben habe. Frau von Schley beklagt, dass sie nach ihrem Auftritt in der Posse nicht mehr vorkommt, Herr Krautkopf fühlt sich in seiner unerwünschten Freunderlwirtschaft unwohl. Musikalisch geht davon nichts wirklich leicht ins Ohr, was nicht dazu angetan ist, auf dem Nachhauseweg nachgesungen zu werden. Vielmehr steuern die Tracks eine gehörige Portion Wehmut bei, die dem Gesamtfeeling einen neuen Dreh verpassen.
Ein brillantes Ensemble gibt 100 Prozent und macht den Abend sehenswert, der mit zweierlei Brillen gesehen werden kann. Einmal mit jener, mit welchen junge Menschen das Verwirrspiel um Arm und Reich, Tod und Leben, Freundschaft und Speichelleckerei sehen. Das rasante Treiben mit seinen vielen humorigen Szenen, seien es die Raufereien zwischen Herrn von Lips und Gluthammer oder Krautkopf und dem vermeintlichen Steffl, oder die wirksamen, weil unerwartbaren Auf- und Abgänge, kommen beim jungen Publikum extrem gut an. Mit raschen Videosequenzen und -schnitten aufgewachsen, in welchen in wenigen Sekunden der Witz überspringen muss, erfreuen sie sich daran, live an solchen Aktionen teilhaben zu können.
Die Lachnerven jener Menschen hingegen, die schon lange ins Theater gehen und Nestroy zum Teil in vielen Inszenierungen gesehen haben, werden aufgrund ihrer vordisponierten Brille nicht so stark attackiert. Zu groß sind für sie zum Teil die charakterlichen Übertreibungen angelegt, zu weit weg die Abstraktion der Hautevolée, als dass starke Identifikationsmomente auftauchen würden.
Željko Marović als sagenhaft reicher Herr von Lips blödelt sich anfangs mit Vampir-Zähnen durch seine Langeweile, erlebt später, vom Schicksal dennoch gebeutelt, mit einer „schiachen Haube“, was es heißt, ein Habenichts zu sein und himmelt letztlich innig seine geliebte Kathi an. Er weiß in allen emotionalen Zuständen den perfekten Ton zu finden und erntet damit viele Sympathien. Kathi – Luisa Schwab – bleibt von Beginn bis zum Schluss bodenständig und hält gekonnt alle um sie herum verrückten Mannsbilder in Schach. Sie agiert wie der unverrückbare Kern einer Zentrifugalkraft, die nur durch sie zusammengehalten wird. Die beiden vermeintlichen Freunde des jungen Millionärs, Stifler – Oliver Chomik – und Wixer – Kaspar Simonischek – ergänzen sich perfekt in ihrer chamäleonhaften Wandelbarkeit zwischen Herren der besseren Gesellschaft und sich angeifernden Rivalen. Franz Solar als Krautkopf beklagt des Öfteren am Klo sitzend seinen schmerzenden Kopf, brüllt, was das Zeug hält, wenn seine Angestellten wieder einmal nicht parieren und schmeichelt vergebens um die Gunst seiner zu Reichtum gekommenen Nichte. Seine Art zu spielen, erinnert am stärksten an jene Nestroy-Darsteller, denen man in herkömmlichen Inszenierungen begegnete, was mit großem Spaß verbunden ist. Grantelnd, mit dem Schicksal hadernd, despotisch und zugleich völlig überfordert zieht er alle Register von Gefühlszuständen, mit denen er gesegnet ist. Sein Freund Gluthammer, Sebastian Schindegger, darf zu Beginn mit einer viele Meter langen Eisenstange waghalsig hantieren und zur allgemeinen Erheiterung beitragen. Zugleich berührt sein Spiel dort, wo aufblitzt, welch romantisches Wesen hinter seiner harten Schale steckt. Olivia Grigolli läuft in ihrem Chanson-Auftritt zu wahrer Größe auf und zeigt darin eine ganz andere Seite als jene von Madame Schleyer, die sich schon kurz vor der Verehelichung mit Lips sah. Herrlich jene Szene, in welcher Clemens Maria Riegler als geschniegelter und gestriegelter Justitiarius mit Nerd-Charakter den Tischhaustisch mit Ketchup- und Majonäse-Flaschen, Salzstreuern, Blumenvasen und Bierflaschen ordnet. (Kostüme Anna Lechner)
„Mit wem redest du da?“, diese Frage wird immer wieder von verschiedenen Personen an jene gestellt, die sich zum Publikum gewandt haben, um dieses in eigene Gedanken oder auch den Fortgang des Geschehens einzuweihen. Damit stellt die Regisseurin jene Bestrebungen bloß, die in vielen Inszenierungen fröhliche Urständ feiern und oft nicht wirklich ihr Ziel erreichen: das Publikum einzubeziehen. Mit dieser häufig gestellten Frage wird aber auch augenzwinkernd die Idee transportiert, dass das Geschehen nicht im Theater stattfindet; ein offensichtlicher Trugschluss, der ob seines Witzes gekonnt bis zum Schluss seine Lacher nicht verfehlt.
Sehr gut funktionieren die räumlichen Umbauten. (Bühne Franziska Bornkamm) Eine großzügige Umgebung mit Blick in den Himmel, verwandelt sich gekonnt durch Emporschieben eines neuen Raumes in eine vertäfelte, ländliche Wirtshausstube. Die Szene in den unterirdischen Gängen wiederum gestaltet sich genau gegenteilig zur allgemeinen Erwartung und erregt dadurch allgemeine Heiterkeit. Ein kleines Kabüffchen, in dem acht Menschen nur dicht an dicht Platzfinden, wird zur Nestroy’schen Possen-Metapher. So wie alle Beteiligten sich zum Schluss zusammengepfercht in der kleinen, schwarzen Box befinden, so intensiv muss letztlich auch die Handlung komprimiert werden, um zu einem Schluss zu kommen. Egal, wie viel an Charakter- oder weiterer Handlungsverständlichkeit dabei auch auf der Strecke bleibt. Dieser Blick auf den charakteristischen Schreibstil von Nestroy, ausgedrückt durch eine extrem verengte Bühnensituation, ist interessant und vergnüglich gleichermaßen und daher sehr gut umgesetzt.
Alles in allem erlebt man am Grazer Schauspielhaus einen Abend, in dem sich neben jeder Menge Spaß auch jene Zerrissenheit finden lässt, die das Theater manches Mal bewusst oder auch unbewusst produziert. Die Beurteilungen werden je nach aufgesetzter Brille unterschiedlich ausfallen.