Sein oder Nichtsein – das ist hier nicht die Frage

Sein oder Nichtsein – das ist hier nicht die Frage

Florian Lebek und sein Hamletprojekt im „FensterNachMorgen“, der Nachwuchsschiene des Salon5 – im Brick5

Eine ausgesucht schöne Stimme vom Band rezitiert aus der Offenbarung des Johannes. Erzählt vom Untergang der Welt mit all seinen Gräueln und Monstern, die einst den Planeten beherrschen werden. Im Hintergrund dazu spinnt ein zarter Choral seine sakralen Fäden. Im weißen, metallenen Gitterbett liegt ein junger Mann. Graue Jogginghose, ein Feinrippleibchen, darüber ein offenes, elegantes Smokinghemd – nackte Füße. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Mann Hamlet, der Prinz von Dänemark ist. Oder seine späte Reinkarnation, oder eine imaginäre Gehirnfestsetzung, die Besitz ergriffen hat von einem, der sich nun in einer prekären Situation befindet. Im Irrenhaus. „Der Rest ist Schweigen“ – mit diesen Worten, den letzten aus Shakespeares Drama endet die Passage aus der Apokalypse, die Johannes so wort- und bildreich beschrieben hat. Und zugleich beginnt damit ein Parforceritt durch die Gedanken Hamlets alias Florian Lebek – jenem Autoren-Schauspieler, der waghalsig seine eigene Hamletidee auf die Bühne brachte.

Florian Lebek ist Hamlet ist Florian Lebek

„Hamlet habe ich schon seit Jahren im Kopf. Aber die Rolle ist mir noch nie angetragen worden. So habe ich beschlossen, selbst meinen Hamlet aufzuführen“ – O-Ton Lebek. Und was das für ein Hamlet geworden ist! Einer, der keines Widerparts bedarf, um den eigenen Wahn anschaulich zu machen. Einer, der sich mit seinem Embonpoint an kein Hamlet´sches Schönheitsideal anschmiegt. Ein Bein, das steif ist, ein hellwirrer Geist, eine energetische Kraftmaschine und ein Unbeugsamer, der nicht auf den Tod einer anderen Hand angewiesen ist – Lebeks Hamlet ist wahrlich nicht von gestern. Er steht direkt vor uns, beschimpft die eine oder den anderen aus dem Publikum schonungslos, jammert über seine eigene Schwäche und redet sich in Rage, um sein eigenes Ende schließlich selbst herbeiführen zu können. Hamlet räsoniert nicht über Sein oder Nicht-Sein. Nein, nein, das wäre zu einfach, zu platt, zu abgedroschen. Sondern er stellt fest: Ich darf nicht sein! – womit er sein Ende vorwegnimmt. Eingesperrt in seine eigenen, ihn permanent plagenden Gedanken lässt er das Publikum wissen, dass er nicht weiß, „was schiefgelaufen ist“, aber dass das Gefühl weg sei. Weg, das hätte er wohl gerne, weg ist das Gefühl aber nicht. Das zeigen seine emotionalen Ausbrüche, in denen er gegen eine brüllende Musik noch brüllender ankämpft. Ganz im Gegenteil: Seine emotionalen Verstrickungen, die in ihm wüten, werden deutlich, wenn er in einem umwerfend witzigen und zugleich beklemmend-atemberaubenden Daumenkino den Tod seines Vaters vorführt. Weg ist das Gefühl nicht, denn die Angst, die ihm ins Gesicht geschrieben steht, als er darum kämpft, seines Vaters Geist nicht als des Teufels Verführung auszulegen, spricht eine andere Sprache als eine, die keine Gefühle mehr kennt. Die Stimme des ermordeten Königs dringt in dieser Inszenierung, die sich Lebek ebenfalls selbst gönnte, aus einem Kurzwellenempfänger an sein Ohr, in sein Herz und in sein Hirn. Ob er es hören will, oder nicht. Amüsant humorig und spooky zugleich werden seine Wortfetzen wie Puzzleteile in den Raum geworfen und müssen von Hamlet zusammengefügt werden, so gut es geht. „Hamlet Omega 44801 Ende Aus“ – mit dieser Ansage meint man die letzten Worte aus dem Jenseits vernommen zu haben. Der Imperativ „Schwöre!“ Schwöre!“, welcher der Endformel aller Funker noch nachgesetzt wird, ist dann aber alles andere als komisch und eine Aufgabe, der Hamlet nicht gewachsen ist. Was soll er noch alles!

