Auf dem Trampolin zurück in die Vergangenheit

Auf dem Trampolin zurück in die Vergangenheit

Nun im Kasino am Schwarzenbergplatz unter der Regie von Sara Ostertag uraufgeführt, bietet die dramatisierte Fassung eine gute Möglichkeit, sich mit diesem traurigen Geschichtskapitel erneut zu befassen.

Was Edelbauers Text von den anderen beiden unterscheidet, ist eine zusätzliche Ebene, die das ohnehin schon im Dunkel Verborgene noch diffuser und ungreifbarer erscheinen lässt. Die Protagonistin, Ruth Schwarz, die ins Heimatdorf ihrer Eltern fährt, um die an einem Unfall Verstorbenen zu beerdigen, muss Aufputsch- und Beruhigungsmittel nehmen. Die Arbeit an ihrer Habilitationsschrift über die „Blockuniversumstheorie“, in der sie dem Zeitphänomen auf die Spur kommen will, geht nicht wirklich voran, denn familiäre Zerwürfnisse, aber auch ihre Tablettensucht stellen Hindernisse dar, die sie schon über eine längere Zeitspanne hin lähmen und nicht produktiv arbeiten lassen. Dieses Szenario bietet Edelbauer die Möglichkeit, alles, was in der Geschichte erzählt wird, interpretatorisch auch im Fiktionalen zu belassen. Das Publikum darf das Geschehen, wenn es möchte, als eine Halluzination oder einen Wachtraum der Hauptprotagonistin determinieren.

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Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)

In der kleinen Siedlung angekommen, die weder auf einer Landkarte noch in einem Gemeindeverzeichnis auftaucht, wird sie rasch mit einer Vergangenheit konfrontiert, die das auf den ersten Blick idyllische Dorf im wahrsten Sinne des Wortes zu verschlingen droht. Die Befremdung über eine dort praktizierte Parallelgesellschaft, die einer Gräfin ein uneingeschränktes Herrscherrecht zubilligt, verwandelt sich im Laufe ihres Aufenthaltes in eine Art Mitläufertum. Dass Ruth Schwarz – in diesem Kontext ein in mehrfacher Hinsicht sprechender Name – letztlich nicht als Aufdeckerin, sondern als Kollaborateurin agiert, resultiert aus ihrem Bedürfnis, ihren eigenen Grund und Boden zu schützen: das Haus ihrer Eltern und Großeltern, das sie in Gross-Einland bezogen hat. Finanziert wurde es im Zuge eines Verleihkontraktes mit einem Zehentabschlag ihres Einkommens durch die Gräfin.

Die Autorin erschuf ein Gedankenkonstrukt, das hilfreich ist, das Schweigen und Vertuschen von Straftaten über mehrere Generationen hin nachzuvollziehen. Niemand hat ein Interesse daran, den eigenen Grund und Boden, die eigene Lebensgrundlage durch das Aufdecken von historischen Geschehnissen in Gefahr zu bringen. Die finanziellen Abhängigkeiten, wie sie in dem Stück ebenfalls aufgezeigt werden, tragen ein Weiteres dazu bei.

Die Regie arbeitet mit einem höchst reduzierten Bühnenbild und Kostümen, die zum Teil „vom Himmel fallen.“ (Bühne und Kostüme Nanna Neudeck). Zwei große Trampoline fordern die Schauspielerinnen Suse Lichtenberger, Katharina Pichler und Michèle Rohrbach und ihren Kollegen Rainer Galke körperlich heraus. Teilen sich die Damen die Rolle von Ruth und schlüpfen immer wieder auch in andere, wie einen Maskenverkäufer, der als „Handlungsreisender“ in einem Todesoutfit durch die Lande reist, eine junge Bibliothekarin, die die Gemeindechronik unter Verschluss zu halten versucht, oder den Bürgermeister, mit dem buchstäblichen Brett vor dem Kopf, verkörpert Galke in der Rolle der Gräfin nicht nur eine vermeintlich historische Ordnung. Der ausladende, schwarze Reifrock und die grell rot lackierten Fingernägel, bedrohlich zugespitzt, erinnern auch an eine giftige Qualle, der man lieber aus dem Weg gehen möchte.

