Aus der Eiseskälte des Konzertes in die warme Wiener Winternacht
Von Michaela Preiner
Ein außergewöhnliches Konzerterlebnis bot das Ensemble Phace am 10. Jänner 2018 im Berio-Saal des Wiener Konzerthauses. Auf dem Programm stand die Komposition „Schnee“ des 1952 in Kopenhagen geborenen Hans Abrahamsen.
Abrahamsens Komposition, in der sich der gedankliche Austausch mit Bach gut nachvollziehen lässt, besteht aus insgesamt 10 Kanons. Sie beziehen sich perlenschnurartig aufeinander und bieten eine Fülle von Assoziationen, die mit Schnee in Verbindung gebracht werden können. Um dem Publikum die Möglichkeit zu bieten, das Konzert ganz entspannt zu verfolgen, war die Mitte des Saales mit einem Belag ausgestattet, auf dem die Menschen sitzen, aber auch liegen konnten. Wer wollte, nahm auf den Stuhlreihen rund um den Entspannungsbereich Platz.
Das mit zwei Klavieren, je einer Flöte, Oboe, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello und Schlagwerk ausgestattete Ensemble wurde von Nacho de Paz hinter einem drehbaren Dirigentenpult geleitet. Zum Teil waren die Instrumente mit Lautsprechern verbunden, was insbesondere bei klanglosen Streicherpassagen zu neuen Hörerlebnissen führte.
Der Anfang konnte mit Kopfbildern von einzelnen Schneeflocken verbunden werden. Flocken, die sich nach und nach langsam formierten und eine kalte Winterlandschaft überzogen. Die kleine, einfache Melodie im Klavierdiskant wurde von rhythmisch exakten, tonlosen Streichern ergänzt. Im zweiten Kanon setzte eine im mikrotonalen Bereich angesiedelte Tonverschiebung ein. Das weiche Flockenfallen verdichtete sich zusehends zu einem Prasseln von harten Schneekristallen. Überraschend veränderte sich das auditive Geschehen durch einen leisen Staccato-Einsatz der Bläser in weiterer Folge und einem verhaltenen Klopfgeräusch.
Wer das Glück hatte, in seinem Leben unterschiedliche Primärerfahrungen in Zusammenhang mit Schnee gemacht zu haben, wurde bei diesem Konzert mit mehreren Flashbacks belohnt. Wurden doch zusätzlich zu den bereits geschilderten, auditiven Ereignissen Erinnerungen an einen nassen Schneeregen wach, an kalte, nur zum Teil dünn vereiste Pfützen, die unter unbedachten Schritten einbrechen. Das Geräusch von Matsch auf unbefestigten Landstraßen und tauendem Eis, das Gefühl einer kalten, eisigen Winternacht, die Erinnerung eines beklemmenden Erlebnis, sich in einem windumtobten Haus mitten auf dem Land zu befinden, aber auch die Freude an Rutschpartien auf unsicherem, vereisten Grund, sowie ein weit entfernt hörbares Glöckchengeläut von Pferdegespannen gehörten ebenso zum Kopfkino wie schließlich eine riesige Eishöhle, die in der eigenen Vorstellung langsam durchschritten werden konnte.
Die Komposition lebt von einer gelungenen Balance zwischen nachvollziehbaren, sich zum Teil wiederholenden Strukturen und einer zauberhaften, inspirierenden Klangfarbigkeit, die zum Träumen bleichermaßen wie zum Meditieren einlädt.
Wie sehr es Abrahamsen gelang das Thema körperlich fühlbar umzusetzen, wurde deutlich, als einem beim Nachhause gehen aus der Kälte der Schnee- und Kristallnacht des Beriosaales beim Öffnen der Konzerthaustüre unerwartet eine milde Wiener Winterluft einhüllte.