Er ist eingekerkert in ein weißes Zimmer, dessen flirrende Sterne an todbringenden Kabeln hängen und dessen weißer Ikea-Bettüberwurf ihm zugleich als Decke, aber auch als Königsmantel dient. Er ist sich bewusst, dass sowohl sein Handeln als auch sein Nicht-Handeln der Welt nichts Gutes hinterlässt. Ophelias Tod schleicht sich anfänglich durch einzelne Tropfgeräusche in seinen kleinen Raum. Als die Wassermassen akustisch anschwellen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sein Bett als „rettendes Ufer“ zu besteigen. Wohl wissend, dass es für ihn keine Rettung gibt, alles Rettende nur einen Aufschub bedeutet. Eine Verlängerung seines Lebensdramas, dem er nur durch den Tod entkommen kann.

Hofmann, Feik und Lebek – ein geniales Bühnentrio infernal

Lydia Hofmann begleitet in ihrer tiefschwarzen, seidigen Robe das Publikum in den Saal und entlässt es am Ende von dort auch wieder. Ihr roter Haarschopf und ihre Lebensfreude stehen Hamlets ungesundem Erscheinungsbild und seinen Lamenti diametral gegenüber. Die Bühnen- und Kostümbildnerin gibt sich gerne die Ehre, in den von ihr geschaffenen Raumgebilden jeweils selbst kurz aufzutreten. Sie verantwortet Hamlets eiskaltes Gefängnis und macht seine seelischen Verstrickungen mit ihrem ästhetischen Kabelvorhang anschaulich. Daniel Feik wiederum steuert jenen Sound bei, der das Hamletprojekt neben dem Text so unverwechselbar macht. Er lässt Choräle und Diskomusik gleichermaßen erklingen. Er verleiht Hamlets Vater eine Geisterstimme, wie sie sich für ein grünes Marsmännchens geziemt, aber er scheut auch jene Stille nicht, die Hamlets Tod durch den Kabelstrang begleitet.

Selten, ganz selten, ja eigentlich handverlesen sind jene, die nicht nur die Schauspielkunst beherrschen als wäre sie keine Kunst, sondern eine ihnen auf den Leib geschriebene Lebensselbstverständlichkeit. Aber noch seltener anzutreffen sind jene, welche die Texte, die sie dem Publikum darbieten, auch noch selbst zusammenstellen, umdeuten und zu einem neuen Ganzen formen, das in seiner Kreativität Bestand haben kann. Florian Lebek ist so einer. Wem das zu dick aufgetragen ist, der oder die hat noch an drei weiteren Abenden Zeit, sich selbst ein Bild zu machen.

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Im Staate ist ständig was faul

Im Staate ist ständig was faul

Es hatte etwas Magisches an sich. Gelb und schwarz war es und ich hatte Angst, es anzugreifen. Als ich lesen konnte, musste ich feststellen, dass ich es nicht verstand. Denn es war in einer Sprache geschrieben, die mir ganz fremd war. H.C. Artmanns Buch „Med ana schwoazzn dintn“ stand im Bücherregal meiner Eltern. Zwischen Bänden über „Antikes Glas“ und „Gauguin“. Und es repräsentierte etwas, das in meiner Familie als „Unfein“ galt. Es war ein Herzeigebuch einer Sprache, die man meinte, selbst nicht zu sprechen und die man verachtete. Ohne zu wissen, dass man mit der eigenen Sprache gar nicht so weit weg war von Artmanns dialektaler Färbung. Gut, Graz war nicht Wien, aber die Steirer haben, wie allgemein bekannt, auch keinen schlechten Dialekt.

„Des Ano“ kommt nicht aus dem Lateinischen

Viele Jahrzehnte später amüsieren mich meine Erinnerungen an die Familiengefühle der damaligen Zeit. Dialekt ist längst salonfähig geworden. Nicht zuletzt durch H.C. Artmann. Wer sich heute dieser Sprache bedient, scheint ganz nah am Volk zu sein, ihm aus dem Herzen zu reden. Und doch gibt es Gegenbeispiele. Max Gruber mit seiner Formation „Des Ano“ ist ein solches. Wer grübelt, welch lateinische Deklination mit „Des Ano“ wohl gemeint sei, befindet sich gewaltig auf dem Holzweg. Bedeuten die beiden Worte im Wiener Dialekt doch nichts anderes als „auch das noch“. Der Autor, Filmemacher und Sänger mit der gestreamlineden Business-Vergangenheit ist zwar einer, der sich des Dialekts bedient. Aber keiner, der dem Volk aus der Seele spricht. Vielmehr einer, der ihm ganz tief in die Seele schaut. Und zutage bringt, was es dort an Schwarzem gibt. „Faul im Staate“ so betitelte er sein Programm, das er im Nestroyhof Hamakom derzeit an nur drei Abenden aufführt. Und das vor einer Kulisse, die er in seinem Leben wahrscheinlich „nie mehr“ – wie er sich selber ausdrückte – zur Verfügung haben wird. Spielt er doch vor dem großen, braunen, hölzernen Pferd, welches die Protestaktionen gegen den Bundespräsidenten Kurt Waldheim in den 80er Jahren ständig begleitete. Der „Republikanische Club – Neues Österreich“ hat es für die Theaterserie „Die Politik des Vergessens“ zur Verfügung gestellt. Darin ist es nun ein „fast“ lebendiges Mahnmal gegen politische Amnäsie nicht nur eines ehemaligen österreichischen Staatsoberhauptes, sondern auch jenes Vergessens, in dem das Österreichische Volk sich so wunderbar eingerichtet hat.

