Sprache trifft auf Kunst

Sprache trifft auf Kunst

Sprache trifft auf Kunst

Von Michaela Preiner

Ferdinand Kriwet (Foto: European Cultural News)

20.

September 2017

Curated by_vienna widmet sich in einer kohärenten, galerienübergreifenden Schau dem Thema Bild und Sprache

Für gewöhnlich kann man sie mit einsamen Wanderern und Spaziergängerinnen im Wald vergleichen. Erpicht darauf, dass möglichst wenige sie bei ihrem Streifzug durch das Gehölz stören. Denn eigentlich sind sie dabei auf der Suche nach herausragenden Pilzen, die sie sich von niemandem anderen wegnehmen lassen möchten und auch mit niemandem anderen teilen wollen.

Gemeint ist mit diesem – zugegeben etwas botanischen Vergleich – die Spezies der Galeristinnen und Galeristen, die ganz im Eigeninteresse darauf aus ist, ihre Künstlerinnen und Künstler zumindest regional oder national an sich zu binden. Daraus folgt, dass es, abgesehen bis auf Auftritte mit Tuchfühlung bei Messen, relativ wenig Berührungspunkte untereinander gibt. Die Wiener Wirtschaftsagentur versucht einmal im Jahr die Marschrichtung durch den Wald vorzugeben und begleitet die Wiener Galerienszene dabei auf ihrem gemeinsamen Ausflug. Dabei lanciert sie jeweils ein bestimmtes Motto. „image / reads / text“ lautet das diesjährige, das von insgesamt 21 Galerien aufgenommen wurde. Die Ausstellungen wurden allesamt von Kuratoren und Kuratorinnen gestaltet, die von den Galerien selbst bestimmt wurden.

Für das kunstinteressierte Publikum ist das Format dieses Jahr besonders interessant. Denn kaum ein Thema zuvor wurde so stringent von den Beteiligten aufgegriffen und bietet zugleich eine so enorme Variabilität. Die Untersuchungen der Bedeutung von Sprache in der zeitgenössischen Kunst erzeugen einen großen Bogen von unterschiedlichsten Formaten. Film, Video, Installationen, Performances, klassische Malerei und Grafik sind dabei vertreten. Es gibt keinen Bereich der bildenden Kunst, der nicht präsentiert wird.

Bei einem ersten Rundgang durch sechs Galerien fiel auf, dass die große, thematische Klammer samt und sonders eingehalten wurde.

Uri Arans Kosmos in der Galerie König

In der Galerie Christine König präsentiert Moritz Wesseler, Direktor des Kölner Kunstvereins, den 1977 in Jerusalem geborenen Künstler Uri Aran. Zeichen, Symbole, Wörter, Gesten und Bilder setzt er in neue Sinnzusammenhänge und erfindet dabei noch eine eigene Sprache. In Bronze gegossene, kleine, unterschiedliche Lettern ergänzen Bilder und Videos, so, als ob sie einen allgemein verständlichen Subtext bilden würden, was aber nicht der Fall ist. Ob Buchstaben oder Noten, ob Morsecode oder Alphabet – den Betrachtenden bleibt die Interpretation selbst überlassen. Der in New York lebende Künstler schuf auch einen eigenen Zyklus für die Ausstellung in Wien, den Christine König als Werk „zwischen der Jetztzeit und Böckl“ einordnet. Die Einzelschau zeigt ein höchst vielfältiges Werk, das von grafischen und filmischen Arbeiten bis hin zu skulpturalen und Fotografien so ziemlich alles einschließt, was die zeitgenössische Kunstproduktion derzeit anbietet.

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Uri Aran in der Galerie König (Foto: European Cultural News)

Bei Senn wird`s intellektuell

Gabriele Senn zeigt eine schöne und intelligente Arbeit von Michael Riedel, kuratiert von Sabine Schaschl. In „one and three chairs (Wien)“ bezieht sich Riedel auf die gleichnamige Arbeit von Joseph Kosuth – einem der Großmeister, wenn es um den Einsatz von Sprache in der bildenden Kunst geht. In der Ausstellung, die bereits mehrere Stationen hinter sich hat, verweist der Künstler auf die erste konzeptuelle Arbeit von Kosuth, ohne diese jedoch zu kopieren. Die Erweiterung von Kosuths Werk geschieht durch die Einbeziehung von eingeladenen Personen, die bei einem Talk über Kosuths und Riedels Werk sprechen. Das aufgezeichnete Gespräch wird anschließend transkribiert und auf eine Säule, die im Raum dafür extra aufgebaut wurde, grafisch aufgebracht.

Die Erweiterung von Kosuths statischer Installation durch zusätzliche Interaktionen und der damit hervorgebrachten sprachlichen Ausbildung, ist ein schönes Beispiel für den postmodernen Zugang zu einem bereits als museal anerkannten Kunstwerk. Da es Kuratorinnen und Kuratoren sind, die über die Arbeit sprechen, fügt Riedel auch den Aspekt des Kunstbetriebes per se in sein Werk ein und erweitert dadurch die Hinterfragung der verschiedenen Erscheinungsformen und der sprachlichen Umsetzung eines Objektes durch gesellschaftsrelevante Bezüge.

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Michael Riedl (Fotos: European Cultural News)

Michael Riedel

Ferdinand Kriwet eine DER Entdeckungen – bei Kargl

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Ferdinand Kriwet (Fotos: European Cultural News)

Johann Rausch

Johann Rausch (Fotos: European Cultural News)

Eine One-man-Show zeigt auch Georg Kargl Fine Arts. Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle Düsseldorf, macht dabei auf den deutschen Künstler Ferdinand Kriwet (*1942) aufmerksam. Es ist eine breit angelegte Personale, die verschiedene Zyklen quer durch die Schaffensjahrzehnte von Kriwet zeigt. Im Eingangsfenster der Galerie flimmert Kriwets Videoarbeit „Nixon“, die er in einem Studio in New York erarbeitete. Dafür hatte er 20 Fernseher aufgebaut, deren darauf flimmernde Dokumentatione er filmte und zu einem Endlosband zusammenschnitt. Kriwet schuf dabei Pionierarbeit auf dem Gebiet der visuellen Medienkritik, die heute, angesichts der Digitalisierung, kaum mehr vorstellbar ist.