Die Trampoline versinnbildlichen nicht nur den bedrohlich einsickernden Boden von Gross-Einland. Man fühlt auch den dicken Teppichflor, der im Gräfinnen-Schloss jegliches Wort zu verschlucken imstande ist und darf dank ihrer auch an den beherzten Freudensprüngen von Ruth Anteil nehmen. In einem jener wenigen glücklichen Augenblicke, die sie fröhlich und voll Zuversicht, endlich eine Heimat gefunden zu haben, am Trampolin auskostet. Die schauspielerische Leistung des Ensembles angesichts der parallelen sportlichen Betätigung darf nicht nur deswegen als herausragend bezeichnet werden. Paul Plut unterstützt das Geschehen als Live-Musiker am Klavier, mit einem Akkordeon, aber auch einer Art umgebauten „Saugeige“ – wie sie in Ost-Österreich am Land bei dörflichen, musikalischen Einlagen nach wie vor zu finden ist. Dass sich das Setting in einer historischen Schieflage befindet, erfährt man schon während des Einlasses, bei welchem Strauß’sche Walzer und Märsche in einem verzerrten Blasmusikarrangement leise zu hören sind.

„Das flüssige Land“ ist nicht nur ein unlösbarer Kriminalfall mit einem dennoch voraussehbaren, tragischem Ausgang für all jene, welche die Augen vor dem Unrecht verschlossen halten. Einem Unrecht, das sie über Generationen hin bedroht und auch zukünftig bedrohen wird. Es behandelt auch die Suche einer jungen Frau nach ihrer Identität, ihrem Wunsch nach Heimat und der Erkenntnis, gegen eine schweigende Übermacht nicht allein ankämpfen zu können. Ihre vermeintlich hilfreiche Entdeckung – ein Füllmaterial, das in die Hohlräume unter den Ort gepumpt werden kann – wird sich ob seiner toxischen Zusammensetzung letztlich als Naturkiller erweisen. Dass es Ostertag gelingt, diese Substanz zu veranschaulichen und sogar im Gräfinnen-Kostüm verschwinden zu lassen, ist nur ein Beispiel von mehreren, welches die Lust der Regisseurin zeigt, das Theater als einen Ort zu begreifen, in dem das geschriebene Wort höchst kreativ und sinnlich zugleich veranschaulicht werden kann. Mit dieser Arbeit lieferte sie einen gelungenen Einstand am Burgtheater ab.

Weitere Vorstellungen: Das flüssige Land

Schaurig schön und wunderbar humorvoll

Schaurig schön und wunderbar humorvoll

Der Regisseur Jan Christoph Gockel schuf gemeinsam mit Karla Mäder eine Fassung für das Grazer Haus und das Kunststück, eine derart lange Aufführungsdauer kurzweilig erscheinen zu lassen. Wen auch immer die Dauer abschrecken mag, dem sei die Angst genommen, sie ist unbegründet.

Gockel, der schon vor acht Jahren hier inszenierte, lieferte einen Abend ab, der alles beinhaltet, was gutes Theater heute bieten sollte. Einen interessanten Plot, ein gut besetztes Ensemble, aktuelle und regionale Textbezüge sowie die Inklusion von zwei Menschen mit Behinderungen, die für gewöhnlich nicht auf einer Bühne anzutreffen sind.

Dass Florian Finsterbusch und die taubblinde Tanja Hameter noch dazu mit Rollen ausgestattet wurden, die glaubwürdig schienen, zeugt nicht nur von Fingerspitzengefühl, sondern auch von dramaturgischem Können. Den inklusiven Ansatz findet der Regisseur zukunftsweisend und zugleich lehrreich nicht nur für das Publikum, sondern auch für das Ensemble. Und man muss ihm recht geben, denn noch ist es die Ausnahme, Diversität auf den Bühnen zu sehen.

Der Inhalt stammt im Großen und Ganzen aus der Serie von Lars von Trier, obwohl, wie der Regisseur angab, nur ca. 20 % von seinem Text übernommen wurden. In einem dänischen Krankenhaus treiben Geister ihr Unwesen, aber es menschelt auch kräftig in Liebesbelangen. Das Haus ist auch Treffpunkt für die Mitglieder einer Loge, der nur Ärzte angehören. Diese setzen sich für einen Pathologen ein, der eine Lebertransplantation an sich vornehmen lässt, bei welcher das neu verpflanzte Organ willentlich von einem großen Tumor befallen ist. Der Chefarzt des Hauses, ein selbstbewusster und despotischer Schwede, tyrannisiert seine Kolleginnen und Kollegen so lange, bis ihm bei einer OP ein Kunstfehler passiert und er dadurch erpressbar wird.