Angesiedelt ist Grubers Konzert in der „LiteraTurnhalle“ des Salon5 von Anna Maria Krassnigg. Darin hat sie sich die theatralische Präsentation von Literatur in all ihrer Vielfalt zum Ziel gesetzt. Max Grubers Liedtexte sind ein ganz spezieller literarischer Fall. In Wiener Mundart verfasst, beschreiben sie Zustände, die zwar oft als allgemein Menschliche gelten. Im Speziellen aber doch gerade in Wien ihren ganz besonderen Nährboden finden. Der Autor erzählt darin von kleinen Männern, die duckmäuserisch ihr ganzes Leben fristen um schließlich – blöd gelaufen – vor Frau Gott Rechenschaft über ihr dürftiges Erdendasein abzugeben. Er imitiert sprachlich auf kunstvollste Art und Weise jenen Charakter, der anderen immer erklärt, warum etwas nicht geht, was man nicht tun darf und was ganz sicher schlecht ausgehen wird. Glaubst dass´d wos Besseres bist? So was tuat ma net! und ähnliche Suggestivfragen und -phrasen werden dabei mit einem behäbigen Polkarhythmus untermalt. Die Anleitung, wie man einen Traum begräbt, dürfte vielen Menschen im Publikum unter die Haut gegangen sein – der Applaus danach war eindeutig. Auch, weil Grubers musikalische Begleitung jedes seiner Lieder mit einem unglaublich feinfühligen Klangraum ausstaffiert. Thomas Berghammer bedient dabei das gesamte Trompetenrepertoire und scheut sich auch nicht, eine Melodika zum Einsatz zu bringen. Jenes, einer Harmonika ähnliche Instrument, deren geblasene Töne aus vielen Kinderzimmern in den 70er und 80er Jahren die Eltern schier zur Verzweiflung trieben. Martin Stepanik bedient nicht nur das Keyboard und ein Klavier. Er addiert zu dem Klang von „Des Ano“ noch zusätzlich eine geniale elektronisch-musikalische Frischluftzufuhr.

Politisches und allzu Menschliches

Max Gruber erinnert in seinem Schwarz-Weißen Bühnenoutfit mit neckischem, schwarzen Hut ein wenig an die letzten Auftritte von Leonard Cohen. Wenngleich Gruber den allzu eleganten Touch durch eine schwarze Jean abmildert. In seinen Zwischenconférencen scheut er sich nicht, politische „Zustände“ beim Namen zu nennen. So nimmt er die Große Koalition als bipolare Störung wahr oder erklärt augenzwinkernd die Krise der Europäischen Union mit dem Fehlen einer gemeinsamen europäischen Fußballmannschaft. Mit seiner tiefschwarzen Gesellschaftsanalyse, die sich von der hohen Politik auch in die tiefen Abgründe des menschlichen Zusammenseins wagt, befindet er sich in bester Liedermacher-Gesellschaft. Mit dem einzigen Unterschied, dass man seine Lieder nicht mitsingen kann. Sein Wiener Schmäh, eingetunkt in den dunkelsten Blues, ist prall vollgepackt mit artistischen Wortkaskaden. Wobei er gerne viele Strophen bemüht, um auch nur jeden kleinsten gemeinen, dunklen Charakterfleck wortgewaltig auszuleuchten. In seinem epischen Gesang über das Wunder, das kommt, wird klar, dass Max Gruber auch Fähigkeiten besitzt, die gute Regisseure kennzeichnen. Was streichelweich beginnt, entwickelt sich im Lauf des Geschehens zu einem höllischen Weltuntergangsszenario, das alle zu verschlingen droht.

„Des Ano“ hat es im Rahmen der LiteraTurnhalle tatsächlich noch gebraucht. Das, was Max Gruber an Texten so scheinbar hingerotzt und ausgekotzt präsentiert, ist das Ergebnis von akrobatischen Sprachleistungen der Spitzenklasse. Eine letzte Gelegenheit, dem literarisch-musikalischen Lehrpfad entlang der österreichischen Seelenverwachsungen teilzunehmen, gibt es noch am 5. November.