Bereits mit 18 Jahren kam der Künstler, der zahlreiche Hörspiele verfasste, mit „Rotor“ zu Ruhm. Einem Roman ohne Handlung, ohne Ende und Anfang, der 1961 im Dumont Schauberg-Verlag herausgegeben wurde. Nach seinem schriftstellerischen Einstand arbeitete Kriwet weiter an seinen Sehbildern, mit denen er das Medium des Buches hinter sich ließ. Für diese Bilder verwendete er in Blei gegossene Lettern als Druckmedium. Die Schwarz-Weiß-Texte, die dabei entstanden, wurden zum Teil bis zur Unlesbarkeit graphisch verarbeitet und für weitere Auflagen vergrößert und verkleinert. Ihnen ist ein eigener Raum in der Ausstellung gewidmet. Die konkrete, optische Poesie, die dort gezeigt wird, ist eines von Kriwets Hauptthemen, das sich quer durch sein Werk verfolgen lässt und auch in einer späteren, bunten Arbeit, den „buttons young glory“, angelehnt an die Pop Art, wieder aufflammt.

Kriwet setzt Zeichen als semantische Informationen auf seine Arbeiten, überfrachtet diese jedoch gerne derart, dass die Informationen selbst kaum mehr oder gar nicht mehr lesbar werden. Ein weiteres Charakteristikum ist das Resampeln, das stetige Wiederaufnehmen und Überarbeiten von Werken, die zum Teil vor Jahrzehnten entstanden.

Die Eroberung des Kunstmarktes blieb Kriwet größtenteils verwehrt, wobei zum einen seine fehlende, akademische Kunstausbildung und zum anderen seine Nähe zu Auftraggebern angeführt wird, für die er im Bereich der angewandten Kunst tätig wurde. So entwickelte er das Leitsystem der Tonhalle Düsseldorf, Glastüren für den Dumont-Verlag oder das CI für die Fleischfabrik Hertha. Damit gelang ihm jedoch eine Erweiterung des Raumes durch Textflächen – eine künstlerische Position, die erst heute richtig gewürdigt werden kann. Wie breit das Spektrum seiner kreativen Ausdrucksfähigkeit ist zeigt auch jene Anekdote, die über einen Konzertauftritt, in dem er als Voract von Frank Zappa agierte, berichtet. Dabei wurde er brachial mit Stangen von der Bühne gejagt, eine Erfahrung, die zu Kriwets schlimmsten gehört und ihm seine kreativen Grenzen aufzeigte.

Die Schau könnte als Anstoß dienen, sich mehr mit jenen Personen zu beschäftigen, die wie Kriwet sich zwar im Kunstbereich durch eine eigene Position auszeichnen, vom Kunstmarkt selbst aber aufgrund ihrer Grenzüberschreitungen wenig goutiert werden.

Johann Rausch, der nicht im Rahmen von curated_by bei Kargl im kleinen Nebenraum ausstellt, gehört auch zu diesem Kreis. Ganz dem Thema image / reads/ text verpflichtet, arbeitet er seit Jahrzehnten tagtäglich neben seinem Beruf als Grafiker an seinen Bildern und Objekten, in welchen er Gehörtes und Gelesenes festhält. Ganz in Gold gehalten, zeigt er ein großes Triptychon, in dem er Kindheit, Jugend und seinen derzeitigen Lebensabschnitt in den für ihn so typischen Lettern visualisiert. „Ich sehe mich als ausführendes Organ der Unwissenheit, das beim Schreiben keine Zeit verspürt“ – O-Ton Rausch. Aus diesem Grund sieht er seine Bilder auch als Zeitmaschinen an, mit welchen er sich jederzeit aus der Echtzeit beamt.

Eine Melange der Mélange bei Unttld Contemporary

Patrick C. Haas und Jonas Schenk bilden das Kuratorenduo „Mélange“, das bei Unttld Contemporary, direkt neben Kargl, eine opulente Schau mit insgesamt sechs künstlerischen Positionen zusammengetragen hat.

Auffallend dabei sind nicht nur die großen Schrifttafeln mit divergierenden Aussagen wie Ja/Nein von Karl Holmqist, sondern eine Arbeit von Raphaela Vogel. Dafür schuf sie ein Video, in dem man sie während einer Autofahrt in einem Cabrio beobachten kann. Montiert wurde der Beamer, der dafür benötigt wird, auf einer altertümlichen, metallenen Waagschale – ein kleiner Hinweis, auf den Aphorismus, Wörter auf die Goldwaage zu legen. Es ist vor allem die Idee der Präsentation des Videos, die dabei beeindruckt und zu einem Markenzeichen der Künstlerin geworden ist. Der Gedanke, die Technik selbst als eine zusätzliche Installation in die Präsentation miteinzubeziehen, ist kreativ und macht Lust, mehr von dieser Künstlerin zu sehen.

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Karl Holmquist (Foto: European Cultural News)

Raphaela Vogel

Raphaela Vogel (Foto: European Cultural News)

Spannende, südamerikanische Positionen bei Krinzinger Projekte

Drei höchst interessante Künstler sind bei Krinzinger Projekte unter dem Übertitel „Archive in the Infra worlds“ zu sehen. Kuratiert wird die Ausstellung von Gabriela Rangel, Direktorin für bildende Kunst und Chefkuratorin an der Americas Society.

Dabei führt sie eine unsichtbare Spur fort, die in diesem Jahr schon von den Wiener Festwochen gelegt worden war. Darin findet sich die Beschäftigung mit außereuropäischen Kunstproduktionen, die jedoch hoch reflektiert immer auch direkte Verknüpfungen zu Europa zulässt. Laut Rangel geht es dabei um „archivarische Entdeckungen der Unterwelt, der Biopolitik und des grausamen Optimismus“, die dabei ans Tageslicht befördert werden. Und tatsächlich ist vieles, wenn nicht alles, was gezeigt wird, mit einer Geschichte verbunden, in der Gewalt ein Hauptthema spielt.
Erick Meyenberg

Erick Meyenberg (Foto: European Cultural News)

Der Mexikaner Erick Meyenberg verweist in seinem Werk „Aspirantes“, einer Videoarbeit mit einer aufwändigen Sechskanal-Technik, tief in die Vergangenheit von Mexiko und verknüpft diese zugleich mit der Gegenwart. Dafür hat er eine Gruppe von 230 Performern vor einer der bedeutendsten, prähistorischen Ruinenstädte, Teotihuacán, Aufstellung nehmen lassen. Neuen Untersuchungen zufolge, wurden dort während der Aztekenzeit 230 junge Männer gemeuchelt.

