Die Hoffnung schimmert von Island her

Die Hoffnung schimmert von Island her

Die Saison des Schauspielhauses Wien wurde am 31. Oktober eröffnet. Unter dem neuen Intendanten Tomas Schweigen und einem jungen, ebenfalls neuen Ensemble präsentiert sich das Haus mit einem sicht- und fühlbarem Energieschwung . Der Clou des Einstandsstückes: Schweigen zeichnet gemeinsam mit den Schauspielerinnen und Schauspielern auch für den Text von „Punk und Politik“ verantwortlich. Ein erstes Beispiel einer von ihm angekündigten Produktionsgemeinschaft, die sich nicht nur auf eine Mitsprache in der Regie selbst bezieht, sondern schon bei der gemeinsamen Erstellung des Textes beginnt.

„Punk und Politik“ ist ein Krake. Ein Wesen, das prinzipiell nicht leicht zu orten oder gar zu fangen ist. Ein Etwas, bei dem man Gefahr läuft, auch verschlungen werden zu können. Es ist der Versuch der Vereinnahmung des Publikums, der Wille, die neuen Gesichter des Hauses bis hin zum Bühnenbildner dem Publikum vorzustellen. Es ist eine Demonstration von neuen, stärkeren demokratischen Strukturen am Schauspielhaus und ein Bemühen, über Europa nachzudenken. Jenes Europa, das sich, so hat es den Anschein, im Moment in seine einzelnen Bestandteile zu atomisieren droht.

Das „Punk und Politik“ – Stück ist ein Hybrid. Eine Mischung zwischen postdramatischem Ensemble-Mitmachtheater und einer wilden, zeitgeistigen TV-Polit-Show. Es ist eine Verquickung von kurzen Video-Reportagen und vorgespielten Publikumsbefragungen. Ein Statement, der grassierenden Politikverdrossenheit etwas entgegenzuhalten und auf Strömungen aufmerksam zu machen, die aufgrund des hohen medialen Grundrauschens in der öffentlichen Wahrnehmung leicht untergehen können. Strömungen, die aufzeigen, dass es Ideen und auch Umsetzungen gibt, die sich gegen ein Establishment stemmen, das Wählerinnen und Wähler nur als Stimmvieh ansieht, aber ganz und gar nichts davon hält, wenn eben dieses versucht, politische Prozesse mitzubestimmen.

Wer ist drinnen und wer draußen? Wer schaut zu und wer sind die Spielenden? Gleich zu Beginn muss man sich diesen Fragen stellen, denn Stephan Weber, Bühnenbildner aus der Schweiz, schuf im Theatersaal eine zweite Schauspielhausfassade. Diese erkennt man erst, wenn man die Bühne selbst passiert hat, um zu den Zuschauerreihen zu gelangen. Gerade in der ersten Halbzeit lebt das Stück – oder sollte man es lieber eine Performance nennen – von einer hohen Gag-Dichte. Dazu gehört auch, dass Weber mittels einer Leuchtschrift über den Eingangstüren namentlich und mit seiner Funktion vorgestellt wird. Gleich danach folgt eine Sichtbarmachung jenes Prozesses, der in der Erarbeitung der Vorstellung vonstatten ging. Ideen und Gegenvorschläge, Bedenken und Versprechungen fürs Publikum ergeben rasch eine krude Mischung, die erahnen lässt, wie die Vorstellung ablaufen wird. Dass sie sich dann jedoch schneller, schriller, lauter und verrückter präsentiert als man das sich in seinen kühnsten Träumen vorstellen hätte können, wenn man hätte wollen müssen – um im Diktum der Eingangssätze zu bleiben – ist dann doch der Regie von Tomas Schweigen zu verdanken.