Links: Des Ano
Salon5

Kum, Kum mit

Kum, Kum mit

Kum, kum mit. Schau obi. Do obi wo dei söl zaus is. Oba zeascht muast sie aufschpean. Mit´m schlissl denst imma valegst. Walst net obi schaun wülst.
Kum, kum mit. Hea zua. Wos a singt. Wos a sogt. Wos a mant. Und schau obi in die söl. Walst goa net aunders kaunnst. Walst muast. Wals automatisch geht. Wenn a singt. Wal a nix schenes singt. Nua von die schiachen sochn. Von dem, wos weh tuat. Von dem, wos ma net ändern kaun. Von dem, wia ma wirklich san. Des ist holt net schen. Oba waunst as heast wos a singt, wos a sogt, wos a mant, daun wast a, dass´d net allan bist. Mit dem wia du bist. Net allan mit deina dunklen söl. In di du net obi schaun wülst. Und du heast von eam, wia di aundan san. Gemein, depat, klan. Des is wida schen. Walst glaubst, das´d aunders bist.

Singan, singan tuat a von die klanan männa. Von die oaschkriacher, von varäta, von da gounzn packlrass de nix aunders im schädl hot ols bled ois mitmochn. Ols sie gfrein übers klan sein. De nix aunders kennt als kuschen und duckn und denunziern. Damit ois sei urdnung hot. Und du glaubst, das´d aunders bist.

Und daun, daun singt a von dem vagrobn von an tram. Vom kindalochen, vom bluat mit dem ma untaschreibt und dem weißen luftballon, den ma eingrobn muas wenn ma sein tram vagrobt. Und von de schwoazn rosn de ma draufstrahn muas auf den luftballon, den weißen. Und do wird’s da aunders. Da faungts di zum wiagn aun im hois. Weis´d wast, dass´d a so an tram g´hobt host den´st begrobn host miassn. Fria amoi. Und weist as vagessen host wuin. Aber net vagessn kaunst. Und dann singt a vom rosenhuiz mit dem´s da ins heaz stechen muast. Des heaz, des´d voahea als grobschtan abglegt host – aufs grob von dein tram. Und von de tausnd seufza mit denen du di vaobschiedest von dein tram. Und do issas wieda, des wiagn im hois. Und du wast, dass a recht hot. Und des tuat aunstendig weh.

Und redn tuata ah, zwischendrin. Zwischen die anzölnen liada. De a eigentlich goa net richtig singt. De a eigentlich red. Zur musik von di zwa aundern. De schpüln als wea des anfoch. De schpüln, als wea do nie wos aunders gwesn bei seine texte. Nua de musik. Nix aunders. De schpüln auf da trompetn, so zoat und so waach wia samt. De schpüln aufn klavier und aufn kiboad und lossn die dabei di gaunze wöld hean und no vü mea. Und wos a red ist genauso schwoaz wie des wos a singt. Mit a boa gschpasettln dazwischen. Damit des schwoaz a a boa rote tupferl kriagt. De ma mit ham nehmen kaun. Wie de gschicht mit dem besser vadienen ols da nochboa. Oder de gschicht von da oidn frau und dem wossastrohl ausm hydrantn. Der sie umghaut hot. Aber eigentlich red er nua, damit a schnö wieda weitasingen kau. Von dem wos wehtuat.

Singan, singan tuat a von die unguaten leid. De beim billa vor da kassa an druck mochn wals net schnö gnua ihr göld obgeben diafn. Und wals nur duat zagn kenan, das wer san. Von denen, die olle ausschpionian und söba schen brav unerkaunt in de souschl media poustn und die aundan leit dabei schlecht mochn. Unerkaunt damit kana draufkumt das sie des san. Damit du a net draufkumst. Singan tuat a von an, der sie so eagat, dass ka kriag is und ka folter und nix, wo er sie profilirn kaun. Jetzt muas a holt aunders den stochel in unsan fleisch mochen. Do kaunst glossn zuahean. Wal des bist net du. Des san die aundern. Und sulche kennst ah. Net nur an. Aber wia´r a singt von dem wunda, do wird’s da daun richtig woam. Wei sei wunda is die feiasbrunst, die ollaletzte. De, de weita geht als nur in dera wöld, de de zu die stern geht und die nächsten galaxien und de olles zum verstumman bringt wos jetzt do no schreit und locht. Do lochst a du nix mea in dem moment.

Geh. Geh ham. Und schau net mea obi. Do obi wo dei söl zaus is. Wal obi gschaut host gnua an dem obend. Und zuagschpeat host as a wieda. Die söl. Mit dem schlissl, den´st jetzt schnö wida valegst. Zuagschpeat host in dem moment, wou du aussi bist aussn sol.
Geh. Geh ham. Und schau net obi. Wal g`heat host gnua. Von die leit, de grauslich san. Jetzt muast vasuchn, des zum vagessn. —– Ob a recht hot mit dem wos a sogt?

