Ist es heute noch möglich, ein Stück, ausgestattet mit einer gehörigen Portion Humor, bei dem man sich richtig auf die Schenkel klopfen kann zu schreiben, das dennoch Tiefgang hat? Was sich anhört, wie die Quadratur des Kreises, ist der deutschen Autorin Nele Stuhler gelungen. Der Titel des Stückes – bitte festhalten – lautet:
Gaia rettet die Welt (Gaia rettet sich selbst) (Oder auch: (Wie alles so geworden ist Wie es ist) (Bzw. dann auch noch: Wie es vorher war Und wie es zwischendurch war)
Es dürfte wohl kaum jemanden geben, der diesen Titel nach dem ersten Mal Lesen flüssig und auswendig nachsprechen kann. Das muss man auch nicht tun. Man kann ihn auch sehr stark verkürzen und kommt mit „Gaia rettet die Welt“ auch einigermaßen gut über die Runden. Was er aber tatsächlich preisgibt, ist der Sprachduktus, mit dem das Stück ausgestattet ist. Über lange Strecken darf die Sprache mäandern, um Begriffe kreisen, diese negieren, von einer anderen Warte aus betrachten, um dann doch wieder zu ihrem Ursprung zurückzukommen. Das allein macht schon Spaß. Aber nicht zuletzt sind es doch die Figuren, von welchen man gar nicht genug bekommen kann als da wären:
Gaia, die Schöpferin der Welt herself, die aus einer Laune heraus das Menschengeschlecht schaffen will. „Etwas, das einmal stirbt“.
Zeus, der an Eitelkeit und Paarungswillen nicht zu übertreffen ist, beherrscht Blitze verströmend das Anfangsgeschehen. Dabei macht er sich an alles heran, was kreucht und fleucht, um die „Päckchen seines Samens“ so breit gestreut wie möglich zu verteilen.
Mythos, ein geschlechtsneutrales Wesen, das die Dinge beim Namen nennt und weiterträgt, sodass sie nicht in Vergessenheit geraten. Zu erkennen ist es am Outfit, auf welchem in großen Lettern der Auftrittstext prangt.
Prometheus, ein junger Nachwuchsgott, der Zeus gehörig herausfordert, jedoch noch ein wenig unbeholfen mit seiner göttlichen Macht agiert.
Pallas Athene – die von ihrem Vater prompt als „Kopfgeburt“ degradiert wird und nicht zu vergessen: die Sonne – in güldenem Gewande, stets bereit, zu strahlen.
Die Gesamtheit dieser Figuren ergibt eine Gesellschaft, bei der man sich nicht wundern braucht, dass so manches aus dem Ruder läuft. Thomas Frank darf als Zeus alle Schauspielregister ziehen, die es gibt. Eitel und vergesslich, etwas unterbelichtet und jähzornig, sich ständig in andere Wesen verwandelnd, unterhält es das Publikum ohne Unterbrechung. Martin Hemmer tritt als Prometheus in Hergottsschlapfen auf und sieht aus, als käme er gerade aus einer Drehpause von Monty Pythons „Das Leben des Brian“. So verwundert es nicht, dass es ihm genauso wenig wie Zeus zuvor gelingt, ein Menschengeschlecht zu erschaffen, mit dem man zufrieden sein kann. Doch als die Götterwelt plötzlich erfährt, dass es sie eigentlich gar nicht gibt, sie nur von den Menschen erdacht wurde, wendet sie sich ungläubig und zu Tode beleidigt ab.
Ab diesem Zeitpunkt heißt es Schluss mit lustig! Jetzt muss debattiert werden. Wer bestimmt was und vor allem, wer ist Schuld daran, dass die Welt so aussieht, wie sie heute aussieht? Ein netter Regiekniff von Maria Sendlhofer bezieht das Publikum in das Geschehen auf der Bühne ein und lässt es von dort aus am Weltengeschick teilhaben. Kurz nachdem die Götterdämmerung stattgefunden hat, geht es auch schon mit großen Schritten dem Weltuntergang entgegen. Nicht, ohne zuvor noch Gaia um Hilfe gebeten zu haben. Als dies nicht gelingt, wird fröhlich der Argumentationsspieß umgedreht und sie selbst zum Übel der Weltverschmutzung abgestempelt. „Du lässt alle immer machen!“
Dass sie in einem Schlussmonolog an sich zu zweifeln beginnt und klarmacht, dass die Erde die Menschen keineswegs benötigt, löst all das, worüber vorher so herzlich gelacht werden konnte, in Luft auf. Versöhnlich und berührend ist dennoch eine ihrer letzten Aussagen: Die Widersprüchlichkeit, die sie für sich ausmacht, ist auch jene Eigenschaft, die den Menschen kennzeichnet. Nichts ist nur gut und böse, nichts nur schwarz und weiß.