Das ausgefeilte Bühnenbild (Julia Kurzweg) und die Lichttechnik (Thomas Trummer) geben den Blick auf unterschiedliche Räume des Krankenhauses frei, aber auch auf einen Aufzug, mit dem man in die Hölle und in den Himmel fahren kann. Eine Live-Kamera begleitet einen auch in die „Unterwelt“ – in der sich ein Neurochirurg häuslich eingerichtet hat. Michael Pietsch bewegt nicht nur eine zarte, mädchenhafte Gliederpuppe, sondern kreierte auch einen riesenhaften Jungen, der sich am Ende als Erlöser des Bösen in diesem Setting erweist.

Bis dahin darf man über so manche Handlungsvolte staunen, über einzelne Charaktere herzlich lachen, aber auch Spaß an so manchem Regie-Einfall finden, der Bezüge zu Österreich oder noch enger – auch Graz herstellt. Auch der zweite Handlungsstrang, in welchem der Sohn des Klinikgründers mit allerlei Teambuilding-Maßnahmen versucht, das reichlich belastete Arbeitsklima zu verbessern, bietet eine Menge an witzigen bis skurrilen Momenten, in denen man sich auch selbst wiederfinden kann.

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„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)

Mit einem wie aus der Zeit gefallenen Trauerzug, der hinter einem hölzernen Wagen hertrottet, gelang Gockel ein extrem starkes Bild, das auch mit Leichtigkeit Assoziationen in die Vergangenheit öffnet. (Kostüme Sopie du Vinag) Ein Mann aus dem Publikum erhält zu Recht ausgiebig Applaus, nachdem er unvorbereitet auf der Bühne mit Bravour eine menschliche Marionette dargestellt hatte. Es sind der Regie-Einfälle und der Aufzüge viel zu viele, um alle beschreiben zu können. Live-Musik, aber auch eine Soundbegleitung, bei der man Gänsehaut bekommen kann, tragen das ihre zum Erfolg dieses Abends bei. Keiner der Charaktere bleibt in einem bierernsten Stadium, alle bekommen ihre Risse, durch welchen ein Humor blitzt, der das Menschliche zum Vorschein bringt.

Dies, aber auch das extrem abwechslungsreiche Setting und eine Handlungsführung, die keinen Augenblick Langeweile aufkommen lässt, machen die Stärke dieses Abends aus.
Die Empfehlung des Hauses, erst ab 14 zu kommen, macht durchaus Sinn. Allen, die älter sind und einen richtig prallen Theaterabend erleben möchten, sei diese Inszenierung wärmstens empfohlen.

Mit: Tanja Hameter, Claudia Wolf-Straubinger, Beatrice Frey, Alexej Lochmann, Oliver Chomik, Andri Schenardi, Michael Pietsch, Franz Solar, Susanne Konstanze Weber, Florian Köhler, Lisa Birke Balzer, Raphael Muff, Evamaria Salcher, Rudi Widerhofer, Florian Finsterbusch, Matthias Ohner, Yves Ndagano, Kurt Zalac, Timo Neubauer

Das Elend kommt beim Nachdenken

Das Elend kommt beim Nachdenken

In einer Kooperation mit Institut für Schauspiel der Kunstuniverstität Graz treten neun Studierende den Beweis an, dass sich das Verfassen von Texten und ‚auf der Bühne -Stehen‘ nicht ausschließen. Dies aber nicht in einem postdramatischen Konstrukt, sondern vielmehr mit einem literarisch weltberühmten Textgerüst, das von den Mitwirkenden auf und hinter der Bühne ergänzt und damit auch umgestaltet wurde.