Mit einer Atemübung, die von allen Teilnehmern auf eine Tonspur zusammengefasst wurde, verweist der Künstler auf den „lost breath“, das letzte Atmen der Delinquenten, das er mit seiner Intervention aus der Vergangenheit ins Heute transferiert. Es ist aber bei Weitem nicht nur die Historie, die Meyenberg hier beschwört. Die hochkant gestellte Drohnenkamera, die das Geschehen überflog, zeigt die Männer vor der „pyramid oft he moon“ in einer Riefenstahl-ähnlichen Aufstellung. Von oben nach unten gleitet dabei der Blick, um das Göttliche des Himmels mit dem menschlichen auf der Erde sichtbar zu verbinden und wieder in eine Einheit zusammenzufassen. Die co-partizipative Performance musste ohne Schnitt in 45 Sekunden abgedreht werden, die schließlich zu einem Endlos-Loop zusammengefügt wurde. Meyenberg verweist mit seiner Arbeit an das quer durch die Geschichte sich ziehende Phänomen in Mexiko, Menschen zu töten und verschwinden zu lassen. Er möchte damit auch an die vielen Menschen in Mexiko erinnern, die in der jüngsten Vergangenheit verschwunden sind, wie zuletzt 43 entführte und ermordete Studenten, deren Körper bis jetzt aber nicht aufgefunden wurden. Das vielschichte Werk, in dem der Künstler auch mit der überlieferten Idee aufräumt, dass Teotihuacán ein friedlicher Ort war, steht einem weiteren gegenüber, das dagegen wie ein historisches Leichtgewicht erscheint. In einer Reihe von Bildern, in welchen mexikanische Fußballer während ihres Spieleinsatzes zu sehen sind, hat Meyenberg diese auf schwarzen Hintergrund gesetzt und die einzelnen Fotos zu einer barocken Assemblage an zwei Wänden zusammengefügt.

Es ist das Aufeinandertreffen von männlichen Körpern in der Öffentlichkeit, das sich sonst nur höchst geregelt zeigen darf, das den Künstler dabei reizt. Dabei setzt er dem non-contact zwischen Männern im öffentlichen Raum dem body-contact der Spieler gegenüber, die auf seinen Bildinterventionen förmlich zu tanzen beginnen. „Wir dachten, dass man der barocken Stadt Wien, in der Rubens stark vertreten ist, mit dieser Arbeit eine Hommage entgegenbringt“, so die Erklärung der Kuratorin, die auch für die Auswahl des Duos Nascimento/Lovera verantwortlich ist.

Nascimento / Lovera (Juan Nascimento und Daniela Lovera`s, beide aus Caracas) beschäftigt sich in ganz spezieller Art und Weise mit der Fort- oder besser Neuschreibung der Geschichte ihres Landes Venezuela. In der Arbeit „Resistencia“ nehmen sie direkt Bezug zum derzeit höchst fragwürdigen Präsidialsystem, das sich zunehmend als diktatorisches Regime erweist. Ein Video zeigt die Aufnahme zweier Orchester aus dem Jahr 2013, die in einen Wettstreit gegeneinander angetreten sind. Dabei begegneten sich das Orchester der Peruanischen Luftstreitkraft und das José Maria Arguedas Orchestra, das mit Instrumenten aus den Anden bestückt ist. Basierend auf einem dramatischen Text von Jean Paul Sartre – Les mains sales oder Die schmutzigen Hände – spielen sie verschiedene populäre und symbolisch aufgeladene, musikalische Themen simultan. Der Clash der unterschiedlichen ideologischen Infrastrukturen bleibt dabei nicht aus und wird schmerzhaft hörbar.
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Juan Nascimento und Daniela Lovera (Foto: European Cultural News)

Die zweite Werkserie zeigt Aufnahmen von architektonischen Ausformungen quer durch die Jahrhunderte und über den Globus verteilt, die Nascimento/Lovera in Bezug zu Naturgebilden ihrer Heimat setzen. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen formieren sich zu einem neuen Atlas einer alternativen Geschichtsschreibung und wurden zum größten Teil aus dem Internet generiert. Auffallend ist dabei eine Ästhetik, das in den einzelnen Serien ähnliche architektonische Formen miteinander in Bezug setzt und höchst willkürlich voneinander ableitet. Doch nicht nur die formalen Ähnlichkeiten werden von dem Duo angesprochen. Auch die Geschichten der einzelnen Bauwerke sind mit einem roten Faden verbunden. Ein Entwurf des russischen Konstruktivisten El Lissitzky steht neben einem formal ähnlichen Bauabschnitt einer nicht vollendeten Zugstrecke in Venezuela, die von der Kuratorin bei der Vorstellung des Werkes als ein Monument der Korruption bezeichnet wurde. Ein sowjetisches Bauwerk ist neben dem jenem des Justizministeriums in Mexico platziert, das wiederum in Bezug zu einem Entwurf für ein Museum moderner Kunst steht, das in Caracas jedoch nicht gebaut wurde. Diese Arbeit verdeutlicht zugleich, dass jegliche Geschichtstradierung ein Narrativ darstellt, das mit der jeweiligen Machtposition einhergeht.

Die Präsentation bei Krinzinger Projekte erweitert den Blick auf die südamerikanische Kunstproduktion weit abseits von folkloristischen Genesen. Zugleich weist sie aber einen direkten Geschichtsbezug auf, der sich nicht nur auf Südamerika beschränkt. Vielmehr verspürt man eine heftige Wechselwirkung, ausgehend von der europäischen Kolonisierung bis zur Übernahme europäischer, politischer Strukturen des 20. Jahrhunderts in Mexiko und Venezuela. Die Schau ist nicht nur aufgrund der Komplexität der ausgestellten Werke höchst empfehlenswert. Sie gibt auch jede Menge Anstöße, mehr über die aktuelle, südamerikanische Kunstlandschaft zu erfahren und sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Für eine Galerie, deren Hauptmotivation darin besteht, die Kunstwerke zu vermarkten, extrem mutig und höchst gelungen!