Was bleibt, ist die Erinnerung an einen spritzig-witzigen Theaterabend mit einem fulminanten Ensemble und der Wunsch, den geistreichen Text ganz in Ruhe nachlesen zu können. Am besten, noch bevor die Welt demnächst untergeht.
Okan Cömert, Thomas Frank, Martin Hemmer, Hannah Joe Huberty, Aline-Sarah Kunisch, Karola Niederhuber und Helena Vogel begeistern von Anfang bis zum Ende. Tanja Maderna schuf die witzigen, zeitgeistigen Kostüme und die reduzierte Bühne, mit einigen wenigen Versatzstücken.
Es gibt zwei Sätze und ein Nein, welche in aller Kürze eine Zusammenfassung für den Einakter bilden könnten, den Václav Havel an den Beginn seiner Vaněk-Trilogie setzte. Die beiden Sätze sind: „So bin ich erzogen“ sowie „Ich kann mich doch nicht selbst denunzieren“ und ein klares Nein folgt auf die Frage der Bierbrauerin, ob er, Ferdinand Vaněk, der Schriftsteller, der in ihrer Brauerei schuften muss, Kinder habe. In diesen Sätzen spiegelt sich wider, wie der junge Vaněk gestrickt ist und warum er so agiert, wie er agiert. Warum er das Angebot nicht annimmt, seine Arbeitsbedingungen zu erleichtern und warum er stattdessen lieber weiter körperlich schuftet, ohne Zeit zu haben, geistig zu arbeiten.
Havels Kunstfigur Ferdinand Vaněk muss als oppositioneller und damit unerwünschter Schriftsteller der Arbeit als Fass-Roller in einer Brauerei nachgehen, was er zur Zufriedenheit aller auch tut. Eines Tages wird er zum Braumeister gerufen. In Thiels Interpretation ist es eine Braumeisterin, womit ausgedrückt wird, dass das Agieren dieses Charakters nicht geschlechterspezifisch ist. Vaněk, der Alkohol verschmäht, weiß nicht, was ihn bei der Unterredung erwartet.
„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)
Thiel lässt sowohl Nico Dorigatti in der Rolle Vaněks als auch Alexandra Schmidt in der Rolle der Braumeisterin extrem körperintensiv arbeiten. Verrenkt liegt die junge Frau, benommen wohl vom schon genossenen Alkohol, gleich zu Beginn auf einem Sessel, während ihr Angestellter mehrfach versucht, sich ihr zu nähern. Immer jedoch wird er wie von Krämpfen gebeutelt, sodass er zu Boden fällt, um sofort darauf einen neuen Anlauf zu nehmen. Unterstützt wird dieser szenische Einstieg von einer Musikeinspielung von Oscar Böhm. Ein dramaturgischer Schachzug, der sich später in abgewandelter Form wiederholen wird. Ohne noch ein Wort gesprochen zu haben, kann man verstehen, dass hier zwei unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen. Die Braumeisterin, die durch Alkohol ihr Gewissen betäubt und die versucht, menschenverachtende Anweisungen des Regimes auszuhalten und abzumildern und der junge Intellektuelle. Er, von Natur aus ruhig und bescheiden, wird von den Repressalien, die nicht nur ihn treffen, fast aus der Bahn geworfen. Aber nichts liegt ihm ferner, als aufzufallen oder anderen Menschen zu schaden. So viel Slapstick auch in der ersten und in weiteren Szenen steckt, so bedrückend, ja schmerzhaft kann diese physische Clownerie auch empfunden werden.
Im Laufe der Unterredung, bei der, ganz zum Leidwesen Vaněks, in Strömen Bier fließt, gibt seine Vorgesetzte ihm zu verstehen, dass sie sich für ihn einsetzen möchte, was eine Dankeskaskade bei ihm auslöst. Solange, bis es der Braumeisterin zu viel wird und sie ihn anherrscht, sich nicht dauernd zu bedanken. „So bin ich erzogen“, antwortet der junge Mann und man darf annehmen, dass dies Worte sind, die Václav Havel sich selbst oft nicht nur gedacht, sondern wahrscheinlich anderen gegenüber tatsächlich auch ausgesprochen hat.
Bis zu seinem 12. Lebensjahr war Havel in einer großbürgerlichen, angesehenen Prager Familie aufgewachsen. Vater, Onkel und ein Großvater waren erfolgreiche Bauunternehmer, der Großvater mütterlicherseits Diplomat in Wien. Im Jahr 1948 wurde jedoch der gesamte Besitz der Familie konfisziert und Vater und Mutter mussten sich als Sekretär und Fremdenführerin verdingen. Dass dieser Lebensumsturz in dem Jungen, der nach der Schulpflicht aufgrund seiner bourgeoisen Herkunft keine weiterführende Schule besuchen durfte, tiefe seelische Spuren hinterlassen hat, liegt auf der Hand. Aber auch, dass er eine Erziehung genossen hatte, die für sein gesamtes Leben prägend sein sollte. Havel galt zwar als scheu, aber überaus höflich.
