Wegschauen gilt nicht

Eine umfangreiche Schenkung ist der Anlass, warum Jim Dine in der Tietze Galerie der Albertina eine Ausstellung eingerichtet wurde. 1935 in Ohio geboren, gehört er zu den Großen der Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert. Und das, weil man ihn der Pop-Art zurechnet, die er eine Zeitlang tatsächlich bediente, zu der er sich selbst aber nicht zählen möchte. Herzen waren es und Werkzeuge wie Sägen oder Hämmer, aber auch sein Bademantel, den er in unzähligen Varianten malte – als Stellvertreter seiner selbst – die ihn bekannt und berühmt machten. Und ihm auch viel Geld einbrachten. Dine, der aus der Happening-Bewegung in die Pop-Art rutschte, wollte zu dieser Zeit tatsächlich auch nichts Anderes, als ein „zeitgenössischer Künstler“ sein, wie er selbst anmerkte. Die leicht fasslichen, bunten Arbeiten, die man von ihm kennt, haben rein gar nichts mit jenem Oeuvre zu tun, das nun Eingang in die Albertina fand.


Insgesamt 230 Selbstportraits von ihm befinden sich nun in Wien, ein ganzes „Archiv“, wie es der Künstler selbst betitelte. 60 davon sind bis 2. Oktober 2016 in der Ausstellung „Jim Dine. I never look away“ zu sehen. Es ist ein Querschnitt, gefertigt in unterschiedlichen Techniken, begonnen von den 50er Jahren bis hin zu einer brandneuen Lithographie, die dem Publikum bis auf wenige Ausnahmen eines zeigen: Das Bild eines ernsten Mannes, der die Betrachtenden stumm anblickt.

Dine, der sich selbst als malender Zeichner tituliert, bedient im Bereich des Selbstportraits einen jahrhundertealten, kunsthistorischen Topos. Begonnen von den ersten Zeichnungen und Gemälden aus der Renaissance, über die Rembrandt´schen Portrait-Ikonen bis herauf zu Künstlern wie Arnulf Rainer, den Dine persönlich kennt und schätzt, erstreckt sich das Feld dieses Genres. Anders als bei der Pop-Art, die sich an Objekten fixiert präsentiert, ist es hier das psychologische Element, das fesselt und fasziniert. Das Arbeiten mit dem Menschen, ganz besonders mit dem eigenen Ich, übt seit Jahrtausenden eine ungebrochene Faszination aus. Sowohl auf die Malenden selbst als auch auf das die Bilder betrachtende Publikum.

Jim Dine "I never look away" (c) European Cultural News

Jim Dine „I never look away“ (c) European Cultural News

Es sind mehrere, relativ einfache Gründe, warum Dine ein so umfangreiches Selbstportrait-Werk schuf. Zum einen ist es praktisch, wenn man sein eigenes Modell ist, zum anderen ist es ihm so möglich, nicht nur eine Außen- sondern auch eine Innenschau bei den Sitzungen zu betreiben. Und nicht zuletzt, was Dine besonders wichtig ist, geht es ihm dabei darum, ständig zu überprüfen, ob er tatsächlich das, was er sieht, zeichnet und malt, oder ob er dabei in Interpretationen abgleitet. Die Techniken, die Dine dabei anwendet, sind vielfältig. Zeichnerische und malerische Gesten gibt es auf Papier und Leinwand, Collagen, Fotografien und sogar Porzellan. Es sind nicht viele künstlerische Medien der bildenden Kunst, die er nicht ausprobierte und zum Teil bis zur höchsten Meisterschaft entwickelte. Davon legt ein in der Ausstellung gezeigter Dreiteiler Zeugnis ab. „Dine mit 80 in Paris“ beherrscht zu Recht eine der zentralen Wände der Show. Auf großformatigen Papieren arbeitete er dort mit Kohle, Schleifmaschine und Schleifpapier, aber auch mit Kaffee und anderen Malmitteln und schuf mit ihnen eine großartige Serie, die den 80jährigen Dine monumental mit weißem Bart erst auf den zweiten Blick in verschiedenen Varianten zeigt, die man jedoch selbst erschauen muss. Es ist schnell klar, dass keines dieser Bilder wie das andere ist, aber erst ein genaueres Studium lässt erkennen, wie unterschiedlich, auch in der Technik, diese Bilder gestaltet sind.

