Aus dem Auge des Zyklons

Aus dem Auge des Zyklons

Man muss ganz nahe an die Wände und Vitrinen der Ausstellungsräume des Volkskundemuseums in Wien gehen. Nur so kann man sehen, was auf den kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen ist, die im Auge des Zyklons geschossen wurden. Im Zweiten Weltkrieg an den verschiedenen Fronten des „Deutschen Reiches“.

Privates Fotomaterial aus dem Zweiten Weltkrieg

Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende wird nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für jene, die die Gnade der späten Geburt erleben durften, privates Fotomaterial interessant. Material, das zum größten Teil von Soldaten der Deutschen Wehrmacht bei ihren Fronteinsätzen von ihnen selbst geschossen wurde. Oder von jenen Fotografen, welche die Einsätze begleiteten und von Berufs wegen fotografieren mussten. Von diesen Fotos gab es auch die Möglichkeit, Abzüge zu bestellen, um sich später einmal an die verschiedenen Ereignisse erinnern zu können.

Soldaten fotografieren während des Besuchs von Hitler und Mussolini in Uman/Ukraine am 28. August 1941;
Archiv Reiner Moneth, Norden

Soldaten fotografieren während des Besuchs von Hitler und Mussolini in Uman/Ukraine am 28. August 1941;
Archiv Reiner Moneth, Norden

„Zu Beginn des Krieges wurden sowohl die Soldaten, als auch die Bevölkerung, die zuhause geblieben war, aufgerufen, zu fotografieren und sich gegenseitig diese fotografischen Eindrücke zu schicken.“ Petra Bopp, Kuratorin der Ausstellung, die schon 1995 eine erste Ausstellung über die Wehrmacht erarbeitete, hat die verschiedenen Stationen der Ausstellung begleitet. Bereits in Oldenburg, München, Frankfurt/Main, Jena, Peine, in Delft und in Graz, den Städten, in welchen die Ausstellung bis jetzt zu sehen war, wurde die Bevölkerung aufgerufen, Fotoalben mit Kriegsfotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, als Leihgaben zur Verfügung zu stellen. Diese Alben, aber auch solche aus Museen und Archiven, bilden die Basis der Ausstellung.

Zeitzeugen erzählen Unerwartetes

Mit insgesamt 12 Zeitzeugen, also Männern, die ihre eigenen Alben zur Verfügung stellten, konnte die Ausstellungsmacherin sprechen. Drei Interviews sind im Volkskundemuseum in Videos zu sehen. Dass es dafür viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen bedurfte, ist klar. „Manche Familienangehörigen haben mir gesagt, dass wir Dinge erfahren hätten, wovon sie keine Ahnung hatten. Das kommt daher, dass wir von außen kommen und ganz andere Fragen stellen“, ergänzte Bopp bei der Präsentation der Ausstellung.

Zu sehen sind auf den Bildern nicht nur Landstriche, Kulturdenkmäler und Menschen in ihrer Heimat oder solche auf der Flucht. Zu sehen sind die Soldaten selbst, mit Kameraden. Aber auch Gefallene oder Erhängte „Feinde“ oder „Kollaborateure“. Eine Fotoserie, betitelt mit „Die Minenprobe“ beginnt mit einer Frau, die bei der Durchquerung einer Furt im Wasser zu sehen ist. „Die Geschichte dieses Fotos ist sehr interessant. Es kam mir in einem Album unter, ohne jegliche Beschriftung, und da das Album anonym war, konnte ich es nicht zuordnen. Da aber das Motiv ungewöhnlich ist, habe ich es mir gut gemerkt.“ Als Bopp bei einem Sammler das gleiche Foto noch einmal fand und auf Anhieb wiedererkannte, hatte sie Glück. Gab es dazu doch eine „Legende“. Ein gedrucktes Papier, das Fotos mit Nummern und Titel versehen hatte, um den Soldaten die Möglichkeit der Nachbestellung zu geben. Der Titel wiederum gab Aufschluss über eine Kriegsverordnung, nach der enge Stellen, Flüsse, Brücken und andere Überquerung von Kriegsgefangenen und Juden zuerst über- oder durchquert werden mussten, um sicher zu gehen, dass sich keine Minen darin befanden.

Aufruf und Fotografierverbot

Das Foto kann stellvertretend für viele gelten, denn das Geschehen, von einem erhöhten Standpunkt aus fotografiert, zeigt nur unter Kenntnis des Sachverhaltes das wahre Grauen dahinter. Stand am Anfang noch der Wunsch, auch seitens der Parteiführung, den Krieg fotografisch umfassend zu dokumentieren, wurde es mit Fortschreiten des Krieges den Soldaten verboten, zu fotografieren. Ein Verbot, das aber zu spät kam. Längst hatten die Eingerückten auch jene Gräueltaten auf ihre Filme gebannt, welche die Deutsche Armee bei ihrem Einmarsch und Rückzug in die verschiedenen besetzten Länder auch an der Zivilbevölkerung begangen hatten.

Sowjetische Soldatinnen, vermutlich vor einem Verhör. Sowjetunion, ohne Datierung. Album anonym, Archiv Reiner Moneth, Norden

Sowjetische Soldatinnen, vermutlich vor einem Verhör. Sowjetunion, ohne Datierung. Album anonym, Archiv Reiner Moneth, Norden

Die Titel lassen erahnen, wie die Feindpropaganda bis hin zum letzten Mann wirkte. „Flintenweiber“, so despektierlich ist ein Foto betitelt, das weibliche Soldatinnen der Roten Armee zeigt. Nebeneinander, in Reih und Glied an einer Wand stehend, blicken sie entweder zu Boden oder ernst in die Kamera. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass ihnen eine schwere Zeit bevorstand und weiß nicht, ob sie überlebt haben.