Mit Ferdinand Vaněk schuf er sich ein literarisches Alter Ego. Der Autor und Dramatiker, ist den Menschen unserer Tage jedoch hauptsächlich als jener Mann in Erinnerung geblieben, der als erster Präsident der Tschechoslowakei und nach dem Zerfall des Staatenbundes als erster Präsident Tschechiens in die Geschichte Europas einging. Dass er als Dissident dazu beitrug, das menschenverachtende Regime 1989 zu Fall zu bringen, ist auch noch den meisten Menschen in Österreich bekannt. Dass seine Dramen – sieben davon – unter der Leitung von Achim Benning am Burgtheater uraufgeführt wurden, wissen schon weitaus weniger. Der Schriftsteller, der sein Land während einer gewissen Zeit nicht verlassen wollte, in der Angst, nicht mehr zurückkehren zu können und später wegen seiner Inhaftierung nicht verlassen konnte, war bei keiner der Aufführungen anwesend. Beklatscht konnte er dennoch gemeinsam mit dem jeweiligen Ensemble werden, da vom Schnürlboden eine Tafel mit seinem Namen abgesenkt wurde. Havel bezeichnete die Burg in einer außergewöhnlichen Sprachschöpfung als sein „Muttertheater“. Die Analogie zur Muttersprache liegt dabei auf der Hand und kann als etwas Essenzielles, Lebensnotwendiges verstanden werden, was es für Havel tatsächlich war.
Die Sätze, die Vaněk in „Audienz“ spricht, bis hin zur Erklärung an die Braumeisterin, dass er vier Semester Ökonomie studiert habe und dass er ihr Angebot der Arbeitserleichterung nicht annehmen könne, denn er könne sich ja nicht selbst denunzieren – entsprechen biografischen Tatsachen. Havel musste, mit Aufführungsverbot belegt, in einer Brauerei arbeiten und hat sich, trotz schwerster Menschenrechtsverletzungen ihm gegenüber und trotz Gefängnisstrafe nie verbogen oder gar angedient.
In einem großartigen Monolog, in welchem Alexandra Schmidt alle Register ihres Könnens zieht, macht die Braumeisterin klar, in welchem Dilemma sie steckt und wie sehr sie die Ablehnung Vaněks missbilligt. Er, der intellektuelle Schriftsteller, sosehr er im Moment auch gedemütigt würde und am Boden sei, er fände zumindest Beachtung und stünde im Rampenlicht. Sie aber würde niemand kennen und müsse erdulden, was an sie an Ungerechtigkeit herangetragen wird. Dieser Monolog gehört zu den beeindruckendsten der neueren Literaturgeschichte. Wird doch deutlich, dass Havel, selbst Opfer und lebensbedrohlich unterdrückt, sich dennoch empathisch in sein Gegenüber versetzen konnte. Ja, dass er verstand, warum Menschen wie die Braumeisterin so handeln, wie sie handeln. Die charakterliche Größe, die hinter diesem Stück Literatur steckt, ist schier unermesslich.
„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)
„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)
„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)
„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)
„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)
„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)
Oft fragen sich Menschen, wie sie in Zeiten von Regimen agiert hätten oder agieren würden, ohne eine endgültige Antwort darauf zu bekommen. Und auch dafür liefert Havel eine Erklärung, wie Mitläufertum unter einer menschenverachtenden Regierung, zustande kommen kann. Es ist die Sorge um die eigene Familie, die Pflicht, seine Kinder bestmöglich zu erziehen und ins Leben zu begleiten. Mit der Verneinung Vaněks auf die Frage, ob er Kinder habe und dem Hinweis, dass die Braumeisterin selbst drei habe, weist er gezielt auf diesen Umstand hin.
Es ist nicht nur die exzessive Spielweise, die einem beim Zusehen den Atem raubt. Wie Nico Dorigatti das Bier aus Mund und Nase fließt, dass es nur so fontänenartig durch die Gegend spritzt und den Bühnenboden zu einem glitschigen, gefährlichen und haltlosen Untergrund verwandelt, ist ein wunderbarer Regie-Einfall. Florian Thiel lässt neben Vaněk und der Braumeisterin noch eine dritte Person auftreten. Eine junge, hübsche Frau, die sich stumm den beiden in ihren Alkoholexzessen nähert. Einmal wirkt sie anziehend, dann Liebe verströmend, ein anderes Mal hart und bedrohlich. Letztlich liegt sie wie leblos am Bühnenrand, ohne von den anderen beachtet zu werden. Die Rolle von Sophie Borchardt kann unterschiedlich ausgelegt werden. Man kann in ihr jene berühmte Schauspielerin erkennen, in welche die Braumeisterin all ihre Zukunftshoffnungen projiziert, dann erscheint sie als Verkörperung jener Dauerüberwachung, die in der CSSR üblich war. Schließlich verkörpert sie aber auch jene Idee, an welcher sich Vaněk immer wieder hochrappelt. Jenes Gerechtigkeitsprinzip, das für ihn über allem und über alle steht, sogar über ihm selbst.
