Wer etwas sehen will, muss fragen

Wer etwas sehen will, muss fragen

Die Beuys´sche Kunstgleichung Kunst = Kapital aus dem Jahr 1979 erfährt bei der diesjährigen Ausgabe von curated by_vienna eine Neuinterpretation. „Kunst und Kapital“ ist der Übertitel der Veranstaltung, die von insgesamt 20 Galerien in Wien getragen wird. Unter der Federführung von Departure, einer Tochtergesellschaft der Kreativagentur der Stadt Wien.

Das alljährlich stattfindende Galerienfestival, das mittlerweile internationale Beachtung findet, hat hierfür in 20 Galerien insgesamt 23 Kuratoren und Kuratorinnen nach Wien gerufen. Sie wurden mit einem Text des Philosophen Armen Avanessian konfrontiert. Gebürtig aus Wien, derzeit an der Freien Universität in Berlin tätig, schuf er einen theoretischen Überbau mit dem Titel „Tomorrow Today“, der Fragen zu unserem jetzigen und zukünftigen Finanzsystem gerade im Spannungsfeld der Kunst aufwirft. Avanessian wollte damit keine Anleitung für die Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern geben, sondern vielmehr Denkanstöße liefern.

Eine der wohl radikalsten Antworten auf diese Herausforderung fand die Galeristin Ursula Krinzinger. Für die Gestaltung der Schau in den Räumen in der Schottenfeldgasse 45, jener Location, in der meist junge Kunstpositionen präsentiert werden, lud sie Harald Falckenberg ein. Falckenberg, seit über 20 Jahren Kunde der Galerie Krinzinger, ist für seine große Sammlung zeitgenössischer Kunst in Hamburg mit dem Schwerpunkt auf Counter Culture international bekannt. Mit der Öffnung seiner Sammlung für Publikum wechselte er sogar die Fronten vom Käufer zum Kunstvermittler und Ausstellungsmacher. Als Kurator sieht er sich dennoch nicht und so erbat er sich erst eine Bedenkzeit, bevor er der Wiener Galeristin seine Zusage gab.

Ursula Krinzinger und Harald Falckenberg (c) European Cultural News

Ursula Krinzinger und Harald Falckenberg (c) European Cultural News

Das Ergebnis der anschließenden, intensiven Zusammenarbeit zwischen den beiden ist eine invisible Ausstellung mit dem Titel „Verkauf in Nebenräumen“. Ein Projekt, bei welchem der Terminus Ausstellung eine gänzlich neue Bedeutung bekommt. Zu sehen ist in den schönen, hellen Räumen im Hinterhof des Gebäudes Schottenfeldgasse 45 – nichts – außer Beschriftungstafeln mit den Namen von Künstlern und Künstlerinnen, den Titeln von Bildern oder Objekten, Größenangaben und allfälligen anderen Zusatzinformationen, wie man sie von Ausstellungen her kennt.

Auf den ersten Blick ist man verblüfft, denn die Erwartungshaltung, in einer Galerie Objekte zu sehen, wird hier nicht bedient. Was angesichts der leeren Wände nun tun? Was, wenn Erwartetes nicht präsentiert wird? Man greift kurzerhand auf eine altbewährte Kommunikationsschiene zurück, die man sprechen nennt und beginnt Fragen zu stellen. Am Eröffnungstag stand nicht nur die Galeristin Rede und Antwort, sondern auch Harald Falckenberg selbst. Sein Ausgangspunkt für die Schau war Ärger. Ärger darüber, dass es im heutigen Ausstellungsbetrieb fast schon zum guten Ton gehört, Kunstwerke ohne Beschriftung zu präsentieren. „Kunstwerke erklären sich aber nicht von selbst“ – O-Ton Falckenberg, Krinzinger ergänzend: „Für uns, die wir uns nach jedem Fitzelchen Information über ein Kunstwerk sehnen, ist diese Praxis tatsächlich unmöglich.“

Und so kam Falckenberg auf die Idee, den Spieß doch einfach einmal umzudrehen und nur Informationstafeln ohne Kunstwerke auszustellen. So simpel der Gedanke auch scheinen mag, so viele verschiedene Bedeutungsebenen können ihm zugeschlüsselt werden. Zum einen ist die Idee einer Sammlung, die nur in der Vorstellungswelt der Menschen alleine besteht, nicht neu. In seinem Werk „Étant donnés“ versperrte Marcel Duchamp das erste Mal den direkten Blick auf ein Kunstwerk. In größerem Ausmaß erdachte sich André Malraux ein eigenes musée imaginaire, in dem er alle wichtigen Kunstwerke vereinigte und Marcel Broodthaers wiederum rief in seiner Wohnung ein musée d` art Moderne aus, in dem er in unterschiedlichen Sektionen fiktive Ausstellungen gestaltete. Alle drei Genannten haben mit der konzeptuellen Ausstellung von Falckenberg/Krinzinger eines gemeinsam: Sie hinterfragen die Präsenz eines Kunstwerkes, ihre Präsentation und somit den Kontext in dem sie als Kunstwerk erkannt werden und sie stellen darüber hinaus Fragen zu musealen Gepflogenheiten. Letze Fragestellung wird in der Schottenfeldgasse auf den Betrieb einer Galerie heruntergebrochen.

Die dort nicht an der Wand befindlichen Bilder sind dennoch präsent. In einem zu einem Lager umgebauten Nebenraum. Dort kann man sich dann nach Lust und Laune ein bestimmtes Kunstwerk in natura ansehen. Nachdem es aus dem Regal oder einer Kiste geholt und ausgepackt wurde. Maximal drei Interessierte dürfen zur gleichen Zeit diesen Raum betreten. Dies bewahrt jene Intimität, die für gewöhnlich auch herrscht, wenn Kunst tatsächlich gekauft wird.

Im Nebenraum kann man ungestört Kunst genießen , Verkauf in Nebenräumen, curated by_2015, Krinzinger Projekte (c) European Cultural News

Im Nebenraum kann man ungestört Kunst genießen , Verkauf in Nebenräumen, curated by_2015, Krinzinger Projekte (c) European Cultural News

Was auf den ersten Blick wie eine völlige Negierung der Kunst erscheint, wird angesichts der Möglichkeit, Bilder exklusiv präsentiert zu bekommen und darüber in kleinstem Kreis sprechen zu können, zum Exklusivereignis. Die Befürchtung, bei dieser Ausstellung keinen Verkauf zu tätigen, teilt die Galeristin nicht. „Ich gehe bei keiner Ausstellung von einer Nullnummer aus“.  Angesichts der getroffenen Auswahl ist dies tatsächlich auch höchst unwahrscheinlich.  Eine weitere Ebene, die ursächlich mit der Verkaufsstrategie der Galerie Krinzinger zusammenhängt, wird hier ebenfalls sichtbar. Werden doch wichtige Schätze aus dem Lagerbestand kommuniziert, ohne dass dafür eine umständliche Hängung vorgenommen werden musste. Ohne dass ästhetische Abhängigkeiten, Unterstützungen oder gar Ausschlüsse zwischen den einzelnen Kunstwerken an der Wand bedacht werden mussten. „Wir haben jedoch schon darauf geachtet, dass sich jedes einzelne der Kunstwerke in irgendeiner Art und Weise mit dem vorgegebenen Generalthema beschäftigt“. Manfred Wiplinger, bei Krinzinger tätig, weiß genauestens über die Hintergründe der Arbeiten bescheid, hat das Lager im Griff und kann auf Anhieb das gewünschte Kunstwerk aus dem Regal hervorholen, oder eine der Kisten öffnen.

Tatsächlich geschieht es häufig, dass Kunden auf Messen jene Kunstwerke am liebsten und raschesten kaufen, welche von den Galeristinnen und Galeristen in den kleinen Räumen abgestellt werden, die sich meist in irgendeiner Ecke des Standes befinden. Und es ist üblich, dass gute Geschäfte nicht coram publico, sondern im stillen Kämmerlein verhandelt und abgeschlossen werden. „Die Auswahl der Künstler hat mir Harald Falckenberg komplett überlassen“. Damit fiel jene Entscheidung an Ursula Krinzinger zurück, die für gewöhnlich für die curated by-Ausstellung von einem Kurator einer Kuratorin übernommen wird. Die Fragen, wer nun hier Kurator, wer Ausstellungsmacher oder –macherin ist, von wem welche Idee genau stammt, sind nicht mehr eindeutig zu beantworten. Es ist symptomatisch, dass sich ausgerechnet zwei Vollprofis, die sich bereits Jahrzehnte ihres Lebens mit Kunst beschäftigen und darin zu big playern aufstiegen, an dieser Nummer großen Spaß haben. Und sie funktioniert tatsächlich auch nur, weil man die Namen und teilweise auch die Werke, die hier nur durch kleine Zettelchen in Statthalterform an der Wand präsent sind, kennt. Von Abramovic bis Beuys, von Jungwirth bis Kosuth, von Spoerri bis Warhol – die Liste der nicht ausgestellten Kunstwerke ist lang und illuster und liest sich wie ein who-is-who der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. In einer Galerie, die mit ihren Künstlerinnen und Künstlern erst in der Aufbauarbeit steckt, ginge dieses Konzept nicht wirklich auf. Denn es ist gerade das Kopfkino, die Imagination der bekannten Werke vorweg, die einen beträchtlichen Reiz dieser unkonventionellen Präsentation ausmacht. Was wiederum Rückschlüsse auf die feste Verankerung der Galerie im Kunstbetrieb zulässt.