Frauenpower im Raum mit Licht

Salome Schmuki

Salome Schmuki (Foto: European Cultural News)

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Melanie Ender (Foto: European Cultural News)

Die Kuratorin Sabine Folie setzt im „Raum mit Licht“ bis auf Arbeiten von Dominik Steiger ganz auf Frauenpower. Gleich im Eingangsbereich zeigt sie „Type, please“ von Salome Schmuki. Ein Video ergänzt große, auf die Wand aufgebrachte Zeichensysteme, in welchen die Künstlerin ihr neues Alphabet – „Double Keys“ – präsentiert. Aus jeweils zwei noch lesbaren Buchstaben kreiert sie einen neuen, der von den Betrachtenden erst mit eigenen Deutungen aufgeladen werden muss.

Melanie Ender besticht mit ihren Rauminstallationen „to open closed forms“, in welchen sie ihre Idee vermitteln möchte, ihre eigene Arbeit als unvollendeten und stets offenen Prozess zu begreifen, der sich anhand ihrer Objekte verdeutlicht. Am klarsten zum Ausdruck kommt dies in jenem Werk, in dem die Künstlerin mit Faltungen arbeitet, die sie jederzeit wieder verändern kann. Damit entzieht sie das Werk einem statischen Kunstbegriff, welcher abseits des performativen Geschehens unter anderen auch im Bereich von kinetischen Modellen zu finden ist.

Andrea van der Straeten hingegen macht in zwei Videos auf das Phänomen der Gebärdensprache aufmerksam. Für die Filme wurden zwei Gebärdensprachlerinnen gebeten, über sich selbst zu erzählen und zum Teil auch Texte von Wittgenstein und van der Straeten selbst wiederzugeben. Obwohl die deutsche Gebärdensprache, die beide verwenden, so wie alle anderen Gebärdensprachen auch, codiert ist, fällt der individuelle Zugang und die einzigartige Umsetzung auf. Die körperliche Ausdrucksweise differiert extrem und setzt damit das „Gesagte“ in jeweils einzigartige, weil höchst persönliche Referenzsysteme.

Die hier aufgezeigten Beispiele machen deutlich, dass es curated_by in seiner neuen Ausgabe bestens gelungen ist, die Vielfalt künstlerischer Ansätze und Ausdrucksweisen zu einem bestimmten Thema beeindruckend aufzuzeigen. Die Kohärenz, mit der die Kuratorinnen und Kuratoren die verschiedenen künstlerischen Positionen aufzeigen, rückt die diesjährige Galeriensession in die Nähe eines ortsübergreifenden, beinahe schon musealen Statements. Höchst empfehlenswert!

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Ein Schmetterling namens Jan Fabre

Ein Schmetterling namens Jan Fabre

Meine Kunst ist wie der Körper eines Schmetterlings.“ Der belgische Künstler Jan Fabre hat für seine spartenübergreifende Kunstproduktion eine schöne Metapher gefunden.

Im Leopoldmuseum ist seit 7. Juli 2017 „Stigmata. Actions & Performances 1976 – 2016″- eine große Überblicks-Schau über einen Teilaspekt der künstlerischen Arbeit der letzten 40 Jahre von Jan Fabre zu sehen. Ergänzt wird die Schau mit Zitaten des Künstlers, sodass sich die Präsentation zu einem Erinnerungs- und Gedächtnisprotokoll zusammenfügt. Was die Besuchenden mitbringen sollten: Zeit. Denn es gibt nicht nur jede Menge Objekte zu sehen, sondern auch eine große Anzahl von Videos. In ihnen sind einige von Fabres Performances festgehalten, in welchen sich der Künstler meist über seine eigene, körperliche Schmerzgrenze hinaus verausgabte.

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Jan Fabre Stigmata im Leopoldmuseum (c) European Cultural News

Jede Performance in einer neuen Rolle

Egal ob in einer Ritterrüstung gegen sich selbst kämpfend, ob im Lyoner Velodrom auf einem Fahrrad nach einem persönlichen Rekord strampelnd, egal ob gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Ilya Kabakov als Fliege verkleidet auf einem Hochhaus wuselnd oder als scheinbar Irrer, der öffentliche Objekte in den Straßen seiner geliebten Stadt Antwerpen küsst, Fabre lotete bei seinen Aktionen auch stets seine eigenen physischen und psychischen Grenzen aus. Und auch, wie die Gesellschaft darauf reagierte. Resümee: Höchst unterschiedlich. Von Unverständnis bis hin zu offener Aggressivität reicht hier die Palette. Vorauszusehen waren bzw. sind die Reaktionen nie.

Das vor allem, weil Fabre nicht bewusst provoziert. Er überlegt sich im Voraus eine Inszenierung – ganz wie im theatralen Bereich, in dem er seit den frühen 80er-Jahren eine fixe Größe ist. Diese führt er durch und stößt, auch wenn er im öffentlichen Raum kein Publikum direkt miteinbezieht, dennoch an die soziale Schmerzgrenze vieler Menschen.

Humor mit Interpretationsspielräumen

Fabre, dessen Aktionen zum Teil als eine spielerisch, theatrale Abwandlung von Performances der Wiener Aktionisten anmuten, arbeitet aber auch mit viel Humor. Das wird vor allem in seinen jüngeren Arbeiten spürbar. 2016 radelte er eine Stunde lang in Anzug und Krawatte in einem Lyoner Velodrom, um sich vom Publikum anfeuern zu lassen. Radlegende Eddy Merckx gratulierte dem völlig ausgepowerten Fabre im Anschluss an das Ereignis mit dem Hinweis, dass dieser sein Ziel, das er sich gesetzt hatte, tatsächlich auch erreicht hatte. Und das in der letzten Minute sogar noch qualmend, mit einer Zigarette im Mund.

Die Performance, die sich locker-flockig und scherzhaft anhört, weist gleich mehrere Interpretationsebenen auf und kann als Prototyp für Fabres hoch komplexe künstlerische Interventionen angesehen werden. Es ist nicht nur das Aufzeigen der Absurdität von Veranstaltungen wie den Radrennläufen über Stunden im Kreis, das hier in dem Video klar hervortritt. Vielmehr macht Fabre in der einen Stunde und mit seiner anschließenden körperlichen Verfasstheit klar, was Rennen über viele Stunden, ja sogar ganze Tage hindurch, für die Athleten tatsächlich bedeuten. Wie nebenbei zeigt er auch auf, dass panem et circenses vom Publikum heute mehr denn je dankbar aufgenommen wird, egal wie skurril die dargeboteten Aktionen auch immer sein mögen. Auch andere Interpretationszugänge sind möglich, ganz abgesehen von einer der Hauptmotivationen des Künstlers, sich immer und immer wieder an seine eigenen Leistungsgrenzen zu treiben um danach wie neugeboren das Leben wieder spüren zu können.