Unter der Regie von Lorenz Nolting spielt das junge Ensemble eine Crew auf einem Walfangboot schlicht so, als ob es ums Überleben ginge. Und tatsächlich ist dies auch das Haupttopos der Inszenierung. Die Jagd nach dem weißen Wal, der als Metapher unserer beschädigten Natur gesehen werden kann, ist der Ausgangspunkt eines aberwitzigen Wahnsinnsrittes durch Zeit und Raum. Dabei werden nicht nur Assoziationen zum Walfang freien Lauf gelassen, sondern zum Leben auf unserem Planeten an sich, das vielen nur mehr absurd und monströs erscheint.

Ganz ihrer Generation verpflichtet, aufgewachsen mit Computerspielen und großen Fernsehbildschirmen, mangelt es auch nicht an Visualisierung von fiktiven Flügen durch das All, Seite an Seite mit Elon Musk, vorbei an einer in Trümmern liegenden Welt, die man hinter sich gelassen hat. Die Sprachkaskaden lösen sich in einem rhythmisch kurz getakteten Staccato ab. Was man nicht sofort gedanklich erfasst, fliegt vorbei und hinterlässt dennoch keine Lücke. Zu dicht ist das Netz aus Text, Geräuschen und Musik gewebt, als dass man zum langen Nach-Denken kommt. Zu intensiv ist das abwechslungsreiche Geschehen zwischen der Jagd nach dem Wal, dem kollektiven Sturz aus einem 40-stöckigen Hochhaus und dem Schweben in der Schwerelosigkeit zu den Klängen des Donauwalzers.

Neben all den furiosen und oft mit grandiosem Spielhumor gespickten Szenen kommt dennoch eine heftige Portion Schwermut auf. Steht doch eine Generation auf der Bühne, die ein Leben vor sich hat, um das sie niemand beneidet, der auch nur alle fünf Tassen im Schrank hat. Die Zerstörung der ökologischen Systeme, die Sinnlosigkeit des Spätkapitalismus, die unstillbare Gier nach Ressourcen, die schon lange geschützt werden müssten – all das wird direkt oder indirekt angesprochen. Und all das liegt unter all dem Klamauk wie ein bleischweres Gedankengewicht, das nicht weggeschoben werden kann.

Dazu kommt, dass kurz vor dem Finale die Komposition von Philipp Glass für den Film „Koyaanisqatsi“ unter anderen Soundlayern herauszuhören ist. In diesem 1982 uraufgeführten Streifen wird die ökologische Zerstörung unserer Welt nur durch Bilder und dazu komponierter Musik im raschen Schnittwechsel gezeigt. Ein klein wenig Hoffnung erzeugt die Idee der Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing, die den japanischen Matsutake-Pilz als Sinnbild für eine neue Idee des Zusammenlebens postuliert. Das Verständnis, das alles mit allem zusammenhängt, sollte kommenden Generationen helfen, diese Welt weiter bevölkern zu können.

Lorenz Nolting hat mit dieser Arbeit eine fulminante Regie vorgelegt. Immer wieder lässt er das Ensemble dabei auch humorvoll die eigene Ausbildung reflektieren. Wie sie über ihre persönlichen Befindlichkeiten sprechen und dabei eine sichtbar gespielte Betroffenheit bei ihren Kolleginnen und Kollegen hervorrufen, erheitert sehr. Es ist gerade diese Balance zwischen kurzen Szenen, in welchen herrlicher Humor aufblitzt und solchen von tiefem Pessimismus, die das Stück so interessant macht. „Das Elend kommt beim Nachdenken“, ein Satz, der kurz nach Beginn fällt, dieses Elend wird dadurch glücklicherweise gemindert.

Albert Frühstück sorgte mit einem klugen, reduzierten und dennoch wandelbaren Bühnenbild und Videos für nachvollziehbare Seegänge gleichermaßen wie für spacige Flugabenteuer. Die farbästhetisch fein zusammengestellten Kostüme von Ida Bekič verdeutlichten den Wandel der Geschichte vom 19. Jahrhundert, in dem Moby Dick geschrieben wurde, in die Gegenwart.

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„Moby Dick“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Cornelia Mercedes Dexl, Flora Udochi Egbonu, Kathrin Gast, Lilian Heeb, Hardy Emilian Jürgens,,  Lena Elsa Kolle, Fabian Reichenbach, Johanna Schwaiger, Chen Emilie Yan erhielten bei der Premiere zu Recht enthusiastischen und langanhaltenden Applaus. Es wäre erfreulich, wenn künftig häufig Kooperationen dieser Art zustande kämen. Zum Nutzen der Studierenden, aber auch des Publikums.