Versteckt, durch einen schmalen Gang erreichbar, gibt es dann doch noch einen kleinen Showroom. Eine Neon-Arbeit des Altmeisters Joseph Kosuth leuchtet hier aus dem Dunkel. Eine Videoinstallation von Eva Schlegel, auf eine drehende Scheibe projiziert, heischt um Aufmerksamkeit und Zenita Komad ist mit einem Paneel vertreten, auf dem mit Bewegungsmeldern verbundene Glöckchen die Eintretenden begrüßen.

Das Konzept von „Verkauf in Nebenräumen“ beschäftigt sich in erster Linie nicht mit künstlerischen Sichtweisen auf die Veränderung der ökonomischen Strukturen im Kulturbetrieb. Vielmehr gelingt es, das Kaufinteresse auf ganz bestimmte Werke zu fokussieren, die sonst ziemlich sicher nicht in dieser Auswahl zusammengefunden hätten. Zugleich kann aber auch das nur interessierte Publikum ohne Kaufabsichten auf Wunsch jenen Vorgang erleben, bei dem am Ende im Bestfall der Austausch Ware gegen Geld steht. Ob nun die einzelnen künstlerischen Positionen, die sich hier friedlich vereint an den Wänden nur ankündigen, tatsächlich auch Bezüge zu Avanessians Fragestellung aufweisen, muss man entweder seiner eigenen Sachkenntnis überlassen, oder auf die Auskünfte der Galeristin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bauen. Was hier auf den ersten Blick fehlt sind zwar die Bilder, was hier aber in Gang gesetzt wird ist eine Art von Kommunikation, die sich angesichts eines normalen Ausstellungsbetriebes immer seltener einstellt. Interessierte kommen, schauen, gehen. Gefragt wird nicht, der optische Eindruck genügt den meisten. Wer hier aber etwas sehen will, muss fragen und befindet sich damit ad hoc in einem Dialog. Wer nicht fragt, geht erkenntnislos nach Hause.

Martin Kippenberger dankt der Putzfrau

Martin Kippenberger dankt der Putzfrau

In den letzten beiden Tagen verbreitete sich eine kurze Nachricht wie ein Lauffeuer in die Print- und Onlineredaktionen dieser Welt, obwohl die Nachricht aus dem Bereich Kultur stammte: Putzfrau scheuert Kunstwerk weg!

Hinter dieser Schlagzeile steht die übereifrige Aktion einer Putzfrau im Ostwall Museum in Dortmund. Dort hat sie Kalkflecken in einer Plastikwanne, die sich unter einem Holzgestell, das mitten im Ausstellungsraum aufgestellt war, einfach weggeputzt. Schmutz im Museum – wo gibt´s denn so was! Das Ungute daran war nur, dass es sich dabei um ein Kunstwerk von Martin Kippenberger gehandelt hatte. Eine Installation im Raum, die genauso, wie sie dort stand, vom Künstler einst konzipiert worden war.

Der Vorfall wird landauf, landab, wie eine kuriose Anekdote gehandelt, die schenkelklopfend weiter erzählt wird und sich wie bei der stillen Post m Lauffeuer verbreitet. Ob im Büro in der Kaffeepause, beim Stammtisch am Abend oder – hier passt sich das Umfeld sogar dem Sujet an  – während, vor oder nach Ausstellungseröffnungen. Martin Kippenbergers Werk „Wenn´s anfängt durch die Decke zu tropfen“ sorgt so völlig unbeabsichtigt global für Furore. Oder doch nicht völlig unbeabsichtigt? Kippenbergers Ursprungsintention kommt der Aktion sicherlich sehr, sehr nahe, denn viele Werke in seinem Schaffen waren darauf angelegt zu provozieren. Provozieren im Sinne der Hinterfragung von Kunst, deren Rezeption und Wert, deren Originalität und deren Absolution durch den Künstler selbst.

Wenn ich mir – gestatten Sie mir diesen Ausflug ganz kurz – eine ideale Gesellschaft vorstelle, dann bedürfte es keiner Argumente und keiner Gegenbeispiele, wenn es darum geht, die Kunst, Künstlerinnen und Künstler zu verteidigen. Denn in dieser, meiner idealen Gesellschaft besäßen die Menschen einfach weniger Neid und Hass, weniger Kurzsichtigkeit und weniger Prinzipientreue, weniger Anhänglichkeit an die gute alte Zeit, in der alles viel besser war. In dieser friedvollen Umgebung  hätten die Menschen mehr Bereitschaft aufeinander zuzugehen, gegenseitig Meinungen auszutauschen, mehr zu fragen und über Antworten auch nachzudenken – mit anderen und viel kürzeren Worten: In meiner Idealwelt wären die Menschen offener und toleranter Andersdenkenden gegenüber.

Allerdings wäre in einer solchen Gesellschaft dieser Artikel gar nicht notwendig. In dieser sozialen Struktur, die getragen ist von Freude am Erfolg der anderen und nicht an deren Misserfolg hätte es gar keinen Sinn gehabt, die unglückliche Putzfrau an die Weltöffentlichkeit zu zerren. Dann wäre ihr Missgeschick eines von abertausenden, das jeden Tag im Zuge von Reinigungsarbeiten vorkommt und damit nicht eines einzigen müden Wortes wert.

Da es diese Idealgesellschaft aber niemals gab und auch niemals geben wird, sind Artikel wie dieser hier notwendig – nicht um einen Graben zu jenen zu bauen, die anders denken als ich. Sondern viel mehr, um aufzuzeigen, dass man diesen Graben getrost zuschütten kann, denn er ist eine Stolperfalle für das alltägliche Miteinander, das auch ganz ohne Parteinahme für oder gegen Kunst nur durch eine große Portion Toleranz möglich ist.

Replik von Duchamps Fountain

Replik von Duchamps Fountain im Musée Maillol, Paris – Foto: (c) Micha L. Rieser

Kehren wir wieder zurück zu Kippenbergers Kunstzugang, der die Provokation nicht ausschloss. Mit dieser bewussten sozialen  Attitüde stand Kippenberger ja bei Weitem nicht am Beginn dieser kunsthistorischen Entwicklung. Der „Fountain“ von Marcel Duchamp markierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Beginn jenes Prozesses, den viele mit dem Verfall der Kunst schlechthin betiteln. Andere wiederum halten diesen als einen der genialsten Einfälle in der Kunstgeschichte. Duchamp ging es darum, die Urheberschaft eines Kunstwerkes komplett neu zu definieren und alles zu einem Kunstwerk zu erklären, was an Objekthaftem auf dieser Welt existiert. Er reichte ein industriell gefertigtes Urinal, das er mit einem pseudonymen Monogramm versah, bei der Society of Independent Artist in N.Y. für eine Ausstellung ein. Mit diesem Akt sowie dem Setzen des  Monogrammes auf dem Objekt im Jahre 1917 gelang Duchamp tatsächlich ein Coup. Obwohl die Ausstellung so illustre Namen wie Brancusi oder Picasso aufwies, ging sie ausgerechnet durch ein Werk in die Kunstgeschichte ein, das dort gar nicht gezeigt wurde. Denn Duchamps Einreichung wurde vom Gremium abgelehnt.

Fragt man in diesem Zusammenhang unbedarfte, soll heißen in der Kunstgeschichte nicht bewanderte Mitmenschen, was sie von Kippenbergers Kunst halten, so erhält man meist dieselbe Antwort, die Duchamp schon bei der Einreichung seines Urinals erhalten hat. „Das soll Kunst sein?!“ Der Akt, ein Objekt wie das Urinal oder die aus „armen“ Materialien hergestellte Installation von Kippenberger  auszustellen, wird zuallererst als reine Provokation empfunden. Als eine Veräppelung, um es noch höflich auszudrücken, des werten Ausstellungspublikums, das ja eigentlich deswegen in eine Ausstellung geht, um sich von schönen Dingen erbauen zu lassen.

„Das gesunde Volksempfinden“ wie es oft so verheerend zitiert wird, unterstellt Kippenberger – bleiben wir beim aktuellen Anlassfall –  dass er ganz bewusst in die Provokationskiste gegriffen hat, um mit seiner Arbeit Aufmerksamkeit und – nicht zu vergessen – Geld zu generieren. Denn, so weiß man in der Zwischenzeit auch, Kippenbergers Arbeit wird mit einem Marktwert von 800.000,– Euro beziffert. Im Wissen um den vermeintlichen Wert des Kunstwerkes fühlen sich die Schlagzeilenkonsumenten gleich zweifach betrogen.  Nicht nur, dass etwas, das für sie völlig unverständlich ist, durch das Ausstellen in einem Museum mit einem Kunstnimbus versehen wird, sondern man kann damit offenbar auch noch Preise erzielen, die so astronomisch sind, dass viele normalbürgerliche Leben gar nicht ausreichen würden, um eine derartige Summe überhaupt zu erwirtschaften. Zugegeben: Diese Erniedrigung, wenn man sie denn als solche empfindet, schmerzt. Zeigt sie doch, dass es offenkundig Menschen, ja Künstler wie Kippenberger gibt, die erstens mehr vom Kunstbetrieb verstehen als die Kunstbanausen selbst und zweitens aus diesem Wissen auch noch richtig Kapital schlagen können. Und das noch dazu mit Dingen, die bei vielen zuhause zumindest als Einzelkomponenten in der Garage oder im Keller stehen. So fragen sich die Menschen also worin der Unterschied zwischen ihrem Gerümpel und jener Installation besteht, die sich im Museum befindet.  Vielmehr, sie fragen sich das nicht wirklich, sie stellen nur fest und greifen sich an den Kopf, warum so etwas überhaupt in einer Ausstellung gezeigt wird.

Aber hier sage ich STOPP: Meine sehr geehrten Damen und Herren, STOPP!