Fabre bei Impulstanz

Vom 18. – 21. Juli wird bei Impulstanz, das diese Ausstellung gemeinsam mit dem Leopoldmusuem ausrichtete, Fabres neue Arbeit Belgian Rules / Belgium Rules zu sehen sein. Sein Ensemble wird darin mit einem folkloristischen Outfit ausstaffiert, das er einer karnevalesken Situation aus seinem Heimatland Belgien entlehnt. Die Künstlerinnen und Künstler gehen dabei genauso wie Fabre selbst, an ihre physischen Grenzen. Am Eröffnungstag von Impulstanz, dem 13. Juli, wird Fabre im Leopoldmuseum selbst eine neue Performance abhalten. „I am a mistake – a new Solo-Performance“ ist ihr Titel und stellt darin Fragen nach dem Wesen der Kunst und seiner Seele.“

Der Kunstmarkt hat sich auch die Performance einverleibt

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Jan Fabre Stigmata im Leopoldmuseum (c) European Cultural News

Im Jahr 1982 schrieb Fabre: „Performance steht abseits aller Kunstmarkt-Regeln. Kein Galerist oder Sammler kann sie kaufen“. Diese Aussage hat längst keine Gültigkeit mehr. Einmal im Museumsolymp angekommen, werden die Künstlerinnen und Künstler heute sehr wohl für ihre Arbeit dort dotiert. Sammler können nicht nur Videomitschnitte kaufen, sondern – Tino Sehgal – hat es vorgezeigt, auch die Rechte an einer ausschließlich mündlich dokumentierten Performance. Willkommen im Turbokapitalismus, der sich selbst den ursprünglich monetär-freien Raum der Performance erobert hat! Fabre selbst klettert auch stetig das internationale Kunstranking nach oben und befindet sich derzeit auf Platz 183. Die jetzige Ausstellung in Wien wird ihn mit Sicherheit ein paar weitere Rangpunkte nach oben katapultieren.

„Mein Körper, das sind die Performances, einer meiner Schmetterlingsflügel ist die Bildende Kunst, der andere die Arbeiten für das Theater“, charakterisierte Fabre sein künstlerisches Selbstverständnis bei der Ausstellungseröffnung. Mit „Stigmata“, zuvor bereits in Rom, Antwerpen und Lyon gezeigt, „I am a mistake“ und Belgian Rules / Belgium Rules hat das Wiener Publikum im Juli und August reichlich Gelegenheit, sich den Schmetterling Jan Fabre genau anzusehen und sein eigenes Universum zu erkunden.

Weitere Infos auf der Seite des Leopoldmuseums sowie bei Impulstanz.

Ein Muss und ein Traum für alle Modebegeisterten

Ein Muss und ein Traum für alle Modebegeisterten

„Vulgär ? –Fashion Redefined“ ist ein Liebesgeständnis an die Mode und ein Präsent an all diejenigen, die sich gerne mit Mode ausdrücken oder mit ihr experimentieren. In der Ausstellung ist für jeden Geschmack etwas dabei und bucht man eine Führung, gibt es einen zusätzlichen Bonus: Denn dann erfährt man auch interessante Details zu den Entstehungsgeschichten verschiedener Kreationen.

Ein außergewöhnlicher Ausstellungsort

Es ist nicht verwunderlich, dass die Organisatoren für diese Kollektion gerade den Winterpalais als Ausstellungsort ausgewählt haben. Vor ein paar Monaten konnte man noch die Ausstellung im Barbican Center in London bewundern. Hier in Wien passt alles perfekt zusammen, denn die prunkvollen Räume schaffen eine pompöse, feierliche Atmosphäre. Laut Stella Rollig, Generaldirektorin des Belvedere, ist „das barocke Winterpalais der ideale Ort für die Präsentation opulenter Modeschöpfungen durch die Jahrhunderte.“ Die Ausstellungsmacher Judith Clark, eine englische Kuratorin aus London und Adam Philips, Psychoanalytiker und Autor von Bestsellern wie Side Effects (2006) und Unforbidden Pleasures (2015) laden das Publikum zu einem „interdisziplinären Diskurs … zwischen Psychoanalyse und Mode“ ein, um den Terminus „vulgär“ kritisch zu hinterfragen. Der Begriff vulgär hat verschiedene Bedeutungen und was heute als Mainstream betrachtet wird, war vor zweihundert Jahren noch skandalös.

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Vulgär (c) Belvedere, Wien 2017

Im englischsprachigen Raum bezeichnet man „vulgär“ Sachen oder Konzepte, die „gemeinhin verbreitet“ waren. Nach und nach entwickelte sich das Wort zu einer Beleidigung und es ist faszinierend zu sehen, was Menschen vor mehreren Jahrhunderten als abstoßend, vernünftig oder ästhetisch empfunden haben. Informationen geben hierzu die Raumtexte.

Einige Beispiele gefällig? Bürger konnten sich nicht wie der Adel kleiden. In anderen Kulturen werden andere Körperteile als erotisch empfunden als bei uns. In Japan betrachtet man den Nacken einer Frau als etwas sehr Intimes und Sexuelles, auch dem Handgelenk wird eine ähnliche Bedeutung zugeschrieben. Heutzutage haben viele Menschen diese Affinität jedoch verloren.

Kleidung quer durch die Jahrhunderte

Nach und nach wurde Mode auch benutzt, um Grenzen auszuloten. Paris entwickelte sich nach den prunkvollen Zeiten unter Ludwig XIV zur Weltstadt der Mode. Ein Kleidungsstück, das durch und durch aus Gold besteht, gehört zu den ersten Objekten dieser Ausstellung. Danach ist eines von Madame Grès, Gründerin des gleichnamigen Modehauses, ausgestellt. Ein leichtes, weißes Kleid, das an Kunst, Architektur und die Antike denken lässt.

