Odysseus ist kein Held
15. Oktober 2024
Im Dschungel in Wien darf man derzeit eine andere Sichtweise auf den antiken Mythos von Odysseus erleben. Die Kinderoper trägt den Titel: Die Odyssee des Telemachos. Damit wird deutlich, dass nicht der antike Held selbst, sondern sein Sohn im Mittelpunkt des Geschehens steht.
Michaela Preiner
Foto: (Julia Varkonyi)

Die Erzählungen der Odyssee mit ihrem Helden Odysseus, welcher dem Epos seinen Namen gab, sind stets mit einer Aura des Heldenhaften umgeben. Eine Aura, die in der Textfassung von Gerhard Dienstbier und Azelia Opak gehörig angekratzt wird.

Martin Brandlmayr komponierte die Musik, Azelia Opak war neben dem Libretto auch für die Regie verantwortlich. Die Erzählungen über und von Telemachos, der seinen Vater nicht kennt und sich auf die Suche nach ihm macht, werden von einem Kinderchor, einer Sängerin und zwei Sängern aufgeführt. Der Komponist agiert neben der Bühne am Schlagwerk und an der Percussion, Martin Siewert bedient neben ihm die Elektronik und spielt Gitarre.

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Odyssee des Telemachos (Foto: Julia Varkonyi)

Musikalisch auf das Wesentliche reduziert, abseits von Dur- und Mollharmonik, jedoch stark rhythmisch unterlegt, bietet die Komposition dem jugendlichen Chor häufig Gelegenheit, am musikalischen Geschehen teilzuhaben. (Chor des BRG Pichelmayergasse) Die Emotionen von Telemachos, von Freude über Angst und Hoffnungslosigkeit, kommen gut zum Ausdruck. Seine Mutter, die anfangs nicht darüber sprechen will, dass ihr Mann sie verlassen hat, versucht vielmehr, ihn zum Helden hochzustilisieren. Als sie schließlich die Beherrschung verliert, poltert sie in hohen Lagen durch die Partitur, sodass man glaubhaft nachvollziehen kann, wie sehr sie als Alleinerzieherin eigentlich überfordert ist.

Anete Liepina als Penelope sowie Gustav Wenzel Most als Telemachos sind stimmgewaltig, aber auch spielfreudig. An ihrer Seite agiert Clemens Kölbl als Menelaos und Odysseus und schlüpft noch in weitere Rollen. Auch er überzeugt schauspielerisch, aber auch als Sänger.

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Odyssee des Telemachos (Foto: Julia Varkonyi)

Ein einfaches Bühnenbild – ein Prospekt wie das eines Handpuppentheaters – und ein Sofa reichen aus. Die atmosphärische Bildbegleitung kommt von der großen Projektionsfläche dahinter, die sich den jeweiligen Szenerien anpasst. Die Regie erlaubt sich in der Suche nach Odysseus witzige, aktuelle Bezüge. Als der Götterbote „Hermes“ die Szenerie betritt, wird klar, dass dieser nichts anderes, ein sehr prosaischer, zeitgeistiger Postbote ist. Auf seiner Suche nach Odysseus erfährt man, dass dieser in den vergangenen Jahren immerhin schon 50 Wohnsitze innehatte. Und schon kippt das Heldenepos hin zu der Geschichte eines Mannes, der die enge Bindung an seine Familie scheut und stattdessen auf einer dauerhaften Flucht vor dieser ist. Seine Geschichten sind allesamt dick aufgetragen, vielmehr hat es den Anschein, dass er von einer Gefahr tollpatschig in die nächste fällt oder von einer Traumerzählung in die nächste stolpert. Die verführende Kirke und der verwundete Zyklop treten mit übergroßen Pappmachéeköpfen auf und sind auf den ersten Blick leicht als Fantasiewesen zu erkennen. (Ausstattung Denise Leistentritt)

Telemachos wird auf der Suche nach seinem Vater, auf welcher er nicht nur Erfreuliches über ihn erfährt, erwachsen und ist letztlich imstande, sich von seiner idealisierten Vorstellung von ihm zu lösen. Das Verdienst der Kinderoper „Die Odyssee des Telemachos“ liegt in der Umkehr des Blickes. Weg von jenem auf einen vermeintlichen Helden hin zum Blick auf seinen Sohn, der sich berechtigterweise vernachlässigt fühlt. Damit spiegelt die Inszenierung eine Situation, die für viele Kinder schmerzhafte Realität ist. Zugleich bietet Azelia Opak in ihrer Auslegung der Geschichte aber auch die tröstliche Aussicht, diesen Schmerz einmal überwinden zu können.

Der leicht fassliche Text und die gut herausgearbeiteten Charaktere sind altersgerecht und werden das junge Publikum ab 8 Jahren wie bei der Premiere fesseln.

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