Höchst Subjektives über das Konzert von Max Gruber und „Des Ano“ am 28. Oktober 2014 im Theater Nestroyhof-Hamakom. Das Konzert mit dem Titel „Faul im Staate“ fand in der Reihe „LiteraTurnhalle“ des Salon5 statt, der in dieser Saison die „Politik des Vergessens“ näher untersucht.
Die Autorin Aurelia Gruber ist mit dem Sänger Max Gruber weder verschwägert, verheiratet, verwandt oder bekannt.

Ein Königreich – wenn das verdammte Pferd verschwindet

Ein Königreich – wenn das verdammte Pferd verschwindet

„Die Lüge ist ein Winkelgang, von dem man durch eine Hintertreppe zur Wahrheit gelangen kann.“
Was Michel de Montaigne vor ungefähr 500 Jahren niederschrieb, ist so etwas wie ein architektonisches Gesetz des allzu Menschlichen. Es gibt kaum jemanden, der nicht schon als Kind die Erfahrung machte, dass Lügen kurze Beine haben, wie es ein Sprichwort einfacher ausdrückt. Und doch gibt es Menschen, die das Prinzip der Verdrängung und die daraus zwangsläufig resultierenden Lügen im Laufe ihres Lebens zur Perfektion erhoben haben. Selbst in allergrößter Beweisnot noch beharren sie auf ihrer Unschuld und versuchen trotz aller Fakten jegliches Missverhalten von sich zu weisen. Je höher eine Persönlichkeit im gesellschaftlichen Umfeld angesiedelt ist, die in der Disziplin der Verdrängungsweltmeisterschaften auf dem Podest steht, umso tiefer ist ihr Fall, werden die Lügen aufgedeckt.

Herbeigewünschte und verwünschte Pferde

In Shakespeares Königsdrama Richard III ruft dieser in seiner größten Not auf dem Schlachtfeld nach einem Pferd und verspricht als Gegenleistung sein Königreich. In Österreich geschah in den Jahren 1986 bis 1989 genau das Gegenteil. Der damalige Herrscher des Landes – seines Zeichens Bundespräsident – verwünschte nicht nur einmal ein ebensolches Tier. War es doch zum steten Mahner seiner – nobel ausgedrückt – Erinnerungslücken geworden. Kurt Waldheim, jene tragisch-komische Politfigur, die vom weltgewandten Generalsekretär der Vereinten Nationen zum vom Ausland geächteten österreichischen Bundespräsidenten abstieg, ist der Generation der heute 20-Jährigen kaum noch ein Begriff. Und sollte es doch sein. Steht er doch für jene Gesinnung, welche die Österreicherinnen und Österreicher als Opfer des Nationalsozialismus hinstellte, die in der Ausübung ihrer militärischen oder politischen Dienste ja „nur ihre Pflicht“ taten. Und doch gilt Waldheim historisch gesehen als jene Schlüsselfigur, die es erst ermöglichte, Verdrängtes auszusprechen und einen neuen Prozess im Umgang mit Österreichs NS-Vergangenheit in Gang zu setzen.

Die LiteraTurnhalle in einer neuen Umgebung

Im Nestroyhof Hamakom hat sich nun der Salon5 unter Anna Maria Krassnigg an die Erinnerungsarbeit gemacht. Im Rahmen der Serie „Literaturnhalle“ brachte sie die Premiere einer szenischen Lesung von Robert Schindels „Der Kalte“ auf die Bühne. Das Buch, das 2013 erschienen ist, wurde dabei von ihr gemeinsam mit Karl Baratta auf ein bühnentaugliches Maß gekürzt. Dabei gibt es einige Charaktere, die in ihrer seelischen Entwicklung tiefer durchleuchtet werden als andere. So der Halbjude Fraul, der als Weisester unter allen Personen am Ende sogar über den Tod eines KZ-Peinigers weint. Eine Ausnahmesituation, denn sein abweisender Charakter gab dem Buch sogar seinen Titel. Aber auch der KZ Aufseher Rosinger, der mit Fortschreiten der Geschichte eine Wandlung vom Verdränger zum larmoyanten Erzähler miterlebt, bekommt auf der Bühne einen dominierenden Part. Horst Schily und Martin Schwanda brillieren nicht nur in diesen Rollen. Schily tritt unter anderen Figuren auch noch als Wais in Erscheinung, jener Figur, die Waldheim darstellt. Schwanda hingegen mimt zusätzlich den ruppigen Krieglach alias Hrdlicka.