Trends und Mode sind evolutionär. Während der nackte Körper in den Olympischen Spielen vergöttert wurde, gab es auch Zeiten, in denen nur ein Hauch von nackter Haut zu sehen war. Kleidungsstücke passten sich stets an den Zeitgeist der Gesellschaft an. Seit dem Aufkommen von Illustrierten waren Schauspieler perfekte Werbeträger. Ein Umstand, der sich bis heute nicht geändert hat. So werden Schauspieler und Schauspielerinnen gerne als „Gesicht“ eines Parfums ausgewählt, da ihr Aussehen und ihre Ausstrahlung das Image und die Essenz des Parfums verkörpern.

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Vulgär (c) Christian Wind © Belvedere, Wien

Abgesehen davon kann Mode auch als erste Kunstform angesehen werden. Früh schon haben sich Menschen bemalt und mit ihrem Körper etwas dargestellt.
Ein Kleid zu tragen bedeutete und bedeutet auch heute noch, sich Raum und Zeit zu nehmen. Dabei ging es nicht nur um den Auftritt in Gesellschaft an und für sich, sondern um Haltung. Besser gesagt: Geist und Esprit waren sehr wichtig im Adel. Die Art, wie man sich ausdrückte, sagte viel über das Wesen einer Person aus und wer diese Fähigkeiten nicht beherrschte, war nicht weit entfernt davon, sozial unterzugehen.

Große Namen der Haute Couture

In die Kreationen der vielfältigen Kollektion wurden exzentrische, verspielte Elemente eingebracht, die besonderes Augenmerk auf sich ziehen. In diesem Zusammenhang können besonders Alexander McQueen und Pam Hoggs hervorgehoben werden.

Das Kleid von McQueen erinnert an etwas Holistisches, Heiliges, das durch den Halsschmuck noch hervorgehoben wird und Hoggs Entwurf ist so verrückt und doch so schön bunt, dass man hin und her gerissen ist und sich automatisch überlegt, ob man solch ein Teil in der Öffentlichkeit oder vor seinem Partner tatsächlich tragen würde. Die Unterhosen mit den bunten Schleifchen passen zu dem Blumenschmuck auf dem Kopf so gut, dass das ganze Kostüm etwas Avantgardistisches und Provokantes ausstrahlt.

Ein Muss für Modebewusste und Modefreaks. Zu sehen noch bis 25. Juni.

Weitere Infos auf der Seite des Belvedere.

Das Mekka der zeitgenössischen, österreichischen Kunst

Das Mekka der zeitgenössischen, österreichischen Kunst

Alljährlich im Frühling öffnet das Museum Liaunig nun schon seit neun Jahren in Neuhaus in Kärnten seine Türen für Interessierte. Warum aber steht dieses Museum ausgerechnet in dem kleinen Ort, das eine zweisprachige Ortstafel aufweist – Neuhaus / Suha? Herbert W. Liaunig und sein Sohn Peter ließen ein wenig hinter die Kulissen ihrer Sammelleidenschaft blicken.

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Dkfm. Herbert Liaunig (c) Museum Liaunig / Lukas Beck

Herbert W. Liaunig empfängt seine Gäste zur Pressekonferenz anlässlich des Saisonstarts im sonnendurchfluteten Atrium herzlich. Es ist bereits seine 9. Saison, in welcher er Teile seiner über 3.000 Kunstwerke starken Sammlung der Öffentlichkeit zeigt. Zu sammeln begann Liaunig als junger Mann. „Zu Beginn war ich von der École de Paris mit Vertretern wie Pierre SoulagesNicolas de Staël und Serge Poliakoff fasziniert“.

Auf die Frage, wie man denn einen so treffsicheren Kunstgeschmack ausbilden kann, wie er sich in seiner Sammlung widerspiegelt, erklärt der erfolgreiche Unternehmer: „Die richtige Qualität auszusuchen, hat etwas mit Erfahrung zu tun. Das funktioniert bei mir wie beim „musée imaginaire“ von André Malraux – je mehr Bilder ich im Kopf habe und abrufen kann, umso sicherer kann ich auch eine Auswahl treffen. Außerdem hatte ich gute Lehrer.“ Hollegha oder Mikl gehörten unter anderen dazu und nicht zuletzt waren es seine vielen Besuche in der Akademie „in der es viel lustiger war als an der Uni“. Diese frühen Kunsterfahrungen schulten sein Auge. Bald schon war klar, dass die österreichische Nachkriegskunst sein Hauptsammelgebiet sein würde.

Uns ist immer alles passiert

Im Laufe der Jahrzehnte wuchs die Zahl der Kunstwerke so an, dass die Familie darüber nachdenken musste, ein Depot bauen zu lassen.

Eingang Liaunig scharf

Eingangsbereich Museum Liaunig (c) European Cultural News

„Eigentlich ist uns alles immer passiert“, erzählt einer der beiden Söhne, Peter Liaunig, über die Baugeschichte des Museums. Die Familie fand zuerst Schloss Neuhaus, das es galt, von Grund auf zu renovieren. Darin hat sie nicht nur ihren Wohnsitz, sondern öffnete es auch für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen.

Das jetzige Museum befindet sich in Sichtweite. „Dass in Neuhaus ein Museum errichtet wurde, war nicht von Vornherein geplant. Vielmehr sollte eine Halle errichtet werden, die als Lager für die Kunstwerke dienen konnte. Aber der Umstand, dass der Grund, der zur Verfügung stand, prominent über dem Ort liegt und ein Zweckbau in der erforderlichen Größe zu dominierend gewesen wäre, sowie die Idee der Architekten, die Sammlung doch gleich öffentlich zugänglich zu machen, führte schließlich zum jetzigen Bau.“ Dass er bereits unter Denkmalschutz steht, zeigt die herausragende Arbeit des Architektenteams „querkraft“. 2011 außerdem mit dem Österreichischen Museumspreis ausgezeichnet, ist nur die Hauptgalerie mit 160 Metern Länge und 16 Metern Breite sichtbar. Der Rest ist in den Hang hineingebaut.