Lassen Sie mich, so emotionsfrei ich es überhaupt nur in der Lage bin zu tun, kurz erklären, was es mit Kunstwerken wie dem „Fountain“ oder „Wenn´s anfängt durch die Decke zu tropfen“ auf sich hat, ohne hier eine große kunsthistorische Abhandlung zu schreiben. Oder besser gesagt: Lassen Sie mich erklären, warum Sie mit ihrer kategorischen Ablehnung gegenüber zeitgenössischer Kunst nicht nur die Gefühle von Menschen verletzen, sondern letztendlich auch demokratiepolitisch mehr als fragwürdig agieren.

Wie Sie sicherlich wissen, gibt es in der Zwischenzeit hunderte, tausende, ja abertausende Kunstwerke, die weltweit in Galerien und Museen gezeigt werden und die von den wenigsten Menschen in irgendeiner Art und Weise auch nur ansatzweise verstanden werden. Und dennoch werden diese Ausstellungen besucht, werden Artikel über diese Kunstwerke geschrieben und kaufen Museen einen – zugegebenermaßen  – winzigen Teil dieser Kunstproduktion auch an. Das bedeutet also dass, wenn Sie auch nur ein klein wenig über die Thematik nachdenken würden, auch wenn Sie gar nichts von Kunst verstehen, zu gewissen logischen Schlüssen kommen müssten. Zum Beispiel zu jenem, dass es sich bei der zeitgenössischen bildenden Kunst offensichtlich um einen Teilbereich unseres sozialen und ökonomischen Lebens handelt, der einen gewissen Wert repräsentiert, obwohl und von dem eben viele überhaupt keine Ahnung haben. Wenn man von etwas überhaupt keine Ahnung hat und damit konfrontiert wird – egal ob es sich um Bildende Kunst, Literatur, Tanz, Musik oder schlichtweg eine neue Idee handelt, die Althergebrachtes von einem neuen Blickwinkel aus betrachtet und auch einmal vom Sockel stoßen kann – gibt es zwei grundsätzliche Reaktionen von Menschen. Die einen lehnen das Neue grundsätzlich ab, stört es doch das bisher so schön Vertraute, den Habitus, den man sich zugelegt hatte, die Erklärungsmodelle, die man kannte! Die anderen hingegen werden neugierig und beginnen zu hinterfragen: Was ist das denn? In welchem Zusammenhang ist denn dieses Neue entstanden? Was war denn die Idee dahinter und warum tue ich mir schwer, dieses Neue hier zu verstehen?

Menschen, die zur zweiten Kategorie gehören, haben es im zeitgenössischen Kunstbetrieb auf alle Fälle viel leichter sich zu orientieren. Denn  ihnen eröffnet sich zumindest die Chance, Neues zu erfahren, dazuzulernen, ihren Horizont zu erweitern. Sie könnten, wenn sie sich auch nur ein klein wenig Mühe geben – um zurückzukehren zu Marcel Duchamp und Martin Kippenberger – zum Beispiel erfahren, dass es nun schon seit beinahe 100 Jahren möglich ist, ein Objekt als Kunstwerk zu definieren auch wenn dieses keinerlei ästhetische Kriterien erfüllt, nicht als Artefakt geschaffen oder schlichtweg auch schon mal als Klamauk angelegt wurde. Um noch ein klein wenig mehr Aufklärungsarbeit hier zu leisten, denn schließlich habe ich mir zum Ziel gesetzt, sie mit diesem Artikel auch ein wenig kunstschlauer zu machen, sei auch noch Joseph Beuys erwähnt, dem es ja ähnlich erging wie Martin Kippenberger. Besser gesagt durften gleich zwei seiner Werke erleben, was es heißt, dem Putzwahn zum Opfer zu fallen.  Doch über den Einsatz von Materialien wie Fett, welche bis dahin in den Kunstbetrieb keine Aufnahme gefunden hatten, fügte Beuys – mehr als 50 Jahre nach Duchamps revolutionärem  Kunstansatz der Kunstgeschichte noch einen weiteren Aspekt hinzu. Nämlich seinen sozial erweiterten Kunstbegriff, in welchem er menschliches Handeln, das im sozialen Umfeld stattfindet, ebenso zur Kunstproduktion zählte wie die Herstellung von Kunstwerken selbst. Nun war plötzlich – was so hier nur verkürzt und ungenau wiedergegeben werden kann – nicht nur jedes Objekt ausstellungswürdig, sondern auch noch jeder Mensch ein Künstler!

Diese beiden herausragenden Künstler – Duchamp und Beuys – hatten mit ihren Ideen maßgeblichen Einfluss auf das Kunstgeschehen nach ihnen. Wobei es ihnen ja vor allem auch darum ging, die Kunst selbst zu hinterfragen. Und gerade daran spießt sich so manche  Publikumszustimmung, handelt es sich bei diesen Ideen ja nicht mehr um etwas, was dinglich fassbar ist, sondern um abstrakte Gedanken, die man erst einmal aufnehmen und selbst durchdenken muss  um sie zu erfassen, ihnen zuzustimmen oder sie abzulehnen. Um Duchamp und Beuys zu verstehen und mit Ihnen einen Großteil des Kunstgeschehens nach dem Zweiten Weltkrieg, muss man sich über sie informieren, muss das eigene Denkvermögen in Anspruch nehmen und erst einmal zumindest versuchen, unvoreingenommen diese Ideen zu analysieren.

Mir muss ein Kunstwerk gefallen, alles andere zählt für mich nicht! Wenn man Kunst nun auch schon erklären muss, dann hört es sich für mich ja ganz auf! Das sind nur zwei von mehreren Aussagen, die Kunstkenner immer wieder zu hören bekommen. Oder auch solche Menschen, die einfach in ein Museum mit zeitgenössischer Kunst gehen und ihre Ohren ein wenig aufsperren. Diese Argumente sind auch im Fall Kippenberger gang und gäbe.

Malewitsch, Kasimir - Schwarzes Quadrat auf weißem Grund

Schwarzes Quadrat auf weißem Grund, 1915 (c) Hungerberg

An dieser Stelle möchte ich eine kleine Begebenheit erzählen, die mich persönlich sehr berührt hat und sehr gut zum Thema passt. Vor 13 Jahren fand in Graz eine groß angelegte Ausstellung mit dem Titel „Die Farbe Schwarz“ statt. In dieser Ausstellung war als kunsthistorisches Highlight das „Schwarze Quadrat auf weißem Grund“ von Kasimir Malewitsch zu sehen. Mein damals  15jähriger Sohn ging aufgrund eines Schulprojektes mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern in diese Ausstellung. Als er nach Hause kam, erzählte er mir, dass er eines der schönsten Bilder gesehen hätte, das ihm je untergekommen sei. Und er schwärmte von Malewitschs Bild. Meine Verwunderung war groß, denn ich hatte meinem Sohn nicht zugetraut, dass ein suprematistisches Werk ihn derart in seinen Bann ziehen würde, hatte ich mit ihm zuvor ja auch noch nie über Malewitsch oder den Suprematismus gesprochen.  Als ich wenige Wochen später bei einer Schulveranstaltung war, kam eine Lehrerin meines Sohnes direkt auf mich zu, um mir Folgendes zu sagen: Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, denn ihr Sohn hat etwas geschafft, das bisher noch niemandem aus dem Lehrkörper gelungen ist. Er habe mit einer unglaublichen Leidenschaft für das Bild „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ Partei ergriffen, als ein Mitschüler sich darüber lustig machte und erklärt hatte, dass er das ja auch gekonnt hätte und dass dieses Bild ja wohl keine Kunst sei! Daraufhin habe sich mein Sohn – völlig unerwartet – vor seinen Schulkameraden gestellt und gefragt, ob er denn überhaupt wisse, welche Art von Kunst in jener Zeit, als das Bild entstanden war,  gerade ihre Hochblüte gefeiert hätte. Es sei der Jugendstil gewesen, der mit seinen überbordenden Formen und Schnörkeln die ganze Welt in Atem hielt und behübschte – und alleine der Gegensatz, den Malewitsch dieser Kunstform mit diesem Bild entgegenbrachte, sei schon eine unglaublich heroische Tat gewesen. Denn er könne sich doch wohl vorstellen, was der Künstler an Hohn und Spott ertragen hätte müssen, als er dieses Werk der Öffentlichkeit präsentierte! Nach dieser leidenschaftlichen Parteinahme hätte der jugendliche Kunstverächter kleinlaut auf dem Absatz kehrt gemacht und in der Gruppe Schutz gesucht, um sich nicht einer weiteren Debatte und Belehrung stellen zu müssen. Aber die junge Aufseherin in dem Saal, eine Kunststudentin, wie sich herausstellte, sei schnurstracks auf meinen Sohn zugegangen, hätte ihm die Hand entgegengestreckt und nun den seinerseits Verblüfften, während sie seine Hand beständig schüttelte, laut erklärt: Ich danke dir für diesen Auftritt, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gut das tut. Weißt du, ich höre diese Argumentation, dass das ja keine Kunst sei und man das ja auch könne am Tage ja x-mal und es tut einfach gut, dass du dich hier zu Wort gemeldet hast.

Ich war – um es ganz salopp auszudrücken – nach dieser Erzählung der Lehrerin von den Socken. Nicht ob des kunsthistorischen Wissens meines Sohnes, sondern vielmehr weil er für eine künstlerische Position Partei ergriffen hatte, von der er zuvor wenig oder gar keine Ahnung gehabt hatte. Ich war berührt, dass er sich für den Künstler hinter dem Kunstwerk eingesetzt hatte. Dass er verbal für jemanden eintrat, der zu seiner Zeit anders dachte als der Großteil der Menschen und dieses andere Denken auch künstlerisch ausdrückte. Mein Sohn hatte also, ohne darüber groß nachzudenken, Partei für die Meinungsäußerung und Ideenvielfalt ergriffen, die – gerade was die Kunst betrifft – auch noch heute vom Großteil der Bevölkerung mit den Füßen getreten wird.