Insgesamt agieren sieben Schauspielerinnen und Schauspieler im stilisierten Caféhaus, das vor der beeindruckenden Kulisse jenes Pferdes aufgebaut wurde, welches der „Republikanische Club“ zur Verfügung stellte. Jenem hölzernen Pferd, das Waldheim bei all seinen öffentlichen Auftritten – im Schlepptau seiner Gegner – begleitete und als Menetekel seiner schönfärberischen Teilamnäsie angesehen werden kann.

Schindels Sittenbild einer Gesellschaft, die nur unter Zwang bereit ist, die Fehler ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten, wurde in der österreichischen Presse durchgehend gelobt. Und es überzeugt auch in der szenischen Leseanordnung von Krassnigg. Dabei kippt das Geschehen ständig zwischen einer atemlosen Aufdeckungsarbeit, der permanenten Negierung derselben in der Präsidentschaftskanzlei und dem persönlichen Erleben jener Zeit von Fraul und Rosinger. Zusätzliche Würze streut Schindel noch mit den Geschehnissen rund um die Aufstellung von Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus und Thomas Bernhards „Heldenplatz“ ein. Doina Weber schlüpft in die Rollen des damaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann und der Frau von Alfred Hdrdlicka und zeigt dabei ihre unglaubliche Komik und Wandlungsfähigkeit.

Rund um die Aufführungen, die noch bis 2. November andauern, bietet das Team vom Salon5 zusätzlich ein intensives Begleitprogramm. Die erste Podiumsdiskussion mit dem Titel „Waldheim zwischen Journaille und Journalismus“ machte durch Publikumsreaktionen deutlich, dass zumindest in Teilen der Bevölkerung keineswegs eine Beruhigung beim Thema der NS-Aufarbeitung festgestellt werden kann. Man darf auf die nächste Gesprächsrunde mit dem Titel „Waldheim – Die österreichische Wende“ am 4. November gespannt sein.

Mit dem jetzigen Durchgang der LiteraTurnhalle, der passenderweise „Politik des Vergessens“ übertitelt wurde, zeigt Krassnigg, dass Literatur und Theater dafür geschaffen sind, das Publikum nicht nur zu unterhalten. Vielmehr bietet dieses virile Format auch reichlich Gesprächs- und Diskussionsstoff über die Vorstellungen hinaus.

Nichts hält etwas intensiver in der Erinnerung fest, als der Wunsch es zu vergessen.

Auch dieser Ausspruch stammt von Michel de Montaigne. Gut, dass es Menschen wie Schindel und Krassnigg gibt, die diesem Wunsch ganz und gar nicht unterliegen. Denn nichts ist für die kommenden Generationen belastender als eine unaufgearbeitete Vergangenheit.

Sätze so scharf wie Skalpellschnitte

Sätze so scharf wie Skalpellschnitte

Dornstrauch ist auf dem Gipfel seiner Macht. Oder sollte man besser sagen ihrer Macht? Isabella Wolf spielt in dem neuen Stück von Anna Poloni „Carambolage oder der Schwarze Punkt“ jenen androgynen Charakter, der sich erst im Laufe des Abends als weiblich und sogar als Mutter zu erkennen gibt. Als Chefin eines großen Medienkonzernes verschanzt sie sich gerne hinter ihrem riesigen, gerundeten Schreibtisch, auf dem die gemalten Ausläufer von Michelangelos Erschaffung Adams zu erahnen sind, die großflächig den Boden der Bühne zieren. „Ich bin Gott“ oder zumindest „Gott ähnlich“ assoziiert dieser clevere Teil des Bühnenbildes, für das Lydia Hofmann kräftig die Pinsel schwang. Das erste Mal auch in der Geschichte des Hauses wandert das Bühnenbild im Hamakom/Nestroyhof auch hinaus in das Foyer. In einer Renaissance-Replik hat Hofmann dort Fensterstürze und Wände mit ornamentalen Musterbordüren eingefasst – ein mühsam mit Grafitstift erzeugtes Kunstwerk, das diesen Raum mit einer noblen Attitüde ausstattet und mit einem Anflug einer zur Schau gestellten Machtäußerung versieht. Und tatsächlich sind es auch Macht und Ohnmacht, die auf der Bühne verhandelt werden. Positionen, die instabil sind, sich beständig verändern, obwohl es zu Beginn des Anstoßes den Anschein hat, dass die schwarzen und weißen Kugeln im Lebensspiel klar verteilt seien. Auch der Bühnenraum selbst bleibt an diesem Abend nicht statisch, unterliegt einer permanenten Wandlung, wenngleich einer sehr subtilen, die mit wunderbaren Schattenspielen aufwartet und mit einer feinen Lichtregie (Lukas Kaltenbäck) die Wandlung des Dramas spiegelt und unterstützt.