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Männerrivalitäten, unterschiedliche Frauenpersönlichkeiten, das Spiel mit Verkleidung (Kostüme Anne Buffetrille) bis hin zu Commedia dell´arte-Figuren, die Verschränkung unterschiedlichster Medien, das Einbinden von ausgewiesenen Europa-Kennern wie Robert Menasse, all das bringt er, wenngleich auch nicht immer klar durchschaubar, doch unter einen Theaterhut. Und dann ist da noch die Geschichte von Jon Gnarr, jenem Comedian und Ex-Punk, der es in Reykjavik am Kulminationspunkt der wirtschaftlichen Krise mit seiner „Spaßpartei“ auf den Bürgermeistersessel schaffte. Gnarr, abseits von medialem Blitzlichtgewitter ein ruhiger, besonnener und eher veschlossener Mensch, schaffte einen Turnaround zumindest während seiner Amtszeit. Wie er im Frühling im Aktionsradius in Wien anlässlich der Vorstellung seines neuen Buches „Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!“ erklärte, sind die Probleme bei Weitem nicht gelöst. Vielmehr halten die Gläubiger ruhig, die Island genauso gut einen Todesstoß versetzen könnten. „Es war meine Aufgabe, mit diesen Leuten zu reden und zu verhandeln“, erklärte Gnarr. Mangels politischer Erfahrung griff er einfach auf private zurück. „Ich habe Zeiten mit meiner Familie erlebt, die sehr schwer waren. Wenn man nicht weiß, wovon man seine Miete zahlen kann, dann muss man eben mit dem Vermieter reden und ihm Vorschläge machen.“ Von diesem Arbeitsstil wird im Stück von Schweigen & Ensemble nichts erzählt, vielmehr wird Gnarr als ein zumindest intelligenter Spaßvogel präsentiert, der mithilfe seiner wichtigsten Waffe, dem Humor, eine ganze Nation motivieren konnte, ihr Schicksal wieder selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Und das ist mehr, als alle politischen Parteien mit ihren seitenlangen Programmen in den letzten zehn Jahren in Europa zusammengebracht haben.

Victoria Kupsch kämpft hingegen mit wesentlich schwächeren Waffen auf einem fast verlorenen Posten. Über sie erfährt man, dass es eine Initiative gibt, die eine Europäische Republik konstituieren möchte. Mit allgemeinem Wahlrecht und einer länderübreifenden Arbeitslosenversicherung. Ihre bisher 800 Stimmen, die sie dafür gesammelt hat, machen klar, dass ihr jene Unterstützung fehlt, die Gnarr in Island durch die Medien hatte. Und so kommen Schweigen & Ensemble auf die Idee, doch „Punk und Politik“ an möglichst vielen europäischen Theater spielen zu lassen um gleichzeitig für die „European Republic“ Werbung zu machen und Stimmen einzufangen. Das Manifest dieser Bewegung findet sich auch auf der Homepage des Schauspielhauses. PR-technisch gesehen auch keine schlechte Entscheidung, denn durch die kurzen Video-Statements von verschiedenen Theatermacherinnen und –machern aus unterschiedlichen europäischen Ländern kann er sich der internationalen Aufmerksamkeit für den Start seines Hauses sicher sein.

Der im ersten Teil rasch aufs Tapet gebrachten Idee, dem Europa der Regionen doch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, widersetzt sich ein unerwarteter Schluss. Nach der Öffnung des Bühnenbildes wird eine nebelverhangene Landschaft sichtbar. Um einen rohen Felsen haben sich die Spielenden, nun allesamt in Fell, Lendenschurz und teilweise auch mit Wikingerhelmen bestückt, eingefunden. Sie imitieren jene Zusammenkünfte, die isländische Stammesführer über Jahrhunderte einmal im Jahr an einem bestimmten Ort veranstalteten. „Das älteste Parlament der Welt“ löst sich schließlich aus dem Bühnenbild, um vor dem Publikum Platz zu nehmen. Und wie in einer Endlosschleife das Spiel wieder ganz von vorne zu beginnen.

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Hinter „Punk und Politik“ steht nicht zuletzt auch der Wille, dass mit einer zeitgenössischen Theateridee dieses künstlerische Medium aus seinem Elfenbeinturm erlöst wird. Wer, wie Tomas Schweigen und sein Ensemble das Theater offensichtlich als mitbestimmende politische Kraft, als Keimzelle für die Entwicklung und Verbreitung neuer sozialer Ideen erkennt, braucht nicht nur gute Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern auch viel Fingerspitzengefühl in der Programmatik, um das Publikum auf diesem neuen Weg mitzunehmen. Die kommenden Inszenierungen werden zeigen, ob dies möglich ist.

Was bleibt, ist der Eindruck eines prallvoll gefüllten Theaterabends, der so viel zeigt, dass man darin leicht den Überblick verlieren kann. Dass dies Kalkül und dem Thema an und für sich schon immanent ist, versteht sich. Was noch bleibt, ist der gelungene Einstand eines höchst sympathischen Ensembles: Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman mit seiner wunderbar glaubhaften Gnarr-Darstellung, Steffen Link, Sophia Löffler, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger. Der neue Wind ist auch durch die kleinen baulichen Maßnahmen in der Innenraumgestaltung des Hauses erkennbar. Eine sehr ansprechende Ästhetik, die auch mit dem Logo selbst mannigfach spielt, peppt nun auch den Katakomben-Bereich gehörig auf. Eine Bibliothek, in der Bücher zur freien Entnahme zur Verfügung gestellt werden und Sitzgelegenheiten vor dem Theatersaal selbst verbreiten eine heimelige Stimmung, die zum längeren Verweilen einlädt.