Bopp erzählte auch, dass es Familien gab, durch die ein Riss ging, als sie erfuhren, dass Fotos aus der Vergangenheit eines Familienmitgliedes – meist eines Vaters oder Großvaters – den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Ein Zeichen, wie brisant das Thema bis heute geblieben ist und wie sehr es noch einer umfassenden Aufarbeitung bedarf, um zumindest die Enkel- und Urenkelgeneration nicht nur aufzuklären, sondern letztendlich diese durch die Aufarbeitung des Materials mit der Vergangenheit ihrer Vorfahren auch zu befrieden.

Neben den schon angesprochenen Motiven gibt es in der Ausstellung aber auch Fotos aus einem Lager in Ägypten und einem aus Russland. Raritäten, denn diese Lager durften nicht fotografiert werden. Die Herkunft vieler Bilder ist ungeklärt. Viele Fotoalben von Sammlern und Archiven können ihren einstigen Besitzern nicht mehr zugeordnet werden. „Bei unserem Projekt stehen auch die Fragen im Vordergrund: Wie ging man mit den Alben in den Familien um? Wie ist der heutige Blick auf dieses Material?“, erläuterte die Kuratorin ihren Forschungsansatz. Dieser kann nur dann befriedigend bearbeitet werden, wenn die Bevölkerung dabei mithilft und Fotos bringt. Der Aufruf, Alben aus Familienbesitz zu bringen und zur Verfügung zu stellen, gilt nun auch für Wien. Das Material, das sich die Ausstellungsmacher erhoffen, soll dann in einer Abschlussausstellung Anfang nächsten Jahres diese Sammlung ergänzen.

Die Ausstellung, die eine Kooperation mit „eyes on“, dem Monat der Fotografie Wien ist, ist noch bis 19.2.2017 im Volkskundemuseum zu sehen.

Weitere Informationen auf der Homepage des Volkskundemuseums oder bei „eyes on“.

Kunst-Geschichten aus China mitten in Wien

Kunst-Geschichten aus China mitten in Wien

Wien ist seit wenigen Tagen bis November um eine Attraktion reicher. Ai Weiwei bespielt nicht nur den Garten und das barocke Bassin des Oberen Belvedere sowie den Treppenaufgang der ehemaligen Sommerresidenz von Prinz Eugen. Auch im 21er Haus ist eine im wahrsten Sinn des Wortes raumfüllende Installation von ihm zu sehen. Der chinesische Künstler, der sich in den letzten Jahrzehnten am internationalen Kunsthimmel zu einem Fixstern entwickelte und mit seinem Unternehmen „Fake Studio“ rund um den Globus architektonische Aufträge realisiert, verwirklichte diese erste größere Schau in Österreich in einem Rekordtempo. Innerhalb eines halben Jahres wurde in Zusammenarbeit mit dem Belvedere und dem 21er Haus eine in den öffentlichen Raum übergreifende Ausstellung auf die Beine gestellt, die einen großen künstlerischen Bogen vom Gestern ins Heute spannt.

Ai Weiwei, der von 1981 bis 1993 in New York lebte und dort studierte, wurde in seiner Heimat wegen systemkritischen Verhaltens verfolgt und 2011 ohne Anklage mehrere Monate an einem unbekannten Ort inhaftiert. Danach wurde ihm bis 2015 der Pass entzogen. In dieser Zeit entschloss sich die Berliner Akademie der Künste ihn als Gastprofessor aufzunehmen. Seit Ai Weiwei wieder reisen darf, kommt er dieser Berufung nach. Vertreibung und die damit einhergehenden Erniedrigungen und Repressalien erlitt auch der Vater der Künstlers. Als Kulturfeind wurde dem Schriftsteller Arbeitsverbot auferlegt und er musste mit seiner Familie in die Verbannung in die Mandschurei umsiedeln. Dislozierungen sind ein integraler Bestandteil im Leben von Ai Weiwei und seiner Familie und es ist nicht verwunderlich, dass er sich diesem so schmerzlichen Phänomen in den Werken, die nun erstmals in Wien gezeigt werden, auseinandersetzt.

Ai Weiwei, F Lotus, 2016 © Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien

Ai Weiwei, F Lotus, 2016 ©Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien


Die wohl spektakulärste Installation, die Ai Weiwei einem der brennendsten Themen unserer Tage widmete, nennt sich „F Lotus“. In ihr verwendete er 1005 gebrauchte Rettungswesten, die er in das barocke Bassin des Oberen Belvedere-Gartens montieren ließ. Jeweils fünf Westen sind dabei auf einer schwimmenden Kunststoffunterlage so miteinander verbunden, dass sie eine stilisierte Lotusblüte ergeben. Sie verweisen einerseits direkt auf das derzeitige Drama, das sich im Herzen Europas abspielt. Andererseits transportieren sie die Metapher der Lotusblüte, die für absolute Reinheit steht. Die Gesamtmontage der Schwimmwesten ergibt ein großes, kalligrafisch wiedergegebenes F. Das Zeichen, das der Künstler auch für sein in Peking und Berlin befindliches Unternehmen verwendet. „Fake“ wird im Chinesischen wie das englische Wort „fuck“ ausgesprochen und gibt der Installation zugleich mit anderen Assoziationen wie „freedom“ eine enorme Vielschichtigkeit.