Ways of freedom – Jackson Pollock bis Maria Lassnig

Ways of freedom – Jackson Pollock bis Maria Lassnig

Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen Künstlerinnen und Künstler dort, sich von der darstellenden Malerei abzuwenden. Zugleich aber werden auch Arbeiten von hochrangigen österreichischen Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die nach dem 2. Weltkrieg expressiv-abstrakt arbeiteten und sich damit auch ihre eigenen Plätze in der Kunstgeschichte eroberten.

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„St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha (Foto: ECN)

Die Chefkuratorin und Direktorin der Albertina modern gestaltete eine Ausstellung, in der eines der zentralen Werke sogar von einem österreichischen Künstler stammt. „St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha ist wandfüllend in einem der mittleren Säle so prominent platziert, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass sich rund um sein Werk vieles andere fügt. Der präzise Farbauftrag – Rot auf weißer Leinwand – vermittelt zugleich eine frei inspirierte, gestische Arbeit als auch ein enormes Gespür für Ästhetik und Reduktion.

In vielen Räumen sind Gegenüberstellungen gelungen, die formal wunderbar zueinanderpassen. So zum Beispiel in jenem, in welchem Bilder von Maria Lassnig neben und gegenüber von solchen von Wolfgang Hollegha oder Helen Frankenthaler hängen. Letztere ist unter anderen auch mit einem atemberaubenden, großen Querformat vertreten. Die Farbschichtungen auf über vier Metern Länge beeindrucken, da sie trotz der Größe nichts an Leichtigkeit eingebüßt haben.

Neben den bekannten Namen wie Pollock, Rothko, Motherwell und Newman entdeckt man auch weniger Bekanntes. Judit Reigel, Debora Remington oder Mary Abbott sind drei von insgesamt 13 Künstlerinnen, welche in der Ausstellung eine verdiente Würdigung erfahren.

Die Wandtexte geben einen schönen Querschnitt und Überblick über die Systematik der Arbeiten: In ihnen werden die Begriffe Action painting, All-over-Strukturen, Farbfeldmalerei oder auch Soak-Stain-Technik erklärt. Neben rein materialtechnischen Erläuterungen erhält man auch einen Überblick über die Blütezeit der Aktionsmalerei in Österreich und über die Malergruppe um die Galerie St. Stephan.

Die Schau verdeutlicht, wie groß die Bandbreite in der abstrakten Malerei von Beginn an angelegt war. Das Erkennen von Handschriften macht Spaß und zeugt von einer gelungenen Auswahl der Bilder. Ein Katalog zur Ausstellung ist sowohl im Shop als auch online erhältlich.

Auf! Spielen wir weiter die Narren!

Auf! Spielen wir weiter die Narren!

Mit dem ersten Bild schon wird klar, dass es sich in „Zwiegespräch“ von Peter Handke um eine Rückschau handeln muss. So, wie das Kind gekleidet war, sehen Buben heute nicht mehr aus. Kaum ist der Kleine abgegangen, schiebt sich unter metallenem Ächzen und lautem Knarzen eine Faltwand über die Bühne. Bis wieder Ruhe einkehrt und sie an der richtigen Position angehalten wird, ist eine gefühlte Ewigkeit vergangen. Eine Lebensewigkeit, wie sich zeigen wird.

Mit der kargen und dennoch raumgreifenden Bühnenarchitektur wird eine unwirtliche Umgebung simuliert. Kleine, nebeneinander geschachtelte, unpersönliche Raumecken, erweisen sich bald als letztes Refugium von alten Menschen. Vier Männer und eine Frau werden, in Rollstühlen sitzend, von jungem Pflegepersonal in Position gebracht. Unter Beobachtung müssen sie, noch in Unterhosen und Unterleibchen, Morgentoilette machen und sich anschließend anziehen. Spätestens als eine junge Frau wortlos mit mehreren Urnen in ihren Händen an ihnen vorbei defiliert, weiß man, dass die Alten hier nicht mehr als ihr Tod erwartet.