Alle Termine auf der Website des Schauspielhauses.
Achtung: Seit dieser Saison spielt das Schauspielhaus im En-Suite-System. Die Inszenierung läuft deswegen nur bis Ende Dezember.

Ein schlafender Gott ist so gut wie ein toter

Ein schlafender Gott ist so gut wie ein toter

„Geronnene Interessenslage“ von Clemens Mädge am Schauspielhaus in Wien

Drei Figuren – zwei Frauen und ein Mann – begeben sich, eine nach der anderen, langsam hinter einen großen Neonlichtrahmen. Unter ihren Sakkos und Röcken stecken sie in schwarzen Ganzkörperanzügen, die auch ihre Gesichter bedecken. Davor nimmt ein Mann in gebückter Haltung mit herabhängenden Armen Aufstellung. An der Wand taucht der Schatten eines überdimensionalen Sensenmannes auf. Der Tod trägt im Stück „Geronnene Interessenslage“ von Clemens Mädge allerdings den Namen Anna. Zugleich ist er/sie die Frau von Otto und Otto ist Gott. Der befindet sich allerdings in einem Dauerschlaf. Selbst zwar nie sichtbar, sind seine sägend-knarzenden Schnarchgeräusche jedoch ab und zu hörbar. Welchen Einfluss hat aber Gott auf unser Leben, wenn er nichts anderes tut, als nach der Erschaffung dieser Welt eben diese sein zu lassen und den Rest der Arbeit auf seine Frau abzuwälzen?

Der 1983 in Lüneburg geborene Dramatiker, der mit diesem Stück das Hans-Gratzer-Stipendium am Schauspielhaus gewann, geht dieser Frage nicht wirklich nach. Vielmehr bemüht er nach dem Intro mit seiner Gottesschlafidee vor allem Nietzsches Nihilismus. Seine Figuren, zu Beginn durch die Kostüme völlig entpersonalisiert, drehen sich im Laufe der Vorstellung in ihren eigenen Gedankengebäuden beständig im Kreis. Die völlige Absenz von Liebe und die Durchdrungenheit der Gestalten von absoluter Sinnlosigkeit bestimmen den Abend von Anfang bis zum Schluss. Ein schlafender Gott ist so gut wie ein toter.

Tolle schauspielerische Leistungen

In der Regie von Robert Borgmann, der auch für die exzellente Ausstattung zuständig ist, bilden Myriam Schröder als versoffene Popmusikerin Gratsche und Nicola Kirsch als Grundschullehrerin Matuschka einen wunderbaren Widerpart. Beinahe immer zugedröhnt die eine, ständig auf der Suche nach einem besseren Leben die andere, gelingt es dennoch keiner, aus ihrer tristen Lebenssituation auszubrechen. Genau werden ihre Situationen nicht umschrieben, außer dass man von Gratsche weiß, dass sie sich jeden Abend fallen lässt, um von einem anderen Mann aufgehoben zu werden. Aus Matuschka dagegen bricht nach ihrem anfänglich zur Schau getragenen Lebenswillen plötzlich die Selbstpeinigung hervor. Ein Entschuldigungsschwall gegen alle hält so lange an, bis sie letzten Endes mundtot gemacht wird.

Steffen Höld spielt Ewgenij Goldwasser, einen pensionierten Literaturprofessor, der nur mehr marionettengleich und gramgebückt unter der Last seines Wissens dahinvegetiert und das Geschehen rund um ihn aus seiner Sicht kommentiert. Gideon Maoz ist sein viriler Gegenspieler namens Paul. Darin schlüpft er in unterschiedliche Kostüme – ganz „situationselastisch“ könnte man einen amtierenden österreichischen Minister zitieren und sorgt schauspielerisch exzellent für die an diesem Abend selten gestreuten Lacher. 