Die allerletzte Szene hat Thomas Bernhardt´sche Charakterzüge. Stellt sie doch mit einem Augenblick all das auf den Kopf, was zuvor gesagt, getan und wahrgenommen wurde. Mit einem einzigen Wort und einer einzigen neuen Attitüde – nämlich die eines Bier trinkenden Vaněks – beginnt das Stück noch einmal von vorn. Dieses Mal jedoch mit gänzlich anderen Vorzeichen. Vaněk brüllt roh und rüpelhaft der Braumeisterin auf die Frage, wie es ihm gehe „Scheiße“ entgegen. Der darauffolgende wilde Zug an der Flasche und das polternde Aufstellen derselben am Tisch, dass sich der Gerstensaft in einer hohen Fontäne aus ihr ergießt, machen klar: Die Geschichte wird noch einmal erzählt, aber anders. Es wäre nicht Havel, hätte er damit nicht auch sein eigenes Handeln, seine zurückhaltende Art, die niemandem wehtun möchte, infrage gestellt. Womit er sich in eine jahrhundertealte Geistestradition einreiht. Der große Humanist und Philosoph Michel de Montaigne stellte schon im 16. Jahrhundert fest, dass es keine unumstößlichen Wahrheiten gäbe und dass man stets die eigene Meinung hinterfragen müsse. Die beiden Männer hätten sich sicherlich viel zu sagen gehabt.
Dass „Audienz“ heute nichts an Aktualität eingebüßt hat, wobei wir nicht in die Ukraine, nach Russland, China oder in den Iran blicken müssen, ist bedrückend. Umso wichtiger ist es, sich mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen.
Diese Möglichkeit bietet das Festival „Europa in Szene“ mit vielen begleitenden Diskursformaten noch bis zum 2. April.
Ingmar Bergmann ist allen Cineasten ein Begriff. Seine „Herbstsonate“, die 1978 in die Kinos kam, war mit Ingrid Bergmann und Liv Ullmann in den Hauptrollen genial besetzt und ist allen, die den Film gesehen haben, noch Jahrzehnte danach in Erinnerung. Es war nicht allein die Geschichte an sich, die fesselte. Ein Drama, in dem die psychologischen Hintergründe einer Mutter-Tochter-Beziehung offengelegt wurde. Es war auch das Setting, angesiedelt im Norden Europas und die Kameraführung mit vielen Close-ups, die den Film einzigartig machten.
„Als ich den Film gesehen habe, wusste ich, dass ich die Geschichte unbedingt auch auf die Bühne bringen wollte“, O-Ton von Gerhard Werdeker. Dass die Geschichte der Pianistin Charlotte Andergast, die ihre beiden Töchter über lange Strecken allein bei ihrem Vater ließ, um ihrer Karriere nachzugehen, auch nach 45 Jahren noch fesselt, zeigt, dass Bergmann mit den Konflikten eine zeitlose Materie aufgegriffen hat. Ende der 70er-Jahre von vielen noch als Affront gegenüber dem 5. Christlichen Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ empfunden, bietet es heute viele Momente, in welchen sich Menschen wiederfinden können, die von ihren Eltern in ihrer Kindheit nicht die Liebe erfuhren, die sie sich gewünscht haben.
Werdeker arbeitet mit einem reduzierten Bühnenbild von Raoul Rettberg, in dem ein Tisch mit Sesseln, eine große, rote Kiste und leicht gebogene Wandfragmente ausreichen, um das Pfarrhaus, aber auch den Friedhof der kleinen Gemeinde, in der Eva mit ihrem Mann Viktor leben, darzustellen. Wie immer, wenn Werdeker Regie führt, gibt es nichts, was unabsichtlich auf der Bühne positioniert ist. Über dem Setting hängt eine weiße, runde Tafel hoch in der Luft, mit der Zeichnung der typischen Cello-Schall-Löcher. Diese Tafel, aber auch ein blauer Ball, so wird sich bald zeigen, fungieren als Platzhalter zweier Menschen, die in der Fassung von Werdeker nicht gezeigt werden, dennoch aber für das Geschehen bestimmend sind.