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Akademietheater – „ZWIEGESPRÄCH“ – Peter Handke (Foto: © Susanne Hassler-Smith)

Das Setting, das die Regisseurin Rieke Süßkow für Handkes Text verwendet, ist eindeutig. Und, so wird sich zeigen, für das Ensemble eine enorme Herausforderung. Denn im Laufe der Vorstellung wird die Bühne (Mirjam Stängl) in zwei Bereiche getrennt. Den linken, in welchem sich die alten Herrschaften zum Spiel um ihren Tod versammeln, und den rechten, in welchem die jungen Leute – das Pflegepersonal – sich zusammenfinden. Zwar kommen in Handkes Text nur zwei Sprecher vor – er hat ihn auch den beiden schon verstorbenen Schauspielern Otto Sander und Bruno Ganz gewidmet. Dennoch werden die Sätze in der Inszenierung im Akademietheater auf drei Männer und zwei junge Frauen aufgeteilt. Und dies so, dass zwischen den Jungen und den Alten kein Blickkontakt besteht, oft aber die Staffelübergabe des Sprechens innerhalb eines Satzes vor sich geht.

Die Idee, die Dialoge und Monologe auf zwei Generationen aufzuteilen, macht durchaus Sinn. Denn auf diese Weise bleiben die beiden Handlungsstränge, die Handke kunstvoll herausarbeitet, nicht hermetisch unter den zwei alten Männern eingeschlossen. Vielmehr erhält man den Eindruck, dass die Berichte aus der Vergangenheit tatsächlich auch im Heute bei den jungen Pflegerinnen ankommen.

Erzählt wird die Lebensgeschichte eines Mannes, wie sie aus der Sicht seines Enkelkindes – nun selbst schon im Großvateralter – wahrgenommen wurde. In dieser Rolle lässt Branko Samarovski eine Figur greifbar werden, die vom Krieg gezeichnet, dennoch voll Stolz ihr Leben zu Ende lebte. Aus einigen anschaulichen Passagen, wie der Beschreibung, dass der Großvater eine Spielernatur war – obwohl dies gar nicht seine Natur gewesen sei – oder seine scheinbar aus dem Nichts gekommenen Wutanfälle, in welchen er Tiere schändete, bis hin zu den letzten Tagen, die er siechend in seiner kleinen Kammer verbrachte, setzt der Autor einen Charakter zusammen, der einerseits gut greifbar wird, andererseits aber auch viele Fragen offenlässt. Dass es sich dabei um die Beschreibung von Handkes eigenem Großvater handelt, liegt nahe. Die Beobachtung, dass er in seinen letzten Tagen, ans Bett gefesselt, manische, imaginierte Schreibbewegungen an der Wand vollführte, hallt in seinem Enkel offenkundig stark nach. In jenem Mann, der mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten wurde und mit dieser Beschreibung der kindlichen Wahrnehmung, mit diesem aussagekräftigen Bild, einen starken Phrasierungsbogen von sich hin zu seinem Großvater zieht.

Die zweite Erzählung berichtet über die Suche nach einem Haus, oder besser – nach einem Zuhause. Einem Zuhause, in dem es nicht an menschlicher Wärme mangelt. Einem Zuhause, das von Kindern belebt und in eine Landschaft eingebettet ist, die von Wiesen oder Wäldern umgeben ist. Martin Schwab beschreibt immer wieder unterschiedliche Hütten oder Behausungen. Allesamt hätte er, der nun alte Mann, auf seinen Wegen durch die Landschaften gesehen. Nirgends jedoch ist er selbst darin heimisch geworden. Auch hier hat man Peter Handke vor Augen. Jenen rastlosen Wanderer, der ein genauer Beobachter seiner Umwelt und der ihn umgebenden Natur ist. Hans Dieter Knebel, der dritte alte Mann, ergänzt, wiederholt, fragt und bejaht die Gespräche seiner Kollegen, oft auch mit einem sprachlichen Ausdruck, der erkennen lässt, dass das Erzählte, die Erzählung an sich, schon zu einem Ritual geworden ist.