Mit Margarethe Tiesel holte sich das Haus eine bereits international bekannte Schauspielerin als Gottes Frau Anna auf die Bühne. In Ulrich Seidls Kinofilm Paradies: Liebe verkörperte sie die Hauptrolle Teresa, schaffte damit ihren Durchbruch im Film und wurde bei der Vergabe des Österreichischen Filmpreises 2013 als beste Schauspielerin geehrt. In ihrer Rolle am Schauspielhaus glänzt sie durch ihre starke, wenngleich altersgebrechliche Präsenz. Ganz zu Beginn ist es ihre Klage an Gott „so viel Mühe, so viel Arbeit – Otto was haben wir uns nur dabei gedacht?“, die gleich einem Epilog in das Geschehen einleitet. Mit wirren grauen Haaren, einem schlurfenden Gang und ihrer weißen Schminke mit blutrotem Joker-Mund ist sie schließlich nicht einmal mehr in der Lage, ihre eigene Bestimmung der Lebenserlösung auszuüben. Selbst Gottes Prophezeiung von der Lebenszeit der Menschen muss sie desillusioniert als falsch anerkennen.

Die Schwärze und Leere der Bühne spiegelt die seelischen Zustände

Auf der Bühne stellt Robert Borgmann ein großes Neonquadrat als Sinnbild einer rational ausgerichteten Welt einem großen Neonkreuz gegenüber. Die rechte Bühnenhälfte wird teilweise durch einen roten Samtvorhang abgetrennt. Nichts Lebendiges lenkt von der schwarzen Tristesse ab. Der zweite Teil des roten Vorganges liegt wie unachtsam hingeworfen am Boden und markiert zu Beginn durch eine geschickte Lichttechnik Gott, sowie später Matuschkas Leichentuch.

Clemens Mädge ist kein Erzähler. Er stattet seine Figuren nicht mit der Möglichkeit aus, sich im Laufe des Abends psychologisch zu entwickeln. Vielmehr präsentiert er in seinem Stück einen erbärmlichen Istzustand dieser Welt, den seine Protagonisten und Protagonistinnen verkörpern. Auch der Zufall trägt nicht zur Erheiterung und Lebensverschönerung bei. Vielmehr kracht er – zuerst in Zeitlupe, schließlich aber unter Getöse – in Form eines riesigen schwarzen Paketes, das zuvor bühnenmittig auf einer Palette abgestellt und im Laufe des Abends unter die Decke hochgezogen wurde, todbringend auf Herrn Goldwasser herab. Der Autor setzt dem Publikum eine Gesellschaft vor, die, enthoben jeder Zeit und jedes Ortes, diese Welt nur als Zumutung empfindet. Als eine Zwischenstation, die Mädge mit Worten von Bertold Brecht aus den Buckower Elegien beschreibt: „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.“ Ein sperriges Stück, das wenige Zwischentöne zulässt und den Eindruck hinterlässt, als ob man sich in einem neuen Aufguss einer nihilistischen Theaterlehrstunde befände. Was bleibt, sind tolle schauspielerische Leistungen und eine Regie, die herausholt, was herauszuholen ist, wenngleich einige Längen vor allem in der ersten Hälfte des Abends die Lust der Teilhabe etwas mindern.

Eine tiefschwarze Komödie mit Gänsehauteffekt

Eine tiefschwarze Komödie mit Gänsehauteffekt

„Noch ein Lied vom Tod“ von Juliane Stadelmann garantiert derzeit im Schauspielhaus Wien Lacher und Gänsehaut.

Zwei Kleinkinder, zwei und drei Jahre alt, verrecken – es muss so krass ausgedrückt werden – unbeaufsichtigt in einer Wohnung. Sie verdursten, weil ihre Mutter sie alleine zurückließ und niemand aus der Nachbarschaft ihnen zu Hilfe kam. Dieses Horrorszenario ist kein für die Bühne erdachtes. Vielmehr geschah dieses Drama 1999 in Frankfurt an der Oder tatsächlich. Stadelmann, Jahrgang 1985, belegte mit ihrem ersten Stück „Ingrid Ex Machina“ im Vorjahr den dritten Platz beim Münchner Förderpreis für deutschsprachige Drammatik“. Mit „Noch ein Lied vom Tod“ erhielt sie das Hans-Gratzer-Stipendium am Schauspielhaus. Darin verarbeitet sie das grausige Geschehen, für das nur die Mutter rechtlich zur Verantwortung gezogen wurde, auf eine ganz spezielle Art und Weise.