Denn Aussagen wie „Das soll Kunst sein“, „Das gehört ja verboten“, „Das ist ja unglaublich, dass das auch nur einen Euro kostet“ usw. usw. schränken genau diese Meinungsfreiheit, das Recht eine ganz persönliche Position zu beziehen, massiv ein und untergraben sie. Wenn man auf der Straße eine Befragung startete, würde die Mehrheit dafür plädieren, Kunst wie jene von Martin Kippenberger nicht im Museum auszustellen. Für diese Aussage braucht man kein Hellseher sein.

Aber ich möchte etwas genauer hinsehen. Denn, blickt man hinter die Kunst ablehnenden Aussagen, so wird rasch klar, dass sich hinter diesen Beschwerden ja noch eine ganz andere Bedeutungsebene versteckt liegt. Den meisten Nörglern geht es gar nicht darum, ob ein bestimmtes Werk nun Kunst ist oder nicht. Es geht nicht darum, ob bestimmten Objekten dieser Status zugebilligt werden kann oder nicht, sondern vielmehr um die Künstlerinnen und Künstler hinter dem Kunstwerk selbst. Es geht um jene Menschen, die Kunst machen, mit ihr in einen sozialen Dialog treten wollen und – wenn sie Glück haben – von ihrer Arbeit auch leben können. In den meisten Fällen sei hier noch kurz angemerkt, ohnehin mehr schlecht als recht. Es geht darum, dass den Kreativen nicht nur ihre Arbeit mit einem Federstreich unreflektiert mies geredet wird, sondern im Grunde genommen wird ihnen genau diese Tätigkeit, das Arbeiten an und mit der Kunst, geneidet. Ideen ihren freien Lauf zu lassen und umzusetzen, das ist es ja, was jede und jeder von uns gerne möchte, aufgrund persönlicher Befindlichkeiten und Umstände jedoch die wenigsten können. Der Großteil der westeuropäischen Bevölkerung ist mit seinem beruflichen Schicksal, wie aktuelle Untersuchungen zeigen, unzufrieden. Und Unzufriedenheit schürt Neid. Wenn dann, wie im Fall Kippenberger, auch noch Summen kolportiert werden, von denen der Großteil der Menschen nur träumen kann, dann schlägt dieser Neid auch schnell in Hass um, der sich dann in den schon zitierten Aussagen Luft macht. Dann darf auch das Totschlagargument der Steuergelder nicht fehlen, die ja „von uns allen bezahlt werden“ und so nicht vergeudet werden dürften, handelt es sich um eine Ausstellung, die von öffentlicher Hand bezahlt wird. Dieses – man muss es laut aussprechen – extrem dumme Argument kommt immer, wie das Amen im Gebet. Was es mit der Umwegrentabilität auf sich hat, die einen Teil des Kunstbetriebes erst möglich macht, habe ich bereits in einem anderen Artikel versucht klar, zu machen. Aus diesem Grund soll hier nur die Anmerkung gemacht werden, dass das durch unsere Steuern erwirtschaftete Geld, das in Kunstsubventionen ausgegeben wird, Menschen und nicht Objekten zugutekommt. Es soll darauf hingewiesen werden, dass es in die Wirtschaft wieder zurückfließt und dort wiederum vielen Menschen ihre Arbeitsplätze sichert.

Die wenigsten von uns sprechen der werktätigen Bevölkerung, die in der Konsumgüterproduktion, der Verwaltung, der Politik oder zum Beispiel in der chemischen Industrie arbeitet – um nur willkürlich einige Bereiche unseres Lebens herauszugreifen – ihr Recht auf Arbeit ab bzw. hinterfragt die Sinnhaftigkeit derselben. Obwohl, wie wir alle wissen, vieles von dem, was Menschen tun schlichtweg hirnrissig ist oder für die Gemeinschaft, wie sich oft später erst herausstellt, sogar eine große Gefahr darstellt. Hier ist es aber die Masse der Menschen, die dieses Tun rechtfertigt und vor allem das System, in das ihr Handeln eingebunden ist. Hinterfragt wird dies genauso nur von einer kleinen Minderheit, wie sich auch nur eine kleine Minderheit für zeitgenössische Kunst interessiert. Wobei es sich hier keinesfalls um eine gemeinsame Interessengemeinschaft handeln muss, im Fall von Künstlerinnen und Künstlern dies jedoch oftmals dennoch der Fall ist. Alltägliches wird vom Großteil der Bevölkerung nicht hinterfragt, ganz nach dem Motto –  was ich und mein Nachbar tue, das kann ja nicht falsch sein! Finanzkrisen, Bohrinselkatastrophen, Reaktorunfälle, verseuchtes Grundwasser aber auch schon kleine regional- und nationalpolitische Fehlentscheidungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Für sie alle ist eine große Menge von Menschen verantwortlich, die fleißig daran mitgearbeitet hat, dass diese Unglücke überhaupt eintreten konnten. Ihnen wird aber in keiner Weise ihr Tun vorgeworfen, ihnen neidet man nicht ihr meist monatlich regelmäßiges Einkommen, ihren gesetzlich geregelten Urlaub, die Möglichkeit in Krankenstand zu gehen und ab einem Zeitpunkt x in Pension. Künstlerinnen und Künstler, die mit ihrer Arbeit reüssieren, sehen sich hingegen häufig in der Situation, das erwirtschaftete Geld zu rechtfertigen. Ist das nicht mehr als eigenartig? Ich zumindest kann mich beim besten Willen an keinen einzigen Fall erinnern, der durch Künstlerinnen oder Künstler ausgelöst worden wäre, an dem die Gemeinschaft Schaden erlitten hätte. Meistens ist es genau umgekehrt. Die Gesellschaft erleidet durch Kunst keinen Schaden sondern im besten Fall einen Mehrwert, der sich dann auch noch als nachhaltig erweist, wenn zum Beispiel ein Kunstwerk ins Museum kommt und dort von vielen Menschen betrachtet werden kann, die daraus wieder ihre Schlüsse und Erkenntnisse ziehen. Warum also ist es ausgerechnet die Kunstszene, die sich für ihr Tun ständig rechtfertigen muss? Ist sie vielleicht ein willkommenes Ventil, mit dessen Hilfe sich so manch aufgestauter Frust loswerden lässt? Dient sie als Prellbock für all jene Frustrierten, die sich ihre Wünsche und Begierden im Leben nie erfüllen können und eine solche Erfüllung allen neiden, die dazu gelangen könnten?

Wer sich nun verwundert, dass es in diesem Artikel schon seit geraumer Zeit nicht mehr um Kunst geht, der- oder demjenigen sei gesagt, dass ich es mehr als leid bin, Kunst gegen all jene zu verteidigen, die gar nicht willens sind, diese zu verstehen, sich auf sie einzulassen und über sie nachzudenken. Ich bin nun mal ganz einfach auch so präpotent und halte ihnen allen gerade keinen Kunstspiegel entgegen, in dem sie sich ohnehin nicht erkennen würden, sondern ich behaupte  einfach ganz nüchtern, dass sie sich schlichtweg mit ihren Schimpftiraden, Verunglimpfungen oder dem Lächerlichmachen unverstandener Kunst auf sehr dünnem Eis bewegen. Auf einem Eis, in das sie, wenn es jemand aus der Künstlerschaft einmal darauf anlegen würde, mit Krach einbrechen könnten. Denn diese Aussagen widersprechen doch alle samt und sonders jenen Grundsätzen, die in der Deklaration der Menschenrechte festgelegt wurden und somit auch vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingeklagt werden können.

Insbesondere in den Artikeln 18, 19, 23 und 27 ist all das geregelt, wogegen sich das schon zitierte „gesunde Menschenempfinden“ – (eindringlich sei vor jedem und jeder gewarnt, die mit diesem Begriff argumentativ operiert) in Zusammenhang mit zeitgenössischer Kunst, die eben Erklärungen bedarf um sie zu verstehen, verwehrt.

Artikel 18 (auszugsweise)

Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit …

Artikel 19

Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Artikel 23 (auszugsweise)

  1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl…

 

Artikel 27

2. Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.

Diese hier angeführten Rechte gelten, ganz platt gesagt, sowohl für die Kunstkonsumenten als auch für die Kunstproduzenten. Sowohl als auch wohl gemerkt. Jeder hier angeführte Punkt kann, sehen wir die Sache nun von der Seite der Künstlerinnen und Künstler an, sofort als Gegenargument gegen jene Ansagen angeführt werden, die landauf landab so fröhliche Urstände feiern und die zeitgenössische Kunst am liebsten von der Ausstellungsbildfläche verbannen würden.

Um noch einmal auf das Argument der Steuergeldverschwendung einzugehen, so sei hier explizit festgehalten, dass eine Demokratie sich nur dann tatsächlich als Demokratie und nicht als Diktatur erweist, wenn auch die Minderheiten in ihr zu ihrem Recht kommen. Und Kunstschaffende sind nun einmal genauso in der Minderzahl wie deren aktive Befürworter. Für beide Gruppen ist es aber unabdingbar notwendig, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, Kunst entweder zu produzieren oder sie anzusehen und über sie nachzudenken. Auch wenn das für viele nicht nachvollziehbar ist. Für mich persönlich gehört die Reflexion über das zeitgenössische Kunstgeschehen, egal welche Kunstgattung es auch immer betrifft, unabdingbar zu einem erfüllten Leben, ja sogar zu meinem persönlichen Lebensglück dazu. Ich weiß definitiv, wovon ich spreche, hatte ich doch auch Zeiten, in denen es mir nicht möglich war, über Kunst nachzudenken und darüber zu schreiben. Zeiten, in denen ich dies als so große Entbehrung empfunden habe, dass ich alle Hebel in Bewegung setzte, um wieder zu dem zu gelangen, was für mich geistige Nahrung bedeutet ohne die es mir nicht wirklich gut geht. Ich bin jedoch und das gebe ich unumwunden zu, ein riesengroßer Sportbanause und habe nicht die geringste Ahnung von Fußball. Für mich bräuchte es keinen einzigen Fußballclub und kein einziges Stadion geben aber ich käme nicht im Traum darauf, mich dagegen auszusprechen und all jene scheel anzusehen, die damit ihr Geld verdienen oder einen Großteil ihrer Freizeit opfern, weil es ihnen Fußball ganz einfach Spaß macht und er für sie wie ein Lebenselixier wirkt.