Rund um das Bassin ließ Ai Weiwei 12 Bronzen aufstellen. Sie sind eine persönliche Nachempfindung jener Köpfe, die einst im Garten des kaiserlichen Sommerpalasts Yuanming Yuan in Peking standen. Im 18. Jahrhundert erbaut, waren sie Teil einer Wasseruhr mit Menschenkörpern und Tierköpfen, die als Zeitmesser alle zwei Stunden Wasser spien. Nach der Verwüstung durch französische und britische Truppen und der Plünderung des Areals gelangten die Köpfe auf den internationalen Kunstmarkt. Bis auf fünf Stück befinden sich alle wieder in China. Den „Circle of Animals/Zodiac Heads“ hat Ai Weiwei bewusst auf Totem-ähnliche Pfeiler gestellt, um so die Assoziation der barbarischen Zerstörung dieses Kulturgutes zumindest mitschwingen zu lassen. In Wien mutieren sie gerade zu einer unglaublichen, touristische Attraktion.

Mit vielen, wenn nicht sogar allen seiner Arbeiten gelingt ihm die ideelle Transformierung von altem Kulturgut seiner Heimat in die Jetztzeit. Das Anstoßen zum Nachdenken und Informieren über kulturhistorische sowie gesellschaftliche Inhalte, über Philosophie, Moral und Ideologie ist für ihn Teil seiner Arbeit. „Art is a language of communication“ ist ein Zitat von ihm, mit dem er kurz sein Kunstverständnis beschreibt.

Ai Weiwei, Wang Family Ancestral Hall, 2015 © Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien

Ai Weiwei, Wang Family Ancestral Hall, 2015 ©Ai Weiwei Studio, Foto:©Belvedere, Wien


Die gesamte Schau trägt den Titel „translocation – transformation“ und präsentiert, erstmals außerhalb Chinas, im 21er Haus die „Wang Family Ancestral Hall“. Es ist eine Ahnenhalle aus der Zeit der späten Ming-Dynastie, ein hölzernes Relikt, das aus 1300 Einzelteilen besteht und in die große Ausstellungshalle mittig eingebaut wurde. Die Familie Wang, bedeutende Teehändler, wurde in der Kulturrevolution vertrieben. Das Relikt der Dynastie wurde in schon halb verfallenem Zustand vom Künstler angekauft und durch seine Verpflanzung in einen Raum, welcher der Kunst gewidmet ist, in einen neuen, spannenden Bezug gesetzt. Dass das 21er Haus selbst nach seinem ursprünglichen Gebrauch als Präsentationsgebäude Österreichs während der Weltausstellung 1958 in Brüssel nicht nur abgebaut und an einem neuen Ort wieder aufgebaut wurde, sondern auch einer neuen Bestimmung zugeführt wurde, zieht eine weitere Interpretationsebene in diese Installation ein. Einige bunt eingefärbte, architektonische Elemente unter dem Dach der Ahnenhalle zeigen einen aktuellen künstlerischen Eingriff Ai Weiweis auf. Es sind Teile, die im Original nicht mehr vorhanden waren und erinnern in ihrer Farbgebung, einem grellen Rosarot, Grün und Gelb an jene bunte Fassung antiker Statuen, die erst im 20. Jahrhundert entdeckt wurden. Die bunten Nachbildungen wollen sich einerseits gar nicht harmonisch in die historische Holzsubstanz einfügen, spannen aber andererseits wieder einen großen Bogen ins Heute.

Ai Weiwei, Teahouse, 2009 © Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien Gepresster "Pu-Erh" Tee;

Ai Weiwei, Teahouse, 2009
© Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien
Gepresster „Pu-Erh“ Tee;


Umgeben ist das beinahe 500 Jahre alte architektonische Gebilde von einer aus 2 kleinen Teehäusern bestehenden weiteren Boden-Installation, die auf getrockneten Teeblättern steht. Die Häuser selbst bestehen aus sogenannten Pu-Erh-Teeziegeln und stehen ihrerseits nicht nur in direktem Bezug zur Ahnenhalle der Teehändler, sondern auch zu einem Porzellanteppich vor der Ahnenhalle. Dieser besteht aus 2,5 Tonnen porzellanener Schnäbel von antiken Teekannen. Die weißen bis leicht hellbeigen Bruchstücke erwecken in ihrer Anordnung Assoziationen zu kleinen Knochenteilen. Damit wirkt die Arbeit wie ein subtiler Hinweis, eine Metapher auf das Absterben einer jahrhundertelangen Tradition.

Mit weißen, drachenähnlichen Schwebefiguren im Treppenhaus des Oberen Belvedere verweist Ai Weiwei auf den Shanhaijing, einem „Klassiker der Berge und Meere“, der ältesten überlieferten Sammlung der chinesischen Mythologie. Gefertigt aus Bambusstäben und mit Seide beklebt, erscheinen diese ephemeren Skulpturen wie Geistergestalten aus einer längst vergangenen Zeit, die sich bemüßigt fühlen, die Kunstwerke ihres Schöpfers in Wien schützend zu begleiten. So könnte man sich zumindest eine eigene Assoziationskette zu den gezeigten Arbeiten schaffen.

Ein eigener Blog begleitet die Ausstellung und zeigt interessante Videos, in welchen Ai Weiwei selbst zu Wort kommt. Das umfangreiche Rahmenprogramm ist auf der Homepage des 21er Hauses zu finden.

