Das Heute in die Zukunft denken

„Geschichte willkommen!“ präsentierte am 11. November im Asyl-Raum vor dem Wien Museum seine aktuelle Sammlungsarbeit. 

Dabei ging es Christiane Rainer und Kazuo Kandutsch darum, Objekte zu generieren, die den aktuellen Flüchtlingsstrom illustrieren und die sozialen Umstände für zukünftige Generationen veranschaulichen können.

Was sich vielleicht ungewöhnlich anhört, ist aber ein kluges Vorausdenken. Es gibt mehrere Ebenen, wie Geschichte tradiert wird. Je weiter man vom tatsächlichen Geschehen entfernt ist, umso abstrakter wird auch die Vermittlung desselben. Das persönliche Erfahren steht in der Hierarchie dieser Ebenen ganz oben. An zweiter Stelle steht die mündliche Tradierung, in weiterer Folge dann auch die Dokumentation via Foto oder Video. Dazwischen aber liegt das Objekt selbst. Das, womit sich die Menschen in einer bestimmten Zeit umgaben, was sie in ihren Händen hatten, was sie benötigten, um gewisse Verrichtungen zu erledigen. Hier setzt „Geschichte willkommen!“ mit seinem Projekt an. „Am einfachsten ist unsere Arbeit mit einer historischen Begebenheit zu erklären. Wir wären heute froh, wenn wir in einem österreichischen Museum das Bierglas hätten, aus dem Herr Molotow am Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages getrunken hat.“ Rainer weiß, wie man komplexe Sachverhalte anschaulich erklärt.

Rainer und Kandutsch fuhren für ihr neues Projekt in Flüchtlingslager nach Traiskirchen und Salzburg, aber sie besuchten auch den Westbahnhof und den Grenzübergang Nickelsdorf vor Ungarn. In Salzburg entdeckten sie einen verlassenen Gartenstuhl, auf dem zwei Menschen ihre Unterschriften hinterlassen hatten. In Wien wurde er später zum Anziehungspunkt vieler durchreisender Flüchtlinge, die sich darauf ebenfalls verewigten. In Nickelsdorf fanden die beiden einen zurückgelassenen Kinderwagen. Einen Buggy, in dem zwei Kinder Platz finden. „Dieser war voll mit all dem, was wir hier zeigen“, erläuterte Rainer bei einer kleinen, improvisierten Führung. „Das Interessante dabei ist, dass es sich um Dinge handelt, die den Fluchtweg der Familie, die den Kinderwagen benutzt hat, dokumentieren: Ein Paar Herrenturnschuhe, rosa Kinder-Stoffschuhe, eine Regenpellerine. Eine Dose Babynahrung mit griechischer Aufschrift, bulgarische Feuchttücher, ein serbisches Busticket, wahrscheinlich kroatische Milch, eine ungarische Zigarettenschachtel und Trinkwasser in einem Beutel, abgefüllt ebenfalls in Ungarn, sowie auch ein kleines Flugblatt, auf dem auf Arabisch Werbung für die Zeugen Jehowas gemacht wird. “ Auf die Frage, warum denn der Buggy nicht mitgenommen worden sei, gibt es als Antwort nur Mutmaßungen. Annahmen, die allerdings plausibel klingen. „Als die Busse kamen, wollten die Menschen nichts anderes, als darin einen Platz bekommen. Es herrschte Angst, nicht mitgenommen zu werden und so ein Buggy ist natürlich in so einem Moment Ballast.“


„Was zu kurz gekommen ist, sind eigentlich die Interviews“, erzählte Rainer weiter. Aber es war für diese Arbeit auch nicht unendlich Zeit vorhanden. Dolmetscher halfen bei der Kommunikation in Farsi und Arabisch. „Aber einiges, was auf Band aufgenommen wurde, muss erst übersetzt werden. Von einem Interview, das uns ein Mädchen gab, wissen wir noch nicht viel. Es stammte aus einer syrischen Familie mit vier Kindern.  Zwei davon waren behindert. Der Dolmetscher war emotional so mitgenommen, dass er uns vor Ort gar nicht übersetzen konnte.“

 

Plakate, auf denen erklärt wird, welche Hilfsorganisationen vor Ort sind und dass Trinkwasser aus der Leitung sicher ist, aber auch solche, auf denen der Gebrauch eines WC veranschaulicht wird, gehören auch zur Sammlung.  Namensschilder von Caritas-Helferinnen und -Helfern, auf denen vermerkt ist, in welchen Sprachen sie kommunizieren konnten, sind auch dabei. Einiges allerdings bleibt rätselhaft. So ein Pärchen  asiatischer Porzellanfigürchen, die als Spende abgegeben wurden. „Vielleicht war das gut gemeint, aber was sollten die Flüchtlinge damit anfangen? Leider weiß man nichts über die Motivation jener, die diese Objekte gespendet haben. Nur dass sie in einem Spendenkarton für die Caritas waren.“ Dieses kleine Beispiel zeigt auf, wie wichtig es ist, möglichst viel über die gesammelten Objekte in Erfahrung zu bringen. Dinge können nicht sprechen und so ist es unumgänglich, bei der Inventarisierung nicht nur den Fundort anzugeben, sondern auch alle Informationen, die man darüber hat. Nicht nur woher sie kommen, sondern von wem sie sind, warum sie gebraucht wurden, warum sie liegen gelassen wurden, welche Funktion sie hatten.

Die Präsentation in Wien wurde möglich, da der Asylraum, der vor rund einem Monat vom Wien Museum aufgestellt wurde, ein Angebot an die Zivilgesellschaft ist, sich dort mit Ideen und Aktionen einzubringen. „Geschichte willkommen!“ sind die ersten, die dieses Angebot annahmen. Vielleicht folgen in den nächsten Wochen weitere. Bis Ende Dezember wird der Raum noch stehenbleiben.

Informationen über den Verein „Geschichte willkommen“ auf der Homepage.
Informationen über den Asylraum des Wien Museums hier.

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