Was die Sache schlussendlich wahrscheinlich noch ganz im Sinne Kippenbergers ironisch macht ist, dass die ach so lustige Kolportage und die damit verbundene unterschwellige Zustimmung zur Handlung der Putzfrau und zugleich zur Ablehnung des Kunstwerkes – eben dieses weltweit noch wesentlich bekannter macht, als es bis dato gewesen ist. Auch oder nun gerade bei jenen, die bisher mit dem Namen nichts anfangen konnten und vielleicht dachten, Kippenberger sei eine augenzwinkernde amikale Bezeichnung eines notorischen Rauchers. Die Aufmerksamkeit, die diesem Kunstwerk nun entgegengebracht wird, trägt jedoch zu einer Wertsteigerung des Kippenberger´schen Gesamtoeuvres bei, was zumindest seinen Erben bzw. den Besitzern seiner Werke zugute kommt. Warum dies der Fall ist, ist wiederum eine ganz andere Geschichte, aber verzeihen Sie, wenn ich hier an dieser Stelle die Mechanismen des Kunstmarktes nicht auch noch beleuchte.

Eines steht fest: Martin Kippenberger hätte, hätte er den Vorfall und die Publicity um sein Werk noch erlebt, der Putzfrau sicherlich gedankt! Vielleicht hätte er ihr auch eine seiner kleineren Arbeiten geschenkt – mit der diese wiederum, das steht fest – zwar nichts anfangen hätte können. Aber gewiss wäre sie damit sehr, sehr sorgsam umgegangen.

Zeitgenössische, französische Kunst satt

Zeitgenössische, französische Kunst satt

10 Jahre Marcel-Duchamp-Preis in Frankreich

le continent africain Photo adagp Paris 2010

Thomas Hirschhorn, Die 5 Kontinente : der afrikanische Kontinent, 1999, Holz, Alupapier, Silberpapier, verschiedene Materialien, 180x 220 cm, Sammlung Jean Brolly, Paris. Photo : D.R. © Adagp, Paris 2010

Das MAMCS, Musée d´art moderne et contemporain de Strasbourg, ist immer einen Besuch wert. Bis zum 13. Februar kann man sich bei der aktuellen Ausstellung einen wunderbaren Überblick über die französische, zeitgenössische Kunstszene verschaffen. Und dies ist eigentlich auf eine Privatinitiative zurückzuführen, was umso bemerkenswerter ist. Urheber der Ausstellung „De leur temps 3“ oder , wie es die Organisatoren übersetzten „Zeitgeist 3“ ist die ADIAF, ein 1994 gegründeter Verein, der sich um die Verbreitung zeitgenössischer französischer Kunst kümmert. In ihm haben sich mehr als 300 Kunstsammler zusammengeschlossen, die nun seit 10 Jahren alljährlich den sogenannten „Prix Marcel Duchamp“ vergeben. Die Werke für diesen Kunstpreis werden von den Mitgliedern der ADIAF eingereicht und die Sieger daraus von einer fachkundigen Jury gewählt.

Die Ausstellung, die sich auf zwei Kunstszentren aufteilt, nämlich dem Museum in Straßburg und dem FRAC in Sélestat, ist bislang die dritte große, welche die ADIAF in Museen platziert hat. In den Jahren zuvor zeigte bereits einmal das Musée des Beaux-Arts in Tourcoing, sowie das Museum in Grenoble eine Schau der jungen, sammlungswürdigen Szene. In diesem Jahr nun werden insgesamt 150 Werke von 42 Künstlerinnen und Künstlern präsentiert, 7 davon sind auch mit Arbeiten in Sélestat vertreten. Wer beide Ausstellungen gesehen hat, versteht die sinnhafte Verschränkung, die den Kuratorinnen und Kuratoren sehr gut gelungen ist.

Skulpturen, Installationen und Fotoarbeiten machen den Hauptteil der Kunstwerke aus, dahinter kommen zahlenmäßig Videos, sowie ganz zum Schluss die Malerei, die nur mehr einen verschwindend kleinen Prozentsatz der gezeigten Werke ausmacht. Ein typisches Zeichen auch für die zeitgenössische Kunstszene, die offenbar die Malerei nach wie vor als ein Medium in der Krise versteht. Der große Umfang der Arbeiten ließ in Straßburg eine Unterteilung in verschiedene thematische Bereiche zu. „Zeitzeugen“, „Vergänglichkeit des Vergänglichen“, „Auf der anderen Seite des Spiegels“, „Raumeroberungen“, „Erbstücke“, „Anleitungen zum Leben“ sowie „Städte und Architektur“ sind die einzelnen Abteilungen aussagekräftig übertitelt. Einige der Künstler haben bereits internationale Anerkennung erlangt, allen voran der Schweizer Thomas Hirschhorn, der jedoch in Paris lebt, oder aber auch Wang Du, der nach dem Massaker am Tian`anmen Platz nach Paris übersiedelte. Sowohl Hirschhorn als auch Wang Du sind mit ihren Arbeiten im Themenbereich „Zeitzeugen“ angesiedelt. Wang Du´s hingeworfene und zerknüllte Businesszeitung, im Großformat hyperrealistisch nachempfunden, steht im krassen Gegensatz zu seiner Skulptur „Reliquie Veronica Bland“, jenem naturalistisch-expressionistischen Brustportrait, das auf einem einfachen Sperrholzsockel sitzt und an jene Frau erinnert, die in England erfolgreich als erste gegen rauchende Kollegen klagte. Hirschhorns Reliefkollagen der fünf Kontinente, in welchen Alufolie als Grundmaterial diente, stellen gerade in der Gegenüberstellung zu Wang Du in ihrer trashig-poppigen Aussage einen bedenkenswerten Kontrast dar. Auf der einen Seite Perfektion, um das Gefühl eines hochwertigen Kunstwerkes zu vermitteln, auf der anderen Seite bei Hirschhorn ein glitzerndes, materielles Understatement, das bewusst als Konsumkritik eingesetzt wird und als solche auch so verstanden werden soll.

Ein interessanter Themenbereich wurde mit „Erbstücke“ übertitelt und enthält Arbeiten von Künstlern, die sich plakativ oder auch subtil mit der kunsthistorischen Vergangenheit auseinandersetzen. Mathieu Merciers „Etagères“ sind hier zu nennen, schwarze Regale, mit blauen, roten und gelben Objekten darin, die unverzüglich den Bezug zu Piet Mondrians Arbeiten assoziieren. Gleich daneben, nur für aufmerksame Besucher zu sehen, weil im Durchgang an der Decke angebracht, winkt uns ein bunter Stab von Sâadane Afif entgegen, mit einem unüberhörbaren Echo zu den Arbeiten des zu jung verstorbenen Andre Cadere. Viel weiter zurück greift Stéphane Calais mit seinem „L´Herbier d´Etretat“. In seinen freien Pflanzenassoziationen, akkurat mit zarten, schwarzen Linien ausgeführt und zu einem großen Ensemble zusammengefügt, schwingen jene naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen nach, die im 17. Jahrhundert in Holzschnitten zusammengefasst, als Lehrwerke die europäischen Gelehrtenstuben erreichten.

lecontact

Philippe Ramette, Exploration rationnelle des fonds sous-marins : le contact, 2006, Farbfotografie, 150×120 cm ou 100×80 cm, collection particulière © Philippe Ramette © Adagp, Paris 2010

Richard Vauguet mit seinem Tischtennistisch, an welchem er mit Bällen den Verlauf der Ballkurven optisch nachvollziehbar gemacht hat, Michel Blazy, der mit Hundekuchen und Schweinsohren ein menschliches Skelett nachgebaut hat, Nicolas Moulin, dessen photographisch- fantastische Architekturlandschaften die Betrachter irritieren sind weitere Künstler, die zu Recht in der Ausstellung vertreten sind. Gilles Barbier, Olivier Balnckart, Céleste Boursier-Mougenot, Philippe Ramette ebenso, obwohl die Nennung hier nur eine willkürliche ist, um die Bandbreite der gezeigten Werke kurz aufzulisten. Die Reihe lässt sich noch fortsetzen.