Wegschauen gilt nicht

Wegschauen gilt nicht

Eine umfangreiche Schenkung ist der Anlass, warum Jim Dine in der Tietze Galerie der Albertina eine Ausstellung eingerichtet wurde. 1935 in Ohio geboren, gehört er zu den Großen der Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert. Und das, weil man ihn der Pop-Art zurechnet, die er eine Zeitlang tatsächlich bediente, zu der er sich selbst aber nicht zählen möchte. Herzen waren es und Werkzeuge wie Sägen oder Hämmer, aber auch sein Bademantel, den er in unzähligen Varianten malte – als Stellvertreter seiner selbst – die ihn bekannt und berühmt machten. Und ihm auch viel Geld einbrachten. Dine, der aus der Happening-Bewegung in die Pop-Art rutschte, wollte zu dieser Zeit tatsächlich auch nichts Anderes, als ein „zeitgenössischer Künstler“ sein, wie er selbst anmerkte. Die leicht fasslichen, bunten Arbeiten, die man von ihm kennt, haben rein gar nichts mit jenem Oeuvre zu tun, das nun Eingang in die Albertina fand.


Insgesamt 230 Selbstportraits von ihm befinden sich nun in Wien, ein ganzes „Archiv“, wie es der Künstler selbst betitelte. 60 davon sind bis 2. Oktober 2016 in der Ausstellung „Jim Dine. I never look away“ zu sehen. Es ist ein Querschnitt, gefertigt in unterschiedlichen Techniken, begonnen von den 50er Jahren bis hin zu einer brandneuen Lithographie, die dem Publikum bis auf wenige Ausnahmen eines zeigen: Das Bild eines ernsten Mannes, der die Betrachtenden stumm anblickt.

Dine, der sich selbst als malender Zeichner tituliert, bedient im Bereich des Selbstportraits einen jahrhundertealten, kunsthistorischen Topos. Begonnen von den ersten Zeichnungen und Gemälden aus der Renaissance, über die Rembrandt´schen Portrait-Ikonen bis herauf zu Künstlern wie Arnulf Rainer, den Dine persönlich kennt und schätzt, erstreckt sich das Feld dieses Genres. Anders als bei der Pop-Art, die sich an Objekten fixiert präsentiert, ist es hier das psychologische Element, das fesselt und fasziniert. Das Arbeiten mit dem Menschen, ganz besonders mit dem eigenen Ich, übt seit Jahrtausenden eine ungebrochene Faszination aus. Sowohl auf die Malenden selbst als auch auf das die Bilder betrachtende Publikum.

Jim Dine "I never look away" (c) European Cultural News

Jim Dine „I never look away“ (c) European Cultural News

Es sind mehrere, relativ einfache Gründe, warum Dine ein so umfangreiches Selbstportrait-Werk schuf. Zum einen ist es praktisch, wenn man sein eigenes Modell ist, zum anderen ist es ihm so möglich, nicht nur eine Außen- sondern auch eine Innenschau bei den Sitzungen zu betreiben. Und nicht zuletzt, was Dine besonders wichtig ist, geht es ihm dabei darum, ständig zu überprüfen, ob er tatsächlich das, was er sieht, zeichnet und malt, oder ob er dabei in Interpretationen abgleitet. Die Techniken, die Dine dabei anwendet, sind vielfältig. Zeichnerische und malerische Gesten gibt es auf Papier und Leinwand, Collagen, Fotografien und sogar Porzellan. Es sind nicht viele künstlerische Medien der bildenden Kunst, die er nicht ausprobierte und zum Teil bis zur höchsten Meisterschaft entwickelte. Davon legt ein in der Ausstellung gezeigter Dreiteiler Zeugnis ab. „Dine mit 80 in Paris“ beherrscht zu Recht eine der zentralen Wände der Show. Auf großformatigen Papieren arbeitete er dort mit Kohle, Schleifmaschine und Schleifpapier, aber auch mit Kaffee und anderen Malmitteln und schuf mit ihnen eine großartige Serie, die den 80jährigen Dine monumental mit weißem Bart erst auf den zweiten Blick in verschiedenen Varianten zeigt, die man jedoch selbst erschauen muss. Es ist schnell klar, dass keines dieser Bilder wie das andere ist, aber erst ein genaueres Studium lässt erkennen, wie unterschiedlich, auch in der Technik, diese Bilder gestaltet sind.

Jim Dine "I never look away" (c) European Cultural News

Jim Dine „I never look away“ (c) European Cultural News

Obwohl es immer derselbe Mann ist, den man beim Abschreiten der Ausstellung erblickt, so sind es doch große formale Unterschiede, die auffallen. Mit oder ohne angedeutetem Hintergrund, nur bis zum Hals oder dann wieder als Brustbild gestaltet, mit Kopfbedeckung, meistens jedoch ohne, mit wenigen, konzentrierten Strichen gebannt, oder mit Farbe überarbeitet – die Bandbreite, in der Dine sich selbst festhält, ist groß. Das, aber auch die Zeitspanne in der die Bilder entstanden, macht die Ausstellung spannend. Waren es in den 50er Jahren noch farbenfrohe Abstrahierungen, die keine Ähnlichkeit mit dem Portraitierten erkennen lassen, sind es im Laufe der Jahre immer stärkere, realistische Abbildungen seiner äußeren Erscheinung, die sich in den Werken niederschlagen. Beinahe unbarmherzig zeigt er in der Lithographie „Ich in Apetlon“, erst in diesem Jahr geschaffen, die Falten auf seiner Stirn mit schwarzer Farbe tief eingegraben. Hart und ungeschönt heben sie sich vom hellen Untergrund des Papiers ab.