„Noch ein Lied vom Tod“ – dieser Titel evoziert ad hoc nicht nur die berühmte Mundharmonikamelodie des Italo-Westerns von Sergio Leone. Gemeinsam mit dem ersten Bild – einem Tumbleweed, das quer über die Bühne rollt und einem überdimensionalen Kaktus – wähnt man sich ad hoc in einer kargen Wildwestlandschaft. Wäre da nicht ein abstraktes Bühnenkonstrukt, in das zwei lange Gänge eingeschrieben sind, aus welchen immer wieder – kasperltheaterhaft – die Figuren unerwartet auf- und abtauchen. Und wäre da nicht der Flüsterchor, der das scheinbar vom Wind bewegte Tumbleweed in Reimform archaisch begleitet. Möge das Spiel beginnen.

Ob Westen oder Osten – das Thema ist universal

Die Regisseurin Daniela Kranz, auch für die Ausstattung verantwortlich, übersetzt das Changieren des Geschehens zwischen einer Bar im Nowhere des Wildem Westens und einer ebensolchen in einem tristem Plattenbau höchst intelligent. Sie führt die Beteiligten durch überzogene Schminke und Kostüme regelrecht vor, belässt ihnen aber jenen flapsigen Ton, mit dem Stadelmann nah an der Realität bleibt. An der knapp bemessenen Sprache gibt es kein Wort zuviel. Kommissar Udo platzt in eine Vorstadtkneipe, in der die Langeweile Stammgast ist. Florian von Manteuffel hat, so erweckt es den Eindruck, seit Beginn seines Engagements in Wien Kommissare, Polizisten und andere ähnliche Charaktere automatisch gepachtet. Der kleine Tom-Tom, alterslos, durchtrieben und undurchschaubar, hält sich dort mit der Bestatterin Clara und Hans, dem Wirt, auf. Gesprochen wird nicht viel, was auch. Man kennt sich schließlich. Simon Zagermann trägt in seiner Rolle als Tom-Tom eine schwarze Melone und einen Stock und erinnert damit an die Hauptfigur Alexander DeLarge, den Anführer der Jugendbande im Film Clockwork Orange. Clara, gespielt von Johanna Tomek, könnte auch von Fassbinder engagiert worden sein. Ihrer Berufung folgte sie nolens volens, nachdem ihre beabsichtigte Karriere als Kindergärtnerin aufgrund einer zuvor durchzechten Nacht gleich am ersten Tag beendet worden war. Hans, der wortkarge Barkeeper, wir köstlich vom sonst so schlanken Steffen Höld gespielt. Sein Embonpoint, der ihm unter die Trainingsjacke geschoben wurde, erheitert gleich zu Beginn das Stammpublikum. Die junge, naive Nadine (Barbara Horvath) ist dazu ausersehen, den Kommissar zu verführen. Das unliebsame Subjekt, das von außen die Ruhe zu stören scheint, wird auf diese Weise liebevoll neutralisiert.

Tackenförster und Ottenzwerg, von Martin Vischer und Gideon Maoz dargestellt, verkörpern zwei umherstreunende, halb verwahrloste Freunde, die sich vor dem Kommissar, aber vor allem vorm Schlafen fürchten. Nicht zu Unrecht, wie sich noch herausstellen wird. Die beiden Schauspieler brillierten im Duo bereits in Peter Lichts „Das Sausen der Welt“ und sind auch in dieser Inszenierung ein Traumpaar. Unbändig frech und dominierend der eine, ständig rotzig und wunderbar kindisch nachäffend der andere, schließt man sie umgehend ins Herz. Wenn man um die Vorgeschichte weiß, fallen einem die Lacher schwer, die sie permanent auslösen. Geht man unbeleckt in das Stück, entsteht der Kloß im Hals erst zum Schluss.

Subjektives Zeitempfinden und Wünsche en masse

Die Zeit scheint für manche Figuren stillzustehen, sich sogar nach rückwärts zu drehen, wie dies „Udo Sheriff Kommissar“ erfahren muss. Sein zu Beginn so hoffnungsfrohes Eingreifen und seine Aufklärungswut gerinnen im Laufe des Stückes zu einem Lippenbekenntnis. Andere wiederum, wie die beiden Kinder, erleben Zeit als etwas Undurchschaubares, Unkalkulierbares, am Ende Bedrohliches. Träume und Hoffnungen gibt es in diesem Stück viele. So wünscht sich Hans einen „putzigen“ Makaken als Aushilfe in seiner Kneipe, Nadine ein Kind, das ihr schon im Traum erschienen ist und Tom-Tom die Einweihung in das Geschäft von Clara. Das weitere Geschehen oszilliert zwischen Erzähltem und Erlebtem. Die Frage nach der Schuld bleibt unbeantwortet. Wenngleich klar wird: Unschuldige gibt es hier, bis auf die Opfer, keine.