„Herbstonate“ Theater Spielraum (Foto: Barbara Pálffy)
„Herbstonate“ Theater Spielraum (Foto: Barbara Pálffy)
„Herbstonate“ Theater Spielraum (Foto: Barbara Pálffy)
Der blaue Ball steht als Symbol für den Sohn von Eva, der im hauseigenen Brunnen im Alter von vier Jahren ertrank. Die runde Tafel mit der Cello-Assoziation hingegen für Leonardo, den Partner von Charlotte, Evas Mutter. Der ebenfalls verstorbene Cellist hatte nicht nur großen Einfluss auf die Pianistin, sondern auch auf ihre kranke Tochter Helena, die in Werdekers Fassung nur erwähnt, aber nicht gezeigt wird. Die Reduktion auf drei Personen tut der Handlung keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Sie konzentriert diese auf die wesentlichsten Ereignisse, die sich Mutter und Tochter wechselweise erzählen und vorhalten. Überdies evoziert die Absenz der kranken Helena noch zusätzliche Gänsehaut, denn alles, was an Grauen nicht sichtbar, sondern nur im Kopfkino abgeht, wird meistens noch schlimmer empfunden, als wenn dieses halb realistisch vorexerziert wird.
Brigitte West in der Mutterrolle und Dana Proetsch als ihre Tochter spielen sich innerhalb kurzer Zeit in einen Furor, der seinesgleichen sucht. Nicht nur, dass jede einzelne Mimik, jede einzelne Geste bei beiden sitzt. Sie schaffen es, das Publikum so mitzureißen, dass es die Umgebung des Theaters komplett vergessen kann. In ihrem Spiel stimmt absolut alles. Der Ton der erhitzten Gemüter ebenso wie das zunehmende Sprachtempo. Die theatralischen, ausufernden Bewegungen der Mutter genauso, wie das Erschrecken der Tochter vor ihrer eigenen Courage. West wechselt innerhalb weniger Augenblicke so schnell zwischen Trauer, Selbstdisziplin und Selbstmitleid, dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Proetsch hingegen erscheint über lange Strecken hinweg ihrer Mutter charakterlich überlegen. Erst, als sich das Dilemma der Double Bind Erziehung stärker zeigt, verliert auch sie ihre Beherrschung und bricht aus der bis dahin reflektieren Frauenrolle aus. Anna Pollack zeigt in der Kostümwahl auch deutlich den charakterlichen Unterschied zwischen Mutter, die häufige Kleiderwechsel hat, und ihrer Tochter. Bei dieser wird der Wechsel zum nächtlichen Outfit allein in der veränderten Sockenwahl deutlich.
Christian Kohlhofer agiert in der Rolle des Ehemannes von Eva, wie auch im Film, zum Teil als Erzähler. Ganz zu Beginn spricht er direkt von der ersten Publikumsreihe aus und lässt sich nicht, während die beiden Frauen immer hitziger agieren, von deren seelischen Turbulenzen mitreißen.
In einer atemberaubend schönen Szene gelang es Werdeker, Eva ohne Klavier ihrer Mutter die Prélude No. 2 von Frédéric Chopin vorzuspielen. Wie diese danach ihre Interpretation zu Gehör bringt – ebenfalls ohne Instrument – ist mehr als sehenswert. Allein wegen dieses Aktes lohnt es sich, sich die Herbstsonate im Theater Spielraum anzusehen. Alle, die einen Theaterabend erleben möchten, der alles beinhaltet, was gutes Theater ausmacht, sollten sich diesen in der Kaiserstraße nicht entgehen lassen.
Nun im Kasino am Schwarzenbergplatz unter der Regie von Sara Ostertag uraufgeführt, bietet die dramatisierte Fassung eine gute Möglichkeit, sich mit diesem traurigen Geschichtskapitel erneut zu befassen.
Was Edelbauers Text von den anderen beiden unterscheidet, ist eine zusätzliche Ebene, die das ohnehin schon im Dunkel Verborgene noch diffuser und ungreifbarer erscheinen lässt. Die Protagonistin, Ruth Schwarz, die ins Heimatdorf ihrer Eltern fährt, um die an einem Unfall Verstorbenen zu beerdigen, muss Aufputsch- und Beruhigungsmittel nehmen. Die Arbeit an ihrer Habilitationsschrift über die „Blockuniversumstheorie“, in der sie dem Zeitphänomen auf die Spur kommen will, geht nicht wirklich voran, denn familiäre Zerwürfnisse, aber auch ihre Tablettensucht stellen Hindernisse dar, die sie schon über eine längere Zeitspanne hin lähmen und nicht produktiv arbeiten lassen. Dieses Szenario bietet Edelbauer die Möglichkeit, alles, was in der Geschichte erzählt wird, interpretatorisch auch im Fiktionalen zu belassen. Das Publikum darf das Geschehen, wenn es möchte, als eine Halluzination oder einen Wachtraum der Hauptprotagonistin determinieren.