Ein Stück von Musik durchdrungen

Anna Maria Krassnigg, die einen Großteil der Aktivitäten ihres Salon5 ins Hamakom verlegen konnte, um dort gemeinsam mit dem Hausherrn Frederic Lion dem Publikum ein intensiver bespieltes Haus bieten zu können, zeichnet für die Regie verantwortlich. Dabei greift sie auf ein bewährtes Team zurück und setzt starke Akzente mit der Musik von Christian Mair, der an diesem Abend auch auf der Bühne – oder zumindest einem Nebenschauplatz derselben – permanent präsent ist. An der E-Gitarre, hinter einer schwarzen Pilotenbrille die Augen wohl geschützt, agiert er als spiritus musicae, als einer, der das Geschehen musikalisch rhythmisiert, akzentuiert, mit einem zusätzlichen Drive versieht oder zeitweise auch nur akustisch punktuell untermalt.

Das war eine sehr kluge Entscheidung. Denn der Text selbst ist ein musikalisch Geprägter. Und er bietet den Spielenden zusätzlich Raum, Emotionen, die nicht in Sprache ausgedrückt werden wollen, anschaulich zu machen. Krassnigg selbst bezeichnet das Poloni-Werk als ein modernes Königsdrama – Sohn rebelliert gegen seine Eltern und ermordet schließlich seine Mutter, um an die Macht zu kommen. Und doch ist es viel, viel mehr als das – nämlich eine tiefsinnige Systemkritik. Nach dem Erfolg von „Camera Klara oder Wie man leben muss“ ist es das zweite Theaterstück der Autorin, die sich medial völlig bedeckt hält. Vielleicht ist das auch gut so, denn dadurch muss sich die Rezension völlig auf ihre Arbeit konzentrieren, ohne von Privatem abgelenkt zu werden. Poloni hat mit „Carambolage“ einen weiteren Meilenstein in ihrer dramatischen Kunst gesetzt. Mit Sätzen, deren Aussagekraft so scharf wie ein Skalpell in die zeitgenössische Befindlichkeit der westlichen Welt schneidet, dürfte sie zumindest einen Teil ihres Publikums beunruhigen. Jenen, der gewachsene Machtverhältnisse als unumstößlich ansieht auf alle Fälle. „Was tun“ ist das Motto dieser Saison im ehemaligen jüdischen Theater am Nestroyplatz und genau diese Frage stellen sich in Polonis Stück alle Figuren.

Fünf unterschiedliche Charaktere

Dornstrauch, die Konzernchefin und Rabenmutter, die sich nicht um ihren mittlerweile erwachsenen Sohn kümmern wollte. Isabella Wolf brilliert darin als alternde Medienmogulin, die trotz all ihrer Machtfülle am Ende ihres Lebens von Zweifeln und Ängsten aufgefressen wird – und das „fünf Minuten vor Tod. Unpassend“, so eine ihrer letzten lapidaren Äußerungen. Der Vater ihres Sohnes Enrique ist der mit Goldketten behangene Nachtclubbesitzer Don Gian. Schmierig, bedrohlich aber dennoch mit Herz wird er von Martin Schwanda gespielt, der in der Rolle aufgrund der Maske kaum wiederzuerkennen ist. Enrique, der missratene Sohn, Anarchist und Dauerrevoluzzer, scheint Raphael von Bargen wie auf den Leib geschrieben. Seine Verweigerung funktioniert aber nur solange, solange er in seinen Eltern auch tatsächlich eine Reibungsfläche findet. Erst als sein Vater ihm durch einen nicht jugendfreien Song die ständige Gegenoffensive aus der Hand nimmt, muss sich Enrique eine andere, neue Lebensstrategie erfinden. Brand wiederum, jener junge Jurist und Journalist, der es wagt, den Familienskandal seiner Arbeitgeberin aufzudecken, hat in diesem Spiel am meisten zu verlieren. Murali Perumal verleiht dem Charakter trotz der Jugend eine beinahe abgeklärte Identität. Er wird nicht laut, er begehrt nicht auf, aber er weiß ganz genau, dass er das moralische Recht zwar auf seiner Seite hat, das Spiel für ihn aber beendet ist. Und schließlich gibt es noch ein sehr spezielles Wesen. Engel oder auch Angie genannt. Petra Staduan changiert permanent zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Himmel und Hölle. Zwar trägt sie die Liebe in sich, aber die ihr zugefügten seelischen Verletzungen – von allen Mitwirkenden – treiben ihr ihre anfängliche Empathie komplett aus.