Stadelmann strickt aus ihrem Text ein Gewebe aus Traum und Wirklichkeit, braut ein Amalgam aus Witz und Grauen – wie in den allerbesten Krimis der komischen Gattung. Ihre Metabotschaft kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern reduziert sich auf eine phantastische und allegorische Beschreibung eines elenden Istzustandes unserer Gesellschaft. Die vordergründig federleichte Verpackung des Themas und das Können des gesamten Ensembles machen den Reiz dieses Abends aus.

Im Schlussbild fegt ein Tumbleweed, abermals von einem halbgeflüsterten Chor begleitet, über die Bühne. Das Spiel ist aus. Bis zur nächsten Schreckensmeldung in den Medien.

Urlaub und Untergang

Urlaub und Untergang

Die Nachrichten informieren beinahe täglich über Flüchtlinge, die auf Schlepperbooten Europa erreichen und hier in Auffanglagern auf ihr weiteres Schicksal warten. Oft auch von solchen, für die diese Fahrt eine in den Tod war. Morgens, beim Frühstück, in der Zeitung oder abends am Bildschirm konsumieren wir diese Meldungen, während wir uns in der nächsten Sekunde über familiäre Probleme den Kopf zerbrechen.

Parallelwelten von Flucht und Urlaub

In Anja Hillings neuestem Stück „Sinfonie des sonnigen Tages“, das am Schauspielhaus in Wien uraufgeführt wurde, verbindet die Autorin diese zwei Parallelwelten auf einer Bühne. Das Publikum erlebt dabei im Zeitraffer den letzten Tag und den Tod von Lou, einer vom Krieg und der Flucht gezeichneten Frau. Aber auch die Geschehnisse desselben Tages aus der Sicht von Ricarda und Ralf. Damit sich die Wege der drei Menschen auch physisch kreuzen, lässt Hilling die beiden letztgenannten Eheleute am Mittelmeer in einer Bungalowsiedlung urlauben. Das Meer, für die einen Erholungsraum, wird Lou letztlich zum Verhängnis. Ihr Leichnam, am Strand angeschwemmt, wird am Ende des Stückes die körperliche Versöhnungszeremonie von Ricarda und Ralf stören.

In der Inszenierung von Felicitas Brucker bildet die Komposition von „Mouse on Mars“ jenes auditiv-bedrohliche Gerüst, das die unterschiedlichen Textqualitäten miteinander verbindet. Denn Hillings Werk ist nicht nur von Dialogen und Monologen bestimmt, sondern weist vor allem an seinem Ende massive Prosastellen auf. Durch den Einsatz von Theaternebel verschwimmen dabei die Figuren komplett. Damit visualisiert Brucker jenen Zustand, den man als Geträumten, Gefühlten, als Irrealen bezeichnen könnte. Er markiert aber auch jenes Ende, in dem sich das Leben selbst auflöst und überdeckt die Wortkaskaden, die nur mehr als leere Formeln wahrgenommen werden können.

Charlotte Müller spielt aufwühlend, berührend – kurz herausragend jene Frau, die sich aus ihrer vom Krieg verwüsteten Heimat auf die Flucht begibt. Dabei erlebt sie nicht nur Hunger, Gewalt Grauen und Sterben, sondern auch das Gefühl, am Leben bleiben zu wollen. Zwischen Aufbegehren und Sich-Verabschieden von dieser Welt, die nicht mehr die ihre ist, schwankt, sitzt und liegt sie meist geisterhaft weiß geschminkt auf einem niedrigen Podest. Aber selbst dieses – Sinnbild für all jene Boote, die im Mittelmeer mit Menschen vollgepfropft Richtung europäisches Festland unterwegs sind – bietet ihr keinen Schutz. Während sie Satz um Satz ihr nahes Ende erwartet, spielt sich zwischen dem Urlauberpaar eine veritable Ehekrise ab. Die beiden erfüllen all jene Stereotype, die man mit einem Paar mittleren Alters assoziieren kann. Auseinandergelebt, mit unterschiedlichen Meinungen über ihren Sohn, der von Davis Wilhelm zweimal schemenhaft, aber umso einprägsamer tänzerisch verkörpert wird. Thiemo Strutzenbergers schlechtes Gewissen nach seinem gebeichteten Seitensprung bleibt ihm den Abend über sichtbar ins Gesicht geschrieben. Franziska Hackl kann ihre Wut, Angst und Trauer darüber trotz schärfster verbaler Gegenangriffe aber auch nicht verbergen.