Im ersten Stock gibt es auf Anhieb ein absolutes Aha-Erlebnis. Hier nämlich fügt sich dem Betrachter optisch das Werk von Felice Varini zusammen, das zuvor nur partiell, wenn überhaupt, wahrgenommen wurde. Der geborene Schweizer, der in Frankreich lebt, hat sich vor allem durch seine illusionistischen, großflächigen, perspektivischen Arbeiten im Raum einen Namen gemacht. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie, wie er sagt, meist nur von einem einzigen, optimalen Standpunkt aus in ihrer Gänze erkennbar werden. Varinis Arbeit besticht nicht nur durch die intelligente und zugleich einzigartige Nutzung des Raumes, zu der auch ein großes Stück Rechenarbeit gehört, sondern vor allem auch durch eine ganz subtile Metaebene, die sich erst nach und nach erschließt. Sitzt man nämlich im Erdgeschoss des Museums und richtet seinen Blick in die Höhe, sind nur vereinzelte, rote, geometrische Formen zu erkennen, die keinerlei logischen Zusammenhalt ergeben. Schnell vergisst man diese Eindrücke und wandert durch die Säle, um ganz unterwartet dann im ersten Stockwerk wieder auf die roten Versatzstücke zu gelangen. Dieses Mal jedoch zeigt sich die Geometrie – ein rotes Trapez, in dem eine rote Ellipse eingeschrieben ist, in ihrer ganzen Schönheit. Varinis „Ellipse im Trapez“ erfüllt alle Kriterien, die ein großes Kunstwerk ausmachen. Nicht nur, dass es technisch mit einer Präzision ausgeführt wurde, die in der zeitgenössischen Kunst nicht oft zu finden ist. Der auf den ersten Blick so einleuchtende Plakatismus, der ja häufig bei Konkreter Kunst als erstes ins Auge sticht, erhält bei längerem Nachdenken eine philosophische Tiefe, die schier unauslotbar scheint. Die beschränkte Sicht des Menschen auf sein Sein und auf die Zusammenhänge in der Welt gibt als übergeordnete Idee hierzu reichlich Gesprächsstoff angesichts dieses großartigen Kunstwerkes. Längst ist der philosophische Diskurs im Gange, dass der Mensch gar nicht fähig sei, sich ein umfassendes Bild der Realität zu machen – aus vielerlei Gründen. Varinis „Skulptur“ veranschaulicht diese Gedanken aufs Beste. Ganz abgesehen von den wissenschaftlichen Forschungen, die das Große und Ganze in seine kleinsten fassbaren Teilchen zerlegen und die daraus gewonnen Erkenntnisse dennoch nicht die Grundfragen der Menschheit beantworten können. Das Werk beeindruckt dermaßen, dass es verwundert, das der Künstler bis auf die Biennale in Venedig 1988 noch auf keiner größeren Schau zu sehen war. Ein Zeichen, dass sich Konkrete Kunst nur innerhalb eines sehr kleinen Zeitfenster großer Beliebtheit erfreute – wie man an Varinis Beispiel sehen kann sehr zu Unrecht. Besonders erstaunlich ist auch die Tatsache, dass sich die Arbeit in ihrem Original in Privatbesitz befindet, was gleichzeitig bedeutet, dass richtige Kunstsammler sich auch dadurch auszeichnen, dass sie nicht davor zurückscheuen, große Eingriffe in ihren Lebensraum durchführen zu lassen. Und Varinis Arbeit ist wahrlich ein großer Eingriff, den man auf den Abbildungen im Katalog gut nachvollziehen kann.

Wer genug Zeit hat und sich der Videokunst im ersten Stock widmet, erlebt einen spannenden Krimi von Camille Henrot, in welchem eine nur durch einen weißen Grafismus kenntlich gemachte Frau um ihr Leben läuft, oder Filme von Dominique Gonzalez-Foerster, die mit Vertrautem wie der Installation eines Schlafzimmers neben einem Video, gedreht in einer asiatischen Großstadt ebenso lockt, wie mit gesellschaftlichen Massenphänomenen am Strand, aufgenommen von einem erhabenen Standpunkt aus.

drumandbass

Mathieu Mercier, Drum and bass D-32351, 2004, étagères, papier, enveloppes, bac, 93,5x168x20 cm, collection Klara et Rémy Barbe, Genève. Photo : D.R. © Adagp, Paris 2010

Auch wenn man den puren kapitalistischen Ansatz, den die ADIAF mit ihrer Arbeit verfolgt, spöttisch oder argwöhnisch betrachtet – immerhin werden die Kunstwerke der Sammler ja durch jede Museumsausstellung mehr wert – ist dennoch nicht von der Hand zu weisen, dass das Engagement der Kunstliebhaber sich aufgrund der klugen Aktionen nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Künstler in mehrfacher Hinsicht auszahlen. Wenn diese ein Werk verkaufen, das anschließend nicht im privaten Wohnzimmer zu verstauben droht, sondern durch eine aktive Kulturpolitik auch einem größeren Publikum bekannt wird, kann man von einer absoluten Win-win-Situation sprechen, die auch Vorbildcharakter für die Sammlerszene in Deutschland haben könnte.

Was bei dieser Ausstellung auch klar wird, ist, dass einige zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ihrem Werk heute keine durchgehend wiedererkennbare Handschrift verpassen. Ein Umstand, der seit der Konkreten Kunst, der Minimal Art und der Konzeptkunst zwar schon auf dem Tisch lag, heute aber eine erweiterte Ausformung dadurch erfährt, dass die Kunstschaffenden sich aus allen Kunstbereichen querbeet bedienen und sich für die jeweilige Aussage, die jeweilige Infragestellung einfach das dazupassende Medium und die dazupassende Form suchen, ohne auf Erkennbarkeit zu pochen. Was hier bleibt, ist ein Kunstwerk, das für sich alleine steht, die Urheberschaft beinahe schon verleugnet, oder diese nur mehr von einem kleinen, eingeweihten Zirkel erkennbar ist. Ein Phänomen, das sich erst dann wieder auflöst, wenn die einzelnen Werke in das allgemeine Gedächtnis übergehen, sich dort verankern und mit den jeweiligen Namen versehen werden. Ein Prozess, der Zeit benötigt, der aber auch einige dieser Künstlerinnen und Künstler in Vergessenheit geraten lässt, wenn sie in den kommenden Jahren auf wichtigen Ausstellungen nicht mit einer ständigen, namentlichen Präsenz vertreten sein werden.

Wer Lust auf mehr hat, dem sei die Parallelausstellung im FRAC in Sélestat empfohlen. Ein Ausflug dorthin lohnt sich allemal und eines vorweg: Die dort präsentierten Kunstwerke gehen unter die Haut!

Wenn Kunst richtig Spaß macht (2)Quand l’art est vraiment amusant (2)

Wenn Kunst richtig Spaß macht (2)Quand l’art est vraiment amusant (2)

Unter dem Generalthema “Ein außergewöhnlicher Tag in Selestat” war das Festival nouvelles zu Gast im FRAC

crash roar din

CIE Somebody (c) Jean-Philippe Senn

Teil 2

Der junge Mann am Bass hat´s drauf. Er gibt einen harten, stringenten Beat vor, nach dem die drei Tänzer – zwei Männer und eine Frau unbeschwert – im wahrsten Sinn des Wortes – den großen Raum „erobern“. Der große Raum ist ein Ausstellungsraum des FRAC, viele Meter lang und auch viele Meter hoch. Raum erobern heißt in diesem Fall, wiederum im wahrsten Sinn des Wortes, ihn nicht nur tänzerisch der Länge und Breite nach zu durchmessen. Raum erobern heißt auch, zur Überraschung des Publikums, einen Ständer der offenen Stahlkonstruktion behände nach oben zu klettern um von dort, angekommen an der Außenfront, die ganz aus Glas besteht, in vielen Metern Höhe wie eine Skulptur stehen zu bleiben und nach außen zu blicken. Den Zusehern bleibt kurz der Atem stehen. Die beiden am Boden Verbliebenen blicken nach oben, tanzen weiter und nehmen den Artisten, der kurz zuvor noch in schwindelnden Höhen wie ein übermütiger Affe an der Stahlkonstruktion baumelte, anschließend wieder wie selbstverständlich in ihre Formation auf. Der Bassist wechselt zur E-Gitarre, einer der Tänzer produziert sich als Sänger, während alles ständig in Fluss bleibt, während die Tanzenden sich leiten lassen von den Improvisationen, zusammenfinden, wieder auseinanderdriften. Nachdem die Musik für kurze Zeit verstummt ist, geht der Tanz unvermindert weiter. Die Tänzer vereinigen sich abermals, reagieren auf ihre gegenseitigen Gesten und ihre Körpersprache und haben – und das macht die Besonderheit dieser Tanzperformance aus – offenkundig große Freude an ihrem Tun. Ihre Gesichter lachen während ihrer Begegnungen, bleiben entspannt, auch in anstrengenden Schritt- und Bewegungsfolgen, so, als sei dieser Ausdruck für sie so natürlich wie das Sitzen oder Gehen. Die rockige, trashige Musik, die Vincent Posty der Aktion unterlegt, bietet den Akteuren einen Grundraster an. Einen Teppich, dessen Farben sie kennen, dessen Formen sie aber je nach Eingebung immer neu erfinden können. „Crash Roar Din“ von CIE Somebody erhält gerade im musealen Umfeld noch eine weitere Dimension. Die Körper im Raum, nicht auf der Bühne, teilweise ganz nah am Publikum, lassen gänzlich neue Erfahrungen zu. In jenen Sequenzen, in denen die Tänzerin und die Tänzer ihre Bewegungen kurz einfrieren, mutieren sie zu Skulpturen, in der Kletteraktion zu Akrobaten, durch den Gesang zu Sängern. Marjorie Burger-Chassignet, Sébastien Dupré und Galaad Le Goaster halten die Zeit an. Mit ihren Bewegungen, ihren offenkundigen Selbstreflexionen aber auch Reaktionen auf die anderen gelingt ihnen in dieser Performance, das Publikum ganz für sich einzunehmen. Es für eine halbe Stunde mitzunehmen in ihre eigene Welt, die Gedanken nicht manipuliert, sondern vielmehr, wie ihre Choreografie, fließen lässt. Immer neu, immer anders, immer selbstbestimmt und immer freundlich. So könnte man sich das ideale Leben vorstellen.