Jim Dine "I never look away" (c) European Cultural News

Jim Dine „I never look away“ (c) European Cultural News

Obwohl es immer derselbe Mann ist, den man beim Abschreiten der Ausstellung erblickt, so sind es doch große formale Unterschiede, die auffallen. Mit oder ohne angedeutetem Hintergrund, nur bis zum Hals oder dann wieder als Brustbild gestaltet, mit Kopfbedeckung, meistens jedoch ohne, mit wenigen, konzentrierten Strichen gebannt, oder mit Farbe überarbeitet – die Bandbreite, in der Dine sich selbst festhält, ist groß. Das, aber auch die Zeitspanne in der die Bilder entstanden, macht die Ausstellung spannend. Waren es in den 50er Jahren noch farbenfrohe Abstrahierungen, die keine Ähnlichkeit mit dem Portraitierten erkennen lassen, sind es im Laufe der Jahre immer stärkere, realistische Abbildungen seiner äußeren Erscheinung, die sich in den Werken niederschlagen. Beinahe unbarmherzig zeigt er in der Lithographie „Ich in Apetlon“, erst in diesem Jahr geschaffen, die Falten auf seiner Stirn mit schwarzer Farbe tief eingegraben. Hart und ungeschönt heben sie sich vom hellen Untergrund des Papiers ab.

Historische Zitate kann man immer wieder finden, auch wenn sie noch gar nicht so alt sind, wie im Falle des Bildes „Alter Reitersmann“ aus dem Jahr 2008. Die rote Gewandung des Oberkörpers, soutanengleich, und der verschwommene, teils geschlossene Blick erinnern an die Papst-Bilder von Francis Bacon, die ja ihrerseits auf Velázquez referieren. Auf zwei Blättern ist Dine singend wiedergegeben: Einmal betitelt mit „Hard song“, ein anderes Mal aber als „singing hard times“ gekennzeichnet. Hier ist es der geöffnete Mund, die Grimasse, die, ganz anders als in den anderen Darstellungen, nicht einen ernsthaften Mann voller innerer Geheimnisse wiedergibt, sondern einen in Aktion. Messerschmidts Skulpturen kommen einem dabei unweigerlich in den Sinn. Sie sind ebenso unbarmherzige Menschen-Zeugnisse wie einige Bilder von Dine, die gänzlich ohne Eitelkeit die eigene verzogene Physiognomie zu Schau stellen.

Das illustrieren auch die beiden in Sèvre gefertigten Vasen, auf denen Dines Konterfei fratzenartig erscheinen. Als Pinocchio mit der langen Nase, so zeigt er sich auf einer dieser Objekte, die Augen mandelförmig gestaltet. Ein runder Kopf mit einer – durch die Lasur noch betonten – polierten Glatze und einem leicht geöffneten Mund mit einer bedrohlichen Zahnreihe, so stellt er sich auf der zweiten Vase selbst dar. Schonungslos und zugleich auch schonungslos selbstironisch. In einer ausgestellten Vierer-Serie schwebt sein Kopf wie ein Ballon am oberen Bildrand und lässt darunter das weiße Blatt sichtbar. Rasch ausgeführte, zeichnerische Gesten, mit welchen die Gesichter mehr verhüllt als geschärft werden, assoziieren eine Arnulf Rainer ähnliche Ästhetik.

Dass Jim Dine diese Arbeiten der Albertina schenkte, zeugt nicht zuletzt auch von seinem guten Gespür für den Wert dieser Werke. Denn obwohl er mit seinen frühen Bildern internationalen Ruhm erlangte, ist er sich der Qualität gerade dieses „Archivs“ mehr als bewusst. Er weiss, dass sich mit diesem Akt ab nun ein großes Konvolut von ihm in einem Haus befindet, in dem die weltweite Crème de la Crème der Zeichenkunst vereint ist. Schon in den 80er Jahren, noch unter der Direktion von Konrad Oberhuber, wurde ihm eine erste Ausstellung hier ausgerichtet. Darüber hinaus sind es österreichische Drucker, mit welchen er gerne immer wieder zusammen arbeitet und auch die Bekanntschaft mit Arnulf Rainer, die ihn an dieses Land binden. Die Aufnahme in die Albertina bedeutet mehr künstlerische Adelung als jede noch so spektakuläre öffentliche Versteigerung mit einem Ergebnis im sechsstelligen Dollarbereich für eine einziges Bild von ihm. Dines Schenkung ist eine großzügige Geste, die aber nicht zuletzt auch dem Schenkenden zugute kommt und ein Werk zusammenhält, das sich der Kunstmarkt wahrscheinlich liebend gerne einverleibt hätte. Eine wohl durchdachte Aktion, die allen Beteiligten, nicht zuletzt auch dem österreichischen Staat, eine Win-Win-Situation ermöglichte.

Ausstellungsinfos auf der Homepage der Albertina.

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