Ein Anbau, vor zwei Jahren erst fertiggestellt, beherbergt seither alljährlich eine neue Sonderschau unter dem Generaltitel „Alte Freunde“. Präsentiert werden in diesem architektonisch aufregenden Raum mit einem dreieckigen Grundriss Arbeiten von Künstlern, die Herbert W. Liaunig schon seit Jahrzehnten kennt und die er tatsächlich zu seinem Freundeskreis zählt. Ein Novum in dieser Saison: Der rund 400 Personen fassende Raum wird erstmals mit Musik bespielt werden. In der „Sonusiade“, so nennt sich das neu ins Leben gerufene Festival, sind zwei Matineen und zwei Abendkonzertveranstaltungen angesetzt.

Zu hören sein werden das Altenberg Trio aus Wien, das Ketos Quintett aus Linz. Wolfram Berger wird Wolfgang Puschnig und Janez Grogoric – den künstlerischen Leiter des Festivals – mit einer Lesung begleiten. Ein Liedrezital mit Bernarda Fink, Anthony Spiri und Nejc Mikolic eröffnet die erste Konzertsaison.

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Luftaufnahme Museums Liaunig (c) Museum Liaunig

„Es ist unser Testjahr“, mein Herbert Liaunig zu diesem Vorhaben und hat mit den Bildern von Hermann J. Painitz, die den malerischen Rahmen bieten, ein höchst passendes Ambiente gefunden. „Wir möchten, dass in Zukunft Bilder und Musik miteinander korrespondieren und werden sehen, wie das neue Angebot angenommen wird“.

Eine gezielte Sammeltätigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg

Die Sammlungstätigkeit, die aus Leidenschaft begann und nach wie vor aus Leidenschaft betrieben wird, hat sich mit dem Bau des Museums leicht verändert. Nun werden sukzessive Lücken in der Sammlung geschlossen, die durch den besseren Zugang zu den Kunstwerken und den besseren Überblick über dieselben sichtbar wurden. Außerdem legt die Familie Wert auf den Aufbau größerer Werkgruppen, aber kauft auch Werke von Künstlern an, die noch keinen hohen Bekanntheitsgrad vorweisen können.

„Für uns ist nicht der Name entscheidend, sondern ob uns ein Kunstwerk gefällt oder nicht. Es kann auch passieren, dass ich mich erst nach einiger Zeit mit einem Werk anfreunde. Manche Bilder brauchen Zeit, um von mir in ihrer Gänze erkannt zu werden.“ Peter Liaunig hat Verständnis für viele unterschiedliche Kunstrichtungen. „Nur die phantastischen Realisten haben wir nie gesammelt. Aus dem einfachen Grund, weil wir keinen Zugang zu ihnen haben“, ist von ihm zu erfahren. Mit seinem bewusst verwendeten „wir“ meint er immer die gesamte Familie in der „jeder sammelt“.

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Museum Liaunig / Foto: European Cultural News

Ergänzt wird der Bestand durch Vertreter der klassischen Moderne sowie exemplarische Werke internationaler Künstler wie Tony Cragg, Robert Motherwell und Georges Mathieu. „Da wir ja kein öffentliches Museum sind, nehmen wir es mit den uns selbst auferlegten Grenzen nicht so streng und können diese auch ab und zu überschreiten.“ Herbert Liaunig lässt sich von der grundsätzlichen Ankaufs-Ausrichtung aber auch nicht gängeln.

Neben den erwähnten internationalen Künstlern gibt es noch die „kleinen Sammlungen“. So eine Glassammlung mit Stücken zwischen 1500 – 1850, eine Sammlung von Portraitminiaturen und eine Sammlung von afrikanischer Glasperlenkunst, die Peter Liaunig zusammengetragen hat. Auch diese Sammlung ist „passiert“, wie er berichtet. Ein Stück ergab das nächste und heute kann das Publikum das bisherige Ergebnis dieser speziellen Ankaufstätigkeit ebenfalls im Museum betrachten. Selbstverständlich in einem eigenen Raum.

Ungefähr zwei Drittel der Sammlung wurde direkt bei Künstlern erworben, das restliche Drittel von Galerien oder auch verstärkt über Auktionen gekauft. Der Anteil am Onlinekauf nimmt zu.

Das Halbjahresmuseum

Herbert W. Liaunig, erfolgreiche Wirtschaftsboss, unter dessen Holding sich die Firmen Wild, Waagner-Biro sowie Binder&Co befinden, ist auch Miteigentümer der Semper Constantia Privatbank. Ohne diese wirtschaftliche Basis ließe sich das Museum nicht finanzieren. 10.400 zahlende Besucher zählte man in der vergangenen Saison. Anders als in anderen Museen, dauert die jeweilige Saison nur ein halbes Jahr lang, denn im Herbst und Winter ist das Haus geschlossen. „Eigentlich kostet uns jeder Besucher 50 Euro“, erläuterte Peter Liaunig. Wieviel die Familie also in den Erhalt des Museums jährlich steckt, kann somit leicht ausgerechnet werden.

Liaunig Blick ins Freie

Museum Liaunig (c) European Cultural News

Dass nicht alles, was gekauft wird, teuer war – darüber freut sich der Sohn des Sammlungsgründers sichtlich. „Im Netz sind manchmal unglaubliche Schnäppchen zu finden“, berichtet er. „Vor allem Grafiken werden dort oft weit unter Wert verkauft. Wenn man sich auskennt, muss man nicht immer viel Geld für Kunst ausgeben“, so die weitere Erläuterung zu seiner eigenen Ankaufspolitik. Zur Erweiterung der Sammlung seines Vaters stehen jährlich 1 Million Euro zur Verfügung. Doch was sich dem Besucher als reines Vergnügen präsentiert, ist zugleich auch eine Herausforderung.