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
In der kleinen Siedlung angekommen, die weder auf einer Landkarte noch in einem Gemeindeverzeichnis auftaucht, wird sie rasch mit einer Vergangenheit konfrontiert, die das auf den ersten Blick idyllische Dorf im wahrsten Sinne des Wortes zu verschlingen droht. Die Befremdung über eine dort praktizierte Parallelgesellschaft, die einer Gräfin ein uneingeschränktes Herrscherrecht zubilligt, verwandelt sich im Laufe ihres Aufenthaltes in eine Art Mitläufertum. Dass Ruth Schwarz – in diesem Kontext ein in mehrfacher Hinsicht sprechender Name – letztlich nicht als Aufdeckerin, sondern als Kollaborateurin agiert, resultiert aus ihrem Bedürfnis, ihren eigenen Grund und Boden zu schützen: das Haus ihrer Eltern und Großeltern, das sie in Gross-Einland bezogen hat. Finanziert wurde es im Zuge eines Verleihkontraktes mit einem Zehentabschlag ihres Einkommens durch die Gräfin.
Die Autorin erschuf ein Gedankenkonstrukt, das hilfreich ist, das Schweigen und Vertuschen von Straftaten über mehrere Generationen hin nachzuvollziehen. Niemand hat ein Interesse daran, den eigenen Grund und Boden, die eigene Lebensgrundlage durch das Aufdecken von historischen Geschehnissen in Gefahr zu bringen. Die finanziellen Abhängigkeiten, wie sie in dem Stück ebenfalls aufgezeigt werden, tragen ein Weiteres dazu bei.
Die Regie arbeitet mit einem höchst reduzierten Bühnenbild und Kostümen, die zum Teil „vom Himmel fallen.“ (Bühne und Kostüme Nanna Neudeck). Zwei große Trampoline fordern die Schauspielerinnen Suse Lichtenberger, Katharina Pichler und Michèle Rohrbach und ihren Kollegen Rainer Galke körperlich heraus. Teilen sich die Damen die Rolle von Ruth und schlüpfen immer wieder auch in andere, wie einen Maskenverkäufer, der als „Handlungsreisender“ in einem Todesoutfit durch die Lande reist, eine junge Bibliothekarin, die die Gemeindechronik unter Verschluss zu halten versucht, oder den Bürgermeister, mit dem buchstäblichen Brett vor dem Kopf, verkörpert Galke in der Rolle der Gräfin nicht nur eine vermeintlich historische Ordnung. Der ausladende, schwarze Reifrock und die grell rot lackierten Fingernägel, bedrohlich zugespitzt, erinnern auch an eine giftige Qualle, der man lieber aus dem Weg gehen möchte.
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
Das flüssige Land (Foto: Marcella Ruiz Cruz)
Die Trampoline versinnbildlichen nicht nur den bedrohlich einsickernden Boden von Gross-Einland. Man fühlt auch den dicken Teppichflor, der im Gräfinnen-Schloss jegliches Wort zu verschlucken imstande ist und darf dank ihrer auch an den beherzten Freudensprüngen von Ruth Anteil nehmen. In einem jener wenigen glücklichen Augenblicke, die sie fröhlich und voll Zuversicht, endlich eine Heimat gefunden zu haben, am Trampolin auskostet. Die schauspielerische Leistung des Ensembles angesichts der parallelen sportlichen Betätigung darf nicht nur deswegen als herausragend bezeichnet werden. Paul Plut unterstützt das Geschehen als Live-Musiker am Klavier, mit einem Akkordeon, aber auch einer Art umgebauten „Saugeige“ – wie sie in Ost-Österreich am Land bei dörflichen, musikalischen Einlagen nach wie vor zu finden ist. Dass sich das Setting in einer historischen Schieflage befindet, erfährt man schon während des Einlasses, bei welchem Strauß’sche Walzer und Märsche in einem verzerrten Blasmusikarrangement leise zu hören sind.
„Das flüssige Land“ ist nicht nur ein unlösbarer Kriminalfall mit einem dennoch voraussehbaren, tragischem Ausgang für all jene, welche die Augen vor dem Unrecht verschlossen halten. Einem Unrecht, das sie über Generationen hin bedroht und auch zukünftig bedrohen wird. Es behandelt auch die Suche einer jungen Frau nach ihrer Identität, ihrem Wunsch nach Heimat und der Erkenntnis, gegen eine schweigende Übermacht nicht allein ankämpfen zu können. Ihre vermeintlich hilfreiche Entdeckung – ein Füllmaterial, das in die Hohlräume unter den Ort gepumpt werden kann – wird sich ob seiner toxischen Zusammensetzung letztlich als Naturkiller erweisen. Dass es Ostertag gelingt, diese Substanz zu veranschaulichen und sogar im Gräfinnen-Kostüm verschwinden zu lassen, ist nur ein Beispiel von mehreren, welches die Lust der Regisseurin zeigt, das Theater als einen Ort zu begreifen, in dem das geschriebene Wort höchst kreativ und sinnlich zugleich veranschaulicht werden kann. Mit dieser Arbeit lieferte sie einen gelungenen Einstand am Burgtheater ab.