Historische Zitate kann man immer wieder finden, auch wenn sie noch gar nicht so alt sind, wie im Falle des Bildes „Alter Reitersmann“ aus dem Jahr 2008. Die rote Gewandung des Oberkörpers, soutanengleich, und der verschwommene, teils geschlossene Blick erinnern an die Papst-Bilder von Francis Bacon, die ja ihrerseits auf Velázquez referieren. Auf zwei Blättern ist Dine singend wiedergegeben: Einmal betitelt mit „Hard song“, ein anderes Mal aber als „singing hard times“ gekennzeichnet. Hier ist es der geöffnete Mund, die Grimasse, die, ganz anders als in den anderen Darstellungen, nicht einen ernsthaften Mann voller innerer Geheimnisse wiedergibt, sondern einen in Aktion. Messerschmidts Skulpturen kommen einem dabei unweigerlich in den Sinn. Sie sind ebenso unbarmherzige Menschen-Zeugnisse wie einige Bilder von Dine, die gänzlich ohne Eitelkeit die eigene verzogene Physiognomie zu Schau stellen.

Das illustrieren auch die beiden in Sèvre gefertigten Vasen, auf denen Dines Konterfei fratzenartig erscheinen. Als Pinocchio mit der langen Nase, so zeigt er sich auf einer dieser Objekte, die Augen mandelförmig gestaltet. Ein runder Kopf mit einer – durch die Lasur noch betonten – polierten Glatze und einem leicht geöffneten Mund mit einer bedrohlichen Zahnreihe, so stellt er sich auf der zweiten Vase selbst dar. Schonungslos und zugleich auch schonungslos selbstironisch. In einer ausgestellten Vierer-Serie schwebt sein Kopf wie ein Ballon am oberen Bildrand und lässt darunter das weiße Blatt sichtbar. Rasch ausgeführte, zeichnerische Gesten, mit welchen die Gesichter mehr verhüllt als geschärft werden, assoziieren eine Arnulf Rainer ähnliche Ästhetik.

Dass Jim Dine diese Arbeiten der Albertina schenkte, zeugt nicht zuletzt auch von seinem guten Gespür für den Wert dieser Werke. Denn obwohl er mit seinen frühen Bildern internationalen Ruhm erlangte, ist er sich der Qualität gerade dieses „Archivs“ mehr als bewusst. Er weiss, dass sich mit diesem Akt ab nun ein großes Konvolut von ihm in einem Haus befindet, in dem die weltweite Crème de la Crème der Zeichenkunst vereint ist. Schon in den 80er Jahren, noch unter der Direktion von Konrad Oberhuber, wurde ihm eine erste Ausstellung hier ausgerichtet. Darüber hinaus sind es österreichische Drucker, mit welchen er gerne immer wieder zusammen arbeitet und auch die Bekanntschaft mit Arnulf Rainer, die ihn an dieses Land binden. Die Aufnahme in die Albertina bedeutet mehr künstlerische Adelung als jede noch so spektakuläre öffentliche Versteigerung mit einem Ergebnis im sechsstelligen Dollarbereich für eine einziges Bild von ihm. Dines Schenkung ist eine großzügige Geste, die aber nicht zuletzt auch dem Schenkenden zugute kommt und ein Werk zusammenhält, das sich der Kunstmarkt wahrscheinlich liebend gerne einverleibt hätte. Eine wohl durchdachte Aktion, die allen Beteiligten, nicht zuletzt auch dem österreichischen Staat, eine Win-Win-Situation ermöglichte.

Ausstellungsinfos auf der Homepage der Albertina.

Heiteres Beruferaten – was macht eine Registrarin oder ein Registrar?

Heiteres Beruferaten – was macht eine Registrarin oder ein Registrar?

In einer Fernsehsendung aus den 60er Jahren, die sich „Was bin ich“ nannte, mussten die Vertreter einer Berufsgruppe eine bestimmte, typische Handbewegung machen. Warum sich Registrarinnen und Registrare damit schwer tun, erfahren Sie in diesem Artikel.

Es gibt Berufe im Museumsbereich, die kennt jeder. An der Spitze steht natürlich die Direktion. Eine Ebene darunter kommen dann die Kuratoren und Kuratorinnen. Dann gibt es noch technisches Personal und Leute in den Sekretariaten. Nicht zu vergessen jene Menschen, die in den Restaurierwerkstätten arbeiten und wieder andere, die für die Katalogproduktion zuständig sind. Marketing muss auch sein, Personalverantwortliche ebenso. In der PR-Abteilung sollten die Kommunikationsgenies sitzen und Wachpersonal ist in den Ausstellungsräumen permanent präsent. Auch Putztrupps sind ein Muss. Staub auf Gemälden und Skulpturen wird zwar von den Restauratorinnen und Restauratoren entfernt, aber auf Böden, Fenstern und Türen macht er sich auch nicht gut. Große Museen arbeiten mit Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittlern zusammen und dürfen sich auch eine eigene Bibliothek mit zugehörigem Personal leisten. Und dann gibt es noch eine Berufsgruppe, die bislang in der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht bekannt ist. Das sind die Registrarinnen und Registrare.

Würde man auf der Straße nach diesem Berufsbild fragen, man würde Staunen auslösen, Unkenntnis ernten oder die Auskunft bekommen, dass diese Damen und Herren wohl in einer Behörde Schriftstücke verwalten würden. Und tatsächlich wird die Berufsbezeichnung auch für jene Personen verwendet, die in einer Registratur für die Akten zuständig sind. Sie geben Acht, dass die richtigen Akten ausgegeben und wieder eingestellt werden, kurz ihre Verwaltung eine Ordnung hat. Im Museum kümmern sich die Registrarinnen und Registrare aber nicht nur um Akten. Die gehören zwar auch dazu, aber im Fokus stehen die Kunstwerke selbst. Neben den Restauratorinnen und Restauratoren sind sie es, die direkt mit den Werken zu tun haben. Dabei deckt ihr Aufgabengebiet eine große Bandbreite von unterschiedlichsten Tätigkeiten ab.