Wie zwei Echos ergänzen zwei junge Frauen, Elisa Plüss und Maresi Riegner, die häufig noch nicht zu Ende gesprochenen Sätze. So, als hätten auch sie diese schon unzähligen Male gehört und könnten diese auswendig mitsprechen. In einigen Passagen aber stellen sie sich auch Fragen. Fragen, auf die sie jedoch keine direkten Antworten erhalten. Fragen, die man sich erst fragt, wenn das Gegenüber nicht mehr am Leben ist.

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Akademietheater – „ZWIEGESPRÄCH“ – Peter Handke (Foto: © Susanne Hassler-Smith)

Handkes typischer, poetischer Sprachstil mäandert auch in diesem Text gerne um Begriffe. Es sucht Synonyme, ihre Gegenteile, aber auch Verstärkungen oder Abschwächungen, mit dem Ziel, sich nicht wirklich festlegen zu müssen. Das, was für eine Person Wirklichkeit bedeutet, kann für eine andere utopisch sein. Sich dessen bewusst, vollführt Handke häufig sprachliche Volten, nicht zuletzt auch um klarzumachen, dass Sprache etwas ist, auf das man sich nicht immer verlassen kann. Dass Sprache etwas ist, das Menschen manipulieren kann, aber auch etwas, das selbst manipulierbar ist.

Gegen Ende des Stückes ist es ein einziger Insasse des Heimes, der noch am Leben geblieben ist. Raum ist für ihn keiner mehr vorhanden, denn die Jungen haben ihr Territorium im Laufe der Vorstellung beständig so erweitert, dass ihnen zum Schluss die gesamte Bühne gehört. Silberne und goldene Luftballons und Champagnergläser zeugen von einem Reichtum, der offenkundig von den verstorbenen Ahnen geerbt wurde. Das letzte Aufbäumen vor seinem Tod, die Aufbahrung bei lebendigem Leib, gestaltet sich als wilde, ausufernde Szene, deren tieferer Sinn jedoch abhandengekommen scheint.

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Akademietheater – „ZWIEGESPRÄCH“ – Peter Handke (Foto: © Susanne Hassler-Smith)

Der finale Auftritt der bereits Verstorbenen und das Einfrieren der jungen Generation im letzten Bild, macht zweierlei deutlich: Auch wenn die Alten gestorben sind, auch wenn es die Großväter- und Großmütter-Generation nicht mehr gibt, tragen ihre Nachfahren dennoch viel von ihnen in sich weiter. Unbewusst und bewusst, je nachdem, wie stark sie sich mit ihrer Familiengeschichte selbst auseinandergesetzt haben. Die Erstarrung der Jungen macht aber auch klar, dass sich auch dieser Lebensabschnitt als vergänglich erweisen wird. Auch sie werden einmal an ihr Lebensende kommen und von ihren Enkelinnen und Enkeln abgelöst werden.

Eine intelligente Lichtregie (Marcus Loran) sorgt dafür, dass Rückblenden ohne Farbabstufungen auskommen. Die bunten Kostüme (Marlen Duken), in welcher zwischen Alt und Jung nicht unterschieden wird, die sich aber perfekt untereinander ergänzen, verstärkt die Metapher, dass Gestriges mit Heutigem zusammengehört und dass sowohl Jung als auch Alt sich denselben Prozessen des Werdens und Vergehens aussetzen müssen.

Dass die besuchte Vorstellung mit einem mehrfachen, gut hörbaren Soufflieren aufwartete, könnte man leicht als gewollt verbuchen. Geschuldet ist es aber der eingangs beschriebenen Bühnentrennung, die keinen Blickkontakt zwischen den Generationen zulässt. Dennoch schadete es der Vorstellung nicht, sondern verlieh ihr eher noch einen zusätzlichen Wahrheitsgehalt. Auch Schauspieler sind ab einem gewissen Alter nicht davor gefeit, mit schweren Texten kämpfen zu müssen. Hätte man den Souffleur bzw. die Souffleuse sichtbar auf die Bühne gesetzt, hätte dies eine weitere Interpretationsebene geboten.

Ein sehenswerter Abend, textgetreu und doch voll mit persönlichen Auslegungsideen. Sprachlich ein Meisterwerk, dazu noch hochemotional und ohne Ablaufdatum. „Zwiegespräch“ hätte das Zeug, sich zu einem Klassiker zu etablieren.