Der Regisseur Jan Christoph Gockel schuf gemeinsam mit Karla Mäder eine Fassung für das Grazer Haus und das Kunststück, eine derart lange Aufführungsdauer kurzweilig erscheinen zu lassen. Wen auch immer die Dauer abschrecken mag, dem sei die Angst genommen, sie ist unbegründet.
Gockel, der schon vor acht Jahren hier inszenierte, lieferte einen Abend ab, der alles beinhaltet, was gutes Theater heute bieten sollte. Einen interessanten Plot, ein gut besetztes Ensemble, aktuelle und regionale Textbezüge sowie die Inklusion von zwei Menschen mit Behinderungen, die für gewöhnlich nicht auf einer Bühne anzutreffen sind.
Dass Florian Finsterbusch und die taubblinde Tanja Hameter noch dazu mit Rollen ausgestattet wurden, die glaubwürdig schienen, zeugt nicht nur von Fingerspitzengefühl, sondern auch von dramaturgischem Können. Den inklusiven Ansatz findet der Regisseur zukunftsweisend und zugleich lehrreich nicht nur für das Publikum, sondern auch für das Ensemble. Und man muss ihm recht geben, denn noch ist es die Ausnahme, Diversität auf den Bühnen zu sehen.
„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)
„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)
„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)
„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)
„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)
Der Inhalt stammt im Großen und Ganzen aus der Serie von Lars von Trier, obwohl, wie der Regisseur angab, nur ca. 20 % von seinem Text übernommen wurden. In einem dänischen Krankenhaus treiben Geister ihr Unwesen, aber es menschelt auch kräftig in Liebesbelangen. Das Haus ist auch Treffpunkt für die Mitglieder einer Loge, der nur Ärzte angehören. Diese setzen sich für einen Pathologen ein, der eine Lebertransplantation an sich vornehmen lässt, bei welcher das neu verpflanzte Organ willentlich von einem großen Tumor befallen ist. Der Chefarzt des Hauses, ein selbstbewusster und despotischer Schwede, tyrannisiert seine Kolleginnen und Kollegen so lange, bis ihm bei einer OP ein Kunstfehler passiert und er dadurch erpressbar wird.
Das ausgefeilte Bühnenbild (Julia Kurzweg) und die Lichttechnik (Thomas Trummer) geben den Blick auf unterschiedliche Räume des Krankenhauses frei, aber auch auf einen Aufzug, mit dem man in die Hölle und in den Himmel fahren kann. Eine Live-Kamera begleitet einen auch in die „Unterwelt“ – in der sich ein Neurochirurg häuslich eingerichtet hat. Michael Pietsch bewegt nicht nur eine zarte, mädchenhafte Gliederpuppe, sondern kreierte auch einen riesenhaften Jungen, der sich am Ende als Erlöser des Bösen in diesem Setting erweist.
Bis dahin darf man über so manche Handlungsvolte staunen, über einzelne Charaktere herzlich lachen, aber auch Spaß an so manchem Regie-Einfall finden, der Bezüge zu Österreich oder noch enger – auch Graz herstellt. Auch der zweite Handlungsstrang, in welchem der Sohn des Klinikgründers mit allerlei Teambuilding-Maßnahmen versucht, das reichlich belastete Arbeitsklima zu verbessern, bietet eine Menge an witzigen bis skurrilen Momenten, in denen man sich auch selbst wiederfinden kann.
„Das Reich – Hospital der Geister“ (Foto: Le Karelly)
Mit einem wie aus der Zeit gefallenen Trauerzug, der hinter einem hölzernen Wagen hertrottet, gelang Gockel ein extrem starkes Bild, das auch mit Leichtigkeit Assoziationen in die Vergangenheit öffnet. (Kostüme Sopie du Vinag) Ein Mann aus dem Publikum erhält zu Recht ausgiebig Applaus, nachdem er unvorbereitet auf der Bühne mit Bravour eine menschliche Marionette dargestellt hatte. Es sind der Regie-Einfälle und der Aufzüge viel zu viele, um alle beschreiben zu können. Live-Musik, aber auch eine Soundbegleitung, bei der man Gänsehaut bekommen kann, tragen das ihre zum Erfolg dieses Abends bei. Keiner der Charaktere bleibt in einem bierernsten Stadium, alle bekommen ihre Risse, durch welchen ein Humor blitzt, der das Menschliche zum Vorschein bringt.
Dies, aber auch das extrem abwechslungsreiche Setting und eine Handlungsführung, die keinen Augenblick Langeweile aufkommen lässt, machen die Stärke dieses Abends aus.
Die Empfehlung des Hauses, erst ab 14 zu kommen, macht durchaus Sinn. Allen, die älter sind und einen richtig prallen Theaterabend erleben möchten, sei diese Inszenierung wärmstens empfohlen.