Sammeln ist eine Krankheit

„Natürlich ist so eine Sammlung auch eine Belastung. So alle 2 Wochen, wenn wir in der Familie zusammenkommen, stellen wir uns regelmäßig die Frage, warum wir uns das eigentlich antun. Aber Sammeln ist nicht nur eine Leidenschaft, sondern eine ansteckende Krankheit!“ Dass diese Aussage von Peter Liaunig offensichtlich stimmt, belegt eine kleine Geschichte. „Ich hatte zwei Schulfreunde, die, wenn sie zu uns nach Hause gekommen sind, regelmäßig entsetzt waren, welche Kunst bei uns an den Wänden hing. „Das kann man sich doch nicht ansehen“ usw. waren ihre Kommentare, bis ich einmal sagte: Ihr braucht es ja nicht ansehen, aber wenn ihr mit euren Aussagen nicht aufhört, dann kommt einfach nicht mehr. Und heute sind alle beide selbst Kunstsammler geworden! Ich glaube, alles braucht seine Zeit. Auch das Verstehen von Kunst.“

„Passiert“ ist den Liaunigs auch der Skulpturengarten, der sich über dem Museum selbst befindet. „Es waren rein praktische Gründe, warum dieser Garten entstand, denn die Skulpturen, die hier in der Landschaft gar nicht so imposant wirken, nahmen im Lager selbst viel Platz ein. Nicht nur, dass einige über vier Meter hoch sind – wenn man sie in Kisten lagert, dann kostet das ganz schön Platz.“ Der frei gewordenen Raum, das Skulpturendepot, wurde nun kurzerhand für eine neue Sonderschau genutzt, die Peter Liaunig Wolfgang Ernst widmete. „In 20 oder 30 Jahren werden die Bäume, die wir in diesem Jahr im Skulpturengarten neu gepflanzt haben, sicher schön aussehen.“ Diese Aussage von Herbert Liaunig zeigt überdeutlich, dass sein Denken und Sammeln nicht nur für das Hier und Jetzt gedacht ist, sondern von Dauer sein soll.

Weitere Informationen auf der Homepage des Museum Liaunig.

 

Zeige mir wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist

Zeige mir wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist

Couchgarnitur mit zwei Hockern, Esstisch, Buffet und Barschrank, im Stil der 1920er-Jahre – die typische Einrichtung eines Wiener Wohnzimmers. Die Wohnzimmermöbel der Familie Glück sind ein paar Überbleibsel, die eine leider ebenso typische jüdische Familiengeschichte dokumentieren.

Hoffnung auf Wohlstand, Vertreibung und Ermordung

Hersch Glück und seine Frau Judith Widder kamen um 1900, wie viele andere galizische jüdische Familien, in die Hauptstadt der Habsburgermonarchie, um den ärmlichen Verhältnissen ihrer Heimatstätte Tarnopol/Ternopil und Neutra/Nitra zu entkommen. In Wien eröffnete Hersch Glück eine Kürschnerwerkstätte, die später seine Söhne Erwin und Walter übernehmen sollten. Das gut laufende Geschäft erlaubte den Glücks, sich zuerst in der Leopoldstadt und dann sogar am Fleischmarkt 15 im noblen ersten Bezirk, unter anderem mit der neuen Wohnzimmergarnitur häuslich einzurichten.

Über Frankreich nach New York

Nach dem sogenannten „Anschluss“ wurde der Kürschnerbetrieb „arisiert“ und die Familie saß ein letztes Mal gemeinsam um den blank polierten Esstisch. Erwin gelang die Flucht in die USA. Seine Frau Lily und der achtjährige Sohn Heinrich wollten über Frankreich nach Palästina entkommen. Doch in Nizza wurde Lily 1942 von den Nazis verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet. Heinrich kam in einem, von dominikanischen Patern geführten Internat, und später, bei einer französischen Familie unter.

Heinz/Henry Glück (c) Glück family collection

Heinrich/Henry Glück (c) Glück family collection

Unter falscher Identität konnte Heinrich, der sich nun Henry nannte, den Krieg überleben und durch die Vermittlung einer jüdischen Hilfsorganisation 1946 wieder mit seinem Vater vereint werden. Auch das Wohnzimmermobiliar schaffte es über Frankreich nach New York und ins neue Wohnzimmer der Familie Glück. Zuletzt bot ihm Henrys Stiefmutter Herta Kleeblatt in Queens eine Bleibe.

Dass Möbel ins Exil mitgenommen wurden, war kein Einzelfall. Um in der Fremde ein Stück Heimatgefühl zu schaffen, ist es ein naheliegender Gedanke, das Herzstück der ehemaligen Wohnung mitzunehmen. In manchen Fällen war es sogar möglich, durch Kollaboration mit einem Tischler Geheimfächer in die Möbel einzubauen. So konnten unerlaubter Weise Wertgegenstände ins Ausland gebracht werden.

In vielen Fällen jedoch wurden Alltagsgegenstände, Kunstwerke und Wertsachen für schnelles Geld verkauft, um überhaupt eine Flucht zu ermöglichen oder fielen der Enteignung durch die Nazis zum Opfer. Wer weiß, wie viele Möbelstücke in Wien solche Geschichten noch erzählen könnten, weil sie eben nicht mitgenommen werden konnten.

Originale Putztücher aus dem Besitz der Familie Glück (c) European Cultural News

Originale Putztücher aus dem Besitz der Familie Glück (c) European Cultural News

Nicht-Spießig mit Mief

Über den Entwerfer der Möbel kann man nur Vermutungen anstellen. Das tut Kunsthistoriker Christian Witt-Dörring, der auf Möbel des 19. und 20. Jahrhunderts spezialisiert ist, im Ausstellungskatalog. Er schließt von der Beschaffenheit der Möbel nicht nur auf den Designer, sondern auch auf die Besitzer selbst. Die Möbel, die keinem eindeutigen Stil zuzuordnen sind, weisen auf Wohlstand, aber nicht Inszenierungslust hin. Die Eckbank, die für Witt-Dörring der Inbegriff des spießigen Wohnens ist, wird durch die Bibliothek auf der Rückseite wieder „Nicht-Spießig“. So muss das Möbel mitten im Raum platziert werden und darf für sich selbst wirken.

Wohnzimmer Familie Glück (c) David Peters

Wohnzimmer Familie Glück (c) David Peters

Die Schicksale der Familienmitglieder sind an den Möbeln spurlos vorübergegangen. Die hochwertigen Stücke, die durch Henry Glück dem Jüdischen Museum vermacht wurden, strahlen noch immer Gemütlichkeit aus. Sie sind Zeugen einer vergangenen Zeit und materiell gewordene Erinnerung an eine Familie, die durch den Antisemitismus der Nazis daran gehindert wurden, hier noch einmal zusammenzusitzen.

Die Präsentationsfläche auf der die Einrichtungsgegenstände im Museum platziert sind, ist ebenso, wie die Welt der Glücks in die Schieflage gekommen.

Bis 26. März 2017 kann man im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse 11 zumindest noch vor den Möbeln sitzen und die Geschichte der Familie Glück kennenlernen.

Weitere Informationen auf der Website des Jüdischen Museum.

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