Ganz vorne auf dieser Liste steht der Leihverkehr. Etwas, womit das Publikum so gut wie nie in Berührung kommt. Außer man denkt an die großen, High-Tech-Lkw, die vor und nach einer Ausstellung bei den Museen vorfahren. Ihre Beschriftung lässt meist rückschließen, dass sie hoch sensibles Transportgut geladen haben. Es sind meist Holz- oder Aluminiumkisten, in denen die fragile Fracht steckt. Und bereits für diese Auswahl sind die Registrarinnen und Registrare zuständig. Auch dafür, wie das kostbare Gut darin verpackt wird. In Absprache mit dem Restaurierungsteam sind sie es, die mit den spezialisierten Frächtern kommunizieren und ihnen alles Wissenswertes über die Leihgeber und den Leihnehmer zukommen lassen. Das bedeutet, dass schon lange vor der tatsächlichen Ausstellung mit der Arbeit dafür begonnen werden muss. Stehen die Leihgeber fest, müssen Leihverträge ausgestellt, mit Versicherungen und auch den Speditionen Kontakt aufgenommen werden. Kostenvoranschläge werden eingeholt und verglichen. Und je nach Jobbeschreibung erweitert sich hier der Zuständigkeitsbereich von der kompletten Vorbereitung und Ausstellungsplanung bis hin zum Ausstellungsmanagement. Neben der schon kurz erwähnten Transportabwicklung gehört hier auch die gesamte Kommunikation und Korrespondenz, die Abklärung der Versicherung und der größte Brocken – das Management des Aufstellungsauf- und –abbaus dazu.

 

Kisten beim Ausstellungsaufbau (c) Christiane Rainer

Kisten beim Ausstellungsaufbau (c) Christiane Rainer

Bei wichtigen Leihgaben wird sogar das Museum verlassen und mit den Leihgaben selbst die Reise angetreten. Dann verwandeln sich die Damen und Herren zu sogenannten Kurieren. Sie überwachen dabei den Transport live. Zuerst bei der Abholung, dann wieder bei der Zurückstellung. Das bedeutet in großen Institutionen zugleich auch große und weite Reisen. Flugangst oder Bedenken, mit einem LKW mitzufahren, sollte man in diesem Beruf also nicht haben. Und wer einen nine-to-five-Job sucht, ist hier auch nicht wirklich gut aufgehoben. Denn LKW fahren schon vor 8 und auch nach 17 Uhr und Flugzeuge sind permanent rund um den Globus unterwegs.

Da das Ausstellungsbusiness mittlerweile ein internationales ist, wird selbstverständlich von Fremdsprachenkenntnissen ausgegangen. Englisch Minimum. Spanisch, Italienisch, Französisch, Niederländisch schadet auch nicht. Je mehr, umso besser. Aber mit Englisch, das auch das Fachenglisch einschließt, das in dieser Branche benötigt wird, kommt man schon weit.

Registrarinnen und Registrare müssen über den jeweiligen Aufenthaltsort der Objekte Bescheid wissen. Ob ein Stück gerade im Leihverkehr außer Haus, oder doch im Depot zu finden ist, sollte auf Anfrage innerhalb weniger Augenblicke klar sein. Dass es eigene Zollformalitäten gibt und staatliche Ausfuhrbestimmugen, die eingehalten werden müssen, auch das gehört zum weit gesteckten Wissensgebiet. Man könnte einen Vergleich mit Bibliothekaren von historischen Bibliotheken anstellen, nur dass sich die „registrars“, wie sie im Englischen heißen, nicht um die Verwaltung von Büchern, sondern von Kunstwerken kümmern. Das wesentlich vielfältigere Aufgabengebiet ergibt sich aus der unterschiedlichen Beschaffenheit der Objekte und dem Ausstellungsbetrieb selbst. Denn von klitzekleinen, kaum sichtbaren, bis zu tonnenschweren Schaustücken reicht die Bandbreite in diesem Sektor. So kommt, fragt man bei den zuständigen Damen und Herren nach den Tücken ihres Berufes, auch meist die Antwort, dass man flexibel sein muss, denn keine Ausstellung sei wie die andere. Bei jeder gäbe es neue Herausforderungen zu meistern und – wie es Lisa Ortner-Kreil vom Bank Austria Kunstforum formulierte: „Das Prinzip „Backe, backe Kuchen…wir machen eine Ausstellung“, funktioniert nicht.“ Sie wurde erst vor Kurzem von der Position einer Registrarin in die einer Kuratorin erhoben und spricht aus Erfahrung: „Der Rohstoff, mit dem wir arbeiten, ist der wertvollste der Welt und in diesem Job kann und darf es keinen Autopiloten geben. Es geht auch darum, verantwortungsvolle Entscheidungen „on the spot“ zu treffen; immer in Hinblick auf eine sinnvolle Verschränkung von inhaltlicher Relevanz und ökonomischer Machbarkeit.“

Damit spricht sie einen Punkt an, mit dem auch das Spannungsfeld des Berufes gut umrissen ist. Zwar wird bei jeder Ausstellung versucht, das Optimum an Bedingungen, sowohl beim Transport als auch schließlich im Museum selbst, zu gewährleisten. Es kann aber auch vorkommen, dass sich ein Kunstwerk als zu teuer für das Ausstellungsbudget herausstellt. Das hängt dann meist mit der Verpackung, dem Transport aber auch der Versicherung zusammen. Auch das muss dann an die Ausstellungsverantwortlichen kommuniziert werden.

