Nach dem Erfolg von Thomas Bernhards „Holzfällen“ mit Nicholas Ofczarek als Erzähler wartet der Spielplan nun, das darf man mit Fug und Recht behaupten, mit einem weiteren Highlight dieses Genres auf.
Den Inhalt nachzuerzählen ist wohl müßig, die Bühnenumsetzung jedoch so umwerfend, dass ihr ein breiter Raum gewidmet werden muss. Die Programmierung, die Premiere für den Abend der österreichischen Nationalratswahl anzusetzen, war mehr als vorausschauend.
Vieles, was Zweig in seiner Novelle festgehalten hat, schwingt in unsere aktuelle gesellschaftlich-politische Situation herüber und macht nachdenklich, was das Wahlergebnis letztlich in Österreich, aber auch darüber hinaus der politische Zustand in ganz Europa, in Zukunft bewirken wird.
Nils Strunk, Schauspieler, Musiker und Regisseur, hat gemeinsam mit Lukas Schrenk jene Novelle dramatisiert, die zu den besten von Stefan Zweig zählt. Dabei dachte er von Beginn an daran, den Text mit Musik zu ergänzen, die er beim Lesen wie selbstverständlich heraushörte. Gemeinsam mit drei Musikern am linken Bühnenrand, ausgestattet mit vielen Instrumenten, illustriert er gleich zu Beginn das geschäftige Treiben vor der Abfahrt des Dampfers, dessen Passagiere sich in New York nach Buenos Aires einschiffen. Ein akustisches Durcheinander aus Posaunen- und Perkussionklängen, aus welchem die Stimmen der Telegrafenboys mit ihren Rufen herauszuhören sind, veranschaulicht jene hektischen Momente, in welchen die Passagiere Abschied nehmen und sich auf ihre große Reise begeben. Die Abfahrt aus New York begleiten Jazzrhythmen, die sich alsbald hin zu einer Tangomelodie entwickeln, welche klarmacht, dass die Reise in Südamerika enden wird.
Das Charakteristikum der illustrierenden musikalischen Untermalung behält Strunk die ganze Inszenierung über bei. Einige der musikalischen Perlen hat er selbst komponiert und mit Songtexten von Lukas Schrenk in englischer Sprache ausgestattet. Viele andere zitiert und paraphrasiert er, dass es eine wahre Freude ist. Viele der Schiffsreisenden in Zweigs Novelle sind Europäer und so wundert es nicht, dass die Fahrt letztlich auch ein Exodus aus ihrer Heimat ist. „Europe is lost“, singt Strunk an einer Stelle, worauf einige Takte von Brahms ungarischem Tanz Nr. 5 erklingen, der sich rasch zu einem martialischen Marsch auswächst. Der politische Aktualitätsbezug zu unserem Nachbarn, musikalisch subtilst platziert, liegt auf der Hand.
Die Lyrics der Eigenkompositionen beleuchten den ungewöhnlichen Geisteszustand des bäuerlichen Schachweltmeisters, der sich an Bord befindet, aber auch jenen seines Kontrahenten. Auch Dr. B., durch die Isolationshaft unter den Nazis einerseits unfreiwillig zu intellektuellen Höchstleistungen angespornt und andererseits durch diese letztlich auch devastiert, ist ein Song gewidmet. In dieser Komposition kulminieren seine Gefühls- und Geisteslagen bis hin ins Extrem. Der sanfte, melodische Beginn endet in einer wilden Passage, in der die Raserei der gespaltenen Persönlichkeit nicht nur hör-, sondern auch spürbar wird, so mitreißend agieren die Musiker in dieser Szene, an ihrer Spitze Nils Strunk.
Neben der abwechslungsreichen Musik, die dem Text unglaublich viele atmosphärische Farben beisteuert, ist es die grandiose Schauspielkunst, die Begeisterung auslöst. Alle Charaktere, inklusive des Erzählers, gibt Strunk selbst, abwechselnd in unterschiedlichen Stimmlagen und mit kleinen, aber effektiven Kostümwechseln. (Kostüme Anne Buffetrille). Wie er die Schachpartien nachspielt und dabei nicht nur die jeweiligen Gegner verkörpert, sondern auch die um sie herumstehenden Kiebitze, ist schlichtweg vom Feinsten. Die Erzählung des Rechtsanwaltes Dr. B., der berichtet, wie er sich selbst in einer höchst lebensbedrohlichen Situation das Schachspiel beigebracht hat, fesselt, nicht zuletzt auch durch die gelungene Ausleuchtung in dieser Szene. Aber auch jene, in welcher ihn beim Spiel gegen den tumben Schachweltmeister der Wahnsinn ergreift, macht atemlos beim Zusehen.
Strunk begleitet sich selbst am Klavier und tut dies mit einer Selbstverständlichkeit und Professionalität, die in keiner Sekunde erahnen lässt, dass er keine Noten lesen kann. Die Bühnenprospekte werden ebenfalls von ihm selbst verschoben, ganz so, als würde sich die Vorstellung in einem kleinen Theater ohne jegliche Bühnencrew befinden. Maximilian Lindner schuf dafür Leinwände, die in dunklen Schwarz-Grau-Schattierungen menschliche Porträts zeigen. Die Projektion architektonischer Ausschnitte des ehemaligen Hotels Metropol, des Sitzes der Gestapo in Wien, verweist auf die Haft von Dr. B. in diesem Haus, die ihm letztlich den Verstand kostete.
Die übergroße Portion an Musikalität und Kreativität macht diesen Abend so fesselnd. Zur packenden, berührenden und großmeisterlichen Performance kommt, dass Strunk bis auf Kürzungen nicht ins Textmaterial eingriff und ausschließlich Zweigs wohlklingendes Sprachdiktum, das zurecht so geschätzt wird, verwendet.
Dass man mit dieser Art zu spielen und Regie zu führen entweder kläglich scheitert oder einen Triumph einfährt, liegt auf der Hand.
Minutenlange Standing Ovation bei der Premiere, aber auch schon ein enthusiastischer Zwischenapplaus machten deutlich, wie sehr „Die Schachnovelle“ das Publikum begeisterte. Es ist zu erwarten, dass diese Inszenierung sich zu einem Dauerbrenner des Hauses auswachsen wird und das zu Recht.
In der Musikformation wechseln sich Jörg Mikula mit Sebastian Simsa, Hans Wagner mit Bernhard Moshammer und Martin Ptak mit Alois Eberl je nach Aufführungsdatum ab. Hut ab, auch vor ihrer Leistung.