Ein Schmetterling namens Jan Fabre

Meine Kunst ist wie der Körper eines Schmetterlings.“ Der belgische Künstler Jan Fabre hat für seine spartenübergreifende Kunstproduktion eine schöne Metapher gefunden.

Im Leopoldmuseum ist seit 7. Juli 2017 „Stigmata. Actions & Performances 1976 – 2016″- eine große Überblicks-Schau über einen Teilaspekt der künstlerischen Arbeit der letzten 40 Jahre von Jan Fabre zu sehen. Ergänzt wird die Schau mit Zitaten des Künstlers, sodass sich die Präsentation zu einem Erinnerungs- und Gedächtnisprotokoll zusammenfügt. Was die Besuchenden mitbringen sollten: Zeit. Denn es gibt nicht nur jede Menge Objekte zu sehen, sondern auch eine große Anzahl von Videos. In ihnen sind einige von Fabres Performances festgehalten, in welchen sich der Künstler meist über seine eigene, körperliche Schmerzgrenze hinaus verausgabte.

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Jan Fabre Stigmata im Leopoldmuseum (c) European Cultural News

Jede Performance in einer neuen Rolle

Egal ob in einer Ritterrüstung gegen sich selbst kämpfend, ob im Lyoner Velodrom auf einem Fahrrad nach einem persönlichen Rekord strampelnd, egal ob gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Ilya Kabakov als Fliege verkleidet auf einem Hochhaus wuselnd oder als scheinbar Irrer, der öffentliche Objekte in den Straßen seiner geliebten Stadt Antwerpen küsst, Fabre lotete bei seinen Aktionen auch stets seine eigenen physischen und psychischen Grenzen aus. Und auch, wie die Gesellschaft darauf reagierte. Resümee: Höchst unterschiedlich. Von Unverständnis bis hin zu offener Aggressivität reicht hier die Palette. Vorauszusehen waren bzw. sind die Reaktionen nie.

Das vor allem, weil Fabre nicht bewusst provoziert. Er überlegt sich im Voraus eine Inszenierung – ganz wie im theatralen Bereich, in dem er seit den frühen 80er-Jahren eine fixe Größe ist. Diese führt er durch und stößt, auch wenn er im öffentlichen Raum kein Publikum direkt miteinbezieht, dennoch an die soziale Schmerzgrenze vieler Menschen.

Humor mit Interpretationsspielräumen

Fabre, dessen Aktionen zum Teil als eine spielerisch, theatrale Abwandlung von Performances der Wiener Aktionisten anmuten, arbeitet aber auch mit viel Humor. Das wird vor allem in seinen jüngeren Arbeiten spürbar. 2016 radelte er eine Stunde lang in Anzug und Krawatte in einem Lyoner Velodrom, um sich vom Publikum anfeuern zu lassen. Radlegende Eddy Merckx gratulierte dem völlig ausgepowerten Fabre im Anschluss an das Ereignis mit dem Hinweis, dass dieser sein Ziel, das er sich gesetzt hatte, tatsächlich auch erreicht hatte. Und das in der letzten Minute sogar noch qualmend, mit einer Zigarette im Mund.

Die Performance, die sich locker-flockig und scherzhaft anhört, weist gleich mehrere Interpretationsebenen auf und kann als Prototyp für Fabres hoch komplexe künstlerische Interventionen angesehen werden. Es ist nicht nur das Aufzeigen der Absurdität von Veranstaltungen wie den Radrennläufen über Stunden im Kreis, das hier in dem Video klar hervortritt. Vielmehr macht Fabre in der einen Stunde und mit seiner anschließenden körperlichen Verfasstheit klar, was Rennen über viele Stunden, ja sogar ganze Tage hindurch, für die Athleten tatsächlich bedeuten. Wie nebenbei zeigt er auch auf, dass panem et circenses vom Publikum heute mehr denn je dankbar aufgenommen wird, egal wie skurril die dargeboteten Aktionen auch immer sein mögen. Auch andere Interpretationszugänge sind möglich, ganz abgesehen von einer der Hauptmotivationen des Künstlers, sich immer und immer wieder an seine eigenen Leistungsgrenzen zu treiben um danach wie neugeboren das Leben wieder spüren zu können.

Fabre bei Impulstanz

Vom 18. – 21. Juli wird bei Impulstanz, das diese Ausstellung gemeinsam mit dem Leopoldmusuem ausrichtete, Fabres neue Arbeit Belgian Rules / Belgium Rules zu sehen sein. Sein Ensemble wird darin mit einem folkloristischen Outfit ausstaffiert, das er einer karnevalesken Situation aus seinem Heimatland Belgien entlehnt. Die Künstlerinnen und Künstler gehen dabei genauso wie Fabre selbst, an ihre physischen Grenzen. Am Eröffnungstag von Impulstanz, dem 13. Juli, wird Fabre im Leopoldmuseum selbst eine neue Performance abhalten. „I am a mistake – a new Solo-Performance“ ist ihr Titel und stellt darin Fragen nach dem Wesen der Kunst und seiner Seele.“

Der Kunstmarkt hat sich auch die Performance einverleibt

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Jan Fabre Stigmata im Leopoldmuseum (c) European Cultural News

Im Jahr 1982 schrieb Fabre: „Performance steht abseits aller Kunstmarkt-Regeln. Kein Galerist oder Sammler kann sie kaufen“. Diese Aussage hat längst keine Gültigkeit mehr. Einmal im Museumsolymp angekommen, werden die Künstlerinnen und Künstler heute sehr wohl für ihre Arbeit dort dotiert. Sammler können nicht nur Videomitschnitte kaufen, sondern – Tino Sehgal – hat es vorgezeigt, auch die Rechte an einer ausschließlich mündlich dokumentierten Performance. Willkommen im Turbokapitalismus, der sich selbst den ursprünglich monetär-freien Raum der Performance erobert hat! Fabre selbst klettert auch stetig das internationale Kunstranking nach oben und befindet sich derzeit auf Platz 183. Die jetzige Ausstellung in Wien wird ihn mit Sicherheit ein paar weitere Rangpunkte nach oben katapultieren.

„Mein Körper, das sind die Performances, einer meiner Schmetterlingsflügel ist die Bildende Kunst, der andere die Arbeiten für das Theater“, charakterisierte Fabre sein künstlerisches Selbstverständnis bei der Ausstellungseröffnung. Mit „Stigmata“, zuvor bereits in Rom, Antwerpen und Lyon gezeigt, „I am a mistake“ und Belgian Rules / Belgium Rules hat das Wiener Publikum im Juli und August reichlich Gelegenheit, sich den Schmetterling Jan Fabre genau anzusehen und sein eigenes Universum zu erkunden.

Weitere Infos auf der Seite des Leopoldmuseums sowie bei Impulstanz.

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