Je kleiner ein Museum, umso vielfältiger gestaltet sich der Aufgabenbereich. Andrea Domanig von der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste muss verschiedene Agenden bearbeiten. Sie ist Kuratorin, leitet die Digitalisierung der Sammlung und ist nicht zuletzt auch Registrarin. Viel mehr ist eigentlich nicht möglich. Christiane Rainer wiederum arbeitet freiberuflich. Als Selbständige wird sie gerne in Abteilungen gerufen, die eine temporäre Vakanz aufweisen. Aber sie arbeitet auch als eigenständige Ausstellungsmacherin und ist dann in diesem Fall von der Idee über die Planung bis hin zur Ausführung für alles zuständig.

So sehr auf der einen Seite die Vielseitigkeit der Beschäftigung steht, die für die meisten so interessant ist, so sind es auf der anderen Seite die administrativen Aufgaben, die ganz schön ermüdend sein können. Elendslange Listen schreiben, die Klärung von Rechten, Verhandlungen mit Versicherungen, die Pflege der Datenbank, wenn man hunderte ähnliche Objekte zu verwalten hat und sogar unkooperative Leihgeber stehen als richtige Herausforderungen auf der Kehrseite der Medaille. Da leuchtet ein, dass man ein Charakter- und Arbeitsprofil aufweisen sollte, das mit Genauigkeit, Ruhe und Gelassenheit, mit der Fähigkeit strukturiert zu arbeiten und mit Flexibilität aufwarten kann. Ungenauigkeit und Unzuverlässigkeit sind laut Else Prünster aus dem Leopoldmuseum unbrauchbar.

Sie plauderte in der Recherche zu diesem Artikel ein wenig aus der Schule und nannte als tolle Erlebnisse das Kennenlernen von Künstlerinnen und Künstlern genauso wie einst die Aufregungen rund um den geschlossenen Channel nach England oder den wetterbedingten Widrigkeiten während eines Transportes, der rasche Entscheidungen erforderte.

Museum word cloud concept

Museum word cloud concept

Eine Ausbildung gibt es bislang noch nicht. Aber Vereine wie das ARC, das Austrian Registrars Committee, in dem sich viele Registrarinnen und Registrare österreichischer Museen und Sammlungen, aber auch Museen und Transportunternehmen zusammengeschlossen haben, sehen zumindest eine Mitwirkung an einem eigenen Berufsbild als ihr Ziel an. Von Vorteil ist es jedoch, wenn man ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Bereich Archiv-, Bibliotheks-, Informationswissenschaft, Museologie, Archäologie, Kunstwissenschaft oder Kunstgeschichte, oder dem jeweiligen museumsspezifischen Fachgebiet vorweisen kann. Die Aufgabenbereiche können in diesem Beruf je nach Arbeitsstelle sehr differieren.

Das ARC richtet im Juni 2016 in Österreich die European Registrars Conference aus. Eine fachspezifische Veranstaltung, zu der Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt in der Hofburg erwartet werden. Der Austausch mit ihnen steht auf der Wunschliste der Registrarinnen ganz oben. Von andern lernen, sich vernetzen, ist ein wichtiger Punkt, der von allen, die in diesem Beruf arbeiten, angesprochen wird. Wenn Sie diesen Artikel bis hierher aufmerksam gelesen haben, wird es Ihnen nicht entgangen sein, dass plötzlich nur von weiblichen Registrarinnen die Rede ist. Tatsächlich ist es so, dass die Männer in der Minderheit agieren. Und das weltweit. Woran das liegt, darüber mag man spekulieren. Auf alle Fälle ist diesem Umstand sogar ein eigener Tagesordnungspunkt auf der Konferenz gewidmet.

Auch wenn sich vieles glänzend und aufregend anhört, so gibt es doch noch einen Wermutstropfen, der bei dieser Berufsverkostung ein wenig bitter schmeckt: „Das Sozialprestige dieser Funktion ist innerhalb der teils sehr hierarchisch gewachsenen Gefüge von Museen leider immer noch nicht gut. Registrars werden zum Teil als kleines Rädchen gesehen – „füllen eh nur bestehende Verträge aus“, so Christiane Rainer, eine der treibenden Kräfte des ARC. Gefragt, ob Sie diesen Beruf dann jungen Leuten nicht empfehlen würde, relativiert sie: „Davon würde ich mich nicht abschrecken lassen, denn das ist im Wandel begriffen.“ Einen Baustein dazu soll nicht zuletzt auch die Konferenz im Juni dieses Jahres leisten. Sicherlich kommt es bei der Wertschätzung ganz auf die jeweilige Institution an. Else Prünster ist mit ihren Aufgaben im Leopoldmuseum sehr zufrieden. „Wenn man eine Leidenschaft für Kunst hegt, ist dies ein Traumjob“, schwärmt sie von ihrer Arbeit und ergänzt, dass sie ein langfristiges Ziel verfolgt, das sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen uneingeschränkt teilt: „Sammlungsobjekte und Sammlungen für die Zukunft zu erhalten und zu bewahren.“ Von dieser Warte aus gesehen, kann man allen, die in diesem Job arbeiten, gratulieren, denn es gibt wenige Berufe, die mit mehr Sinn aufgeladen sind wie der einer Registrarin oder eines Registrars.

Warum sich diese Damen und Herren schwer tun, eine repräsentative Handbewegung zur Erkennung ihres Berufes zu machen, kann man verstehen. Oder wüßten sie eine?

Weitere Infos und Auskünfte finden Sie auf der Homepage des ARC. Informationen zur internationalen Konferenz gibt`s hier.

Das Heute in die Zukunft denken

Das Heute in die Zukunft denken

„Geschichte willkommen!“ präsentierte am 11. November im Asyl-Raum vor dem Wien Museum seine aktuelle Sammlungsarbeit. 

Dabei ging es Christiane Rainer und Kazuo Kandutsch darum, Objekte zu generieren, die den aktuellen Flüchtlingsstrom illustrieren und die sozialen Umstände für zukünftige Generationen veranschaulichen können.