Eine Inszenierung, die in die Vollen greift

Die Musik und die Bühne bilden eine perfekte Einheit. Viva Schudt sorgte dafür, dass die Enge des Ehelebens aber auch die Begrenztheit und das Ende des Lebens von Lou durch metallen wirkende Platten visualisiert werden, die den Raum nach hinten abgrenzen. Die Drehbühne gibt immer wieder die Möglichkeit, zwischen der Isolation auf dem Meer und der Urlaubsidylle am Strand oder den Szenen im Bett zu wechseln. Die „Sinfonie des sonnigen Tages“, ein Stück, in dem sich Hilling auch explizit auf Beethovens 9. Symphonie bezieht, ist ein Dunkles. Eines, das aber ganz und gar nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommt, sondern eines, das die unterschiedlichen Lebensrealitäten miteinander in unaufdringlicher, zarter Art und Weise verknüpft. Es stellt jedoch nicht nur das Geschehen selbst in den Mittelpunkt. Vielmehr ermöglicht es dem Publikum, durch seine sprachliche Komplexität, die musikalische Intervention und die mehr verhüllende als offenbarende Inszenierung, für sich selbst noch jede Menge gedanklichen Freiraum zu finden. Hilling beweist durch ihre fulminante Sprachbeherrschung, dass es möglich ist, auch ein politisch brandaktuelles Thema in eine künstlerische Form zu gießen, die über die derzeit entsetzlichen Anlassfälle hinaus Bestand haben wird.

Das Schauspielhaus in Wien liefert damit eine Inszenierung ab, welche die Latte für diesen wundersamen, hoch artifiziellen, aktuellen und zugleich so berührenden Text sehr hoch legt.

Auf China, auf die Weltherrschaft!

Auf China, auf die Weltherrschaft!

Vorarlberger Theater in Wien

Es tut sich was in der Theaterszene im Ländle – hat man zumindest den Eindruck, wenn man die Gastspiele im Schauspielhaus in Wien bedenkt, die in diesem Jahr eingeladen waren. Der neueste Coup stammt vom Kosmos Theater in Bregenz und trägt den Titel „Das Reich der Mitte“. Geschrieben wurde das Stück vom jungen Autor Max Lang, der dafür 2012 das Dramatikerstipendium der Stadt Wien erhielt.

Ein ungleiches Paar

Darin trifft ein alter, einsamer Tiroler auf einen jungen, nicht minder einsamen Chinesen, der – Ende 20 – seit seinem fünften Lebensjahr in Österreich lebt und in Wien mit seinem Vater eine kleine Trinkausschank betreibt. Beiden ist ihre Familie abhandengekommen. Der alte Tiroler hat seinen Sohn vor dessen endgültiger Ausreise nach China noch einmal treffen wollen, aber dessen Flugzeug verpasst. Der Vater des jungen Barbesitzers, dessen Mutter jung verstarb, liegt siech im Krankenhaus. Der eine, angekommen am Ende seines Lebens, zieht noch einmal Resümée. Der andere wird sich durch diese Begegnung seiner eigenen Lage erst richtig bewusst und beginnt eine neue Lebensplanung.

Günter Baumann und Benedikt Uy im Stück "Reich der Mitte" ( Foto: Gerhard Kresser | Theater KOSMOS )

Günter Baumann und Benedikt Uy im Stück „Reich der Mitte“ (Foto: Gerhard Kresser | Theater KOSMOS)

Das Stück ist über eine sehr lange Strecke als Monolog angelegt. Günter Baumann beeindruckt darin als 70jähriger Mann, der sich seiner Einsamkeit bewusst wird, uneingeschränkt. Er erzählt seinem jungen Gastgeber ungefragt die wichtigsten Stationen in seinem Leben, ohne sich bewusst zu sein, dass sich dieser nach und nach in das Gespräch mit einbringt. Der Text folgt gleichsam einem musikalischen Schema, in dem sich nach der solistischen Einleitung ganz langsam ein Duett entwickelt, das schließlich in einem furiosen Finale gipfelt. Dabei ist es reich an subtilen Zwischentönen und an Momenten, in denen erkennbar wird, dass die beiden Männer viel gemeinsam haben. Das Unausgesprochene in den verschiedenen Familienbeziehungen belastet beide und lässt sie oft zu Schlüssen kommen, an denen sie schwer tragen. Die Versäumnisse der Vergangenheit interpretiert der alte Mann als seine eigene Schuld. Wenngleich er diese nicht bewusst, sondern aufgrund seines Wesens auf sich geladen zu haben scheint. Der Übermacht seines Bruders, der schon verstorben ist, konnte er zeitlebens nicht entkommen. Er leidet unter dem Umstand, keine große Familie gehabt zu haben und nun am Ende seines Lebens nicht auf ein „eigenes kleines Reich“ zurückschauen zu können. Nur die Aussicht, einmal alles vergessen zu haben, bringt ihm am Ende Erleichterung.

