Die Liebe ist ein Parasit

Silbrig-blau glitzernde Weihnachts-Lametta-Girlanden überraschen das Publikum schon in den ersten Sekunden der Produktion „Der Herzerlfresser“ von Ferdinand Schmalz. Von der Decke bis zum Boden bilden sie einen Zauberwald oder einen Raum, in dem alle Wünsche erfüllt werden können. In der Regie von Alexander Wiegold verändert sich in Sekundenschnelle auf der Bühne des Akademietheaters braches Sumpfland zu einer konsumorientierten Lebensillusionsmaschine.

Ein Einkaufscenter auf unsicherem Terrain

Rudi acker (schmalz verwendet konsequent die kleinschrift), Bürgermeister einer Gemeinde nahe der Staatsgrenze, hat dafür gesorgt, dass aus einem sumpfigen Brachland ein Wünsch-Dir-Was-Konsumtempel aufragt. Sein ganzes „Herzblut“ hat er in dieses Unternehmen gesteckt und sich in seiner Aufgabe als Politiker so sehr verloren, dass er das Gefühl hat, weder gelebt noch je geliebt zu haben. Als kurz vor der Eröffnung des Centers, das bereits erste Risse aufweist, zwei junge Frauen in unmittelbarer Nähe ermordet aufgefunden werden, muss er das Problem „global und nicht nur regional“ angehen.

Irina Sulaver (fauna florentina), Merlin Sandmeyer (gangsterer andi), Peter Knaack (fußpflege irene) (c) Marcella Ruiz Cruz

Irina Sulaver (fauna florentina), Merlin Sandmeyer (gangsterer andi), Peter Knaack (fußpflege irene) (c) Marcella Ruiz Cruz

Der gangsterer andi, seines Zeichens neu eingestellter Security-Mann auf dem Einkaufsgelände, hat Mühe, bei seiner Freundin fauna florentina zu landen. Andächtig hört er ihren erdverbunden Liebesallegorien zu. Angefangen vom sozialen Verhalten der Bonobonos und den Eintagsfliegen, bis hin zu jener Mückenart, die sich in Käfern einnistet, damit ihre Brut diese von innen auffressen kann, erzählt das Mädchen über das amouröse Verhalten im Tierreich. „Die Liebe ist halt ein Parasit“, hält der junge Mann seiner Angebeteten etwas hilflos entgegen. Trotz seines Knüppels an der Hüfte macht er sich vor Angst fast in die Hose, wenn er nach dem Rechten schauen muss. Was florentine noch nicht weiß ist, dass er, vom Bürgermeister erpresst, die „herzlosen“ Frauenleichen im Sumpf entsorgen muss, um danach, als „Herzerlfresser-Köder“ im gelben Partyfummel den Mörder anzulocken.

Aus der fußpflege wird eine beherzte fußpflegerin

Von gänzlich anderem Holz ist die „fußpflege“ irene, man beachte das Neutrum, das Schmalz ihr auf den Leib schrieb. Sie liest den Leuten ihr Schicksal – wie könnte es anders sein – aus den Füßen. Mit florentina befreundet, enthüllt sie ihr, dass rudi ihr Angebeteter ist, den sie unbedingt zu erobern gedenkt. Irene, die in ihrem früheren Leben rené hieß, ist genauso wenig wie alle anderen vor den Unbillen der Liebe gefeit, hat aber einen wesentlich pragmatischeren Umgang damit.

Irina Sulaver (fauna florentina), Sebastian Wendelin (pfeil herbert), Peter Knaack (fußpflege irene), Merlin Sandmeyer (gangsterer andi), Johann Adam Oest (acker rudi) (c) Marcella Ruiz Cruz

Irina Sulaver (fauna florentina), Sebastian Wendelin (pfeil herbert), Peter Knaack (fußpflege irene), Merlin Sandmeyer (gangsterer andi), Johann Adam Oest (acker rudi) (c) Marcella Ruiz Cruz

Neben all diesen Charakteren, die rasch hintereinander vorgeführt werden, gibt es auch einen weiteren Mann, der lange Zeit nur im Hintergrund schemenhaft zu erkennen ist. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, graue, gelackte Haare und eine überdimensionierte Brille weisen ihn eher als einen Computer-Nerd aus denn als einen Fleischer. Es wird sich herausstellen, dass es sich um jenen „Herzerlfresser“ handelt, der den Autor zu diesem Drama inspirierte.