Was sich vielleicht ungewöhnlich anhört, ist aber ein kluges Vorausdenken. Es gibt mehrere Ebenen, wie Geschichte tradiert wird. Je weiter man vom tatsächlichen Geschehen entfernt ist, umso abstrakter wird auch die Vermittlung desselben. Das persönliche Erfahren steht in der Hierarchie dieser Ebenen ganz oben. An zweiter Stelle steht die mündliche Tradierung, in weiterer Folge dann auch die Dokumentation via Foto oder Video. Dazwischen aber liegt das Objekt selbst. Das, womit sich die Menschen in einer bestimmten Zeit umgaben, was sie in ihren Händen hatten, was sie benötigten, um gewisse Verrichtungen zu erledigen. Hier setzt „Geschichte willkommen!“ mit seinem Projekt an. „Am einfachsten ist unsere Arbeit mit einer historischen Begebenheit zu erklären. Wir wären heute froh, wenn wir in einem österreichischen Museum das Bierglas hätten, aus dem Herr Molotow am Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages getrunken hat.“ Rainer weiß, wie man komplexe Sachverhalte anschaulich erklärt.

Rainer und Kandutsch fuhren für ihr neues Projekt in Flüchtlingslager nach Traiskirchen und Salzburg, aber sie besuchten auch den Westbahnhof und den Grenzübergang Nickelsdorf vor Ungarn. In Salzburg entdeckten sie einen verlassenen Gartenstuhl, auf dem zwei Menschen ihre Unterschriften hinterlassen hatten. In Wien wurde er später zum Anziehungspunkt vieler durchreisender Flüchtlinge, die sich darauf ebenfalls verewigten. In Nickelsdorf fanden die beiden einen zurückgelassenen Kinderwagen. Einen Buggy, in dem zwei Kinder Platz finden. „Dieser war voll mit all dem, was wir hier zeigen“, erläuterte Rainer bei einer kleinen, improvisierten Führung. „Das Interessante dabei ist, dass es sich um Dinge handelt, die den Fluchtweg der Familie, die den Kinderwagen benutzt hat, dokumentieren: Ein Paar Herrenturnschuhe, rosa Kinder-Stoffschuhe, eine Regenpellerine. Eine Dose Babynahrung mit griechischer Aufschrift, bulgarische Feuchttücher, ein serbisches Busticket, wahrscheinlich kroatische Milch, eine ungarische Zigarettenschachtel und Trinkwasser in einem Beutel, abgefüllt ebenfalls in Ungarn, sowie auch ein kleines Flugblatt, auf dem auf Arabisch Werbung für die Zeugen Jehowas gemacht wird. “ Auf die Frage, warum denn der Buggy nicht mitgenommen worden sei, gibt es als Antwort nur Mutmaßungen. Annahmen, die allerdings plausibel klingen. „Als die Busse kamen, wollten die Menschen nichts anderes, als darin einen Platz bekommen. Es herrschte Angst, nicht mitgenommen zu werden und so ein Buggy ist natürlich in so einem Moment Ballast.“


„Was zu kurz gekommen ist, sind eigentlich die Interviews“, erzählte Rainer weiter. Aber es war für diese Arbeit auch nicht unendlich Zeit vorhanden. Dolmetscher halfen bei der Kommunikation in Farsi und Arabisch. „Aber einiges, was auf Band aufgenommen wurde, muss erst übersetzt werden. Von einem Interview, das uns ein Mädchen gab, wissen wir noch nicht viel. Es stammte aus einer syrischen Familie mit vier Kindern.  Zwei davon waren behindert. Der Dolmetscher war emotional so mitgenommen, dass er uns vor Ort gar nicht übersetzen konnte.“

 

Plakate, auf denen erklärt wird, welche Hilfsorganisationen vor Ort sind und dass Trinkwasser aus der Leitung sicher ist, aber auch solche, auf denen der Gebrauch eines WC veranschaulicht wird, gehören auch zur Sammlung.  Namensschilder von Caritas-Helferinnen und -Helfern, auf denen vermerkt ist, in welchen Sprachen sie kommunizieren konnten, sind auch dabei. Einiges allerdings bleibt rätselhaft. So ein Pärchen  asiatischer Porzellanfigürchen, die als Spende abgegeben wurden. „Vielleicht war das gut gemeint, aber was sollten die Flüchtlinge damit anfangen? Leider weiß man nichts über die Motivation jener, die diese Objekte gespendet haben. Nur dass sie in einem Spendenkarton für die Caritas waren.“ Dieses kleine Beispiel zeigt auf, wie wichtig es ist, möglichst viel über die gesammelten Objekte in Erfahrung zu bringen. Dinge können nicht sprechen und so ist es unumgänglich, bei der Inventarisierung nicht nur den Fundort anzugeben, sondern auch alle Informationen, die man darüber hat. Nicht nur woher sie kommen, sondern von wem sie sind, warum sie gebraucht wurden, warum sie liegen gelassen wurden, welche Funktion sie hatten.

Die Präsentation in Wien wurde möglich, da der Asylraum, der vor rund einem Monat vom Wien Museum aufgestellt wurde, ein Angebot an die Zivilgesellschaft ist, sich dort mit Ideen und Aktionen einzubringen. „Geschichte willkommen!“ sind die ersten, die dieses Angebot annahmen. Vielleicht folgen in den nächsten Wochen weitere. Bis Ende Dezember wird der Raum noch stehenbleiben.

Informationen über den Verein „Geschichte willkommen“ auf der Homepage.
Informationen über den Asylraum des Wien Museums hier.

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