Wie klingt ein Ort?

Wie klingt ein Ort?

Kann man den Klang eines Ortes erkennen? Gibt es neben Sehens- auch Hörenswürdigkeiten? Der Kulturwissenschaftler und Kurator Thomas Felfer ist dieser Frage nachgegangen und hat Geräusche, Klänge und Gespräche eines Ortes erfasst und nun in Graz, im Museum für Geschichte hörbar gemacht. Die Ausstellung „The sound of St. Lambrecht. Der Klang eines Ortes“ ist eine Ausstellung der anderen Art. Denn viel mehr als man sehen kann, kann man hören.

Wie Sprachaufnahmen von Interviews mit Einwohnern von St. Lambrecht, schon vor Jahrzehnten aufgenommen. Stilecht hat man die Möglichkeit, diese kurzen Gesprächsausschnitte von Kassetten abzuspielen. Junges Publikum wird vielleicht die Inbetriebnahme des Kassettenrekorders vor Herausforderungen stellen. All jene, die damit aber groß geworden sind, dürfen sich auf reminiszenzhafte Gefühle freuen. Ähnliches kann man auch beim Auflegen und Hören von Schallplatten verspüren, zu welchem man sich bequem in 50er-Jahre-Fauteuils setzen kann.

Die kleinen Kassetten-Interviewschnipsel behandeln Themen wie Essen, einen Hausbau, aber lustigerweise auch „Fensterln“, wobei Ungeübte wegen des starken Dialektes nicht jedes Wort verstehen werden. Es geht aber laut dem Ausstellungsmacher gar nicht darum, alles genau zu verstehen. Das Einlassen auf eine ungewöhnliche Sprachmelodie steht vielmehr im Vordergrund – eben hören, wie man „woanders“ spricht.

Neben Sprachaufzeichnungen ist es auch möglich, in die Akustik von Räumen eintauchen. Das Stift St. Lambrecht selbst bot hierfür eine wunderbare Soundkulisse. Das metallene Geräusch eines schweren Schlüssels, der ein Schloss aufsperrt, wird abgelöst vom Knarzen einer Türe, die geöffnet wird und im nächsten Moment hört man das Hallen von Schritten in einem großen Raum. Ein kleiner Rundgang durch das Stift wurde auditiv aufgenommen und kann so ohne visuelle Eindrücke nachverfolgt werden. Ganz nebenbei beginnt man zu verstehen, oder besser – zu hören, dass blinde Menschen auf diese Art und Weise einen Eindruck von Räumen bekommen.

Ein Höhepunkt der Ausstellung wird jedoch bildgewaltig präsentiert. Die Geschichte der Glockenschmelze von St. Lambrecht im 1. Weltkrieg kann man mithilfe einer Virtual-Reality-Brille nicht nur nachhören, sondern auch sehen. Hoch oben im Kirchturm steht man der Glocke plötzlich gegenüber und erlebt mit, wie diese darüber berichtet, wie sie per Dekret abgenommen und zu Verteidigungszwecken eingeschmolzen werden musste. Der Moment in welchem sie plötzlich und unerwartet, in unzählige Teile gesprengt, zu Boden fällt, ist hochemotional. Selten wartet eine Museumsschau mit so einem beeindruckenden Moment auf.

Es war eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema der Einschmelzung von 70 % aller Glocken in Österreich während der beiden Weltkriege, die Thomas Felfer als Ausgangsbasis für diese Ausstellung diente.

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Bild: Universalmuseum Joanneum / J.J. Kucek

Sie wurde im Spätsommer 2022 einen Monat lang im ehemaligen Stiftsspital in St. Lambrecht gezeigt und steht, laut Leiterin des Museums für Geschichte, Bettina Habsburg-Lothringen, am Beginn einer Reihe. In dieser sollen mehrmals pro Jahr weitere „Schaufenster“ in die Region gezeigt werden. Das Interessante der Schau „The sound of St. Lambrecht“ ist, dass sie nicht nur ein regionales Thema aufgreift. Vielmehr sensibilisiert sie die Besuchenden Geräusche und Klänge, Lautes und Leises, kaum Hörbares, aber auch laut Lärmendes mit einem neuen Fokus wahrzunehmen.

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