Guillaume Desanges

Guillaume Desanges (c) Frac Lorraine

Mit Guillaume Desanges und seiner „Geschichte der Performance in 20 Minuten“ schloss der Reigen der Kunstaktionen im FRAC in Selestat anlässlich des „festival nouvelles“. Desanges, der mit Frédéric Cherboeuf einen genialen Partner fand, erklärte in einer Lesung, dass sich die Geschichte der Performance in 10 Gesten einteilen lässt. Der Kunstkritiker und Ausstellungskurator schlüpfte bei dieser Aktion selbst in die Rolle des Akteurs – wenngleich auch nur des Lesers. Cherboeuf hingegen setzte das in Körpersprache um, wovon Desanges jeweils ein Bild zu geben versuchte. Ganz im Sinne der Postmoderne schickte er voraus, dass es nichts mehr gibt, was nicht schon gesagt oder gezeigt worden wäre und dennoch gelingt es ihm, diesem „alles schon Dagewesenem“ eine neue Dimension hinzuzufügen. Dabei geht es Schlag auf Schlag. Aktionen von Bruce Nauman, Niki de St.Phalle, Vito Acconci und vielen anderen, bis hin zu den Wiener Aktionisten mit Otto Mühl und Günther Brus lässt Desanges mit der körperlichen Umsetzung durch Gesten und Aktionen wie „gegen die Wand springen“ oder „sich über den Lesetisch legen“ illustrieren. Niki de St. Phalles Farbschießaktion wird in der Bewegung eingefroren, die man beim Abzug einer Flinte einnimmt, Otto Mühls Fäkalaktionen hingegen wurden durch jenes Hocken gekennzeichnet, das der Künstler ehemals vor der Kamera einnahm, die die Verrichtung seiner Notdurft festhielt. Guillaume Desanges Beitrag entspricht voll und ganz dem Zeitgeist, der sich in der Aufarbeitung der Vergangenheit mit neuen kreativen Mitteln ausdrückt.

Wie schon Prinz Gholam oder Nicolas Boulard zuvor, zeigte er, dass es auch in dieser Phase der Kunstgeschichtsproduktion, um es ganz lapidar darzustellen, Momente und Ansätze gibt, in welchen die Künstler nicht in reine Eklektizismen verfallen, sondern dass mit ihnen ganz bewusst umgegangen wird und sie dadurch sehr wohl mit neuen, kreativen Ideen aufgeladen werden können. Die Künstler waren bei diesen Aktionen alle imstande, trotz des hohen, intellektuellen Niveaus, auf dem sich diese Kunstproduktionen bewegten, das Publikum anzusprechen. Und dazu trägt maßgeblich die ironische Komponente bei, die allen drei Kunstproduktionen– wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – inne wohnten.
Ein gelungener Nachmittag mit wohl überlegten und gut aufeinander abgestimmten Aktionen der Appetit machte auf mehr zeitgenössische Kunst.

Fast hätte ich´s vergessen: was das „Bring“ anlangte – bei dem alle Teilnehmer etwas zu essen mitbrachten, das dann zu einem Buffet aufgebaut wurde – das war der volle Erfolg und kann getrost weiter empfohlen werden; gerade in Zeiten von allgemeinen kulturellen Sparmaßnahmen!

Teil 1 finden Sie hier: Wenn Kunst richtig Spaß macht Teil 1Une journée particulière à Selestat – deuxième partie

crash roar din

CIE Somebody (c) Jean-Philippe Senn


Avec le jeune homme à la basse, ça «déménage»! Il joue un beat rythmé,  dansé avec beaucoup d’insouciance par trois danseurs, deux hommes, et une femme qui entreprennent de cette façon de conquérir ce lieu immense. Ce lieu, c’est une salle d’exposition du FRAC, haute et longue de plusieurs mètres. Dans ce cas précis, «conquérir» le lieu ne signifie pas seulement d’en prendre toute la mesure en dansant. A la grande surprise du public, cela veut dire aussi grimper à toute allure à un poteau de cette construction métallique ouverte, pour, une fois arrivé en haut,  s’approcher de la façade en verre, rester immobile à cette grande hauteur, telle une sculpture – pour regarder dehors! Les spectateurs retiennent leur souffle. Les danseurs qui sont restés en bas regardent en haut, continuent à danser et finissent par réintégrer tout naturellement l’artiste dans leur formation. Celui qui, quelques instants auparavant, était encore suspendu à une hauteur vertigineuse – comme  un singe en train de s’amuser.

Le bassiste change pour la guitare électrique, un danseur devient chanteur. Ce qui est en cours continue, pendant que ceux qui dansent se laissent guider par l’improvisation, ils se rapprochent, pour se séparer ensuite. Après que la musique s’est arrêtée, la danse continue comme avant. Les danseurs se réunissent à nouveau, ils réagissent à leurs gestes mutuels et au langage de leurs corps, et surtout – et toute la particularité de cette performance de danse est là – ils sont de toute évidence ravis de faire ce qu’ils font. Leurs visages sourient pendant l’exécution des mouvements. Ils restent détendus, même pendant des enchaînements de pas ou de mouvements fatigants, comme si cette façon de s’exprimer était pour eux aussi naturel que de marcher ou de s’assoir.

La musique trash et rock de Vincent Posty sur laquelle vient se poser l’action est une sorte de grille pour les danseurs. Une sorte de tapis, dont ils connaissent les principales couleurs, mais dont ils peuvent, selon l’inspiration du moment, réinventer les motifs. Cet endroit muséal rajoute à «Crash Roar Din» de la  «CIE Somebody» une dimension supplémentaire. Ces corps dans l’espace, parfois très près du public et non pas sur une scène, sont une expérience d’un genre nouveau. Pendant les passages, où les danseuses et danseurs gèlent leurs mouvements pour un court instant, ils se transforment en sculptures. En grimpant ils deviennent acrobates, le chant en fait des chanteurs.
Marjorie Burger-Chassignet, Sébastion Dupré et Galaad le Goaster arrêtent le temps. Grâce à leurs mouvements, leurs réflexions sur eux-mêmes et leurs réactions par rapport aux autres, ils gagnent les faveurs du public pendant cette performance. Ils réussissent à l’emmener dans leur monde à eux, un monde qui ne cherche pas à manipuler les pensées. Ce monde les laisse plutôt couler, telle une chorégraphie. Toujours neuve, toujours différente, toujours autodéterminante et toujours aimable – voilà comment on pourrait imaginer la vie idéale !

Guillaume Desanges

Guillaume Desanges (c) Frac Lorraine


Guillaume Desanges avec son «Histoire de la Performance en 20 minutes» a clôturé cette succession d’actions artistiques organisées dans le cadre du «Festival nouvelles» au FRAC à Selestat.

Desanges qui a trouvé un partenaire génial en la personne de Frédéric Cherboeuf, explique au cours d’une lecture, que l’histoire de la performance peut être divisée en dix gestes. Pour l’occasion, le critique d’art et conservateur d’exposition s’est glissé dans le rôle de l’acteur – même si ce n’était que celui d’un lecteur. Cherboeuf en revanche a traduit le tout en un langage du corps. Desange cherchait à en donner l’image. En préambule, conforme au mouvement postmoderne, Desange a fait le constat qu’il n’y avait rien que l’on n’aurait pas déjà dit ou montré. Malgré cela, il réussit à ajouter une nouvelle dimension à ce «déjà vu et déjà entendu». Et cela se passe coup sur coup : Desanges fait exprimer par le corps de Cherboeuf  (sauter contre un mur ou se coucher à travers une table de lecture) des actions de Bruce Nauman, en passant par Niki de ST.Phalle, Vito Acconi et beaucoup d’autres jusqu’aux actionnistes viennois Otto Mühl et Günter Brus. Pour «transcrire» l’action de tir de couleurs de Niki St. Phalle, le mouvement est gelé dans la position que l’on adopte quand on tire à la carabine. L’action fécale d’Otto Mühl est symbolisée par une pose accroupie comme celle que l’artiste avait adoptée devant la caméra qui l’a filmé en train de faire ses besoins. La performance de Guillaume Desanges est tout à fait dans l’aire du temps et se sert de nouveaux moyens créatifs pour maîtriser le passé. Comme déjà Prinz/Gholam ou Nicolas Boulard l’ont fait avant lui, il a montré qu’il y également à ce stade de la production d’histoire de l’art, pour le dire simplement, des moments et des approches où les artistes ne tombent pas dans des éclecticismes pures, mais les manipulent plutôt très sciemment et du coup les enrichissent de nouvelles idées créatives.

Malgré le niveau intellectuel très élevé des productions artistiques,  les artistes ont réussi à toucher le public avec leurs actions. Grâce notamment à la dimension ironique présente, à un degré différent, dans chacune des trois productions.

Une après-midi réussie, qui, grâce à des actions bien accordées les unes par rapport aux autres, a donné envie d’en savoir plus sur l’art contemporain.

J’aurais presque oublié le « Bring », où tous les participants ont apporté quelque chose à manger. La nourriture a été mise à disposition de tout le monde sous forme d’un immense buffet : C’était un énorme succès! Une initiative recommandée et recommandable, surtout par les temps qui courent, où les mesures de restrictions budgétaires concernant la culture sont de mise!

Texte traduit de l’allemand par Andrea Isker


Gehört Kunst ins Museum oder auf die Straße?L’art : A-t-il sa place au musée ou dans la rue?

Gehört Kunst ins Museum oder auf die Straße?L’art : A-t-il sa place au musée ou dans la rue?