Das Verlassen der eigenen Lethargie als Herausforderung

Was dem einen an diesem Abend zur bitteren Lebenserkenntnis wird, gibt dem anderen den Anstoß, sein Leben zu ändern. Benedikt UY, nicht nur Schauspieler, sondern auch Sinologe, schweigt über eine lange Strecke und verharrt in der Attitüde des ruhigen Kellners, der sich in die Angelegenheiten seiner Kunden nicht einmischt. So lange, bis er die Parallelen der beiden Lebenswege erkennt und beginnt, gegen sein eigenes Schicksal zu rebellieren. Der ruhige junge Mann, dessen Gesicht zu Beginn keine Gefühle ausdrückt, wird zunehmend empathischer aber auch selbstbewusster. Das Schicksal, das in Form eines alten, beredten Gastes in sein kleines Lokal eingetreten ist, dieses Schicksal weiß er schließlich anzunehmen.

Max Lang gelingt mit seinem Text eine wunderschöne Parabel auf das Verlorensein in dieser Welt, auf den Wunsch, etwas zu erleben und zu hinterlassen. Aber auch auf das Unvermögen, seine eigenen Gefühle auszudrücken und sich auf sein Gegenüber vollkommen einzulassen. Schuld daran sind einerseits in der Kindheit erlebte Demütigungen. „Die Rollen werden sehr früh verteilt. Man kriegt das nicht mehr los, was man mit 10, 12 Jahren gemacht hat“. Bitter blickt der alte Mann auf seine Schulzeit zurück, in der er vor der Klasse bloßgestellt und gehänselt wurde. Erlebnisse wie diese sind es, die auch im Alter noch den Movens darstellen, es allen „zeigen“ zu wollen. Und so ist er, trotz der Trauer allein gelassen worden zu sein, immens stolz auf seinen Sohn, dem es gelungen ist, das kleine Dorf zu verlassen und in die „neue Weltmacht“ auszuwandern. „Die im Gasthaus haben geschaut!“ Max Lang zeigt aber auch auf, dass es genauso gut auch eigene Schranken sein können, die man sich aufgebaut hat, die einen sein Leben lang einengen. „Mir hat nie jemand gesagt, was ich zu machen habe. Ich wurde zu nichts gezwungen, ich habe alles freiwillig gemacht“ – so blickt der junge Chinese auf sein Leben zurück. Dabei erkennt er aber zugleich, dass das einzige Rollenvorbild, sein Vater, ihm zumindest unbewusst ein Leben diktiert hat, das er eigentlich gar nicht leben will. „Das hier ist ein Un-Ort, ein Siechenhaus. Die Leute wollen einen langsamen Tod, einen Tod durch viele Wiederholungen“, so charakterisiert er seine Arbeitssituation und die Menschen, die in diesem kleinen Lokal ihren letzten Trost im Alkohol suchen.

Trotz aller Schwere die dem Stück anhaftet streut der Autor immer wieder Szenen ein, die deutlich machen, dass der Tragik auch oft eine gehörige Portion Humor gegenübersteht. So in der Aussage „Ich bin in vielen Urlaubsalben drin“ die der alte Mann trifft, während er weiter erläutert, dass die Touristen in Wien seinen Hut immer so interessant finden. Oder die Feststellung „die meisten Chinesen sind in Tirol willkommener als die Wiener“, die Lang noch mit der historischen Tatsache der napoleonischen Besatzung verknüpft.

Das reduzierte Bühnenbild – ein schwarzer Gasthaustisch mit Sesseln, ein Wandbord und eine kleine Ausschank – wird zu Beginn und am Ende lichttechnisch geschickt in Szene gesetzt. Austria meets China, was zum Teil auch in der stimmigen Musik anklingt. Die unaufgeregte Regie von Augustin Jagg, die dafür sorgt, dass bei beiden Männern die inneren Vorgänge sichtbar werden, kommt dem Text sehr zugute. Alles in allem ein sehenswerter, berührender Abend mit einem tollen schauspielerischen Team von einem jungen Autor, dessen Weg man weiter verfolgen sollte.

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