Jede einzelne Figur in Polonis Werk steuert unaufhörlich jener Katastrophe zu, die am Ende nicht nur einen Verlierer, sondern überhaupt keine Gewinner kennt. Und doch gelingt der multilingual agierenden Autorin mit diesem Stück längst nicht nur ein Familiendrama der zeitgemäßen Art. Vielmehr fängt sie jene Stimmung ein, die sich seit spätestens 2008 landauf, landab als hoffnungslos beschreiben lässt. Das Gefühl, verschiedenen ökonomischen Mächten völlig ausgeliefert zu sein, in ein strikt vorgegebenes Schema passen zu müssen, effizient sein zu müssen und zugleich nichts an Eloquenz zu verlieren, das Gefühl durch die großen Medienkonzerne ununterbrochen manipuliert zu werden, schwingt vom Beginn bis zum Ende mit. Es echot damit nichts anderes als jenen Zukunftspessimismus, der zumindest die westliche Hemisphäre voll und ganz ergriffen hat und dem bislang noch keine wirksamen Gegenstrategien entgegengesetzt werden können. Da bilden alle Protagonistinnen und Protagonisten auf der Bühne neben ihren familiär besetzten Rollen zugleich die Möglichkeit, in ihren Menschenmetaphern jene Zu- und Umstände zu erkennen, die uns unser heutiges Leben so schwer, für viele beinahe unerträglich machen. Dornstrauch steht dabei für jene persönliche Verdrängungsstrategie, die vermeintlich angewendet werden muss, um im beruflichen Umfeld zu bestehen. Don Gian – ihr Gegenspieler – ist mittels seiner sexuellen Virilität und genügend Drohpotenzial in der Lage, sich sein eigenes Triebreich aufzubauen. Außerhalb dieser Mauern jedoch fühlt er sich völlig unsicher. Der aufdeckende Journalist Brand ist eine Art neuer Michael Kohlhaas. Gerechtigkeit ist ihm mehr Wert als das eigene Wohlergehen, weshalb er in der Logik dieser „Jeder-gegen-Jeden-Gesellschaft“ als Aussätziger gebrandmarkt werden muss. Bleibt noch der Engel – eine nicht wirklich fassbare Figur, die sich je nach Windrichtung auch schon einmal gerne mitdreht, die vorgibt zu lieben, aber sich bei der ersten großen Erschütterung in ihr Seelengehäuse zurückzieht und ihre Heilung von anderen Partnern erhofft. Ihre wesentlich komplexere Gefühlslage als die der anderen Mitspielerinnen und Mitspieler darf Petra Staduan in mehreren barockgleichen Arien ausbreiten. Ihr klarer und zugleich zarter Alt ziehen das Publikum magisch in eine andere, nur ihr zugeschriebene und nicht wirklich fassbare Welt. Enrique, der polternde Sozialautist, ist einer von vielen, die das System nur durch Rebellion zu überwinden versuchen. Solange er sich jedoch in diesem Zustand befindet, kann er in die Machtzentrale seiner Mutter nie eindringen. Seine peu à peu vorgenommene Kostümverwandlung vom Punk zum Big Boss macht klar, dass auch ihm kein anderer Weg als jener der Anpassung, ja sogar Assimilierung bleibt, um ein bestimmender Teil des Spieles werden zu können.

Kraft und Verstörung

„Carambolage oder der schwarze Punkt“ ist ein bitterböses, tiefes, berührendes und zeitabbildendes Drama. Ein Stück, und das hat Krassnigg völlig richtig gedeutet, das durch seine Familienkonstellation einen direkten Bogen von uns in die Antike zurückschlägt und dabei noch dazu ohne Miserere auskommt. Wer mit diesem Text nicht kann, und das dürften vielleicht gar nicht so wenige sein, dürfte mit sich selbst nicht können. Hinzu kommt, dass er Bildung und Sprachgefühl voraussetzt, um ihn in seiner Tiefe ausloten zu können. Sätze wie Messerschnitte, Charaktere so verletzt, hart, grausam und unbeholfen wie im richtigen Leben und ein enigmatisches Wesen, eine permanent zum Showdown führende Handlung, ohne die Möglichkeit einmal Luft holen zu können – darin liegt Kraft aber auch Verstörungspotenzial. Das ist harter Tobak. Krassnigg verabreicht ihn – beinahe möchte man sagen – perfide in einer überaus lyrischen Bildsprache. In einem Wechselbad zwischen High-Speed und ruhigen, langsamen Momenten. Für sie ist – und das spürt man an diesem Abend stark – das Theater ein magischer Ort. Ein Ort, an dem Emotionen empfunden werden dürfen, aber auch ein Ort, an dem vor allem gedacht werden darf. Die Frage „Was tun“ beantwortet Carambolage letztendlich nicht. Aber das Stück zeigt überdeutlich auf, dass die Zeit überreif ist, irgend etwas zu tun. Darin liegt seine große Stärke.

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