Paloma Calle 2

Paloma Calle (c) ohne copyright

Vor dem Betreten des Saales werden dem Publikum headsets ausgehändigt – mit dem Hinweis, man solle darauf achten, dass die Lautstärke nicht zu hoch eingestellt sei – und dass man diese brauchen würde, da Paloma Calle spanisch sprechen würde. Nachdem das Licht erloschen ist, verkündet eine große Schrift auf der Leinwand, dass wir – wie wir es aus dem Flugzeug gewohnt sind – aus Sicherheitsgründen die Gurten schließen und unsere Sessel hochklappen sollten. Und schon wird klar – wir heben ab. In ein Universum, in dem es der Künstlerin in den nächsten 2 Stunden gelingen wird, über alles Mögliche nachzudenken. Über Kunst, über Vergänglichkeit, über Kunstaktionen und über ganz intime Bereiche des eigenen Lebens. Mit der Performance Simple present / Present de indicativo zeigte die junge Spanierin im Rahmen des „festival nouvelles“ in Straßburg eine Arbeit im MAMCS, dem „Musée d`art moderne et contemporain Strasbourg“, die zwischen Bühnenperformance und Zuschauerbeteiligung, zwischen leichter Kost und tiefgründiger Philosophiererei angesiedelt ist.

Damit agiert sie am Puls der Zeit, der für cross-over-Projekte wie dieses schlägt. Die dreigeteilte Performance bietet zu Beginn nur Paloma Calle selbst als Frau, der vor dem Mikrofon die Stimme versagt, die immer wieder und wieder Anläufe nimmt, etwas zu sagen und dennoch stumm bleibt. Mit der Aufschrift „Das ist eine langweilige Performance“ , die auf einem T-Shirt, das sie anhat nach einer Zeit enthüllt wird, persifliert sie selbst diesen Auftritt, um kurz danach ebenfalls stumm den Saal zu verlassen. „Du vide“ – von der Leere – so nannte Yves Klein einen seiner Auftritte im Jahr 1958 bei dem die Galerie frei von Kunstwerken war und dennoch mit einigen Accessoires von Klein ausgestattet. Calle folgt dieser künstlerischen Aussage und treibt sie gewissermaßen auf die Spitze, indem sie – eine Leere auf der Bühne entstehen lässt. Eine Leere, die das Publikum dennoch fordert, in dem es eigene Gedanken wahrnehmen kann, die nicht vorgegeben werden und doch leicht gelenkt – mit der leisen Stimme vom Band, die Bezüge zu Literatur evoziert.

Wenige Minuten später greift sie in die Trickkiste der Videokunst, erscheint selbst auf der großen Leinwand auf der zuvor Wolken über einen blauen Himmel zogen und ruft jeden einzelnen und jede einzelne aus dem Publikum namentlich auf, ihr zu folgen. Und so machen sich alle auf den Weg durch das Museum, aus das uns Calle dann gemeinsam hinausbegleitet. Hinaus, auf einen Weg, gepflastert mit Kunstaktionen, in der sie zum Beispiel unsere Umrisslinien mit Kreide auf eine Hausmauer nachzeichnet, Polaroidfotos der Gruppe an einem Fenstergitter anbringt oder sich – zum Schrecken aller – die Handtasche stehlen lässt. Erst als sie den vermeintlichen Dieb einfängt und in der nächsten Sekunde mit ihm das Lied „There´s no business like showbusiness „ performt, begleitet mit der Musik aus einem Kasettenrecorder, fällt die Spannung von allen ab. Kurz davor waren wir noch unterwegs als lebende soziale Skulptur. Zusammengepfercht mit einem Bauabsperrband liefen wir einige Meter als Zellwesen nebeneinander her. Erwin Wurms „one minute sculptures“ erhalten hier eine kollektive Dimension. Calle inszeniert unseren Weg als Erlebnisparcours der besonderen Art. Reflektion über die Kunstproduktion, Spass am Leben, Schockzustände sowie das Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit ergießen sich in kurzen Abständen über uns. Und das alles im sozialen, offenen Straßenmilieu, fern von jeder Museumskunst.

Paloma

Paloma Calle, Simple present / Present de indicativo (c) ohne copyright

Zurück im geschützten Kunstumfeld, dem Auditorium des Museums, hinterlegen wir jeder ein kleines Papiersäckchen, in das wir zuvor ein „Geschenk“ gesteckt haben. Von Steinen, über Visitenkarten, von Blättern über zerknüllte Dosen findet sich alles, was in der letzten Stunde seinen Weg vom Boden oder der Handtasche in das Präsenttütchen fand. „Objets trouvés“ werden aber sofort zu Requisiten degradiert. Anfänglich voll Euphorie, später gelangweilt und schon verärgert packt Calle alles auf den Bühnenboden und weckt – mit wenigen Sätzen – Assoziationen zu den unterschiedlichen Stadien einer flüchtigen Liebe. Die abschließende Publikumsbefragung, auf die mit kleinen ja- und nein-Täfelchen reagiert wird, fasst noch einmal zusammen, was Calle uns zeigen wollte: Das Leben, die Kunst, sowie die Schnittmengen derselben. Dass die unterschiedlichen Wahrnehmungen in unterschiedlichen sozialen und räumlichen Kontexten hier ein zusätzlicher Stimulus war – wird erst in der Replik wirklich bewusst. Ein wahrhaft komplexes Werk, das uns gedanklich noch lange beschäftigen wird können.

Paloma Calle 2

Paloma Calle (c) ohne copyright


Avant que le public entre dans la salle on lui remet des audiophones précisant qu’il ne faut pas mettre le volume trop fort et que les audiophones sont nécessaires, car Paloma Calle parle espagnol.

Une fois la lumière éteinte, une écriture projetée sur l’écran nous demande, tout comme nous l’avons l’habitude de l’entendre dans un avion, d’attacher nos ceintures et de remonter nos sièges – et c’est sûr : Nous allons décoller. Nous allons nous envoler dans l’univers d’une artiste qui, pendant les deux heures suivantes, réfléchira sur toutes sortes de choses : Sur l’art, sur l’éphémère, sur des actions artistiques ainsi que sur une partie très intime de sa propre vie. Dans le cadre du «festival nouvelles», la jeune espagnol montre son travail, une performance scénique qui fait appel à la participation du public et qui se situe entre nourriture légère et philosophie profonde, au MAMCS, le «Musée d’Art Moderne et Contemporain de Strasbourg».

Avec ce travail, elle tâte le pouls à une époque où le cœur bat pour des projets «cross-over» tel que celui-ci. Sa performance se compose de trois parties. Pour commencer, elle offre Paloma Calle. Sa personne, en tant que femme, qui perd la voix devant le microphone et qui essaie encore et encore de dire quelque chose pour finalement rester muette. Une inscription sur son teeshirt, dévoilée au bout d’un certain temps, dit que «C’est une performance ennuyeuse». C’est son propre persiflage de son apparition sur scène, une scène qu’elle quitte peu de temps après, toujours muette.

«Du vide» c’était le titre d’une des performances d’Yves Klein organisée en 1958 dans une galerie vide, mis à part quelques accessoires lui appartenant. Calle reprend cette expression artistique et la pousse en quelque sorte à l’extrême en créant le vide sur scène. Un vide qui exige malgré tout une certaine participation de la part du public, qui perçoit ses propres pensées, qui sont légèrement canalisées – sans pour autant être dirigées – par une voix douce, enregistrée, qui fait référence à la littérature.

Quelques instants plus tard, elle se sert de l’art vidéo et de ses possibilités magiques, pour paraître en personne à l’écran, sur lequel il y avait encore des nuages blancs dans un ciel bleu peu de temps auparavant, pour interpeller nommément tout un chacun. Elle demande à tous de la suivre. Et c’est ainsi que le public accompagné par Calle prend le chemin à travers le musée pour finalement le quitter. Elle nous emmène sur un chemin pavé d’actions artistiques: Par exemple, elle dessine avec des craies nos silhouettes sur le mur d’une maison, elle fixe des polaroïds pris du groupe sur le grillage devant une fenêtre ou, ce qui fait une belle peur à tout le monde, se fait voler son sac à main par un bandit. Seulement quand elle finit par attraper le «voleur» pour entonner avec lui la chanson «There’s no business like show-business» accompagnée par une musique enregistrée sur bande, la tension tombe. Peu de temps avant cela, nous étions encore en train de nous promener comme sculpture sociale vivante. Serrés par une bande semblable à celles qui indiquent une zone de travaux, nous avons parcouru quelques mètres tels une «créature-cellule». Les «One minute sculptures» d’Erwin Wurm sont ici enrichies d’une dimension collective. Notre chemin mis en scène par Calle est un parcours d’aventures d’un genre à part. Des réflexions sur la production artistique, la joie de vivre, des états de choc et celles concernant notre propre disparition se déversent sur nous en peu de temps. Et tout cela dans la rue, un milieu social et ouvert, loin de l’art muséal.

Paloma

Paloma Calle, Simple present / Present de indicativo (c) ohne copyright


De retour dans le milieu protégé de l’art, dans l’auditorium du musée, nous déposons tous un petit sac en papier, dans lequel nous avons glissé auparavant un petit «cadeau» : de petites pierres, en passant par des cartes de visites, des feuilles de papier jusqu’aux cannettes froissées: tous ces objets ont fini lors de la dernière heure, trouvés dans un sac à main ou de la rue, dans un petit sac «cadeau». Les objets trouvés sont immédiatement «déclassés» pour devenir «accessoires». Au début euphorique, ensuite ennuyée et presque agacée, Calle déballe tout sur le sol de la scène et évoque en quelques phrases des associations concernant un amour passager.

Suit une interrogation du public, à laquelle il répond à l’aide de petites pancartes «oui» ou «non». Elle résume encore une fois tout ce que Calle a voulu montrer aux spectateurs : La vie, l’art et les intersections des deux. Il n’y a que plus tard que l’on prend conscience que les différentes perceptions dans les différents contextes sociaux et locaux ont agi comme stimulation supplémentaire. Une œuvre vraiment complexe qui occupera notre esprit encore pendant longtemps.

Texte traduit de l’allemand par Andrea Isker

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