Der Massenmörder Paul Reininger

Schmalz stieß bei der Recherche zu Kriminalfällen in der Obersteiermark auf Paul Reininger aus dem Mürztal. Dieser ermordete im 17. Jahrhundert insgesamt sechs Frauen. Von zwei von ihnen aß er in einem okkulten Wahn einen Teil der Herzen auf. In der Bühnenfassung wird Reininger zu herbert pfeil, einem Außenseiter, der in der Gegend, in der das Stück spielt, unbekannt ist. Erst als er mit dem Bürgermeister direkt Kontakt aufnimmt und sich zu den Feiernden bei der Eröffnung des „zenters“ gesellt, wird der Mann auch charakterlich ein wenig greifbarer. Seine Kommunikationsschwäche und sein Zwang, junge Frauen zu schlachten, erklärt er in einem langen Monolog. Darin bringt er seine Unfähigkeit, seine Gefühle mitzuteilen, auf den Punkt: „Wir könnten glücklich sein, wenn wir eine Sprache hätten, die Liebe zu teilen.“

Peter Knaack (fußpflege irene), Sebastian Wendelin (pfeil herbert) (c) Marcella Ruiz Cruz

Peter Knaack (fußpflege irene), Sebastian Wendelin (pfeil herbert) (c) Marcella Ruiz Cruz

Der Autor erzählt diese Geschichte teilweise in einem Sprachduktus, der den Klassikern des 18. Jahrhunderts zur Freude gereichen würde. Dabei wechselt er aber auch immer wieder in eine höchst einfache Alltagssprache oder kippt im Gegenteil in ein kunstvolles Sprachgeflecht. In diesem ackert er sich durch die Wortfelder mit dem Zentralwort „Herz“, wobei jede seiner Figuren sich auf seine herz-lichen Sprachkaskaden mindestens in einem Monolog einlassen darf.

Die Regie erlaubt wenig Emotion

Die Regie von Alexander Wiegold lässt den gesamten Abend über – trotz der Dramatik des Geschehens – keine großen Gefühle aufkommen. Oder besser gesagt: Es gelingt ihm, die blutrünstigen Taten durch die Überzeichnung der Figuren und durch gekonnte, humorvolle, schauspielerische Einsätze, konsumierbar zu machen. Schmalz verwendet an vielen Stellen, trotz aller Körper- und Seelenpein, viele höchst erheiternde Dialoge, welche die Inszenierung permanent zwischen Tragödie und Komödie pendeln lässt. Die Bedeutung eines lebendigen Schäferhundes, der die Bühne gleich zwei Mal überqueren darf, bleibt rätselhaft, bringt jedoch ein Stück Natur „fast zum Angreifen“ in den sonst höchst artifiziellen Raum. (Katrin Brack)

Seltsam artifiziell ist auch das Spiel von Irina Sulaver angelegt, zumal sie als naturverbundene florentina als einzige den Konsumwahn hinterfragt. Nur als rudi und irene bedeutungsschwangere Liebesblicke austauschen und dabei beinahe sprachlos agieren, ist für kurze Zeit tatsächlich so etwas wie Herzenswärme zu spüren. Einmalig, wie Johann Adam Oest seinen Bürgermeister mit einer nicht enden wollenden Larmoyanz und viel Selbstmitleid ausstattet. Lachmuskelfordernd agiert Peter Knaack als irene. Schon wenige Augenblicke nach seinem ersten Auftritt in dieser Transvestie-Rolle hat er das Publikum auf seiner Seite.

Merlin Sandmeyer darf als gagsterer andi in jeder Szene sein komödiantisches Können unter Beweis stellen. Egal ob als Security oder in High Heels und gelbem Rüschenkleid, patschert ist der richtige, wienerische Ausdruck für sein Gehabe. Sebastian Wendelin mimt einen wendigen, wenngleich paranoiden „Herzerlfresser“, der seinen Opfern emotional nicht zu nahe kommen will, um seine Mission nicht zu gefährden. Das Ende des Stückes gleicht einem unerwarteten Showdown mit ebensolchem Ausgang.

Peter Knaack (fußpflege irene), Johann Adam Oest (acker rudi), Sebastian Wendelin (pfeil herbert) (c) Marcella Ruiz Cruz

Peter Knaack (fußpflege irene), Johann Adam Oest (acker rudi), Sebastian Wendelin (pfeil herbert) (c) Marcella Ruiz Cruz

Schmalz peppt das tragische Geschehen der Tötungsdelikte des historischen Herzerlfressers mit subkutaner, zeitgeistiger Gesellschaftskritik auf. Dabei bleibt er seiner dramatischen Linie treu. In dieser zeigt er, wie schon „Am Beispiel der Butter“ und „Dosenfleisch“ alltägliche, zwischenmenschliche Beziehungen, die er mit einem gehörigen Schuss Kapitalismuskritik vermengt. Hinzu kommt Schmalz`ens unverkennbarer Sprachduktus, der sich zeitweise kunstvoll mäandernd seinen Weg in die Zuschauerherzen bahnt. Wiedererkennungswert seines dramatischen Schaffens: extrem hoch.

Ein Abend, bei dem glücklicherweise der Schauer des Grauens der Macht des Humors unterliegt.

Weiteren Informationen auf der Homepage des Burgtheater.

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