Mit: Tanja Hameter, Claudia Wolf-Straubinger, Beatrice Frey, Alexej Lochmann, Oliver Chomik, Andri Schenardi, Michael Pietsch, Franz Solar, Susanne Konstanze Weber, Florian Köhler, Lisa Birke Balzer, Raphael Muff, Evamaria Salcher, Rudi Widerhofer, Florian Finsterbusch, Matthias Ohner, Yves Ndagano, Kurt Zalac, Timo Neubauer
In einer Kooperation mit Institut für Schauspiel der Kunstuniverstität Graz treten neun Studierende den Beweis an, dass sich das Verfassen von Texten und ‚auf der Bühne -Stehen‘ nicht ausschließen. Dies aber nicht in einem postdramatischen Konstrukt, sondern vielmehr mit einem literarisch weltberühmten Textgerüst, das von den Mitwirkenden auf und hinter der Bühne ergänzt und damit auch umgestaltet wurde.
Unter der Regie von Lorenz Nolting spielt das junge Ensemble eine Crew auf einem Walfangboot schlicht so, als ob es ums Überleben ginge. Und tatsächlich ist dies auch das Haupttopos der Inszenierung. Die Jagd nach dem weißen Wal, der als Metapher unserer beschädigten Natur gesehen werden kann, ist der Ausgangspunkt eines aberwitzigen Wahnsinnsrittes durch Zeit und Raum. Dabei werden nicht nur Assoziationen zum Walfang freien Lauf gelassen, sondern zum Leben auf unserem Planeten an sich, das vielen nur mehr absurd und monströs erscheint.
Ganz ihrer Generation verpflichtet, aufgewachsen mit Computerspielen und großen Fernsehbildschirmen, mangelt es auch nicht an Visualisierung von fiktiven Flügen durch das All, Seite an Seite mit Elon Musk, vorbei an einer in Trümmern liegenden Welt, die man hinter sich gelassen hat. Die Sprachkaskaden lösen sich in einem rhythmisch kurz getakteten Staccato ab. Was man nicht sofort gedanklich erfasst, fliegt vorbei und hinterlässt dennoch keine Lücke. Zu dicht ist das Netz aus Text, Geräuschen und Musik gewebt, als dass man zum langen Nach-Denken kommt. Zu intensiv ist das abwechslungsreiche Geschehen zwischen der Jagd nach dem Wal, dem kollektiven Sturz aus einem 40-stöckigen Hochhaus und dem Schweben in der Schwerelosigkeit zu den Klängen des Donauwalzers.
Neben all den furiosen und oft mit grandiosem Spielhumor gespickten Szenen kommt dennoch eine heftige Portion Schwermut auf. Steht doch eine Generation auf der Bühne, die ein Leben vor sich hat, um das sie niemand beneidet, der auch nur alle fünf Tassen im Schrank hat. Die Zerstörung der ökologischen Systeme, die Sinnlosigkeit des Spätkapitalismus, die unstillbare Gier nach Ressourcen, die schon lange geschützt werden müssten – all das wird direkt oder indirekt angesprochen. Und all das liegt unter all dem Klamauk wie ein bleischweres Gedankengewicht, das nicht weggeschoben werden kann.
Dazu kommt, dass kurz vor dem Finale die Komposition von Philipp Glass für den Film „Koyaanisqatsi“ unter anderen Soundlayern herauszuhören ist. In diesem 1982 uraufgeführten Streifen wird die ökologische Zerstörung unserer Welt nur durch Bilder und dazu komponierter Musik im raschen Schnittwechsel gezeigt. Ein klein wenig Hoffnung erzeugt die Idee der Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing, die den japanischen Matsutake-Pilz als Sinnbild für eine neue Idee des Zusammenlebens postuliert. Das Verständnis, das alles mit allem zusammenhängt, sollte kommenden Generationen helfen, diese Welt weiter bevölkern zu können.
Lorenz Nolting hat mit dieser Arbeit eine fulminante Regie vorgelegt. Immer wieder lässt er das Ensemble dabei auch humorvoll die eigene Ausbildung reflektieren. Wie sie über ihre persönlichen Befindlichkeiten sprechen und dabei eine sichtbar gespielte Betroffenheit bei ihren Kolleginnen und Kollegen hervorrufen, erheitert sehr. Es ist gerade diese Balance zwischen kurzen Szenen, in welchen herrlicher Humor aufblitzt und solchen von tiefem Pessimismus, die das Stück so interessant macht. „Das Elend kommt beim Nachdenken“, ein Satz, der kurz nach Beginn fällt, dieses Elend wird dadurch glücklicherweise gemindert.
Albert Frühstück sorgte mit einem klugen, reduzierten und dennoch wandelbaren Bühnenbild und Videos für nachvollziehbare Seegänge gleichermaßen wie für spacige Flugabenteuer. Die farbästhetisch fein zusammengestellten Kostüme von Ida Bekič verdeutlichten den Wandel der Geschichte vom 19. Jahrhundert, in dem Moby Dick geschrieben wurde, in die Gegenwart.